Seine Seele formt den Stahl
Ein geschmiedeter Türgriff machte Thomas-Maria Schmidt im Jahr 2012 zum „Internationalen Deutschen Meister der Schmiede“ und öffnete ihm die Welt zur Kunstgilde. „Früher hab´ ich zu viel für wenig gemacht, heute mache ich weniger für viel“, bringt er seine Karriere auf den Punkt. Wir haben ihn in seiner Werkstatt in Höheischweiler bei Pirmasens besucht.
Einfaches Wellblech deckt die drei Räume der Werkstatt ab – auf dem Dach symbolisiert ein überdimensional großer Amboss sein Gewerk – auf der Wiese gegenüber steht ein Container, den der Kunstschmied zum Büro umgebaut hat. Flammen zieren die Ladeklappen seines Pick-ups in der Einfahrt – alles Dekofarben. Auf die Ladefläche ist ein Amboss aus Blech montiert: ca. 2,5 Meter hoch und 3 Meter lang fällt auch dieser etwas größer aus als der am Schmiedefeuer in seiner Werkstatt – das vordere Horn ragt über die Fahrzeugkabine. Der Amboss samt Pick-up ist das jüngste Projekt für ihn und den Internationalen Fachverband Gestaltender Schmiede (IFGS). Für das Foto vor dem Fahrzeug will sich Schmidt schnell umziehen, ein schwarzes T-Shirt muss es sein, auf der Brust wieder ein Amboss, darüber die Insignien des IFGS. Im vergangenen Jahr hat der 53-Jährige die Präsidentschaft übernommen. Der Amboss ist Schmidt sehr wichtig. Das war nach fünf Minuten klar. Dafür war es nicht nötig, einen Schritt in seine Werkstatt zu setzen.
Neues IFGS Projekt
Unter dem hinteren Horn hat der fahrende Amboss eine Klappe. Diese lässt sich öffnen und eine Esse herausziehen: Ein mobiles Schmiedefeuer gegen das Vergessen der alten Handwerkstradition. In dem großformatigen Blechamboss hat der Kunstschmied über dem Feuerplatz einen Schlafplatz eingebaut. Keine Sorge, wenn Schmidt sich nach Ende einer Schmiedebiennale in die Matte legt, schaut er nicht beengt auf eine stählerne Ambossbahn, sondern durch eine Plexiglasscheibe gen Himmel. Spielt das Wetter mit, lässt sich eine Fensterluke öffnen und der Blick zu den Sternen ist frei.
Sakrale Schmiedekunst
Der Himmel ist für Schmidt ein Segen, nicht allein weil es ein Stoßgriff einer Kirchentür war, mit dem er 2012 den Titel gewann. Seine Werkstücke für die Gotteshäuser in der Pfalz sind zahlreich. Eine eindrucksvolle Referenz ist die Spitze der Lutherkirche in Pirmasens. Die Kirche steht unter Denkmalschutz, für die Turmspitze hat Schmidt ein Kreuz mit einem Löwen und einem Schwan als Wappentier geschmiedet. Auch viele schlichte Hähne oder Hunde, die heute die Kirchtürme in der Pfalz krönen, stammen aus seiner Werkstatt. Dort sind viele Kreuze, Kirchturmspitzen und Turmkugeln zu sehen – entweder, weil sie ausrangiert wurden oder in Arbeit sind.
Schmidt gilt als Spezialist für Vergoldungen. Kugeln neu mit Blattgold zu belegen, wird häufig angefragt. Für seine größte Kirchturmzier hat er 11,5 Quadratmeter Blattgold, 23,75 Karat, gebraucht. An einer der alten Kugeln sind Durchschüsse erkennbar. „Sie stammen aus dem zweiten Weltkrieg“, erklärt Schmidt. Die Pfarrei hatte sich eigentlich gewünscht, dass Schmidt die Löcher wegrestauriert, aber das wollte er nicht: „Sowas mache ich nicht“, sagt er, „da blutet mir das Herz. Authentizität wahren, ist meine Aufgabe.“ Die Gemeinde hatte Einsehen, die alte Kugel wird gepflegt und dann auf dem Gelände der Schmiede ausgestellt. Sie ist nicht das einzige Objekt, das auf der Freifläche rund um die Schmiede den Besuchern seine Geschichte zeigt. Erzählt werden die Geschichten von Thomas-Maria Schmidt.
In Ausbildung zum Restaurator
An der Akademie des Handwerks Schloss Raesfeld beschäftigt sich Schmidt sowohl mit dem Konservieren historischer Werkstücke als auch mit Rekonstruktion. Seit zwei Jahren absolviert er die Ausbildung zum Restaurator im Handwerk (siehe Interview Seite 20 mit dem Ausbildungsleiter Eckard Zurheide). Das Präsenzstudium dauert eineinhalb Jahre lang, einmal im Monat fährt er zum Unterricht nach Nordrhein-Westfahlen: von Donnerstag bis Sonntag im Block. Darüber hinaus wird für eine Projektarbeit 100 Stunden veranschlagt. Das Projekt für seine Abschlussarbeit lehnt in der Werkstatt an der Wand. Ein Geländer der Marienkirche in Kaiserslautern. „Hat zwar Jugendstilelemente, aber ist nicht zur Zeit des Jugendstils geschmiedet worden“, erklärt Schmidt. Sein Plan ist es, das Geländer mit Owatrol zu konservieren, sodass sich eine Schutzschicht bildet. „Das Geländer rostet nicht mehr und der Zerfall ist gestoppt.“ Den konservierten Bestand möchte er in Glas einhausen und darauf einen Handlauf aus Edelstahl montieren. So ist einerseits für die Kirchgänger die Funktion des Geländers gegeben, andererseits das Original mit den Geschichtsspuren ausgestellt. Dieses Konzept entspricht allen Anforderungen des Denkmalschutzes, Schmidt will es der Diözese Speyer vorschlagen.
Im Raum nebenan wird ein lebensgroßes Pferd aus Hufeisen gestaltet. „Eine Familie hat so viele Hufeisen gesammelt, dass ich einer Verwandten von ihnen zum 60. Geburtstag ein grasendes Pferd bauen kann“, erzählt er. Die ersten zehn Glücksbringer hat er zum Hinterteil zusammengeheftet. Als Modell reicht ihm ein Bild vom Pferd der Villa Hügel in Essen — eine lebensgroße, grasende Pferdestatue aus Gusseisen. Wer seit 35 Jahren Entwürfe zeichnet, hat eine geübte Vorstellungskraft.
Also, die Schmiedekunst von Thomas-Maria Schmidt reicht von schlichten Hausnummern über Brunnenskulpturen und Kirchenportale bis hin zu großen Kunstdenkmälern. CAD-Software und moderne Geräte, beispielsweise Aufmaßlaser, erleichtern die Präzisionsarbeit an historischen Projekten, wo Wände oder Rundbögen nicht immer gerade verlaufen. Handgezeichnete Entwürfe und Pläne sind allerdings für ihn Standard. Es werden keinerlei Daten in Maschinen eingespeist. „Wir sind tatsächlich Handwerker“, sagt er. Mit „Wir“ meint er seine beiden Gesellen und den Auszubildenden.
Preise und Auszeichnungen ließen sich Zeile an Zeile reihen. Funk und Fernsehen berichtet regelmäßig über seine Arbeit. Zahlreich sind seine Skulpturen rund um die Stadt Pirmasens. Seit 2014 steht am Kreisel an der Bundesstraße 270 am Stadtausgang von Primasens in Richtung Kaiserslautern ein sechs Meter hoher, blauer Cowboystiefel. Unternehmer Bernd Hummel hat diesen als Symbol für jahrzehntelange Freundschaft zwischen den Bürgern Pirmasens und den US-Truppen der 59th Ordnance Brigade in Auftrag gegeben. Diese war bis Anfang der 90-er Jahre in Pirmasens stationiert.
Persönliches, große und kleine Geschichten, die das Leben schreibt, füllen das Auftragsbuch von Schmidt. Mit seinen Händen gibt er dem Stahl die Form, die sich Kunden wünschen. Seine Kreativität verbindet sich mit den Vorstellungen seiner Auftraggeber zu etwas Neuem. Das nährt ihn. Viele Kunstschmiede bleiben Idealisten, für Schmidt hat sich das Warten gelohnt. „20 Jahre habe ich mich geduldet“, sagt er.
In Auseinandersetzung mit den Ideen seiner Auftraggeber identifiziert er sich mit den Werkstücken. „Der Stahl wird von der Seele geformt“, sagt er. Schmieden ist nicht nur sein Beruf, vielmehr seine Haltung zum Leben. Offenbar eine glaubwürdige, da beide Söhne in seine Fußstapfen getreten sind.
Dass Schmidt an Amboss und Esse gehört, wurde klar, als er bei seinem Ausbilder Ludwig Hammerschmidt das erstmal am Schmiedefeuer stand. Sein Berufsschullehrer hatte Schicksal gespielt: Während der Ausbildung zum Metallbauer schickte er ihn zum Probearbeiten in die Werkstatt von Hammerschmidt. „Der Kunstschmiedemeister hatte an der Schule nach einem talentierten Azubi fragt“, erinnert sich Schmidt. „Ich wurde aber eher wegen meiner guten Noten ausgewählt“, ergänzt er.
-> Das Video zeigt die Montage des Cowboystiefels