Vom Meister zum Fachplaner
Berufsbegleitend an der Hochschule AugsburgWas haben Handwerksmeister nicht schon alles geleistet, wenn sie den Meisterbrief in der Tasche haben? Am exotischsten war wohl Hans Sachs, der per Sängerwettstreit große Berühmtheit erlangte. Wo sind sie also, die Meister von heute, die noch viel mehr beherrschen als ihr Handwerk? Einen hat die Redaktion metallbau in Augsburg gefunden. Gleich vorweg: Er ist keine Sänger-Prominenz, sondern ein Studierender – immerhin mit einem wohlklingenden Namen: Gino Ciottariello. Er absolviert derzeit mit nicht ganz 30 weiteren Mitstreitern das weiterbildende, berufsbegleitende Zertifikatsstudium mit dem Namen „Fachingenieur Fassade“ am Institut für Bau und Immobilie der Hochschule Augsburg. Diese entwickelte gemeinsam mit der Hochschule München in Zusammenarbeit mit Fassadenbauunternehmen, Fassadenberatern, Gutachtern, Systemhäusern und Glasherstellern ein auf den Bedarf abgestimmtes Studium.
Das Zertifikatsstudium „Fachingenieur Fassade“ ist für Teilnehmer mit weiterführendem Studieninteresse ein integraler Bestandteil des weiterbildenden Masterstudiums „Projektmanagement mit Vertiefung Fassade“. Seit 2007 wird es einmal im Jahr zum Wintersemester angeboten. Es sollen vertiefte technische Kenntnisse im Schlüsselgewerk Fassade für Planung, Ausführung und Abwicklung vermittelt werden. Und das alles komprimiert in rund 200 Seminarstunden, die auf zwölf Monate aufgeteilt sind.
Aus dem Leben eines Studierenden
Ciottariello, der übrigens auch eine wohlklingende Vita hat, arbeitet Vollzeit und zählt damit zur Zielgruppe der Hochschule. Für ihn ist das Angebot aus mehreren Gründen ein Glücksfall: einmal, weil er berufsbegleitend studieren kann, und weiter, weil sein Arbeitgeber Schüco für die Studiengebühren von 2.450 Euro pro Semester für ihn aufkommt. Das ist bei den Bielefeldern übrigens kein Einzelfall. Aus diesem Hause werden stets Mitarbeiter nach Augsburg geschickt.
Ciottariellos Weg bis in die Hörsäle war allerdings ein langer und schwieriger: 1995 hat er nach drei Jahren Ausbildung in der Metallbaufertigung seinen Industriemeister Metall beim Verarbeiter gemacht. Im Anschluss bildete er sich als sogenannter Total Quality Manager (TQM-Beauftragter) weiter und übernahm auch Ausbildertätigkeiten. 2002 schaffte er es mit diesen Qualifikationen bis zur Fertigungsleitung. Nach einem inhaltlichen Wechsel in die Automobilindustrie (Zulieferer) 2009 zog es ihn wieder zurück zum Metallverarbeiter. „Die andere Branche war überhaupt nicht das Richtige für mich“, resümmiert er heute. „Eigentlich wollte ich ohnehin schon immer bei Schüco arbeiten.“ Und das tut er nun seit 2011. Sonderlösungen sind sein Tätigkeitsschwerpunkt. „Ich arbeite im sogenannten LOM. Das ist eine Abkürzung für ‚Large Object Management‘, also für Großprojekte. Gerade arbeite ich zum Beispiel am Londoner Sugar Quay oder am WinX in Frankfurt am Main. Die Projekte sind recht unterschiedlich. Das Sugar Quay ist ein absolut hochpreisiger Wohnungsbau. Entsprechend hoch sind dort die Anforderungen an den Bau. Sie können sicher sein, dass der Schallschutz hier nicht das einzige ist, was perfekt sein muss. Beim WinX sind wir vor allem herausgefordert, die Statik in den Elementen unterzubringen. Da können wir nicht einfach in den Katalog gucken, müssen aber trotzdem CE-konform mit unseren Lösungen bleiben.“ Ciottariello steht also top ausgebildet mit einer Menge an Berufserfahrung da. Kein Klischee-Student, soviel ist sicher. Das wollen die Verantwortlichen des Studiengangs auch gar nicht. Sie richten sich mit dem Studiengang an Ingenieure der Fachrichtungen Architektur, Bauingenieurwesen, Maschinenbau, Bauphysik und verwandter Disziplinen mit mindestens einem Jahr Berufspraxis. Besonders angesprochen sind Personen, die sich in Richtung Sachverständigentätigkeit entwickeln wollen. Techniker und Meister der einschlägigen Fassadenbaugewerke können nach einem erfolgreich absolvierten Aufnahmegespräch teilnehmen und erhalten als Abschluss das Studienzertifikat „Fachplaner Fassade“. Eine hohe Affinität zum Thema Fassade versteht sich von selbst, denn die Absolventen sollen nach erfolgreichem Abschluss in der Lage sein, planerische, koordinierende und leitende Tätigkeiten im Bereich des Fassadenbaus mit entsprechendem Spezialwissen zu übernehmen. Fleiß, Disziplin und sehr gute Vorkenntnisse sind unausgesprochene Voraussetzungen.
Praxis, Praxis, Praxis
Für Ciottariello gilt Augsburg als sehr guter Standort. „Ich könnte auch ins benachbarte Detmold gehen. Dort gibt es auch eine gute Hochschule, die sicherlich genauso gut wie Augsburg ist, aber dort sind die Inhalte mehr auf den internationalen Markt zugeschnitten, kommuniziert wird in Englisch. Der Studiengang in Augsburg wiederum zielt mehr auf die Praxis ab, besonders im Hinblick auf die unendlich vielen Regelwerke und Normen, die es beim Bauen zu beachten gilt. Das betrifft die Anforderungen der Bauphysik gleichermaßen wie die an den Schallschutz oder die Statik. Also genau das, was ich in meinem Berufsalltag brauche.“ So steht es auch im Flyer, der für den Studiengang wirbt: „Das Studium verfolgt einen hohen Anspruch an aktuellem Praxisbezug und gewährleistet dies durch die Einbindung zahlreicher renommierter externer Fachleute, eine praxisbezogene Didaktik und die Förderung des Dialogs zwischen den Studierenden. Unsere Dozenten sind Professoren verschiedener Hochschulen, Führungskräfte namhafter Systemhäuser und Baukonzerne, erfahrene Fassadenberater und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sowie erfahrene Kommunikationstrainer.“ Ciottariello bereitet das Studium große Freude. Die Augsburger geben sich auch große Mühe, den Studierenden etwas Besonderes zu bieten: Jedes Studium beginnt zum Beispiel mit der Start-Blockwoche im Allgäu. Im Rahmen der zweiten Blockwoche findet darüber hinaus noch eine Exkursion statt. „Ich würde dieses Studium unbedingt weiterempfehlen“, schwärmt Ciottariello. „Wichtig ist, dass man über sehr, sehr gute und viele Vorkenntnisse verfügt und dass man präzise arbeitet. Wir sind in unserem Jahrgang eine recht heterogene Gruppe aus Architekten, Planern, Verarbeitern, Projekt- und Bauleitern – also eine schöne Mischung! Präzise zu sein, bedeutet für mich, harmonisch zusammenzuarbeiten – auch und gerade im Prozess mit vielen Beteiligten.“ Hierfür bietet die Hochschule eine virtuelle Lernplattform an. Ergänzend zu den Präsenzseminaren haben die Studierenden die Möglichkeit, sich zeit- und ortsunabhängig auszutauschen und Skripten, Rechercheunterlagen und Informationen abzurufen.
Mit Herz und Begeisterung
Auf die Studierzeit angesprochen sagt Ciottariello: „Das Studium ist sehr zeitintensiv. Man braucht dafür richtig starke Nerven, und man muss mit Herz und Begeisterung permanent dranbleiben.“ Diese Begeisterung gilt im Falle Ciottariello auch für den Metallbau. „Der Metallbau fasziniert mich schon seit Beginn meiner Ausbildung. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, damit zu bauen. Eigentlich ist das sehr mit Lego-Spielen vergleichbar“, schmunzelt er und macht dem Nachwuchs Hoffnung: „Für unsere Nachfolger bietet sich eine riesige Zukunft. Außerdem sieht jedes Gebäude immer anders aus. Sprich: Es braucht Sonderlösungen.“
Dass die Branche klein ist und – wie er sagt – man sich kennt, deutet er als Vorteil: „Im Grunde bleibt den Betrieben nichts anderes übrig, als sich ihren Nachwuchs selbst heranzuziehen.“ Ciottariello hat im Juni sein Studium abgeschlossen: „Da war erstmal durchschnaufen angesagt!“
Wer sich trotz der Hürden und Herausforderungen für das Studium interessiert, wird im Vorfeld der Bewerbung zur Entscheidungsfindung von der Hochschule beraten. Offene Seminare bieten den praktischen Einblick in den Hochschulbetrieb. Ein Wettstreit bleibt außen vor. Das machen andere.