Sicherheitstechnik in der JVA

Die Schweizer Strafanstalt Lenzburg

Die JVA Lenzburg im Kanton Aargau hat umfassende Baumaßnahmen hinter sich. In den vergangenen Jahren wurde sowohl das historische Fünfsterngebäude erneuert als auch ein Neubau fertiggestellt. Für die Branchen Metallbau und Sicherheitstechnik bieten solche Gebäude lukrative Aufträge. Marcel Ruf, Direktor der JVA, führte im Rahmen einer Veranstaltung der NürnbergMesse zur Perimeter Protection (16.-18. Januar 2018) Journalisten durch die Anstalt.

In der JVA Lenzburg sitzen derzeit 380 Gefangene aus über 44 Nationen ein. Für deren Überwachung, Betreuung und Begleitung sind 210 Mitarbeiter beschäftigt. 100 Vollzugsangestellte sind rund um die Uhr im Sicherheitsdienst der JVA tätig. Marcel Ruf ist seit dem Jahr 2000 Direktor der Anstalt, er macht darauf aufmerksam, dass seit Mitte der 1995er-Jahre das Haftziel der Resozialisierung zugunsten der Sicherheit der Gesellschaft in den Hintergrund gerückt ist.
Sicherheitstechnik wird also großgeschrieben. Ursache dafür sei allerdings nicht ein Anstieg der Verbrechen, sondern in erster Linie die Online-Berichterstattung, die mit negativen und dramatisierenden Informationen in hoher Frequenz bei der Bevölkerung Befürchtungen schüre. Ruf betont: „Durch diesen Medienwandel fühlt sich die Gesellschaft viel stärker von Verbrechen bedroht, als dies tatsächlich der Fall ist. Wir müssen auf diese Gefühlslage eingehen.“ Er untermauert dies mit Urlaubsgenehmigungen: „Wurden für Gefangene zu Anfang der 2000-er-Jahre noch ca. 500 Urlaube im Jahr registriert, waren es im vergangenen Jahr noch fünf.“

Über 200 Kameras innen
Je 100 Kameras beäugen den historischen Trakt und den Neubau. Kameras in den Zellen befinden sich nur im Hochsicherheitstrakt. Ruf berichtet, „noch ist die Videoanlage im Fünfsterngebäude analog, weil wir aber keine Ersatzteile mehr dafür kaufen können, ist der Erwerb einer digitalen Anlage geplant“. Von Bewegungssensoren in der Kamera hält er nicht viel: „Wir wollen keinen Alarm, wenn ein Gefangener sich zehn Minuten lang nicht bewegt. Zu viel digitale Intelligenz beschert nach unserer Erfahrung viele Fehlermeldungen, wir haben so genug Arbeit.“

Handyalarm
Mit der Mobilfunkdetektion wird der Journalistentrupp bereits beim Empfang konfrontiert. Jeder Besucher muss sein Handy im Spind verschlossen zurücklassen. Als eine Stunde später die Alarmanlage ein eingeschleustes Handy meldet, gibt Ruf der Besucherrunde höflich die Gelegenheit, die Untat zu bekennen. Dass ihn einer seiner Insassen täuschen würde, mochte er wohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht glauben. Unter den Besuchern stieg die Spannung, konnten sie doch bei der Aufklärung des Falls live dabei sein. Später im Überwachsungsraum, wo sich auf einem Monitor für die Mobilfunkdetektion die Haftzellen abbilden lassen, leuchtete in ungestümer Frequenz ein roter Punkt in einer Zelle. Just in dem Moment als der Besuchstrupp vor den Monitoren stand, startete das Warnsignal. Was zuvor bereits ein Alarm unspezifisch gemeldet hatte, nämlich, dass sich ein Handy mit Netz in Räumen befindet, wo keines sein darf, konnte wenig später dank Anruf lokalisiert werden. Der Gefangene war zu dem Zeitpunkt nicht in der Zelle.

„Wir sind Freunde von Mauern“
Von außen ist die JVA mit hohen Mauern und Zaunanlagen mit Stacheldraht umbaut, Kameras überwachen den Schutzwall, eine Drohnen-Flugobjektdetektion sichert die Anstalt vor Einwürfen. Bislang habe man zwei Mal versucht, mit einer Drohne Handys mit Drogen einzuwerfen, wie Ruf erzählte. Die Täter können meist nicht gestellt werden, ergänzte Christian Harter – stellvertretender Sicherheitschef der JVA. „Vom Start außerhalb der Gefängnismauer bis zur Landung sind im schnellsten Fall nur 15 Sekunden nötig. Aber wir bemerken jeden Einwurf und können dann die weiteren Folgen abwenden.“
Besucher und Mitarbeiter der JVA werden an den Eingängen bereits seit zehn Jahren mittels biometrischer Zugangskontrolle gecheckt. Alle Personen, die den Eingang zur JVA passieren, müssen sich und ihr Gepäck von einem der Scanner des Herstellers smiths detection prüfen lassen — was einem Sicherheitscheck am Flughafen gleichkommt.

Metallbau in der JVA
Der Neubau der JVA wurde im Jahr 2015 als Minergie-zertifiziertes Gebäude fertiggestellt und im Jahr 2016 bezogen. Mit den Aufträgen für den Gefängnisbau erwirtschaftete Enderli Metallbau in Kloten einen Umsatz von 3,9 Millionen Euro. Eingestiegen ist der Metallbauer bei dem Projekt bereits mit der Beratung der Architekten. Das Schweizer Unternehmen, das immer wieder für den Gefängnisbau engagiert wird, hat langjährige Erfahrungen in diesem Segment.
Die Fenster in RC 2 und Zellentüren in RC 4 wurden mit Stahlprofilen von Forster gefertigt. Eine Zellentür im Mutter-Kind-Trakt des Neubaus schlägt mit bis zu 15.000 Euro zu Buche: Die Stahltüre ist Ergebnis einer Spezialanfertigung aus Rahmen, Flügel, Spezialschloss, Essklappe, Sichtfenster mit Klappe und einer Aufwuchtsicherung. Ruf erläutert: „Um die Essklappen vor Vandalismus zu sichern, haben wir schwere Gewichte einbauen lassen. Das Blech der Klappe wurde so konstruiert, dass beim Öffnen der Türschlitz konstruktiv verschlossen ist. Die Kinderwiege hinter der Zellentüre mutet seltsam an, aber es ist nichts Ungewöhnliches, dass Babys mit ihren straffällig gewordenen Müttern inhaftiert werden. Sieben Monate alt war der jüngste Dauergast in Lenzburg.
Für die Fenster und den Spazierhof hat Enderli Gitter in RC 4 aus Spezialstahl hergestellt. Muster der Fenster und Türen sowie vom Spezialstahl mussten vorab bei der JVA eingereicht werden, sie wurden von den Beamten auf Widerstandsfähigkeit, Funktion und Sicherheit getestet. „Wurden Sonderausstattungen gewünscht, sind Systemelemente durch die Sicherheitsverantwortlichen und durch uns modifiziert und dann geprüft worden“, berichtet Ferhat Yildiz, der bei Enderli Metallbau die Geschäfte leitet. Auch mit den Systempartnern haben wir in puncto Sicherheitstechnik kooperiert, wie er betont. „Zwecks Sicherstellung von RC 4-Prüfungen und Brandschutzprüfungen haben wir vorab auch die Werksplanung von den Herstellern begutachten lassen.“
Damit der Metallbauer die Elemente mit Mechatronik und Elektronik ausstatten konnte, wurden die Mitarbeiter von Sicherheitspersonen beraten und geschult. „Für Arbeiten im Gefängnis müssen unsere Monteure ihre Strafregisterauszüge und Betreibungsauszüge vorzeigen sowie eine Geheimhaltungspflicht unterschreiben. Fachlich wurden sie für die Bereiche Brandschutz und Sicherheitstechnik geschult“, sagt Yildiz. „Als Betrieb im Dienst für JVAs gilt es Qualitäts- und Terminvorgaben einzuhalten“, ergänzt er.
Auch wenn inzwischen die Zellen im Altbau der JVA zumindest was den Lichteinfall betrifft, an die Gesetze angepasst wurden, bezeichnen die Gefangenen die Zellen im Neubau — in der Regel ein Zweibettzimmer mit Fernseher — nicht selten als „5 Sterne Hotel“, erzählt Ruf. Die Zellenbetten wurden in der JVA-Schlosserei gebaut. Die Werkstatt ist Mitglied der AM Suisse (Fachverband Metallbau) und des Schweizerischen Vereins für Schweisstechnik (SVS).

Sanierung des Fünfsterngebäudes
Die Sanierung des historischen Gefängnisses wurde im Jahr 2016 abgeschlossen. Die Bauarbeiten wurden bei laufendem Betrieb ausgeführt, die einzelnen Flügel der Reihe nach für die Modernisierungsmaßnahmen abgeriegelt. Erneuert wurden 9.258 m² von einer Gesamtfläche von 12.789 m², die Investition ohne Subventionsbeitrag beläuft sich auf ca. 16 Mio. Euro.
Zuvörderst sollten die Haftbedingungen an die gesetzlichen Vorgaben angepasst werden. Deshalb wurden die Fenster in den Zellen vergrößert und Warmwasseranschlüsse gelegt. Zudem wurden Freizeitflächen von rund 1.500 Quadratmetern geschaffen. Die 7,8 Quadratmeter großen Zellen sollten gemäß Gesetz auf zwölf Quadratmeter erweitert werden, dieser Plan konnte wegen der baulichen Situation nicht umgesetzt werden. Die Zellen sind heute also so groß wie die von 1864.
Selbstverständlich war dies nicht die erste Modernisierung. Bis Mitte der 1980-er-Jahre wurden beispielsweise die Holztüren der Zellen, die als Zwischentür ein Stahlgitter hatten, gegen vollflächige Stahltüren getauscht. Die jüngste Sanierung in Absprache mit der Denkmalpflege hat die historische Kulisse der Strafanstalt bewahrt. Nach der Erneuerung dürften die Nachfragen der Filmer, die gerne im Fünfsterngebäude drehen, steigen.
Gleichwohl, die historische Architektur und die spektakuläre Kulisse dieser Traditionsanstalt können nicht über das Drama hinwegtäuschen, das sich dort für jeden Gefangenen abspielt.  Tage in Haft müssen schier endlos sein.

Info & Kontakte

Enderli Metallbau AG
Talacherstrasse 10
CH-8302 Kloten
Tel: +41 (0) 44 807 10 30

www.enderli-metallbau.ch

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