Erdbebensichere Bahnbrücke
Wanderschwelle für Viadukte in MexikoDie Zugstrecke Toluca–Mexico City geht Anfang 2021 mit einem Erdbebenschutz von Maurer in Betrieb. Der Stahlbauer aus München hat Bahnbrücken-Dehnfugen entwickelt, die an den Enden der einzelnen Brückenabschnitte eingesetzt werden. Die letzte sogenannte Wanderschwelle soll im Sommer 2020 montiert werden.
Die speziellen Dehnfugen mit einem komplexen System aus Lagern, Dämpfern und Elastomerfederisolatoren gewährleisten die Bauwerksstabilität, -funktion und -sicherheit für verschiedenste Lastfälle: von den Brems- und Beschleunigungskräften im Normalbetrieb bis zum maximal vorstellbaren Erdbeben (Maximum Considered Earthquake, MCE). Die neue Intercity-Strecke ist 57,7 km lang und soll ab Anfang 2021 Toluca mit Mexico City verbinden. Rund 230.000 bis 300.000 Passagiere täglich werden erwartet. Das Investitionsvolumen beträgt 2,5 Milliarden US$.
Die beiden größten Brücken, Viadukt 2 (3.865 m lang) und Viadukt 4 (1.448 m), liegen in den Bergen. Zudem ist die Region stark erdbebengefährdet. Die Pfeiler haben Abstände von bis zu 64 m und sind bis zu 65 m hoch. Es ist das erste Eisenbahnprojekt Mexikos mit Viadukten dieser Dimension in einer Region mit extrem hohen Erdbebenbeschleunigungen von bis zu 0,77 g. Die herkömmlichen Verstärkungen mit Beton und Stahlbewehrung in der Bauwerkstruktur waren angesichts der Erdbebenkräfte weder ausreichend sicher noch wirtschaftlich.
Umgesetzt wurde stattdessen eine Kombination aus verschiedenen Bauwerkssicherungssystemen, die kontrollierte Bewegungen zulassen, komplett in sich aufnehmen und die Erdbebeneinwirkungen somit abschwächen. Die sehr individuelle Anpassung der einzelnen Bauwerke an die Einflussgrößen aus dem Erdbeben konnte in enger Zusammenarbeit zwischen Maurer und den Bauwerksplanern realisiert werden. Gefordert ist, dass selbst unmittelbar nach einem Starkbeben die Viadukte sicher mit Zügen befahrbar sein müssen.
Folgende Elemente greifen an den beiden Viadukten ineinander:
- Die neue, erdbebensichere Wanderschwelle: Diese Dehnfuge an den einzelnen Enden der Brückenabschnitte ermöglicht zerstörungsfreie thermische und seismische Bewegungen in alle Richtungen.
- Kalottenlager mit dem Gleitwerkstoff MSM: Die Auflager zwischen Brückendeck und Pfeiler nehmen 2.900 t Auflast auf und verhindern für das Bemessungserdbeben (DBE) ein seitliches Ausbrechen des Decks.
- Horizontal angeordnete Hydraulikdämpfer: Sie blockieren Bremskräfte und begrenzen im MCE-Fall (maximal vorstellbares Erdbeben) die Brückenverschiebung in Längsrichtung.
- Elastomerfederisolatoren: Sie rückzentrieren die Brücke in die Neutralstellung, und zwar optimal für alle Erdbeben- und Servicelastfälle.
- Betoneinfassungen in Querrichtung auf jeder Achse seitlich am Brückendeck: Sie werden im Notfall aktiviert, um ein Abstürzen der Brücke zu verhindern.
- Die erforderlichen Kraftreduktionen in den verschiedenen Lastfällen konnten nur durch ein individuell angepasstes Dehnfugen-, Isolations- und Dämpfersystem mit entsprechend ausgelegter Bewegungsfreiheit bzw. Nachgiebigkeit erreicht werden. Die besondere Herausforderung war dabei, die verschiedenen Anforderungen hinsichtlich zulässiger Kräfte und gleichzeitiger Bewegungen unter einen Hut zu bringen.
Innovative Wanderschwelle
Die entscheidende Innovation war die Wanderschwelle, die von Maurer über Jahre entwickelt wurde. Bei der Strecke Toluca-Mexico City wurde sie weltweit erstmals eingebaut. Die Gleise überbrücken mit Hilfe der Wanderschwelle den Spalt zwischen den einzelnen Viaduktabschnitten absolut erdbebensicher. Die Wanderschwelle basiert auf dem Prinzip der Schwenktraversen-Dehnfuge aus dem Straßenbau, nur wesentlich stabiler, um die großen Achslasten bei Zugüberfahrt ermüdungsfrei zu überstehen. Der entscheidende Sicherheitsvorteil der Wanderschwelle: Die beweglichen Lager in der Konstruktion erlauben das „Wandern“ bzw. Verdrehen der Schwellen in der bzw. um die Längs-, Quer- und sogar Vertikalachse. Bei Zugüberfahrt kommt es innerhalb der Wanderschwelle zu keinen nennenswerten elastischen Verformungen. Das ermöglicht hohe Zuggeschwindigkeiten bis 350 km/h. Die vollen Erdbebenbewegungen werden schadfrei ohne plastische Deformationen innerhalb der Dehnfuge kompensiert und dies erlaubt selbst nach einem Starkbeben die sofortige Überfahrt. Am Viadukt 2 wurde beispielsweise auf 5 Abschnitten je eine Wanderschwelle pro Fahrtrichtung eingebaut. Somit kann sich jeder Abschnitt individuell bewegen, was die Kräfte auf die Pfeiler und die Gründung drastisch verkleinert. Das führt zu höheren Tragsicherheiten und zu einer um bis zu 10 % wirtschaftlicheren Bauweise.
Kalottenlager als Isolatoren
Die Viadukte haben Einzelspannweiten von 55 m bis 64 m, die Pfeiler sind bis zu 65 m hoch und sehr schlank. Als Brückenlager zwischen Deck und Pfeiler werden deshalb pro Achse zwei Kalottenlager mit hochmolekularem Polyethylenwerkstoff vorgesehen, um die Lager um mindestens ca. 40 % gegenüber herkömmlichen Teflongleitlagern zu verkleinern. Die Herausforderung war dennoch, dass jedes Lager mit kleinstmöglichen Außenmaßen für eine Traglast von 2.900 t, eine Querkraft von 5.100 kN, eine Bewegung von bis zu ±1.150 mm und eine Rotation von 2 % ausgelegt werden musste. Die Decklängsbewegungen laufen dabei zwängungsfrei mit nur 1-2 % Gleitreibung ab, wodurch zwischen 5 und 10 % in den Gründungsmaßnahmen der Pfeiler eingespart werden konnten. Im Erdbebenfall wirken die Kalottenlager als Isolatoren und können sich ca. ±450 mm frei bewegen. Die Anforderungen konnte Maurer mit seinem Gleitwerkstoff MSM lösen, der für Eisenbahnanwendungen speziell geeignet ist und für 50.000 m Gleitweg verschleißfrei getestet wurde. Die 142 Kalottenlager sind maximal 3,2 x 1,2 x 0,32 m groß und wiegen 4,5 t.
Hydraulikdämpfer für die Bremskräfte
In der Mitte eines jeden Brückenteilabschnitts liegen auf einem Pfeiler bis zu sechs Hydraulikdämpfer. Sie blockieren in Längsrichtung der Brücke die impulsartig auftretenden, dynamischen Bremskräfte der Züge und verhindern Brückendeckverschiebungen von mehr als den erlaubten 10 mm. Für das Dämpferdesign war somit das extrem schnelle Ansprechverhalten bei 1-2 mm/s Deckbewegung mit der zugleich notwendigen Widerstandskraft von 3.000 kN ausschlaggebend. Langsame thermische Deckbewegungen lässt das Dämpfersystem ohne signifikanten Widerstand zu.
Der MCE-Fall
Die Dämpfer limitieren im MCE-Fall die Deckverschiebung auf ±450 mm. Dafür ist jeder Dämpfer mit einer Antwortkraft von bis zu 3.000 kN ausgelegt, d.h.: Pro Abschnitt stabilisieren insgesamt bis zu 24.000 kN das Deck.
Um die Brückenabschnitte während und nach einem Erdbeben zu zentrieren, wurden parallel zu den Hydraulikdämpfern 52 Elastomerfederisolatoren eingebaut. Sie wirken als elastische Fixpunkte und holen das Deck in die Mittelstellung zurück.
Wegen der hohen Anforderungen an die Dämpfer und Elastomerfederisolatoren wurden diese in zwei Instituten getestet: auf dem „shake table“ der University of California in San Diego und dem Erdbebensimulator der Universität Messina.
Von den oben angeführten Kalottenlagern liegt auf jeder Achse ein frei bewegliches und ein seitlich geführtes Lager. Das geführte Lager verhindert im DBE-Fall ein seitliches Ausbrechen der Gleise. Bei höheren Kräften für MCE-Lastfälle gibt die Lagerführung nach und als zusätzliches Sicherheitssystem wirkt die bauliche Betoneinfassung auf den Pfeilern, sodass die Brücke nicht abstürzen kann. red
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