Veranstaltung

Marburger Sicherheitstage

Diverse Bedrohungen fordern Schutz

Unter dem Motto „Wissen teilen. Experten verbinden.“ kamen ca. 150 Teilnehmer  im Marburger Kongresszentrum zusammen, zuletzt hatte Sälzer vor drei Jahren zum Expertentreff eingeladen. Diesmal reichten die Themen vom Schutz im öffentlichen Raum über das Bauen im petrochemischen Bereich, die Planung von Justizvollzugsanstalten bis hin zu neuen Entwicklungen durch das KRITIS-Dachgesetz.

Wenngleich die Ursachen und Treiber traurige Themen sind wie der Klimawandel, der Krieg in Europa, problematische Energie- und Rohstoffversorgung oder die Preisspirale – der Markt Sicherheitstechnik floriert. „Sie haben allen Grund, die Sektflaschen zu öffnen“, stellte Prof. Dr. Clemens Gause fest. Der Geschäftsführer des Verbands für Sicherheitstechnik (VfS) informierte über „starkes Wachstum“. Ca. 26 Mrd. Euro wird in Deutschland jährlich in Sicherheitstechnik und Informationsmanagement investiert. Davon ca. 10 Mrd. Euro in materielle/physische Sicherheit, ca. 6 Mrd. Euro in elektronische Sicherheit und weitere ca. 10 Mrd. Euro in die Sicherheit der Informations- und Kommunikationstechnologie. Teils werden die Ausgaben von der Gesetzgebung gefordert, beispielsweise vom KRITIS-Dachgesetz (CER, Directive on critical entities resilience) und dem NIS2 (Directive on security of network and information systems), national umgesetzt im IT-Sicherheitsgesetz 3.0 und BSIG-E. „Die genannten Regelwerke legen die Befugnisse, Anforderungen und Zuständigkeiten sektor- und gefahrenübergreifend konkret fest“, so Prof. Gause.

Die CER-Richtline verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, kritische Einrichtungen zu identifizieren und deren physische Widerstandsfähigkeit gegenüber Bedrohungen wie Naturgefahren, Terroranschlägen oder Sabotage zu stärken. Die CER-Richtlinie setzt sich insbesondere mit der physischen Sicherheit von kritischen Infrastrukturen auseinander und wird in Deutschland durch das KRITIS-Dachgesetz umgesetzt. Folgende Bereiche sind betroffen: Staat und Verwaltung, Energie, IT und TK, Transport und Verkehr, Gesundheit, Medien und Kultur, Wasser, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen sowie die Siedlungsabfallentsorgung.

Zentrale Koordinations- und Aufsichtsbehörde für die physische Sicherheit soll in Deutschland das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) werden. „Die aktuell 350 Mitarbeiter sind zu wenige, um etwa die nötigen Risikoanalysen zu erstellen“, sagte Prof. Gause. In Konsequenz der Risikoanalysen sind Betreiber kritischer Anlagen verpflichtet, verhältnismäßige technische, sicherheitsbezogene und organisatorische Maßnahmen zu ihrer Resilienz zu treffen. „Hierfür werden sicher Zäune und Sperrungen gebraucht. Das wird gut für das Sicherheitsgeschäft“, konstatierte Gause und empfahl Sälzer, sich auf die nationalen Vorgaben einzustellen. Im Frühjahr 2025 könne mit den Gesetzesvorgaben gerechnet werden; die Betreiber kritischer Anlagen seien zu den Resilienzmaßnahmen verpflichtet, im KRITIS-Dachgesetz sind Bußgelder bis maximal eine Million Euro geregelt; im BSIG-E geht es um Entzug der Geschäftsleitung und um höhere Bußgelder – bis zu 2% des Vorjahresumsatzes bei besonders wichtigen Einrichtungen und kritischen Anlagen. „Der VfS geht davon aus, dass sich der Markt für Sicherheitstechnik in den nächsten zehn Jahren verdoppeln wird.“

Ingenieurgeist gegen Kostenexplosion

Für viele Gebäude ändert sich derzeit die Bedrohungs- bzw. Sicherheitslage, wie Prof. Winfried Heusler in seinem Vortrag hervorhob. Mit Blick auf die Kosten sollte eine „wirtschaftliche Robustheit“ angestrebt werden. Angemessene Lösungen für Sicherheitstechnik seien deshalb z.B. eine Ertüchtigung der Fassaden mit nachrüstbaren Komponenten und dass vorab in der Planung ein möglicher Austausch der Elemente prinzipiell einfach gehalten wird. Ingenieurgeist sei gefragt, um mit traditionellen Konstruktionen neue Sicherheitsstandards zu erreichen. Als Beispiel führte er am Münchner Flughafen die dynamische Seilnetzfassade in der Spannweite von 25 x 40 m beim Hilton Hotel an. Diese bietet auf unkonventionelle Weise Explosionsschutz: Horizontale und vertikale Seilscharen aus Edelstahlseilen bilden ein ebenes Seilnetz mit Maschenweiten von 1,50 x 1,50 m. Sie spannen sich zwischen den beiden seitlichen Baukörpern sowie zwischen Dachbindern und Boden. In den Kreuzungspunkten der horizontalen und vertikalen Seilschar wurden Klemmteller aus Edelstahlguss vorgesehen, die sowohl die Seile gegenseitig fixieren als auch als Eckauflager für die Gläser fungieren. Vorteilhaft werden die Gläser geklemmt und schwimmend gelagert, so können sie den Verformungen des Netzes folgen, das sich bei Wind in der Netzmitte bis zu 90 cm verschiebt.

Vandalismus

Zum Thema Vandalismus referierte Andreas Schmidt; der ift-Mitarbeiter stellte in Auszügen die kürzlich veröffentlichte ift-Richtlinie EL-06/1 vor: Vandalismusresistente Bauelemente und Einrichtungen. -> Zum Fachartikel von Schmidt unter www.metallbau-magazin.de

Zur Weltlage

Eine zunehmende Bedeutung von Sicherheitstechnik bestätigte der Vortrag von Prof. Dr. Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London. Der Buchautor von „Die neue Weltunordnung“ referierte während der Marburger Sicherheitstage zur allgemeinen politischen Weltlage. Er meinte, dass die Konflikte in den nächsten Jahren mehr werden und eine neue Präventionsstrategie im Umgang mit gewaltbereiten Gruppierungen nötig ist. Die Welt ordne sich neu. „Die ‚tektonischen Platten‘ verschieben sich weg vom Westen.“ Seiner Einschätzung nach hat dies mit der nuklearen Weltmacht von China zu tun, die immer größere Ansprüche stellt, ferner damit, dass wieder neu um die beste Wirtschaftsideologie gestritten wird und der Sieg der westlichen Marktwirtschaft nur ein vermeintlicher war. Zudem hätten die Sanktionen gegen Russland gezeigt, dass sich einige traditionelle Alliierte der westlichen Staaten überraschenderweise neutral positioniert haben. Sein Fazit ist daher: „Europa muss wirtschaftliche Stärke zurückgewinnen, den Westen neu denken, und neue Alliierte insbesondere in Asien hinzugewinnen.“ Prinzipiell rät der Politikexperte, sich nicht in zahllosen Positionen und Grüppchen aufzuspalten, sondern trotz inhaltlicher Kontroversen zusammenzuhalten. „Wird der Westen kleiner, wird China den Respekt verlieren“, meinte Prof. Neumann. Er geht davon aus, dass „wenn nichts Wunderbares passiert“ der Krieg in der Ukraine nächstes Jahr mit einer Waffenstillstandslinie eingefroren wird und eine offene Wunde in Europa bleibt; die steigenden dschihadistischen Anschläge in Europa werden 2025 weiter zunehmen, der Konflikt im Nahen Osten sich spätestens 2025 ausweiten, da die Herrscher im Iran die Hisbollah, ihr außenpolitisches Kronjuwel, nicht von Israel zerstören lassen; der Konflikt zwischen China und Taiwan könnte in Richtung 2030 eskalieren – zunächst gehe es China darum, die Produktion von Halbleitern weiter hochzufahren.

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