Die neue DIN EN ISO 15614-1
Wichtige Änderungen im ÜberblickEs gibt keinerlei Anlass für Euphorie über eine nun weltweit (und damit auch im ASME-Bereich) zu nutzende Verfahrensprüfung. Dazu müsste ISO 15614-1:2017 auch in den ASME-Codes als gleichwertiges Regelwerk zitiert werden. Es ist darauf zu achten, wer die Prüfstelle für die Verfahrensprüfungen ist. Bei ASME ist es stets der Hersteller, bei Anwendung der Verfahrensprüfung unter der europäischen Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU die notifizierte Stelle.
Die DIN EN ISO 15614-1 „Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe — Schweißverfahrensprüfung — Teil 1: Lichtbogen- und Gasschweißen von Stählen und Lichtbogenschweißen von Nickel und Nickellegierungen“ stellt eines der fünf möglichen Verfahren zur Qualifizierung einer vorläufigen Schweißanweisung (pWPS) dar. Nach DIN EN ISO 15607 kann es immer angewendet werden, es sei denn, die Verfahrensprüfung berücksichtigt nicht ausreichend die Nahtgeometrie, Einspannung beziehungsweise Zugänglichkeit zur eigentlichen Schweißnaht.
In vielen Regelwerken wird diese Norm als Qualifizierungsgrundlage herangezogen. Die Qualifizierung einer vorläufigen Schweißanweisung (pWPS) durch eine Schweißverfahrensprüfung ist das aufwendigste Verfahren der Qualifizierung und sollte auch unter Kostengründen nur gewählt werden, wenn das Anwendungsregelwerk oder die Liefervereinbarung beziehungsweise der Werkstoff oder der Mechanisierungsgrad des Schweißverfahrens die Anwendung einer Schweißverfahrensprüfung nach DIN EN ISO 15614-1 erforderlich machen.
Historie
Mit ihrer ersten Veröffentlichung als ISO-Norm im Jahre 2004 hofften alle Beteiligten, dass mit dieser Norm nun weltweit die Qualifizierung eines Schweißverfahrens geregelt sei. Es blieb jedoch festzustellen, dass der pazifische Bereich diese Norm vielfach wegen der zu hohen Anforderungen nicht nutzt. Daher begannen bereits im Jahr 2005 die ersten Ansätze, um eine Zusammenführung der unterschiedlichen Regelwerksphilosophien (europäische und amerikanische) in eine überarbeitete Fassung einzubringen.
Aufbau der neuen Ausgabe
Nach mehr als zehn Jahren intensiver Arbeit ist es nun gelungen, eine Norm mit einem Stufenmodell zu veröffentlichen. Dieses Stufenmodell ist jedoch keine Kohabitationsnorm wie sie von den Normen der Schweißzusätze her bekannt ist. In die Norm wurden an verschiedenen Stellen die Beschreibung von Anforderungen einmal nach dem pazifischen Vorgehen (ASME), bezeichnet als Stufe 1, und zum anderen nach dem europäischen Vorgehen, bezeichnet als Stufe 2, eingefügt. Dadurch bedingt wurden auch neue Tabellen eingefügt, die einmal die Anforderungen von Stufe 1 beschreiben und einmal die von Stufe 2, zum Beispiel Teilung der alten Tabelle 1 in die Tabellen 1 (für Stufe 1) und Tabelle 2 (für Stufe 2). Damit kommt es zu einer Verschiebung der gewohnten Tabellennummern.
Übergangsregelungen
Verfahrensprüfungen besitzen keine zeitliche Beschränkung hinsichtlich ihrer Gültigkeitsdauer. Hersteller nutzen vielfach Verfahrensprüfungen auch noch nach der Vorgängerausgabe. Für diesen Fall können die Hersteller auch Verfahrensprüfungen nach diesen Vorgängerausgaben nutzen, sofern nicht eine datierte Verweisung auf die neue Fassung vorliegt.
Mit der Veröffentlichung der neuen Norm als Ersatz für DIN EN ISO 15614-1:2012-06 ist es auch möglich, bereits bestehende Verfahrensprüfungen im Geltungsbereich basierend auf der Neuausgabe zu beschreiben. Jedoch müssen sie dazu die in der Neuausgabe geforderten Prüfanforderungen erfüllen. Gegebenenfalls kann es notwendig werden, eine bestehende Verfahrensprüfung hinsichtlich der Anforderungen der Neuausgabe „nachzubessern“. Gegebenenfalls sind dann zusätzliche Prüfungen durchzuführen. Dazu ist dann ein Prüfstück unter den gleichen Bedingungen (Vorwärm-, Zwischenlagentemperatur, Schweißparameter, Wärmeeinbringung) wie in der ersten Verfahrensprüfung beschrieben, zu schweißen und „nur“ die fehlenden Prüfungen nachzuholen. Eine vollständige (mechanisch-technologische) Untersuchung ist damit nicht unbedingt notwendig. Dieser Weg dürfte jedoch die Ausnahme sein.
Die wesentlichen Änderungen
Gegenüber DIN EN ISO 15614-1:2012-06 wurden folgende Änderungen vorgenommen, die dieser Fachbeitrag detailliert beschreibt.
Anforderungen in zwei Stufen
Die Stufe 1 enthält Basisanforderungen für eine Schweißverfahrensprüfung und beruht bezüglich des geforderten Prüfumfanges auf ASME-Vorschriften wie ASME Section IX. Verbindlich sind Prüfungen wie die Sichtprüfung, der Querzugversuch und die Querbiegeprüfung. Weitere Prüfungen sind optional und können je nach Anwendungsregelwerk (Produktnorm) ergänzend hinzugefügt werden.
Stufe 2 fordert den bisherigen und unveränderten Prüfumfang aus ISO 15614-1 mit Sichtprüfung, Durchstrahlungsprüfung, Oberflächenrissprüfung, Querzugversuch, Querbiegeprüfung, Kerbschlagbiegeprüfung, Härteprüfung sowie Makroschliff-Untersuchung. Sie würde damit die Anforderungen aus den harmonisierten europäischen Normen im Bereich der Druckgeräterichtlinie erfüllen.
In der Norm ist klar geregelt, dass Verfahrensprüfungen durchgeführt auf Basis von Level 2 automatisch die Anforderungen der Stufe 1 erfüllen. Sollte in dem Anwendungsregelwerk oder in einer Spezifikation nicht geregelt sein, welche Stufe bei der Verfahrensprüfung zu erfüllen ist, gilt, dass stets die Anforderungen von Level 2 zu erfüllen sind.
Abschnitt 1 — Anwendungsbereich
Zu beachten ist aufgrund der neuen 2-Stufigkeit der Norm, dass Schweißverfahrensprüfungen, die auf Stufe 2 durchgeführt werden, automatisch für Stufe 1 qualifiziert sind, jedoch nicht umgekehrt. Falls in einem Auftrag oder einer Anwendungsnorm keine Stufe festgelegt ist, gelten automatisch die Anforderungen von Stufe 2.
Abschnitt 2 — Normative Verweisungen aktualisiert
Die Normverweise bezüglich der alten Ausgabe von 2012 waren veraltet und verwiesen teilweise auf damals noch gültige EN-Normen. Alle Referenzen wurden auf den Stand von ISO-Normen gebracht, welche bei uns in Deutschland als DIN EN ISO-Normen veröffentlicht sind.
Abschnitt 6.3 – Schweißen der Prüfstücke
In der Fassung von 2017 steht nunmehr: „Das Schweißen und Prüfen der Prüfstücke muss vom Prüfer oder einer Prüfstelle verifiziert werden.“ Dies setzt nicht mehr zwingend voraus, dass der Prüfer/Prüfstelle während des Schweißens und Prüfens „ständig“ präsent sein muss. Es ist seine Entscheidung, wie er die Bestätigung „wahr“ oder „nicht wahr“ (verifiziert) durchführt.
Abschnitt 7 – Untersuchung und Prüfung
In der Tabelle 2 wurde die Fußnote e) (Härteprüfung) erweitert. Die Härteprüfung ist ebenfalls nicht erforderlich bei Mischverbindungen zwischen Werkstoffgruppen 8 und Werkstoffgruppe 41 bis 48. Ein Verzicht auf die Durchführung der Härteprüfung (wenn auch technischer Unsinn) führt aber zu Einschränkungen hinsichtlich der Wärmeeinbringung nach Abschnitt 8.4.7 im Geltungsbereich.
Abschnitt 7.3 – Zerstörungsfreie Prüfungen
Abweichend von der Ausgabe 2012 wird jetzt nicht mehr die gesamte Schweißnahtlänge durch zerstörungsfreie Prüfungen erfasst, sondern bei Prüfstücken nach Bild 5 (Stumpfstoß am Blech) und nach Bild 7 (T-Stoß) darf der Abfall von jeweils 25 mm Länge am Anfang und am Ende darf für die NDT nicht berücksichtigt werden.
Abschnitt 7.4.4 – Kerbschlagbiegeprüfung
Bei einer Kerbschlagbiegeprüfung lässt die ISO 148 zwei unterschiedliche Radien der Hammerfinne zu. Wichtig ist zu beachten, dass bei Verfahrensprüfungen immer ein Hammer mit Radius 2 mm verwendet wird.
In diesem Abschnitt wurde auch deutlicher herausgearbeitet, wie Prozesskombinationen und Verwendung von unterschiedlichen Umhüllungen bei Lichtbogenhandschweißungen bzw. unterschiedliche Pulvertypen beim UP-Schweißen zu untersuchen sind. Der letzte Absatz lautet dazu: „Falls mehr als ein Schweißverfahren oder mehr als eine Art der Umhüllung und des Schweißpulvers in einem Prüfstück qualifiziert werden, müssen die Kerbschlagbiegeproben aus dem Schweißgut und der WEZ so entnommen werden, dass jedes Schweißverfahren und jede Art der Umhüllung und des Schweißpulvers erfasst werden.
Abschnitt 7.4.5 – Härteprüfung
Hier wurde ebenfalls die Anforderung an Härteprüfen bei Kombinationsprozessen präzisiert: „Falls mehr als ein Schweißverfahren verwendet wird, ist jedes Schweißverfahren mit mindestens einer Eindruckreihe zu prüfen.“
Tabelle 3: In der Tabelle 3 (vorher Tabelle 2) für die höchstzulässigen Härtewerte wurden die Werte für Werkstoffgruppe 4 und 5 von 320 HV10 auf 380 HV10 heraufgesetzt. Die neue Fußnote c erlaubt auch höhere Härtewerte sowohl für den ungeglühten als auch für den wärmenachbehandelten Zustand, wenn diese vor der Schweißverfahrensprüfung spezifiziert wurden.
Tabelle 4: Im Rahmen der Erarbeitung des 2-Stufen-Modells konnte sich nicht auf eine stufenübergreifende einheitliche Bewertung von Unregelmäßigkeiten geeinigt werden. Daraus ergab sich die neue Tabelle 4. Stufe 1 bezieht sich dabei leider nicht auf die ISO 5817, sondern beschreibt eigene Zulässigkeiten. Stufe 2 folgt weiterhin der Zuordnung nach Bewertungsgruppen. Hier wird das Merkmal 1.7 (Einbrandkerbe) jetzt C statt B (h < 0,1 x t, max. 0,5 mm) und das Merkmal 1.9 (zu große Nahtüberhöhung) jetzt C statt B (h < 1 mm + 0,1 x b, max. 7 mm) bewertet.
Abschnitt 7.6 – Ersatzprüfung
Dieser Abschnitt wurde im Hinblick auf dickwandige Prüfstücke anwenderfreundlicher formuliert. Wenn z.B. bei der Volumenprüfung sich unzulässige Unregelmäßigkeiten zeigen, die normalerweise zum Nichtbestehen der Verfahrensprüfung führen würden, kann diese Fehlstelle nun weiter untersucht werden, ohne ein neues Prüfstück unter gleichen Bedingungen direkt schweißen zu müssen. Entscheidend ist aber, dass dieser Mangel auf den Schweißer zurückzuführen ist und kein systematischer prozessbedingter Fehler ist: „Wenn sich herausstellt, dass die Hauptursache des Mangels nicht verfahrensbedingt ist, sondern mit unzureichender Fähigkeit des Schweißers zusammenhängt, wird kein weiteres Prüfstück benötigt und dem Bericht muss ein Nachweis beigefügt werden.“
Abschnitt 8.3.1 – Gruppeneinteilung der Werkstoffe
Der Grundgedanke auch bei dieser Norm ist, die Anzahl von erforderlichen Schweißverfahrensprüfungen so gering wie notwendig zu halten. Daher wurden die Werkstoffe verschiedenen Werkstoffgruppen / Werkstoffunterguppen zugeordnet. Die Basis für diese Zuordnung bildet ISO/TR 15608. Für europäische, amerikanische und japanische Stähle gibt es entsprechende ISO/TRs, die die verschieden Werkstoffe diesen Werkstoffgruppen zuordnen.
Bei Werkstoffen, die nach ISO/TR 20172, ISO/TR 20173 oder ISO/TR 20174 eingruppiert sind, müssen diese Gruppierungen ohne weitere Prüfung verwendet werden.
Für jeden Grundwerkstoff oder jede Grundwerkstoffkombination, die nicht in der Gruppeneinteilung nach ISO/TR 20172, ISO/TR 20173, ISO/TR 20174 oder ISO/TR 15608 enthalten ist, sind separate Qualifizierungen der Schweißverfahren erforderlich. Es gilt dann nur der in der Verfahrensprüfung genutzte Werkstoff als qualifiziert.
Die Tabelle 5 (vorher Tabelle 3) für Stahlgruppen und deren Untergruppen wurde gegenüber der Vorgängerausgabe in Form einer Matrix abgebildet. Die vermeintliche „großzügige“ Abdeckung einer Verfahrensprüfung setzt aber die Verwendung des gleichen Schweißzusatzes und der gleichen Parameter der erfassten Werkstoffe voraus, einschließlich einer eventuell folgenden Wärmenachbehandlung bei gleichen Glühparametern. Diese Gruppenabdeckung dürfte aber nur in wenigen Fällen dann auch zutreffen.
Die Tabelle 6 (vorher Tabelle 4) für Nickel und Nickellegierung wurde um die Mischverbindungen von Nickel und Nickellegierungen gegen Stahl erweitert. Hier gilt das Gleiche, wie oben für Stahl ausgeführt.
Tabelle 7 (vorher Tabelle 5) und Tabelle 8 (vorher Tabelle 6) wurden hinsichtlich des Geltungsbereiches der Werkstückdicken überarbeitet: Bedingt durch die Zweistufen-Beschreibung von Anforderungen nach ASME bzw. Europa wurde in Tabelle 5 „Geltungsbereich der Werkstoffdicke bei Stumpfnähten und für die aufgetragene Schweißgutdicke“ getrennte Geltungsbereiche für die Dicke des Grundwerkstoffes nach Stufe 1 und Stufe 2 eingefügt. Eine besondere Veränderung gegenüber der Tabelle der Ausgabe 2012 ist die Erweiterung bei der Dicke des Prüfstückes < 3 mm auf nunmehr einen Bereich für die Dicke des Grundwerkstoffes von 0,5 t bis 2 t auch für einlagige und mehrlagige Verbindungen (vorher: einlagig 0,7 t bis 1,3 t; mehrlagig 0,7 t bis 2 t). Neu eingefügt wurde in dieser Tabelle die Dicke des bei jedem Verfahren eingebrachten Schweißgutes. Dies ist von Belang, wenn Prozesskombinationen qualifiziert werden, z.B. WIG/E.
In der in Deutschland veröffentlichten Fassung von Dezember 2017 ist leider die Fußnote a falsch übersetzt worden; richtig muss diese lauten: „Für Stufe 2: Wenn Anforderungen an die Kerbschlagarbeit festgelegt sind, aber Kerbschlagprüfungen nicht durchgeführt wurden, gilt als obere Grenze der Qualifizierung 12 mm.“
In Tabelle 8 „Geltungsbereich für die Werkstoffdicke und für die Nahtdicke von Kehlnähten“ wurde die Fußnote a „Im Fall von unterschiedlichen Werkstoffdicken muss der Geltungsbereich der Qualifizierung für beide Dicken des Prüfstückes separat berechnet werden.“ als Ersatzformulierung des alten Abschnittes 8.3.2.1 b), c) und d) aufgenommen. Zu beachten ist, dass diese Tabelle nach Abschnitt 8.3.2.2 Stufe 2 auch für volldurchgeschweißte Stumpf- und Kehlnähte (wie z.B. aufgesetzte Stutzen) gilt.
Von daher ist die Vorgabe eines konkreten a-Maßes in der pWPS oder WPS für die Durchführung der Schweißverfahrensprüfung und die Festschreibung eines Geltungsbereiches zwingend erforderlich.
In Tabelle 9 (vorher Tabelle 7) wurde der Geltungsbereich bezüglich des Rohraußendurchmessers erweitert. Diese Tabelle gilt nur für Stufe 2. Gegenüber der alten Tabelle 7 wurde der Geltungsbereich unabhängig vom Durchmesser des Prüfstückes auf > 0,5 D festgeschrieben.
Abschnitt 8.4.3 – Stoßart/Nahtart
Gegenüber der Vorgängerausgabe wurden mehr oder weniger redaktionelle Änderungen vorgenommen. Inhaltlich wurde ergänzt, dass Auftragsschweißungen (nicht aber im Sinne von DIN EN ISO 15617-7 zum Beispiel Plattierungen, Hartauftragungen) durch Stumpfnähte qualifiziert sind.
Es bleibt unverändert, dass Stumpfnähte auch Kehlnähte qualifizieren (Stufe 2 Wickel a). Jedoch können Kehlnahtprüfungen gefordert werden (z. B. durch Anwendungsnormen), wenn Kehlnähte die vorherrschende Art von Schweißverbindungen bezogen auf Konstruktion beziehungsweise Produktion sind.
Weitere wesentliche Änderungen der DIN EN ISO 15614-1 beschreibt der Schweißexperte Jochen W. Mußmann in der Juniausgabe von metallbau.