Neue Donaubrücke Linz
MCE hat den Bogen rausMit der „Neuen Eisenbahnbrücke“ führen seit diesem Sommer im österreichischen Linz wieder drei Brücken über die Donau. Der markante Ersatzneubau besteht wie sein Vorgänger aus Stahl und besticht durch sein außergewöhnliches Design, das von dem französischen Architekten Marc Mimram entworfen wurde.
„Um 1900 war Linz in Österreich ein bedeutendes Zentrum der Stahlproduktion, weshalb es bis heute selbstverständlich ist, dass dort Donaubrücken aus Stahl bestehen!“, weiß Dr.-Ing. Dieter Reitz zu berichten; er ist geschäftsführender Gesellschafter der ausführenden Firma MCE, die ihren Unternehmenssitz ebenfalls in Linz hat. Seine Projektleiterin, Frau Dipl.-Ing. Barbara Stelzer, ergänzt lächelnd, dass sie anfangs ein gewisses Unbehagen gegenüber dem Brückendesign des Architekten Marc Mimram empfand, widersprach es doch allen Lehrsätzen zum effizienten Stahleinsatz und dem klassischen Leitsatz „Form follows function!“ – doch davon später mehr.
Die alte Eisenbahnbrücke
Im Jahr 1900 war das Vorgängerbauwerk eröffnet worden, eine klassische Bogenbrücke aus drei genieteten Schwedlerbögen. Sie besaß vier Pfeiler sowie zwei bogenlose Vorlandbrücken. Diese Brücke war für einen gemischten Verkehr aus Eisenbahn (sic!) und Individualverkehr ausgelegt, weshalb in der Brückenmitte ein Gleis verlief, das zu einer Nebenstrecke der ÖBB gehörte, auf dem jedoch nie ein fahrplanmäßiger Betrieb stattfand. Musste ein Zug die Brücke passieren, wurde dieselbe mit einer Ampelanlage gesperrt.
Obwohl die Brücke den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hatte, setzte der hohe Streusalzeinsatz der letzten Jahrzehnte dem Altbau mächtig zu, weshalb er nur unter hohen Kosten zu sanieren gewesen wäre. 2013 erlosch daher der Denkmalschutz der Brücke, 2015 votierten in einer Volksbefragung 68 Prozent der Stimmen für einen Abriss und Neubau der Brücke. Dementsprechend begann ihr Abriss im Februar 2016. Bis zum August 2021 existierten daher in Linz nur noch zwei Donauquerungen, einer der Gründe für die Dauerpräsenz der Stadt in den Verkehrsmeldungen. Als alter Industriestandort verfügt die Stadt über mehr Arbeitsplätze als Bewohner, 15 Prozent aller Arbeitnehmer pendeln täglich in die Stadt. Viele davon kommen aus dem strukturschwächeren Norden und müssen die Donau überqueren.
Die „Neue Eisenbahnbrücke“
Obgleich die neue Brücke noch keine Gleise besitzt, wurde sie offiziell auf den Namen „Neue Eisenbahnbrücke“ getauft. Auf der stromabwärtigen Seite gibt es zwei Fahrspuren für den Individualverkehr, stromaufwärts wurde eine baulich abgetrennte Busspur geschaffen. Sobald das kommunale Straßenbahnnetz an die neue Brücke herangeführt ist, erhält sie für jede Fahrtrichtung ein Gleis.
Außerhalb der Bogenkonstruktion verlaufen zu beiden Seiten jeweils ein 2,5 m breiter Radweg und daran anschließend ein 2 m breiter Gehweg, sodass die neue Brücke eine durchlaufende Breite von 31,5 m aufweist. Darüber hinaus verfügt sie über vier Balkone, die mit Bänken ausgestattet sind, wodurch sich die Brückenbreite an diesen Stellen auf 33,5 m erhöht.
In ihren Längen unterscheiden sich beide Brücken kaum: Während die alte Brücke eine Länge von399,6 m aufwies, misst ihre Nachfolgerin 396 m; sie besteht aus zwei Mittelteilstücken zu je 120 m und zwei Vorlandeinheiten mit je 78 m.
Unechte Hängebrücke
Das auffälligste Merkmal der neuen Brücke ist, dass ihre drei Pfeiler nicht zwischen den Bogensegmenten, sondern immer in deren Mitte stehen, also dort, wo der Bogen seinen höchsten Punkt erreicht. Statisch spricht man von einer Zuggurtbrücke oder einer „unechten Hängebrücke“. Ihre Bögen werden hier nicht – wie regulär – auf Druck belastet, sondern auf Zug. Sie wirken also wie Spannseile, die den Überbau in der Höhe halten. Der kleine Bereich zwischen den zwei jeweiligen Bogenstellungen ist somit vergleichbar mit der Mittelachse einer Hängebrücke: Wie etwa bei der Golden Gate Brücke in San Francisco kommen hier die Seilscharen dem Überbau am nächsten, das Biegemoment liegt nahe null. Fungieren nun die Bögen als Seile, erfordert es auch Pylone, die diese in der Höhe halten. In Linz sind dies unauffällige V-Streben in den Bogenstellungen, die oberhalb des Brückenpfeilers angeordnet sind und schräg nach oben verlaufen.
Das statische Konzept ist folglich unwirtschaftlich, da es einerseits sehr solide Bogenstellungen gibt und andererseits darin integrierte Pylone. Die Bögen müssen jedoch so massiv dimensioniert sein, damit die eingeleiteten Zugkräfte die statisch belanglose Krümmung nicht zu einer Geraden strecken.
Der Stahlbauer MCE hatte kurz nach Auftragserteilung nachgefragt, ob man die Brücke nicht um eine halbe Pfeilerachse verschieben könne, da die damit verbundene Materialeinsparung enorm wäre. Dieser Versuch wurde aber durch das Büro von Marc Mimram mit dem Verweis abgeblockt, dass man als Gewinner eines Architekturwettbewerbs das Realisierungsrecht habe.
Doppelt spiegelsymmetrisch
Zentrum der neuen Brücke ist deren Pfeiler in Strommitte, der exakt an der Stelle seines Vorgängers steht. Von hier ist das Bauwerk doppelt spiegel- bzw. punktsymmetrisch angelegt. Sowohl zu jedem Ufer wie auch stromauf- wie -abwärts findet sich jedes Bauteil ein zweites Mal wieder.
Der Überbau besteht aus zwei jeweils 4,50 m breiten und 3,30 m hohen Hauptträgern, die aus vier Hohlkästen bestehen. Dabei gruppieren sich drei kleinere Hohlkästen um einen größeren. Die seitlichen Kästen werden als „Flügel“, der oben aufgelegte als „Hut“ bezeichnet. Während die kleineren unzugänglich sind, wäre das zentrale Element bekriechbar. Allerdings gibt es hierfür keine regulären Zugänge, nur Flächen, bei denen das Einschneiden einer Öffnung möglich ist. Der Hauptträger weist Blechdicken zwischen 15 und 100 mm auf und besteht wie die gesamte Brücke aus Stahl der Klassen S64m oder S64ml. Auf den Außenseiten ist an beide Hauptträger je ein weiterer Hohlkasten angesetzt. Er trägt den Geh- und Radweg und misst noch einmal 5,50 m in der Breite. Auf den Innenseiten sind die beiden Hauptträger über 131 Querträger miteinander verbunden. Die Bögen wachsen von ihren Fußpunkten bis zu ihren Scheiteln kontinuierlich an und besitzen in ihren Hochpunkten eine Bauteilhöhe von 2,70 m und eine Breite von 4,30 m. Bei den Blechstärken ist das Verhältnis invertiert, sie weisen im Scheitel Dicken zwischen 15 und 40 mm auf, im Fußpunkt dagegen 15 bis 70 mm.
Gussknoten und Schüsse
Die im Umriss quaderförmigen Fußpunkte der V-Streben besitzen quer zur Fahrbahn eine Breite von 650 mm und längs zu dieser ein Tiefe von 900 mm. Die Blechstärken betragen zwischen 40 und 130 mm. So massive Elemente konnten nicht aus Blechen hergestellt werden, sie wurden als 3,30 m lange, 1,50 m hohe und 0,65 m tiefe Gussknoten erstellt. Die gesamte Brücke verfügt über sechs dieser jeweils 14,35 t schweren Elemente, die zwischen den V-Streben und den Hauptträgern vermitteln. Die insgesamt 8.000 t schwere Brücke wurde in 62 Hauptträgerschüssen angeliefert, sie besteht aus 42 Bogenschüssen, 46 Gehwegschüssen, den beiden Einfeldträgern als Koppelelemente zu den Brückenköpfen und den bereits erwähnten 131 Querträgern.
Einschwimmen
Während das nördliche Brückenelement (P1) in seiner Endposition im Vorlandbereich in Kranmontage erstellt wurde, entstanden das mittlere und südliche Element (P2, P3) auf einem 160 x 70 m großen Vormontageplatz unmittelbar neben dem Bauteil P1. Nach Fertigstellung des Stahlbaus wurden diese Teile nacheinander im Februar und im März 2021 eingeschwommen. Herzu wurden die jeweils knapp 3.000 t schweren Brückenkörper hochgestapelt und dann mit einem „Selbstfahrenden Plattform-Modultransporter“ (SPMT) auf zwei zusammengeschaltete Potonschiffe verladen. Dabei lag jedes Bauteil auf nur vier Angriffspunkten auf, unter denen jeweils 30 SPMT-Achsen standen. Um das Auffahren möglichst barrierefrei für die Modultransporter zu gestalten, waren die Pontons im Vorfeld teilweise mit Wasser befüllt worden, welches mit zunehmender Auflast durch den Brückenkörper kontinuierlich abgepumpt wurde. Die schließlich frei aufschwimmenden Pontons wurden dann um 90° quer zur Stromrichtung geschwenkt. Das Einschwimmen erfolgte, bedingt durch die Lage des Vormontageplatzes, in Fließrichtung der Donau. Die Pontons „trieben“ ihrer Position entgegen und wurden von gegen den Strom fahrenden Schleppern über Seile in ihren Positionen korrigiert. Da jedes Bauteil nur über einen mittigen Ablagepunkt auf dem Pfeiler verfügte, umfassten die Pontons denselben wie eine Manschette. Mit dem Erreichen der finalen Position wurde das Brückenelement millimetergenau auf seinem Lager abgesetzt. Vorsicht war geboten, da der Brückenteilkörper in diesem Moment keine weitere Seitenfixierung besaß. Da er ähnlich einer Balkenwaage hätte kippen können, wurde das Bauteil mit dem Pontonschiff solange stabilisiert, bis das eingeschwommene Element mit dem benachbarten Brückenelement stabil verbunden war.
Während es beim ersten Einschwimmen ausreichend Platz zum Rangieren gab, war das zweite Manöver eine logistische Meisterleistung: Denn ausgehend von den folgenden Fertigungsschritten, wie dem Abschweißen der Bauteilstöße, planten die Ingenieure von MCE mit nur einer Spaltbreite von 500 mm, in die die Brückeneinheit zu fügen war. Dies kann man bei einer Bauteillänge von 120 m, einer Breite von 33,5 m und einem Gewicht von knapp 3000 t als ambitioniert bezeichnen.
Endausbau
Nach dem Einschwimmen der beiden Bauteile erfolgte im Frühling und Frühsommer 2021 der Endausbau der Brücke: Auf die 131 Querträger wurden insgesamt 1056 Betonfertigteilelemente aufgesetzt, die den Fahrbahnunterbau bilden. Auf diese Betonbauteile wurde eine Bewehrung aufgelegt und diese mit Ortbeton in 13 Betonierabschnitten vergossen. Es folgte der Endausbau mit der Einrichtung der Beleuchtung. Diese teilt sich in eine Funktionsbeleuchtung für den Verkehr und eine Effektbeleuchtung für die Brücke auf. Mit dem testweisen Einschalten derselben klärte sich die Frage, ob die Brücke dem Rendering entspricht, mit dem einst die Architekten für ihre Brücke warben. Alle waren sich einig, dass es – trotz aller zwischenzeitlichen konstruktiven Bedenken - doch eine ausnehmend schöne Brücke ist. Am 30.8.2021 erfolgte ihre Freigabe für den Verkehr.