Energiekonzepte
Klimaerwärmung und erhöhter Energiebedarf infolge von stark ansteigender Kühlleistung durch technische Kälteanlagen und letztendlich mehr Abwärme: ein Teufelskreis, den zu durchbrechen sich lohnt – für Bauherren, Betreiber und nicht zuletzt für die Umwelt.
Weltweit steigt der Bedarf an elektrischer Energie für die technische Kälteerzeugung rapide an. Ursache dafür ist unter anderem die Klimaerwärmung. Aber auch die vermehrte Verwendung von großflächigen Glasfassaden in der Architektur und die zunehmende Notwendigkeit, beispielsweise Räumlichkeiten für EDV-Rechenzentren zu klimatisieren, tragen zum Energiehunger für Kälte bei. Umgekehrt hat der Kältebedarf seinerseits Anteil an der Klimaerwärmung, denn die technische Kühlung mittels Kältemaschinen lässt mehr Wärme als Kälte entstehen.
Der Klimawandel wird den Kältebedarf zukünftig noch weiter anheizen: Für das Jahr 2050 sagen Fachleute beispielsweise für die Stadt Berlin eine um 2,5 Grad Celsius erhöhte Jahresdurchschnittstemperatur voraus. Dass es zumindest für die Raumklimatisierung auch anders geht, zeigen bundesweit erfolgreich abgewickelte Bauprojekte. Eines davon ist das „Haus der Wirtschaft“ der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Kiel, dessen Lüftungs- und Klimakonzept dieser Beitrag exemplarisch erläutert.
Die Zielsetzung. Neben ihrer hoheitlichen Aufgabe der Berufsbildung ist die Industrie- und Handelskammer zu Kiel eine Dienstleistungsinstitution für die Unternehmen in der Region. Vor diesem Hintergrund wurde entschieden, in unmittelbarer Nähe zu ihren 1954 gebauten und unter Denkmalschutz stehenden Bestandsgebäuden das neue „Haus der Wirtschaft“ mit rund 100 hochmodernen Büroarbeitsplätzen sowie flexiblen Konferenz-, Foyer- und Ausstellungsflächen zu errichten. Ziel der Raumkonzeption war es, eine möglichst hohe Kundenorientierung zu gewährleisten, den Informationsfluss zu verbessern, Räume für Informationsveranstaltungen und Einzelberatungen zu schaffen und eine noch höhere Dienstleistungsqualität der IHK sicherzustellen.
Das Konzept. Als Zentrum des „Hauses der Wirtschaft“ symbolisiert das neue Gebäude der IHK Moderne und Offenheit und setzt mit guter Architektur in wirtschaftlicher Bauweise neue Akzente in der Kieler Innenstadt. Für dieses vom Stuttgarter Architekturbüro Kauffmann, Theilig & Partner entworfene Gebäude hat die ebenfalls in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ansässige Firma Transsolar ein Energiekonzept entwickelt. Seine wesentlichen Bestandteile sind die Nachtluftspülung sämtlicher Büros über automatisch öffnende Fensterklappen in der Außenfassade im Zusammenwirken mit der Thermik des Luftraums sowie Abluftöffnungen in dem darüberliegenden Glasdach.
Offene Stahlbetondecken wirken als latenter Energiespeicher. Weiterhin verfügt das Gebäude über Bauteilkühlungen des Foyers sowie der obersten Geschossdecke mittels Leitungen, die in den Beton eingelegt sind und Wasser führen. Die Kälteerzeugung wird über Erdabsorber der Bodenplatte und der erforderlichen Bohrpfahlwand der Baugrubensicherung gewährleistet, sodass im gesamten Gebäude keine Kältemaschinen notwendig sind. Auch die mechanische Zuluft zu den Versammlungsräumen wird bei Bedarf über diese Quelle gekühlt. Das Konzept nutzt also natürliche Ressourcen, um die Qualität der Arbeitsplätze und die Raumkonditionen der Konferenzbereiche zu optimieren.
Das Gebäudekonzept berücksichtigt und zeigt neben den städtebaulichen, gestalterischen und funktionalen Belangen die Anforderungen aus der interdisziplinären, also schnittstellenübergreifenden Arbeitsweise von Architekten und Ingenieuren, wie sie bei heutigen Bauleistungsanforderungen unumgänglich ist.
Natürliche Ressourcen. Das grundlegende Lüftungs- und Klimakonzept basiert primär auf der Nutzung natürlicher Ressourcen wie Tageslicht und kühler Nachtluft. Die Nachtluftspülung bewirkt die Durchlüftung des Gebäudes im Sommer mit kühler Nachtluft zur Abkühlung der Gebäudemassen, wobei das zentrale Atrium zum natürlichen Antrieb der nächtlichen Durchlüftung genutzt wird. Diese erfolgt durch die im Dach befindlichen geregelten und motorisch gesteuerten, gesetzlich vorgeschriebenen Klappen zum Rauch- und Wärmeabzug, die auch mit zur Lüftung genutzt werden.
In der gläsernen Außenfassade befinden sich ebenfalls motorisch zu öffnende Lüftungsflügel. Die innovative Steuerungs- und Antriebstechnik sowohl für die RWA-Klappen im Dach wie auch für die Lüftungsklappen in der Fassade lieferte STG-Beikirch, der Spezialist für Fensterautomation, der damit einen Doppelnutzen für die ansonsten bei der Bauplanung nur als Kostenfaktor angesehene RWA bietet. Gleichzeitig wird nach den Erfahrungen der Klimaexperten durch die natürliche Belüftung eine qualitative Verbesserung erreicht: Alles, was bisher gemessen wurde, belegt, dass natürliche Lüftung eine höhere Luftqualität im Innenraum erzielt als die Filteranlagen einer Klimaanlage, die nur selten mit Aktiv-Kohlefiltern oder Partikelfiltern ausgestattet sind.
Anlagen, die heute verbaut sind, haben keinen signifikanten Einfluss auf die Luftqualität. Ganz im Gegenteil kann man sogar messen, dass die Partikelgehalte in der Luft durch die Strömungserscheinungen in Mischluftanlagen eher höher sind als bei natürlicher Lüftung.
Fazit. Das „Haus der Wirtschaft“ in Kiel steht beispielhaft für die sinnvolle Bündelung der Kernkompetenzen von Transsolar KlimaEngeneering und STG-Beikirch. Auch und gerade bei innovativen Gebäudeprojekten kann durch nachhaltige Energiekonzepte auf technische Kälteerzeugung, also auf klassische Klimaanlagen, meist vollständig verzichtet werden, ohne dass dabei Komfortanforderungen der Nutzer unerfüllt blieben.
Automatisierte Auskühlung durch Nachtluftspülung, gezielter Einsatz von Gebäudemassen als Kältespeicher und die Erzeugung von Kälte durch Erdabsorber anstelle von energieintensiven technischen Kältemaschinen tragen zu einer positiven Umweltbilanz modernen Bauens bei. Das „Haus der Wirtschaft“ wurde mit dem Landespreis für zukunftsweisendes Bauen in Schleswig-Holstein ausgezeichnet.
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