Ostseestaal in Stralsund
„Wir denken die Objekte vom Ende her.“Ostseestaal gehört zur Central Industry Group (CIG), die im niederländischen Groningen ansässig ist. Der werftartige Betrieb hat sich darauf spezialisiert, Bausätze aus dreidimensional verformten Blechen herzustellen, die sowohl aus Stahl, Edelstahl, Aluminium als auch Speziallegierungen bestehen können. Autor Robert Mehl hat mit Betriebsleiter Dipl.-Ing. Uwe Husmann über das Profil des Unternehmens gesprochen.
metallbau: Herr Husmann, die CIG-Group bedient nicht nur Architektur, sondern auch Schiffsbau und erneuerbare Energien. Ergeben sich dabei Synergien?
Uwe Husmann: Mit Blick auf die Kunden eher nicht, weil diese sich nicht auf denselben Märkten bewegen. Man weiß natürlich um unser Know-how, dass wir 3D-Umformungen sehr gut beherrschen.
Intern ergeben sich verfahrensbezogene Synergien. Sowohl bei der Umformung als auch bei der Schweißmontage. Die Anforderungen der ganz unterschiedlichen Kunden an die Qualität unserer Bauteile und Komponenten fördern unser Bestreben nach kontinuierlicher Verbesserung. In der Architektur haben wir in der Regel höhere Oberflächenanforderungen, diese werden sowohl durch eine hohe Schweißqualität als auch durch die Behandlung der Oberflächen nach dem Schweißen erfüllt. Erfahrungen, die wir in diesem Bereich machen, lassen sich auf andere Produkte übertragen, z.B. in der Schweißqualität und in der Genauigkeit.
metallbau: Wie verteilen sich die Geschäftsanteile?
Husmann: Bei der Gründung von Ostseestaal im Jahr 2000 haben wir rund 80 Prozent der Aufträge für das Segment Schiffsbau ausgeführt, alles andere, also Architektur und Renewables, machten ca. 20 Prozent aus. Seit der Schifffahrtskrise in den Jahren 2008/2009 hat sich bis heute die Auftragslage fast umgekehrt.
metallbau: Wie gelangen Sie an die Aufträge?
Husmann: Früher kamen Werfteinkäufer gezielt zu uns und haben schiffbauliche Komponenten für ein Schiff bestellt. Wir hatten damals regional ein Alleinstellungsmerkmal für die Kaltumformungen von Metallen. Seit Umkehrung der Auftragsanteile haben wir unsere Kundenakquise sehr stark ausgeweitet und sind aktiv in die Märkte Architektur und Renewables gegangen. Zudem gibt es innerhalb der CIG-Gruppe Kooperationen. Grundsätzlich werden Architekturprojekte von unseren niederländischen Kollegen koordiniert, allerdings durch aktive Mitwirkung unserer Ingenieure. Der Bahnhof Arnhem ist ein gutes Beispiel dafür. Mittlerweile realisieren wir Architekturprojekte in ganz Europa und werden aus Übersee angefragt. Wir haben erfahren dürfen, dass es eine hohe Wertschätzung der Qualitätsarbeit deutscher Hersteller auch bei Architekturprojekten gibt.
Im Bereich der Renewables, also der erneuerbaren Energien, sind wir von unserem Standort aus aktiv, nicht nur vertriebstechnisch; wir konzipieren auch neue Produkte, etwa Solarboote. Bei den Komponenten, die wir für die Luftfahrt-industrie liefern, bilden häufig unsere Erfahrungen mit den Genauigkeitsanforderungen in der Architektur die perfekte Synthese.
metallbau: Sie sind auch Zulieferer für Windkraftanlagen, deren Rotoren bestehen aber in der Regel aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK). Wo finden sich dabei Ihre Metallbaufertigkeiten?
Husmann: Wir liefern den Windradherstellern die Formwerkzeuge, die diese befähigen, gute, robuste und leichte CFK-Komponenten für Rotorblätter zu fertigen. In der Produktion dieser Werkzeuge sind wir in der Größe nicht beschränkt. Das Limit der Rotorendurchmesser liegt vielmehr in der Auslieferungsmöglichkeit zum Montageort und ist häufig eine Herausforderung für die Logistik.
metallbau: Wie gehen Sie die Produktion von solchen Großkörpern organisatorisch an?
Husmann: Zunächst erhalten wir ein Gesamtkonzept, dessen Komplexität wir in baumethodisch handhabbare Einzelkomponenten auflösen. Die müssen allerdings am Ende wieder miteinander verbunden werden. Wir betrachten unsere Umformmaschinen im Hinblick darauf, was sie leisten können. Und schließlich müssen technische Effekte wie das Know-how über Schweißschrumpfung Berücksichtigung finden. Auch dürfen wir die erforderliche Logistikleistung – intern wie extern – nicht aus den Augen verlieren. Eine erfolgreiche Baumethodik ist immer vom Ende her zu denken, also von der Endmontage am Zielort aus.
metallbau: Mit welchen Maschinen arbeiten Sie?
Husmann: Im Jahr 2000 nahm Ostseestaal als Ausgründung des niederländischen Mutterkonzerns in Stralsund die Produktion mit zwei Plasmabrennschneideanlagen und sieben Großpressen auf. Dafür investierte der Mutterkonzern 25 Mio. Euro in Stralsund. In einer neuen Werkhalle haben wir 17 Krananlagen mit unterschiedlichen Laststufen. Für unsere Kaltumformung sind Pressen, Rollenwalzen und Kantbänke wichtig. An den Pressen arbeiten wir mit individuellen Formen/Schablonen, mit denen wir die bis zu 60 Millimeter starken Bleche passgenau umformen. Die Schablonen werden auf Basis digitaler Modelle erstellt. Die so entstandenen Einzelteile bilden Segmente, die zu einer Montageeinheit zusammengefügt werden. Wir zerlegen geometrisch unbestimmte Freiformen in ihre Einzelkomponenten – etwa Zylinder, Kegel, Konus –, verformen diese kalt, um sie passgenau zu montierbaren Teileinheiten wieder zusammenzufügen.
metallbau: Sind europäische Normen bzw. Zertifizierungen allgemein für Ostseestaal ein Problem?
Husmann: Wir haben bei fast allem, was ISO, Euro-Norm oder DIN betrifft, eigentlich keine Probleme. Immer mal wieder haben wir Verfahrensprüfungen für Schweißverfahren bei neuen Werkstoffen vorzunehmen, manchmal kommt noch eine besondere Verfahrensumgebung hinzu.
Sogar Zertifizierungen für außereuropäische Kunden auf Basis derer nationaler Normen und Standards bereiten uns keine Probleme. Kürzlich haben wir die Zertifizierung des Baudezernats von Los Angeles erhalten, damit wir für Architekturprojekte in Kalifornien zugelassen werden können.
metallbau: Auf Ihrer Website erwähnen Sie die Reduzierung der Anzahl der Schweißnähte bei Düsen. Können Sie das näher erklären?
Husmann: Propellerdüsen wurden bislang aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt und -geschweißt. Dabei müssen vielfältige Anforderungen berücksichtigt werden, um die erforderliche Genauigkeit zu erreichen, insbesondere im Hinblick auf die Schweißschrumpfung. Wir haben es mit einer intern entwickelten Anlage geschafft, die Komplexität nicht mehr in kleinste Bauteile zu zerlegen, sondern die Düse aus wenigen Großkomponenten zusammenzusetzen. Dafür haben wir eine Umformmaschine speziell für Düsen entwickelt, mit der wir die Anzahl der Schweißnähte um 60 bis 70 Prozent verringern konnten. Düsen sind Rotationskörper, deren Außenkontur sich über den jeweiligen Mittelpunkt verformen lässt. Wir zerlegen das Düsenvolumen nicht mehr – wie früher üblich – über den Mantelumfang, sondern teilen es in Schichten auf. So walzen wir dabei am Stück komplette Ringe, die entweder als Zylinder oder als Konus angelegt sind und gehen damit auf die große Umformmaschine. Letztlich verschweißen wir vielleicht drei Außen- und drei Innenkomponenten miteinander. Aber auch in der Schweißtechnik sind wir innovativ. Wir sind in der Lage, große Propellerdüsen einzuspannen und diese so zu bewegen, dass wir immer in der besten Position schweißen können: Wir bewegen nicht die Schweißquelle, sondern das Werkstück.
metallbau: Seit wann sind eigentlich solche organischen Kons-truktionen wie der Bahnhof Arnhem oder der Porsche-Pavillon zu beobachten?
Husmann: Zunächst möchte ich einmal an die Pariser Weltausstellung und den Eiffelturm von 1899 erinnern: Stahlkons-truktionen in der Architektur gibt es schon richtig lange, Schweißkonstruktionen erst seit einigen Jahrzehnten. Grundsätzlich geändert haben sich die Werkstoffe: Der Eiffelturm besteht aus Gusseisen, er wurde auch nicht geschweißt, sondern komplett genietet. Heutzutage können Sie einfach viel besser aus den Werkstoffen dreidimensionale Bauteile herstellen, weil es die mechanischen Eigenschaften zulassen. Auch die Oberflächen können heute anders bearbeitet werden als früher, etwa durch neuartige Schleiftechniken. Zudem sind die Farbstoffe und der Korrosionsschutz heute gänzlich andere: Es ist machbar, die Oberflächenbeschaffenheit ausschließlich über Beschichtungen zu definieren. Schließlich sind die aktuellen Schweißverfahren und die Schweißzusatzstoffe zu nennen, die die Schweißschrumpfung erheblich minimieren.
Grundsätzlich würde ich sagen, dass mit Beginn des neuen Jahrtausends die Nachfrage nach Freiformen aus Stahl in der Architektur deutlich zugenommen hat.⇥red ◊