ArcelorMittal, CMO Amit Sengupta

„Deutschland hat Nachholbedarf an Stahl!“

Der Hauptsitz von ArcelorMittal Europe – Long Products ist im luxemburgischen Esch-sur-Alzette. Dort haben wir den Chief Marketing Officer (CMO) Amit Sengupta zum Interview getroffen. Er ist für den Vertrieb von Langprodukten zuständig. Fasziniert von der Bauweise mit Stahl berichtet er von einem 57-stöckigen Hochhaus in Changsha (China), das auch dank der höherfesten Güte der Jumbo-Walzprofile (S460) in 19 Tagen errichtet wurde.


metallbau: Wie viel der Stahlproduktion setzt ArcelorMittal im Bausektor ab und prozentual wie viel vom Umsatz wird im Bausektor generiert?

Amit Sengupta: 18 Prozent des Umsatzes von ArcelorMittal wird im Bausektor erwirtschaftet, im Jahr 2016 waren das 10,2 Milliarden US-Dollar. Unsere Langprodukte werden zu 60 Prozent für die Bauwirtschaft produziert, bei Flachstahl beispielsweise für Fenster und Fassaden macht der Bausektor nur sieben Prozent aus. Die Entwicklung in den vergangenen drei Jahren war stabil.


metallbau: Weshalb sollten Unternehmen (DACH Länder) des Stahl- und Metallbaus, die Coils, Stahlträger, Bleche und Paneele verarbeiten, auf ArcelorMittal schauen?

Sengupta: Wir haben eine klare Strategie für Produkte mit hoher Wertschöpfung, und wir verfügen über eine hohe Expertise aus Forschung und Entwicklung kombiniert mit modernen Produktionstechnologien. Wir haben unser weltweit größtes Forschungszentrum zentral in Europa (Lothringen in Frankreich) und haben eine enge Vernetzung von Produktion und technischer Verkaufsberatung, um Kunden über das Produkt hinaus zu beraten und umfassende Lösungen für ihre Aufgaben zu bieten. Zu unseren Stärken zählt, dass wir die gesamte Bandbreite an Stahlprodukten abdecken, ein umfassendes, globales Verkaufsnetzwerk haben und viele Produktionsstandorte, um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten.


metallbau: In welchen Bereichen hat ArcelorMittal über die Händler hinaus direkten Kontakt mit den Stahlbauern?

Sengupta: Das findet in der Regel im Projektgeschäft statt. Dabei geht es meist um Lieferungen für Einzelobjekte, in der Regel große Bauvorhaben. Außerdem haben wir bei Produkten, die im Industriebereich gebraucht werden, direkten Kundenkontakt.


metallbau: Wie beurteilen Sie, den Handel mit Stahl online abzuwickeln, wie es beispielsweise Klöckner anbietet?

Sengupta: Wir denken, dass der Online-Handel mit Stahl großes Potenzial hat und im Rahmen der Digitalisierung unserer Branche eine Rolle spielen wird. Der Stahlhandel von ArcelorMittal hat mit dem Internetauftritt http://distrishop.arcelormittal.com bereits einen Schritt in diese Richtung unternommen. Unser Onlineshop für den Stahlhandel in Frankreich ist seit Kurzem eröffnet und wird in den kommenden Monaten auf andere Regionen in Europa ausgeweitet.

metallbau: Seit circa zehn Jahren bieten Sie höherfeste Stähle (S355, S460) an, mit denen sich nachweislich wirtschaftlicher, schneller und nachhaltiger bauen lässt und sich auch für die räumliche Struktur der Gebäude Vorteile ergeben. Dennoch werden diese Produkte nicht so gut angenommen?

Sengupta: Stimmt so nicht ganz, sondern es hängt von den Märkten ab. Hochfester Stahl als Walzprofil ist seit etlichen Jahren in Großbritannien und Skandinavien übliche Praxis. Auf dem europäischen Festland, wo Stahlbau leider meist eine eher untergeordnete Rolle spielt, scheint der Weg zur Durchsetzung von hochfestem Stahl länger. Die Vorteile höher- und hochfester Stähle machen sich im Gewicht, der Festigkeit und damit am Ende auch bei den Kosten bemerkbar. So kann man im Schnitt mit höherfesten Güten die Menge des eingesetzten Stahls am Bau um etwa 15 Prozent reduzieren, erreicht damit auch weniger Verarbeitungszeit und eine schnellere Lieferung auf die Baustelle.

metallbau: In den USA und Großbritannien wird im Hoch- und Ingenieurbau zu 70 Prozent Stahl verwendet, in Deutschland nur zu zehn Prozent – woran liegt das, lässt sich das ändern?

Sengupta: Vorab, der Anteil an mehrstöckigen Bürogebäuden (Geschossbau) in England liegt bei 65 Prozent, während es in Deutschland nur etwa zehn Prozent sind. Das ist sicher ein Grund für diese Zahlen. Und zumindest beim Hallenbau wird in Deutschland Stahl bereits zu 33 Prozent verwendet. Aber es gibt weitere Ursachen: Im Gegensatz zu den USA und Großbritannien war auf dem Festland Stahl bis nach dem Zweiten Weltkrieg stärker rationiert und oftmals militärischen Zwecken vorbehalten. Das verhalf Beton als Baustoff zu einer soliden Basis. Diese Tradition scheint sich nicht einfach zu ändern. Bei Lehrplänen mit mehr Stahl an den Universitäten fängt es an, bei Ingenieuren wie auch bei Architekten. Wettbewerbsfähige große und starke Stahlbauer sind eine weitere Voraussetzung, damit sich die Stahlbauweise in Deutschland stärker verbreiten kann. Bei transparenter Architektur und zirkulären Aspekten hat Stahl natürliche Vorteile. Eine großangelegte und langanhaltende Promotionsstrategie gerichtet an alle Akteure müsste der Weg zu vermehrtem Erfolg sein.

metallbau: Was tut ArcelorMittal dafür?

Sengupta: Wir haben Experten für technisches Marketing in unserem Team. Einige haben Erfahrung in Großbritannien und wissen, wie der Einsatz von Stahl dort nach vorne gebracht wurde. Diese Erfahrung nutzen wir nun auch in Deutschland, um den Stahlverbrauch in Brücken und Gebäuden voranzubringen. Dafür ist unsere Kooperation mit den Hochschulen wichtig. Außerdem bieten wir Ingenieuren, Architekten, Bauunternehmern und Stahlbauern technische Unterstützung an, um optimierte Stahllösungen mit Walzträgern einzusetzen und die Vorteile beim Stahlbau zu nutzen. Darüber hinaus übernimmt das Bauforum Stahl allgemeines technisches Marketing und Schulungen. Diese Maßnahmen sollten mittel- bis langfristig helfen, den Anteil von Walzprofilen im Bau messbar zu steigern.


metallbau: Halten Sie die Bauweise in Deutschland für irrational?

Sengupta:  So weit würde ich nicht gehen, aber auf jeden Fall gibt es einen großen Nachholbedarf beim Stahlverbrauch, gemessen an den Vorteilen, die der Werkstoff bietet.


metallbau: Welche neuen Technologien wurden in den vergangenen drei Jahren für die Belange von Stahl- und Metallbauern eingeführt?

Sengupta: Vermehrter Einsatz von Building Information Modeling (BIM), das heißt integrierte Gebäudeplanung: Sie steigert die Effizienz und Qualität in der Planungs- und Bauphase von Objekten. Neuartige Stahlverarbeitungs-Roboter kommen vermehrt zum Einsatz.

metallbau: Welche Pläne gibt es für die deutschen/europäischen Produktionsstandorte?

Sengupta: Ziel unserer Unternehmensstrategie Action 2020 ist, zusätzliche drei Milliarden US-Dollar EBITDA und einen jährlichen freien Cashflow von zwei Milliarden US-Dollar bis 2020 zu erreichen. 2016 gab es einen guten Start, der 0,9 Milliarden US-Dollar EBITDA lieferte, also fast ein Drittel der geplanten Einsparungen. Europa trug 263 Millionen US-Dollar zur Gesamtsumme von 2016 bei.

metallbau: Mit welchen Maßnahmen arbeiten Sie an diesen Zielen?

Sengupta: Action 2020 setzt sich aus mehreren Elementen zusammen: strukturelle Kostenverbesserung, Volumenverbesserung und Erhöhung des Anteils an Produkten mit höherer Wertschöpfung. Die Mehrheit der 2016 erzielten Verbesserungen resultierte aus Kostenverbesserungen. Während wir in diesem Bereich noch weiter zu tun haben, werden wir uns dieses Jahr auf die beiden anderen Bereiche konzentrieren. Der Beitrag Europas zur Konzernstrategie Action 2020 besteht im Wesentlichen aus dem Transformationsplan im Flachstahlbereich zur Effizienzsteigerung der Verwaltung, mit dem wir eine Milliarde US-Dollar zusätzliches EBITDA (also ein Drittel des Gesamtplans) erreichen wollen – der Langstahlbereich will vor allem in der Wertschöpfungskette stärker werden und den Anteil der Produkte mit hoher Wertschöpfung verbessern, die wir verkaufen – die Strategie läuft nach Plan und wir sind auf dem richtigen Weg.


metallbau: Wie viel Stahl wird für Deutschland/Europa produziert? Welche Länder sind für den Export am wichtigsten?

Sengupta: ArcelorMittal hat in Deutschland 2016 mehr als 7,8 Millionen Tonnen Stahl produziert – stabil im Vergleich mit 2015 (7,9 Millionen Tonnen). Die gesamte Stahlindustrie in Deutschland hat 2016 insgesamt 42,1 Millionen Tonnen produziert. In Europa haben wir 40,2 Millionen Tonnen produziert.  Am meisten Stahl exportieren wir in die USA, nach Kanada und in Länder Südamerikas.

metallbau: Inwiefern reduziert sich für die angestammten europäischen Stahlproduzenten der Markt durch Importe?

Sengupta: Bei den Langprodukten sind die Importe in den vergangenen fünf Jahren um etwa vier Prozent auf zehn Prozent gestiegen. Grob gesehen ist das vielleicht nicht so hoch, aber in einigen Produkten und Regionen sind die Menge und der Marktanteil signifikant gestiegen. Die EU-Kommission hat schon Maßnahmen gegen chinesischen Walzdraht und Betonstahl (HFP) und Betonstahl aus Weißrussland eingeleitet.  Wir beobachten auch einen Anstieg der Importe von Billig-Spundwänden aus China. Seit drei Quartalen beobachten nun die Mitglieder des Europäischen Stahlverbandes (Eurofer) die Einfuhr verschiedener Stahlprodukte in einem Monitoring-Verfahren und bewerten Volumen und Preise.

 
metallbau: Wie hat sich der Markt der Stahlproduktion im Allgemeinen in den vergangenen drei Jahren verändert?

Sengupta: Besonders kennzeichnend sind die Überkapazitäten, von denen der Stahlsektor in Europa gekennzeichnet ist. Zusätzlicher Druck entstand durch hohe chinesische Exporte, die sich negativ auf die Preise ausgewirkt haben, bis Handelsschutzmaßnahmen den Aufbau fairer Wettbewerbsbedingungen unterstützten.

metallbau: Die Mitarbeiterzahlen von ArcelorMittal sind weltweit rückläufig, wird dieser Trend anhalten?

Sengupta: Wir haben die Konzernstrategie Action 2020, mit der wir uns seit 2015 darauf konzentrieren, das EBITDA und den freien Cashflow bis 2020 zu stärken. Außerdem wollen wir den Stahlversand um fünf Millionen Tonnen erhöhen. Dies geht einher mit einer Steigerung der Effizienz in der Verwaltung, der Vollauslastung unserer Produktionsanlagen und einem stärkeren Fokus auf Produkte mit hoher Wertschöpfung.


metallbau: Inwiefern hängt der Stahlindustrie die Entwicklung von 2009 noch nach?

Sengupta: Durch die globale Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf die Stahlindustrie haben wir vor allem gelernt, wie wichtig es ist, den sich ändernden Rahmenbedingungen offen zu begegnen. Exzellenz in Produkten, Technologien und Kundenservice sind entscheidend, damit wir als Marktführer auch in Zukunft Bestand haben können.


metallbau: Wie beurteilen Sie die Preisentwicklung von Stahl?

Sengupta: Nachdem wir 2015 sehr niedrige Preise hatten, verbunden mit niedrigen Margen, die bis in 2016 durch hohe Billig-Importe, besonders aus China, weiter unter Druck gerieten, hatten wir in der zweiten Hälfte 2016, auch bedingt durch verschiedene Handelsschutzmaßnahmen, wieder eine Preiserholung, die sich positiv ausgewirkt hat. Die aktuellen Bedingungen sind gut mit positiven Grundlagen und einer guten Nachfrage.


metallbau: Sind die immer weiter steigenden Anforderungen an Nachhaltigkeit nicht ein Klotz am Bein?

Sengupta: Nachhaltigkeit in der Stahlproduktion ist für ArcelorMittal von jeher von großer Bedeutung: Energieeffizienz, klimafreundliche Produktion, aktives Engagement gegenüber unseren Stakeholdern von den Mitarbeitern und Kunden bis hin zur Politik sind enorm wichtig für uns, um im internationalen Wettbewerb auch weiter die Nase vorn zu haben. ArcelorMittal hat selbst eigene Ziele entwickelt, und wir arbeiten weiter daran, diese Ziele ständig zu verfeinern und zu ergänzen.

Nach dem Ranking der worldsteel association steht ArcelorMittal an der Spitze. Weitere in Deutschland bekannte Unternehmen wie die Tata Steel Group sind auf Platz 10, Thyssen Krupp auf Platz 15, voestalpine auf Platz 47 und Salzgitter AG Stahl und Technologie auf Platz 53.

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