Jochen Eisenbeis, Insolvenzverwalter
„Zu 60% fehlendes kaufmännisches Wissen!“Covid-19-bedingt werden im Handwerk die Insolvenzen zunehmen, weil Aufträge aus der Industrie ausbleiben oder nicht mehr bezahlt werden. Die öffentliche Hand wird pandemiebedingte Steuerausfälle durch weniger Bauaufträge ausgleichen und Privatkunden investieren weniger, wenn sie kurzarbeiten oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Der Saarbrücker Insolvenzverwalter Jochen Eisenbeis gibt Metallbauern Tipps, wie sie zahlungsfähig bleiben.
metallbau: Herr Eisenbeis, die Fälle, in denen das Mehrwert-steuerrecht Unternehmen in die Insolvenz treibt, mehren sich!
Jochen Eisenbeis: Das Mehrwertsteuerrecht ist eine tückische Falle, bei der es viele Facetten von vorsätzlichem Betrug bis zu richtigem Pech gibt. In einer global vernetzten, arbeitsteiligen Wirtschaft, in der Produkte für einzelne Wertschöpfungsschritte teils mehrmals die Grenzen wechseln, ist das Thema sehr komplex. Aktuell habe ich einen Fall, in dem ein Mandant auf der Mehrwertsteuer vermutlich sitzen bleibt, weil sie ihm sein britischer Kunde nicht erstattet. Der Grund: Er hätte die Ware nach Bearbeitung nach England zurücksenden müssen und nicht gleich nach Belgien weiterleiten dürfen.
metallbau: Wie beugt man solchen Fehlern vor?
Eisenbeis: Wer regelmäßig mit der Thematik befasst ist, kennt in der Regel die Fallstricke. Jeder andere sollte sich in der Akquisephase bei seinem Steuerberater, seiner Innung oder anderen Experten kundig machen. Das gilt grundsätzlich: Machen Sie sich schlau, wenn es um Ihr Geld geht, auch wenn Sie lieber Aufträge abarbeiten und in der Produktion tüfteln.
metallbau: Im Insolvenzfall der Firma SWT Solar- und Wärmetechnik in Unterthingau, der im Jahr 2013 durch die Medien ging, hat Unternehmer Walter Fleschhutz einen Solarpark im Wert von 600.000 Euro verloren, der seine Altersvorsorge war. Wie hätte er das vermeiden können?
Eisenbeis: Wie bei Immobilien hätte die Ehefrau im Grundbuch eingetragen sein müssen als alleinige Besitzerin – und für die Firmenkredite hätte sie nicht mit haften dürfen. Mit einer Klausel kann der Unternehmer sogar ausschließen, dass er diesen Besitz verliert, wenn sich seine Frau von ihm trennt. Mit guten Beratern kann man da viel gestalten. Das gilt auch für eine private Altersvorsorge nach § 851c ZPO, bei der bis zu 256.000 Euro vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt sind.
metallbau: Was sind die häufigsten Gründe einer Insolvenz?
Eisenbeis: Das ist zu 60 Prozent fehlendes kaufmännisches Wissen. Da gibt es keine seriöse Kalkulation, kein Controlling, kein Cash-Management, kein Forderungsmanagement und meist viel zu kurze Kreditlinien. Ich betreue aktuell einen Metallbauer, der bei zwei Millionen Euro Jahresumsatz bei seiner Bank eine Kreditlinie von 100.000 Euro hat und jetzt in Schwierigkeiten ist.
metallbau: Wo liegt sein Problem?
Eisenbeis: Der Automobilzulieferer sagt mir, auch in guten Zeiten sei das Geld immer schon knapp gewesen. Der Grund: Im Schnitt finanziert er jeden Auftrag drei Monate vor. Das sind bei einem Monatsumsatz von 160.000 Euro 480.000 Euro. Also müsste seine Kreditlinie schon längst bei 0,5 Mio. Euro liegen. Als er aber jetzt zur Hausbank kam, sagte die ihm, das Risiko sei ihnen zu groß. Sein Fehler war: Er hätte vor vier, fünf Jahren, als neue Aufträge und Wachstum vorlagen, mit der Bank über eine erweiterte Kreditlinie sprechen müssen.
metallbau: Und was macht der Metallbauer jetzt?
Eisenbeis: Wir können ihn noch mal zu seiner Bank begleiten oder ihm eine zweite Hausbank vermitteln, die sich das Risiko mit der ersten teilt. Aktuell ist es nicht aussichtsreich, bei Bestandskunden Abschlagszahlungen nachzuverhandeln, aber bei Neukunden will mein Mandant das künftig mit hineinverhandeln und stattdessen lieber bei den Konditionen zwei, drei Prozent nachgeben. In der akuten Phase kommt frisches Geld verhältnismäßig rasch herein, wenn der Handwerker gebrauchte Maschinen ins Leasing gibt, Forderungen mit Abschlag an eine Factoringgesellschaft verkauft oder Waren über Finetrading ordert. Alternativen wären, selbst privates Geld einzulegen oder neue Sicherheiten einzubringen, die die Bank beleiht. Schließlich können Freunde oder befreundete Firmen Risikokapital gut verzinst einlegen oder der Inhaber verkauft eine Beteiligung. Möglichkeiten gibt es immer viele, aber man muss sie kennen, auch ihre Vor- und Nachteile und wie sie im Prozess wirken.
metallbau: Was sind weitere Gründe für Insolvenzen?
Eisenbeis: Ein Fünftel aller Pleiten entfällt in unserer 60-köpfigen, bundesweit tätigen Kanzlei auf überalterte Geschäftsmodelle. Da wursteln Handwerker über Jahrzehnte weiter, ohne den Markt und neue Mitbewerber zu beobachten. Wir hatten einen Mandanten, der auf die Reparatur von Vergasern spezialisiert war. Der hatte gar nicht mitbekommen, dass Hersteller aus Fernost gleichwertige Vergaser neu zum selben Preis anboten, zu dem er reparierte. Frühindikatoren sind zum Beispiel, wenn die Marge schwindet und die Nachfrage kontinuierlich sinkt.
metallbau: Und was ist in den verbleibenden Fällen?
Eisenbeis: Auf je zehn Prozent würde ich die Fälle beziffern, in denen Handwerker einerseits Betrügern aufsitzen und andererseits einfach nur richtig viel Pech haben. In letzterer Kategorie sehe ich Ihr beschriebenes Beispiel aus dem Allgäu. Hierher gehört aber auch, wenn mein größter Kunde selbst zahlungsunfähig wird und womöglich noch ein sechsstelliger Betrag von ihm aussteht. Oder wenn der Chef von jetzt auf nachher arbeitsunfähig wird und als Pflegefall womöglich noch die Chefin privat absorbiert.
metallbau: Aber auch diesen Risiken kann man vorbeugen.
Eisenbeis: Ja, durch Diversifizierung von Produktpaletten oder Kundenstruktur, Versicherungen gegen bestimmte Schadensfälle oder Qualifizierung von Mitarbeitern als Mitunternehmer. Aber all das geht in den strategischen Bereich von Risikoabwägung, Mitarbeiterführung, Kennziffernerhebung oder Liquiditätsmanagement. Handwerker brauchen so oder so mehr kaufmännischen Sachverstand intern wie extern – und der muss auch Zeit und Geld kosten dürfen.
metallbau: Geben Sie dafür noch ein Beispiel?
Eisenbeis: Wir betreuen aktuell einen Metallbauer, der Serien für die Bauindustrie und andere Branchen produziert. Der Betrieb liefert aufgrund der Wirtschaftskrise aktuell am Tag vielleicht noch fünf statt 100 Teile aus. Diese Entwicklung war absehbar. Aber der Inhaber hat nicht gehandelt, sondern gehofft. Er hätte zum Beispiel Personal abbauen können oder neue Geschäftsfelder erschließen. Jetzt rettet ihn zwar kurzfristig Kurzarbeit, aber seine Verwaltung ist noch immer auf die alte Größe ausgelegt. Solche Zusammenhänge sehen Handwerker selbst oft nicht rechtzeitig.
metallbau: Was können Handwerker fünf vor 12 Uhr tun? Welche Maßnahmen können vor eine Insolvenz geschaltet werden?
Eisenbeis: Jeder Einzelfall ist anders. Aber der Gesetzgeber hat neue Möglichkeiten zur Restrukturierung geschaffen, die man allerdings kennen und anwenden muss. Der Restrukturierungsplan funktioniert ähnlich wie die Insolvenz, aber der Inhaber bleibt Herr des Verfahrens. Ähnlich ist die Insolvenz in Eigenregie, bei der auch der Inhaber an Bord bleibt. Der Sachwalter analysiert die Schwachstellen, berät den Inhaber und übernimmt die unangenehmen Parts wie Kündigungen aussprechen, mit Gläubigern und Banken verhandeln. Wir korrigieren an den Stellschrauben, an denen es der Chef allein nicht hinbekommt.
HAI Kurtscheid insolvent
Das auf Aluminiumveredelung spezialisierte Unternehmen HAI Kurtscheid mit Sitz in Kurtscheid im Landkreis Neuwied hat am 26. Februar wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag gestellt. Die in besonderen Verfahren veredelten Oberflächen aus Aluminium sind zum Beispiel als Fassaden von modernen Gebäuden sehr begehrt, da Aluminium über ein geringes Gewicht und über einen hohen Korrosionswiderstand verfügt.
Aufgrund der Coronapandemie war bei HAI Kurtscheid die Auftragslage stark rückläufig. Obwohl der 1965 gegründete Metallbauer Kurzarbeit beantragte, diverse Sanierungsmöglichkeiten nutzte und die Unterstützung der dänischen Muttergesellschaft hatte, konnte der Insolvenzantrag laut Insolvenzverwalter Lieser nicht verhindert werden.
Löhne und Gehälter der 54 Mitarbeiter sind bis Ende April 2021 über das Insolvenzgeld gesichert. Der Betriebsrat: „Wir als Belegschaft stehen hinter den Zielen der Geschäftsleitung und des vorläufigen Insolvenzverwalters für einen Neubeginn und wollen gemeinsam nach einer guten Lösung für die Beschäftigten suchen.“ Ziel ist die Sanierung und der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze. Gesucht wird nun ein Investor. leo