Die Botlekbrug in Rotterdam
Metallbauer Maurer entwickelt FahrbahnübergängeDie Hafeneinfahrt von Rotterdam erhält derzeit die größte Hebebrücke Europas: die Botlekbrug. Das Öffnen und Schließen einer Brücke in dieser Dimension ist Neuland. Es erfordert besondere Lager und Ükos (Übergangskonstruktionen), die das Münchner Unternehmen Maurer eigens dafür entwickelt hat.
Die neue Botlekbrug gehört zu einem insgesamt 37 km langen Autobahnabschnitt der A15 quer durch den Hafen Rotterdam, der im Auftrag von Rijkswaterstaat verbreitert wird. Das ausführende Konsortium „A-Lanes A15“ bilden Ballast Nedam, Strukton, Strabag und John Laing. A-lanes A 15 wird die Brücke auch betreiben. Die Botlekbrug besteht aus zwei direkt aufeinander folgenden Hubbrücken mit je drei Autobahnspuren in jede Richtung und bis zu zwei Eisenbahntrassen. Jede Brücke ist etwa 100 m lang und 50 m breit. Die Pylone sind etwa 60 m hoch.
Die Brücken klappen nicht auf – das wäre bei diesen Dimensionen nicht mehr darstellbar –, sondern sie fahren bis zu 40 m hoch. Rein rechnerisch sind sie auf sechs Öffnungen pro Stunde ausgelegt. „Im Prinzip sind das keine Brücken mehr, sondern Maschinen“, erklärt Holger Redecker, Niederlassungsleiter von Maurer in Lünen. Sie erfordern besondere Ükos und bringen besondere Lastfälle für die Lager mit sich.
Extra-Fuge nur zum Öffnen
An jeder Brücke ist am äußeren Übergang eine Maurer DS 720 Schwenktraversen-Dehnfuge eingebaut, am inneren Übergang eine Maurer DS 320 Schwenktraversen-Dehnfuge. Schwenktraverse bedeutet, dass die einzelnen Lamellen unten mit einem auf- und zuscherenden Stahlträger gelenkig verbunden sind, damit sich die Abstände zwischen den Lamellen gleichmäßig öffnen. Doch währen eine Üko normalerweise an beiden Ufern fest verbunden ist, muss sie sich bei der Botlekbrug von dort lösen lassen. Diese Herausforderung wurde gemeistert, indem der Schwenktraverse auf der Widerlagerseite jeweils eine einprofilige Fuge vorgebaut wurde. Dort öffnet sich die Brücke. Die Schwenktraverse hängt am Stahlüberbau und fährt mit der Brücke hoch.
Damit sie dabei nicht herunterfällt, haben die patentierten Ükos als zweite Besonderheit extra Hebeträger neben den normalen Traversen. Diese Hebeträger sind doppelt so lang wie die Traversen, dürfen nicht starr sein und müssen eingebunden sein – eine Summe von Anforderungen, die den Stahlbau deutlich verdichtet und verkompliziert. Einfacher wäre es gewesen, die einprofilige Öffnung auf der Brückenseite einzubauen, doch auf den Widerlagern war nicht genug Platz für die große Üko.
Eine weitere Herausforderung war das Herunterfahren, speziell, wenn die Brücke länger geöffnet war und sich aufgrund von Hitze, Kälte oder Wind verändert hatte. Das erforderte eine Finderkonstruktion, die in Form von Trichtern und Pins realisiert wurde. In die Widerlager wurden trichterartige Konstruktionen eingebaut. Die vertikalen, 1,5 m langen Pins sind unten an den Ükos montiert, greifen beim Herabfahren in diese Trichter und ziehen/schieben die Üko in die richtige Position. Unten an den Pins sind Gleitrollen angebracht, damit sie in die Trichter gleiten und sich zentrieren.
Während bei einer normalen Brücke für abhebende Kräfte besondere Anstrengungen unternommen werden, um das Abheben in den Lagern zu verhindern, muss die Botlekbrug abheben. Doch die Norm EN 1337 verbietet ein Öffnen der Gleitebene. Als Lösung wurde bei allen 16 Kalottenlagern über der Gleitebene eine zweite Ebene eingebaut, die sich öffnen lässt. Im Gegensatz zu den Ükos bleiben die Gleitlager also auf den Widerlagern liegen und nur die zweite Ebene fährt nach oben. Die Kalottenlager sind etwa 1200 x 1100 mm groß und wiegen über 4 t. Die Auflast beträgt 21.000 bzw. 29.000 KN.
Selbstredend brauchen auch alle Lager beim Schließen wieder Zentriervorrichtungen. Diese sind ebenfalls nach dem Trichter-Pin-Prinzip gebaut. Die Pins bei den Kalottenlagern sind 30 cm lang und ebenfalls mit einer Gleitvorrichtung ausgestattet. 30 cm sind deshalb ausreichend, weil die Lagerzentrierung hauptsächlich von den Horizontallagern geleistet wird.
Horizontallagerpins zentrieren die Lager
Eine Besonderheit der Botlekbrug sind sehr hohe Längs- und Querlasten. Deshalb sind zusätzliche Horizontalkraftlager erforderlich: Auf jeder Widerlagerbank liegen zwischen den Kalottenlagern noch drei weitere Lager: eines für die Quer-, zwei für die Längslasten.
Gleichzeitig übernehmen diese Horizontallager die Lagerzentrierung für die Brücke. Anstelle eines Trichters handelt es sich dabei um eine riesige U-Klammer, die sich nach oben weitet. Beim Schließen fährt der vertikale Pin von oben in die Klammer und zentriert die Brücke auf die Lager. Eine Klammer ist bis zu 1 m breit, 3 m lang und 1,80 m hoch. Sie wiegt bis zu 15 t und ist massiv aus Stahl. Gegossen wurden sie in China, in Europa war das nicht möglich. Pin und Stahlwange bilden zugleich das Horizontalkraftlager. Der Pin trägt an den beiden Seiten zur Stahlwange hin vertikale Kalottenlager.
Aufwendige Entwicklung
Allein die technische Bearbeitung für die Maurer-Innovationen lief über zweieinhalb Jahre. Bei einen Projekt mit diesen Herausforderungen geht es auch nicht mehr um das übliche Ausschreibungs-Procedere, sondern darum, wer überhaupt eine technische Lösung findet. „Ich denke, Maurer war das einzige Unternehmen, das diese Lösung überhaupt entwickeln konnte“, erklärt Redecker. Alles, was in Rotterdam eingebaut wurde, sind Prototypen.
In Rotterdam werden 120 Sensoren und mehrere Mitarbeiter rund um die Uhr den Betrieb der Botlekbrug überwachen – in einem riesigen Maschinenhaus, das wie andere Zentralen mit einer Galerie von Bildschirmen ausgestattet ist. Die Einbauarbeiten liefen von Ende 2014 (Horizontalkraftlager) bis Frühsommer 2015. Eröffnet wurde die 2-Milliarden-Euro-Brücke im Juli 2015. red