Tanzende Brücke von Wolgograd gezähmt

Maurer Söhne dämpft die längste Straßenbrücke Europas
 
Das Video über die „tanzende Brücke von Wolgograd“ verbreitete sich am 20. Mai 2010 weltweit und vor allem Laien ergingen sich in abenteuerlichen Spekulationen. Von meterhohen Wellen war die Rede – tatsächlich betrugen die vertikalen Schwingungen des Brückendecks ± 400 mm, aber auch das war genug, um 2010 die Wolgabrücke zeitweise zu sperren und aufwendige Bauwerksuntersuchungen durchzuführen. Spielverderber für die weltweite Spottgemeinde: Maurer Söhne München. Die Experten für Bauwerkschutzsysteme dämpften die Stahlbrücke nachträglich mit 12 adaptiven, abgestimmten Massendämpfern, ein jeder mit 5200 kg Masse.
 
Wolgograd (früher: Stalingrad) bekam im Oktober 2009 die dringend benötigte Brücke über die Wolga. Mit 7,1 km ist das Gesamtbauwerk die längste Straßenbrücke Europas. Nach 12 Jahren war sie fertig, doch schon ein halbes Jahr später musste sie wegen massiver Schwingungen wieder gesperrt werden – zunächst komplett, dann wurde sie schrittweise wieder für den Verkehr freigegeben: zuerst für den PKW-, dann den LKW-Verkehr. Grund dafür: Gleichmäßiger Seitenwind (nicht Sturm) sorgt bei einer bestimmten Windstärke dafür, dass die Wirbel im Windschatten der Brücke abreißen und zu Vibrationen führen – welche genau zur Eigenfrequenz der Brücke passen: Die Brücke beginnt zu schwingen, mit ± 400 mm.
 
Die Wolgabrücke ist sehr schlank dimensioniert und komplett aus Stahl: eine Sprungfeder im Großen sozusagen, die optimale Voraussetzungen für Schwingungen bietet und obendrein lange nachschwingt.
 
Zwischen Machbarkeit und Notwendigkeit
 
Die Brücke musste bedämpft werden, doch die weiche, schlanke Bauart barg ein weiteres Problem: Wie viel Dämpfermasse er-„trägt“ eine Brücke, deren bis zu 155 m lange Brückenfelder sich schon bei der Überfahrt eines Lkws in der Mitte absenken? Der normale Verkehr erzeugte also eine ständige Unruhe im Bauwerk. Dipl.-Ing. Peter Huber, Projektleiter bei Maurer Söhne, erklärt: „Die Herausforderung war, einen Kompromiss zu finden zwischen dem, was an Dämpfermasse statisch möglich ist, und dem, was notwendig ist, um die Brücke insgesamt zu beruhigen und auf den Sonderlastfall zu reagieren.“ Obendrein musste die Nachrüstung finanzierbar bleiben.
 
Errechnet wurde schließlich eine Tilgermasse von 5200 kg, insgesamt 12 abgestimmte Massendämpfer wurden eingebaut – allerdings nicht gleichmäßig über die Brücke verteilt, sondern konzentriert auf die drei Felder, wo die Brücke die stärksten Schwingungen zeigte. Jedes Feld erhielt je 4 Tilger, die drei Aufgaben zu erfüllen haben:
Brückendeck insgesamt bei Normalverkehr beruhigen.
Abklingzeiten reduzieren.
Maximalausschläge in Feldmitte von ± 400 mm auf ± 40 bis 95 mm reduzieren. Eine Reduzierung auf Null war technisch nicht machbar, da die Tilgermasse im Vergleich zur Brückenmasse zu klein ist.
 
Auch wenn die Massendämpfer nur in drei Felder eingebaut wurden, hat dies Auswirkungen auf die gesamte Brücke, da sie aus einem schwingenden Stück besteht.
 
Die Tilger sind abgestimmt auf die Frequenz der Brücke. Da diese Frequenz aber zwischen 0,41 und 0,68 Hz variiert und zudem von weiteren Faktoren abhängig ist, z.B. Temperatur und Materialermüdung, wurden Dämpfer eingebaut, die sich in einem bestimmten Rahmen anpassen.
 
Diese adaptiven Massendämpfer sind eine von Maurer Söhne patentierte Entwicklung, die schon an mehreren Brücken zur Dämpfung von Schrägseilen eingebaut wurde, z.B. in Kampen (Niederlande), Dubrovnik (Kroatien) und Sutong (China). Weltweit erstmals erfolgte nun die Anwendung im Deck einer Straßenbrücke. Durch den Einsatz der adaptiven Dämpfer konnte die Dämpferanzahl von theoretisch 36 Stück auf 12 Stück reduziert werden.
 
Im Massendämpfer wird der Dämpfungsparameter in einem hydraulischen Dämpfelement mittels Elektronik selbstständig reguliert: Eine Sensorik misst die Eigenfrequenz, meldet die Daten an einen Industrierechner, welcher die gewünschte Dämpferantwort ermittelt und über Stromimpulse an die Dämpfer meldet. In den hydraulischen Dämpfelementen befindet sich eine magneto-rheologische Flüssigkeit. Ein Magnetfeld steuert ihre Scherfestigkeit. Die Stromimpulse aus dem Rechner gehen in eine Spule und regeln so den Widerstand, mit dem der Dämpfer reagiert. So kann die Schwingung der Tilgermasse eingebremst werden. Dies erfolgt in Echtzeit mit 50 bis 100 msek Reaktionszeit. Ein Monitoring speichert zudem die Bewegungsdaten der Massendämpfer.
 
Einbau in 100-kg-Portiönchen
 
Eine Herausforderung war der Einbau der Tilger im August und September 2011. Der Brückenträger ist ein durchlaufender Stahlhohlkasten, der zu Wartungszwecken nur über Luken an den Widerlagern zugänglich ist. Es war nicht praktikabel, die Dämpferelemente dort einzuschleusen und kilometerweit durch den Brückenhohlköper zu tragen. Also wurde das Brückendeck direkt an den Einbaustellen außen 2000 x 80 mm aufgeschweißt. Die Dämpfer wurden in maximal 100 kg schwere Einzelteile zerlegt, Hubwagen mit Kragarmen hievten die Teile an das Loch, über eine Rutsche gelangten sie ins Innere und wurden dort wieder zusammengebaut – aus rund 100 Einzelteilen. Anschließend wurden die Montageöffnungen wieder zugeschweißt, um die Statik der Brücke nicht zu schwächen. Die Wartung erfolgt über die Zugänge im Widerlager.
 
Seit dem Tilgereinbau ist der Sonderlastfall „gleichmäßiger Seitenwind“ noch nicht wieder aufgetreten. Erst dann wird sich zeigen, wie sich die Brücke mit maximal 80 bis 95 mm Amplitude verhält und ob sie gegebenenfalls zeitweise für den Verkehr gesperrt werden muss. Bauwerksgefährdend sind die nun zu erwartenden Schwingungen sicher nicht mehr.

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