Denkmalgeschütztes Tropenhaus erhält neue Hülle aus Glas
Über 100 Jahre nach seiner Erbauung vermag das sanierte Große Tropenhaus im Botanischen Garten Berlin-Dahlem heute, seinen Zweck erfüllen: Es schirmt das künstliche Raumklima im Innern zuverlässig und mit geringen Energieverlusten gegen die Temperatur- und Luftfeuchtebedingungen der Umgebung ab, ohne die für ein Pflanzenwachstum nötigen UV-Bestandteile des Sonnenlichtes abzuhalten.
Möglich wurde dies durch den Einsatz einer speziell entwickelten, höchst lichtdurchlässigen Sicherheits-Isolierverglasung von Glas Trösch. Durch die Verwendung einer UV-transparenten Zwischenfolie im Verbund-Sicherheitsglas des Überkopfbereiches sorgt sie für optimale Wachstumsbedingungen für die weltweit bedeutende Pflanzensammlung. Gleichzeitig reduziert ihr hoher Wärmeschutz den Energiebedarf des Gebäudes erheblich. Englisches Vorbild. Das Große Tropenhaus wurde in den Jahren 1905 bis 1907 nach Plänen des Baurates Alfred Koerner erbaut. Vorbild waren die großen Gewächs- und Ausstellungshäuser des 19. Jahrhunderts, die von England ausgehend das Bauen revolutionierten: Eisen und Glas eroberten die Architektur. Mit der funktionalen Entkoppelung von Tragwerk und Hülle setzten ihre Konstrukteure einen Prozess in Gang, bei dem sich diese Trennung langsam auch räumlich manifestierte; er gipfelte in den vollständig losgelösten Curtain Walls der Moderne. In diese Entwicklung eingeordnet stellt das Tropenhaus architektonisch eine besondere Rarität dar: Mit seiner frei tragenden Konstruktion aus riesigen stählernen Dreigelenkbögen, in die die gläserne Hülle eingehängt wurde, war es bei seiner Fertigstellung 1907 seiner Zeit weit voraus. Das große Tropenhaus ist auch heute noch eines der imposantesten und größten freitragenden Gewächshäuser der Welt: 60 Meter lang, 29 Meter breit und insgesamt 26,5 Meter hoch, überspannt die Stahlkonstruktion stützenfrei eine Grundfläche von etwa 1.750 Quadratmetern und einen Rauminhalt von nahezu 40.000 Kubikmetern. Als Symbol des Maschinenzeitalters und der beginnenden Moderne steht es heute unter Denkmalschutz.
Grundsanierung. Den Lauf der Zeit überstand das Gebäude nicht unbeschadet: Die Luftangriffe des Herbstes 1943 konnten zwar dem Stahltragwerk nahezu nichts anhaben, die Glashülle jedoch wurde durch Sprengbomben völlig zerstört. Beim Wiederaufbau von 1963 bis 1968 wurde statt Silikatglas sechs Millimeter dickes Acrylglas benutzt, das nach damaligem Stand der Verarbeitungstechnik günstigere Eigenschaften aufwies: Es absorbiert weniger UV-Licht, die Wärmeleitfähigkeit ist geringer, das Material ist leichter und besser verformbar, wodurch deutlich größere Scheiben von 1 mal 2 Meter eingesetzt werden konnten. Allerdings ist das Material nicht feuerfest, weshalb schon ein gutes Jahr nach dem Wiederaufbau ein Brand einen aufwendig zu sanierenden Schaden an der Kunststoffverglasung anrichten konnte.
Knapp vier Jahrzehnte später war zum dauerhaften Erhalt des Tropenhauses für Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie für die breite Öffentlichkeit erneut eine Grundsanierung notwendig. Die Anlagen der Heiz- und Klimatechnik waren in ihrem stark überalterten Zustand extrem stör- und ausfallanfällig. Die Bausubstanz war durchgehend marode: Am Stahltragwerk ließ sich eine fortschreitende Korrosion beobachten, die Acrylglashülle war undicht. Millionen feiner Haarrisse durchzogen die eingetrübten Scheiben und reduzierten den Lichteinfall. Durch größere Risse und verwitterte Dichtungen drangen Wind und Kälte ein, was nur durch übermäßigen Einsatz teurer Heizenergie kompensiert werden konnte. So verbrauchte das Große Tropenhaus immens viel Energie, insgesamt etwa ein Drittel des Energiebedarfes des gesamten Botanischen Gartens. Nach Angaben des für die Sanierung zuständigen Sonderbeauftragten der Technischen Abteilung der Freien Universität Berlin, Michael Krebs, verursachte es jeden Winter Heizkosten von rund 200.000 Euro. Wichtigstes Ziel der Grundsanierung war daher die Halbierung des Energiebedarfes. Gleichzeitig waren konstante, ideal auf die Bedürfnisse der exotischen Pflanzensammlung abgestimmte klimatische Bedingen im Innenraum gefordert. Außerdem sollte das optische Erscheinungsbild des Gebäudes dem ursprünglichen Zustand möglichst nahe kommen. Mit diesem komplexen Aufgabenfeld betraute die Freie Universität Berlin, zu deren Zentraleinrichtungen der Botanische Garten gehört, den Generalplaner Haas Architekten BDA.
Energieeinsparung. Zum Sanierungsbeginn im August 2006 mussten etwa 4000 bis zu 160 Jahre alte Pflanzen in ein eigens errichtetes provisorisches Gewächshaus und andere Zwischenlager umgesiedelt werden. Die Acrylglasfassade wurde inklusive ihrer Pfosten-Riegel-Konstruktion komplett rückgebaut. Die Sanierungsarbeiten am historischen Stahltragwerk - Entfernung von Farbe und Rost durch Sandstrahlen, Austausch schadhafter Bauteile sowie neuer Farbauftrag - erforderten die staubdichte Verhüllung des Tropenhauses für die folgenden zwei Jahre. Parallel zu den Stahlsanierungsarbeiten begann die Erneuerung der haustechnischen Anlagen: Im Juni 2007 wurden sieben Klimatisierungsgeräte durch die Fassade hindurch über ein offen gelassenes Loch im Boden in das Untergeschoss des Gebäudes versenkt. Ist eine natürliche Belüftung über Lüftungsflügel im Boden- und Deckenbereich der Glasfassade nicht möglich, sorgen sie über zwei 16 Meter hoch in das Gewölbe aufragende Umlufttürme, die als riesige Urwaldbaumstümpfe getarnt sind, konstant für die perfekte Raumlufttemperatur und -durchmischung.
Dabei reduzieren sie die nötige Energiezufuhr auf ein Minimum: Die Lüfter saugen warme Schichtenluft im oberen Bereich des Raumes ab und blasen diese auf Bodenhöhe wieder ein. Überschüssige Wärme wird in latenten Wärmespeichern mit PCM-Modulen in den Umlufttürmen gespeichert und bei kühleren Außentemperaturen in der Nacht wieder freigegeben. Die Klimatisierungsgeräte halten auch die für die tropischen Pflanzen besonders wichtige relative Luftfeuchte stabil bei etwa 70%, indem sie je nach Bedarf Wasser aus der Raumluft adsorbieren bzw. desorbieren.
Dazu sind sie mit insgesamt 5,5 Tonnen Quarzsand-Granulat gefüllt. Jedes einzelne Granulat-Kügelchen ist ein bis zwei Gramm schwer und besitzt eine riesige innere Oberfläche von ca. 600 Quadratmetern für die Wasserbindung. Beim Sorptionsprozess geht keinerlei Energie verloren: Die bei der Adsorption freigesetzte Wärmeenergie fließt in das Heizsystem des Gebäudes zurück, das hauptsächlich durch Fernwärme gespeist wird.
Die bedeutendsten bautechnischen Innovationen brachte schließlich der Neubau der Fassade. Insgesamt 436 bis zu 800 Kilogramm schwere Fassadenelemente wurden von einem Baukran zwischen die historischen Stahlträger und das Baugerüst eingefädelt und als Pfosten-Riegel-Konstruktion zu einem 4500 Quadratmeter großen Gitternetz zusammengeschweißt. In den Stahlprofilen sind Rohrleitungen ausgespart, durch die auf einer Gesamtlänge von 7,3 Kilometern 36 Grad warmes Wasser fließt. Diese neuartige Fassadenheizung strahlt in den Innenraum Wärme ab und ist zur Außenseite hin thermisch getrennt. Sie erbringt etwa ein Drittel der gesamten Heizleistung für das Gebäude und hat den Vorteil, dass sie die Glasscheiben auch bei niedrigen Außentemperaturen kondenswasserfrei hält.
Das Konstruktionsraster der neuen Fassade ist mit einer "Fenstergröße" von 85 x 65 Zentimetern deutlich kleinteiliger als das der Nachkriegsfassade mit ihren großformatigen Acrylglastafeln. So nähert sich der optische Gesamteindruck des Gebäudes, wie es das Landesdenkmalamt Berlin gefordert hatte, wieder der feingliedrigen Wirkung des historischen Zustands an.
Zulassung im Einzelfall. Das komplexeste Problem des Sanierungsprojektes stellte sich den Planern mit den zunächst widersprüchlich erscheinenden Ansprüchen an die neue Verglasung. An die Stelle der Acrylglastafeln mit ihrem hohen Wärmedurchgangswert sollte eine hoch wärmedämmende Isolierverglasung mit einem besonders hohen Lichttransmissionswert treten. Um im Unglücksfall die Mitarbeiter und Besucher vor herabstürzenden Glassplittern zu schützen, musste diese im Überkopfbereich ab einer Neigung von 11 Grad zur Senkrechten außerdem innenseitig als Verbund-Sicherheitsglas ausgeführt werden.
Herkömmliches Verbund-Sicherheitsglas besitzt eine Zwischenlage aus Polyvinylbutyral (PVB), die aufgrund ihrer Empfindlichkeit gegen UV-Strahlung mit einem UV-Sperrfilter ausgestattet ist. Für ein natürliches Pflanzenwachstum ist aber das gesamte Spektrum des Sonnenlichtes wichtig: Ohne UV-Strahlung würden viele der teilweise sehr seltenen Pflanzen der botanischen Sammlung unnatürlich schnell und damit weniger kräftig wachsen, die Blütenbildung wäre gehemmt und Schädlinge könnten sich ungehinderter ausbreiten. Nach umfangreichen Recherchen des Generalplaners Haas Architekten fand sich die Lösung mit SANCO-Isolierglas von Glas Trösch, das für den Überkopfbereich in einer vollkommen neuartigen, gemeinsam mit den Herstellern Glas Trösch und DuPont entwickelten Kombination von Glas- und Beschichtungsarten hergestellt wurde. Die Grundlage bildet das hochweiße Floatglas EUROWHITE, das durch seinen geringen Eisenoxidanteil die spektrale Verteilung des Sonnenlichts nur minimal beeinflusst und so im Gegensatz zu herkömmlichem Floatglas mit seinem typischen „Grünstich“ farbneutral ist.
Es bildet für den Überkopf- und den zugänglichen Bereich auf Bodenniveau als vier Millimeter dickes, thermisch vorgespanntes Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG-H) die äußere Scheibe der Isolierverglasung. Zur weiteren Steigerung der Lichttransmission versah Glas Trösch die Scheibe innenseitig mit der Anti-Reflex-Beschichtung LUXAR. Die innere Scheibe besteht im zugänglichen Bereich der Fassade aus sechs Millimeter dickem Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG-H), im Überkopfbereich aus einem Verbund aus zwei mal vier Millimeter dickem EUROWHITE-Glas, das zum mit Argon gefüllten Scheibenzwischenraum hin jeweils die Low-E-Beschichtung SILVERSTAR ENplus erhielt.
Im Aufbau des Verbund-Sicherheitsglases (VSG) für den mehr als 11 Grad geneigten Teil der Fassade - mit 2700 Quadratmetern rund 60% der Gesamtfläche - liegt das ausschlaggebende Detail: Statt der üblichen Zwischenlage aus PVB wurde hier die kristallklare, hochsteife und hochfeste SentryGlas-Zwischenlage von DuPont verwendet, die aus einem UV-stabilen Kunststoff besteht und somit ohne UV-Sperrfilter auskommt.
Erstmals eingesetzt. Diese bahnbrechende Kombination von High-Tech-Gläsern, hoch effektiver SILVERSTAR Wärmedämmbeschichtung und innovativer Zwischenlage wurde bei der Sanierung des Großen Tropenhauses weltweit erstmalig eingesetzt. Unter Anbetracht der gegebenen, hochkomplexen Funktionsanforderungen ist der erreichte Lichttransmissiongrad von 81% als extrem hoch einzustufen. Auch die Wärmedämmung der Verglasung ist hochwirksam: Durch die Argonfüllung des Scheibenzwischenraums und die Low-E-Beschichtung SILVERSTAR ENplus von Glas Trösch konnte der Wärmedurchgangswert im Vergleich zu den alten Acrylglasscheiben um über 80% auf 1,1 W/m^2K reduziert werden.
Wegen des neuen Aufbaues der entwickelten Verglasung stellte sich während des Planungsprozesses das besondere Problem, dass keine allgemeine baurechtliche Zulassung vorlag. Auf Initiative der Technischen Abteilung der Freien Universität Berlin wurde daher das Labor für Stahl- und Leichtmetallbau der FH München mit umfangreichen Untersuchungen für ein sicherheitstechnisches Gutachten beauftragt. Die Bemühungen hatten schließlich Erfolg: Die Untersuchungsergebnisse erfüllten oder übertrafen alle Erwartungen, sodass gerade noch rechtzeitig, bevor das Glas in Produktion gehen musste, auf Antrag bei der Obersten Bauaufsicht des Landes Berlin eine „Zulassung im Einzelfall“ erteilt wurde.
Nach weniger als drei Jahren Bauzeit wurde im April 2009 mit der letzten Bauphase alles für die Rückkehr der ausgelagerten Pflanzensammlung vorbereitet: Bis in eine Tiefe von 1,60 Meter musste der Boden vollständig ausgetauscht werden. Damit ist nun alles bereit für die Wiederbepflanzung mit den 1358 teilweise sehr seltenen verschiedenen Pflanzenarten und die Wiedereröffnung des Tropenhauses im September diesen Jahres: Wie nach der Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 1907 scheint das Sonnenlicht durch Tausende kleiner Glasscheiben, die jetzt allerdings nicht mehr den Schwachpunkt der Konstruktion darstellen, sondern optimale Lichtbedingungen für die Pflanzen sowie größtmöglichen Schutz für Mitarbeiter und Besucher bieten.
Gemeinsam mit der neuen Klimatisierungstechnik reduzieren sie außerdem den Gesamtenergiebedarf des Schaugewächshauses um die Hälfte. Als äußerst energieeffizientes Gebäude trägt das Große Tropenhaus so nun nicht mehr nur im Innern zur Erhaltung der Vielfalt der Natur bei.
Während der Sanierungsarbeiten wurde durch einen Neubau zwischen dem Großen Tropenhaus und dem angrenzenden Victoriahaus, das in einem weiteren Bauabschnitt ebenfalls saniert werden soll, auch die Zugangssituation neu gestaltet und durch einen Aufzug um eine barrierefreie Möglichkeit erweitert. Form und Dimensionen des kubischen Baues sind an sein historisches Vorbild angelehnt, das an gleicher Stelle in den 1960er-Jahren abgerissen wurde.
Der Besucher betritt die Schaugewächshausanlage über das Untergeschoss des Viktoriahauses, wo er zunächst von einer bewusst engen, dunklen Atmosphäre umgeben ist. Der Weg führt dem Hang folgend über eine Treppenanlage nach oben in den neuen Zwischenbau, der ein großzügiges Entré schafft, das künftig auch für Empfänge, Vorträge oder Ausstellungen genutzt werden soll. Auch hier noch von massiv steinernen Wänden umgeben, nimmt der Besucher beim Betreten des Tropenhauses besonders eindrücklich wahr, wie viel Helligkeit und Transparenz mit der Sanierung geschaffen werden konnte.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Bauherren, Architekten, Fachplanern und beteiligten Herstellern hat aus dem über 100 Jahre alten denkmalgeschützten Gebäude eines der modernsten und technisch innovativsten Schaugewächshäuser der Welt gemacht, in dem sich Pflanzen und Besucher gleichermaßen wohlfühlen werden. red