BerufsAbitur

ZDH fordert Doppelqualifikation

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert in einem Konzeptpapier die Einführung eines bundesweit einheitlichen „BerufsAbiturs“. Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich und in einigen Ländern der BRD gibt es bereits solche Angebote. Bayern hat die DBFH – die duale Berufsbildung mit Fachhochschulreife kombiniert. Erfahrungen der BMW Group und zweier Auszubildende lesen Sie hierStatements zum BerufsAbitur haben wir von Dieter Hils vom Bundesfachzentrum Metall und Technik in Northeim und von Metallbauunternehmer Jakob Hoffmann eingeholt.

Allein im vergangenen Jahr konnten rund 20.000 Lehrstellen im Handwerk nicht besetzt werden. Zudem benötigen rund 200.000 Betriebsinhaber in den kommenden zehn Jahren einen Nachfolger. „Das sind zwei große Herausforderungen, denen sich das Handwerk stellen muss“, sagt Dr. Volker Born, beim ZDH Abteilungsleiter Berufliche Bildung. Mit dem BerufsAbitur könnten diese Herausforderungen gezielt angegangen werden. „Das BerufsAbitur bietet gegenüber der herkömmlichen gymnasialen Reife den Vorteil, dass sich besonders leistungsstarke Jugendliche für das Handwerk mit Abi entscheiden.“ Dies ebnet den Weg entweder in die berufliche Fortbildung (z.B. Metallbaumeister) oder in Richtung akademische Bildung (Bachelor).
Laut ZDH wählen deutschlandweit mehr als 54 % der Jugendlichen mittlerweile ein Abitur mit anschließendem Studium. Die Folge: Überlastete Universitäten sowie eine hohe Zahl an Studienabbrechern ohne Abschluss auf der einen Seite. Auf der anderen Seite unbesetzte Ausbildungsplätze. Dieser Schere in der bildungspolitischen Entwicklung muss entgegengewirkt werden. Denn nicht nur im Handwerk ist die Situation dramatisch, sondern auch an den Hochschulen und Universitäten. Born verweist auf die rund 17.000 Bachelor- und Masterstudiengänge, ein Angebot, das viele Jugendliche in der Orientierungsphase überfordert. „Bereits in den Schulen muss unbedingt Transparenz geschaffen und demonstriert werden, dass auch das Handwerk sehr gute Karrierechancen bietet.“

Auf einer Stufe: BerufsAbitur und Gymnasium

Dem ZDH schwebt vor, das BerufsAbitur bei den Berufsschulen anzusiedeln. „Praxisnahe Bildung sollte den gleichen Stellenwert erhalten wie wissenschaftliche Qualifikationen. Sprich, wir brauchen eine gleichrangige berufliche und akademische Bildung“, betont Born.
Gefordert ist ein bundesweit einheitliches Konzept, bei dem zusätzlich zu den berufsorientierten Fächern auch Betriebswirtschaftslehre und Management gelehrt werden. In einzelnen Bundesländern gibt es bereits die Möglichkeiten zum Abi mit Lehre.
Sachsen bietet im Modellversuch nach der Realschule die Duale Berufsausbildung mit Abitur (DuBAS). Innerhalb von vier Jahren werden dort die praktische Ausbildung im Ausbildungsbetrieb und der schulische Teil am Beruflichen Gymnasium und an der Berufsschule kombiniert. Bayern hat die DBFH – die duale Berufsbildung mit Fachhochschulreife. Die DBFH-Ausbildung ist verkürzt auf 2,5 Jahre Ausbildungszeit. Im Anschluss daran erfolgt für sechs Monate der Besuch einer Fachoberschule in Vollzeit mit der Fachabiturprüfung. DBFH-Klassen sind in Bayern an diversen Standorten in folgenden Ausbildungsberufen eingerichtet: Elektrotechnische Berufe, Metallberufe und Kaufmännische Berufe. Voraussetzungen für die Aufnahme in den Bildungsgang DBFH sind:

  • ein Ausbildungsvertrag mit einer an der DBFH beteiligten Firma
  • gute Leistungen bei der Mittleren Reife: In den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik muss mindestens die Note „befriedigend“ erreicht worden sein.

Seit acht Jahren bietet die Städtische Berufsschule für Fahrzeug- und Luftfahrttechnik München eigene DBFH-Klassen an. Laut Joe Lammers, stellvertretender Schulleiter, erzielen diese Azubis im Schnitt wesentlich bessere Ergebnisse, als reine Fachoberschüler, ein Trend, den auch das Bayerische Kultusministerium bestätigt. Allerdings bietet eher die Industrie DBFH-Ausbildungsplätze an, so Wolfgang Keil, Direktor der Städtischen. Berufsschule. „Kleinere Handwerksbetriebe sind weniger daran interessiert und wenn, dann sind es eher die Söhne oder Töchter, die diesen anspruchsvollen Weg wählen, damit sie später mal die Firma übernehmen können“, ergänzt Lammers.
Voraussetzung für diese Doppelbelastung ist jedoch ein guter Realschulabschluss. „Unsere DBFH-Klassen besuchen junge, leistungsstarke Menschen, die vorwiegend vom Land kommen und denen die Anfahrt zum Gymnasium zu weit war, oder Jugendliche, die seitens ihrer Familie kaum Unterstützung für eine höhere Bildung bekamen und nun auf eigene Faust diesen Weg beschreiten“, zeigt Keil auf. Der Schulleiter sieht die DBFH positiv: „Mit dem BerufsAbitur oder dem DBFH bekommt das Handwerk eine andere Wertschätzung in der Gesellschaft. Ein Teil der Absolventen bleibt ja auch im Handwerk, weil es ihnen Spaß macht.“ Und einen Pluspunkt sehen die beiden Pädagogen in dem überdurchschnittlichen Interesse des weiblichen Geschlechts: „Bei der DBFH haben wir im technischen Bereich überdurchschnittlich viele junge Frauen. Allein in dieser Klasse sind es fünf von insgesamt 28 Azubis.“ Wenn es künftig neben DBFH und DuBAS noch weitere 14 länderspezifische Angebote für das AbiPlus gibt, stiftet dies in erster Linie Verwirrung. Um Transparenz und Orientierung für junge Menschen zu schaffen, favorisiert der ZDH ein bundesweit einheitliches Angebot mit drei Säulen: Erstens ein Ausbildungsvertrag mit einem Betrieb, zweitens der Besuch der Berufsschule und drittens der Abi-Qualifikation. Alle drei Säulen sollten in Konzept und Inhalt auf den Ausbildungsberuf abgestimmt sein, so Born. Ob die Mittlere Reife als Zulassungsvoraussetzung gelten sollte oder dieses BerufsAbitur auch mit einem Mittleren Schulabschluss gemacht werden kann, in diesem Punkt hat sich der ZDH noch nicht festgelegt. „Wir wollen dieses BerufsAbitur gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz erreichen“, verdeutlicht der Ausbildungsleiter. Erste konstruktive Gespräche mit der Kultusministerkonferenz hat es bereits gegeben, ein konkreter Zeitplan steht noch nicht fest.
Professor Dr.-Ing. Jörg Ansorge von der Hochschule München begrüßt ein durchlässigeres Schulsystem. „Es gibt durchaus viele junge Menschen, die diesen Biss haben und so zielstrebig sind. Das habe ich schon bei Studenten, die entweder die DBFH oder das Duale/Verbund Studium absolvierten, gemerkt.“ Der Professor, Fachgebiet Stahlbau und Stabilität, gibt allerdings zu bedenken, dass für die Aufnahme eines technischen Studiums gewisse Anforderungen in den MINT-Fächern erfüllt werden müssen. „Ob das bei einem Hauptschulabschluss so ohne Weiteres möglich ist, bin ich mir nicht sicher. Das schaffen vielleicht nur die, die sehr selbständig lernen können, Durchhaltevermögen zeigen und zielstrebig sind, um gegebenenfalls den fehlenden Stoff nachzulernen.“ Deshalb wird – auch für Gymnasiasten – ein einwöchiger Vorkurs Mathematik / Geometrie / Physik angeboten, um den Kenntnisstand zu prüfen. Denn ohne ein gewisses Grundwissen ist solch ein technisches Studium nicht machbar. „Das sollte man den Jugendlichen, die diesen Weg anstreben, ganz klar sagen und keine falschen Hoffnungen wecken“, betont der Hochschullehrer.

Berufsmaturität in der Schweiz

Die Regeln für die Berufsmaturität (BM) sind in der Schweiz für alle Kantone gleich. Gesetzlich verankert wurde die BM 1980. Voraussetzung für die BM ist der erfolgreiche Abschluss der 9. Klasse. Wer dann einen Ausbildungsvertrag in der Tasche und die Aufnahmeprüfung für die BM bestanden hat, kann diesen Weg beschreiten. Die BM dauert zwischen drei und vier Jahren und ist bis auf die Aufnahmeprüfung kostenlos. Für die Betriebe gibt es keine finanzielle Unterstützung.
Roberto Schmidli ist Abteilungsleiter der Berufsmaturitätsschule des Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrums St. Gallen in der Schweiz. Rund 5.000 Schüler besuchen das Schulzentrum, das 45 Ausbildungsrichtungen anbietet, unter anderem auch Ausbildungszweige für Metallbau. 130 Lernende (Schweizer Begriff für Auszubildende) absolvieren derzeit die BM während der Ausbildung.
Das Angebot ist vor allem interessant für junge Menschen, die ehrgeizig sowie motiviert sind, und ein gewisses intellektuelles Niveau haben. Außerdem ist es eine Chance für einseitig Begabte. „Rund zwei Drittel aller Schüler am Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum St. Gallen entscheiden sich für Lehre und Matura gleichzeitig“, weiß Schmidli.

Aufnahmeprüfung und Allgemeinbildung

Als wichtiges Auswahlverfahren, um die BM erfolgreich zu absolvieren, sieht Beat Deola die vorgeschaltete Aufnahmeprüfung. Wie der Leiter der Berufsmaturitätsschule – einer Abteilung der Berufsbildungsschule Winterthur – mitteilt, haben rund 60 % diese anspruchsvolle Prüfung im vergangenen Jahr bestanden. „Wer die Prüfung schafft, hat meist das nötige Rüstzeug“, so Deola. Von den rund 4.800 Schülern an der Berufsbildungsschule machen in diesem Jahr 510 die Lehre mit Berufsmaturität.
Deola weiß auch, dass manche Betriebe befürchten, dass ihre Azubis nach der Lehre mit BM ein Fachhochschulstudium in einer anderen Branche wählen. „Die Berufsmaturität ist das Herzstück unserer Berufsbildung. Sie öffnet den Jugendlichen mit der vertieften Allgemeinbildung weitere Türen auf ihrem Lebensweg. Davon profitieren alle Betriebe, denn der Wechsel geht ja in alle Richtungen.“
Die Berufsbildung ist für die Ernst Schweizer AG aus Hedingen im Kanton Zürich ein zentrales Thema. Die Schweizer Familien-Aktiengesellschaft beschäftigt in verschiedenen Werken in der Schweiz rund 570 Mitarbeitende. Das Metallbauunternehmen bietet ein umfangreiches Sortiment von Produkten rund ums Bauen an. Der Betrieb beschäftigt derzeit 45 Lernende in zehn Ausbildungsberufen, darunter Metallbauer sowie Metallbaukonstrukteure. Als Leiter der Berufsausbildung hat Xavier Nietlisbach zwölf Jugendliche betreut, die die Berufsmaturität gewählt hatten. Für ihn ist die Berufsmaturität eine Erfolgsgeschichte und ein Angebot, das er nicht mehr missen möchte. „Als guter Eignungstest hat sich die obligatorische Schnupperlehre erwiesen“, so Nietlisbach.

Zusätzliche Fehlzeiten

Zwar fehlen die Jugendlichen mit BM bis zu einen Tag mehr im Unternehmen, aber das sieht Nietlisbach weniger problematisch: „Für die Berufsmaturität entscheiden sich die Leistungsstärksten. Sie kompensieren die Fehlzeiten. Das heißt, sie sind nicht teurer als andere Lernende, sondern nur mehr absent. Außerdem haben wir als Firma auch eine gesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen wollen.“
Aufgrund der höheren Anforderungen an die Jugendlichen bei der BM sieht Nietlisbach auch Unternehmen gefordert, sich intensiv um die Azubis zu kümmern. Die Berufsmaturität hat seiner Meinung nach eindeutige Vorteile für die Wirtschaft. „Wenn wir den Trend zum Gymnasium nicht bremsen, haben wir in zehn Jahren ein volkswirtschaftliches Problem. Denn wir brauchen nicht nur Theoretiker, sondern auch Ingenieure mit handwerklicher Grundausbildung. Hier muss ein Gleichgewicht herrschen. Zudem haben sich die Anforderungen an die Handwerksberufe stark verändert. Selbst ein Beruf wie z.B. Metallbaukonstrukteur ist heute sehr anspruchsvoll.“ Dass nach Abschluss der BM viele der Azubis studieren, ist für ihn weniger problematisch: „Wir versuchen diese jungen Menschen während des Studiums weiterhin an unseren Betrieb zu binden.“ Mittlerweile machen bereits 25 % der Schulabgänger eine Berufsmaturität.
Seit zwölf Jahren bildet das schweizerische Unternehmen Lenzlinger Söhne Lehrlinge mit Berufsmaturität aus. Die Firma mit Sitz in Nänikon/Zürich beschäftigt rund 250 Mitarbeiter und hat ihren Schwerpunkt im Ausbaugewerbe, dazu gehört auch die Sparte Metallbau. Derzeit werden insgesamt sieben Lernende in diesem Bereich ausgebildet. Drei davon machen die Berufsmaturität. Nicole Steiger, Leiterin des Personalwesens, sieht die BM als Investition in die Zukunft, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken: „Wir dürfen nicht nur in einzelnen Betriebskategorien denken, sondern müssen die Berufsmaturität als Chance für die gesamte Branche sehen.“
Schwieriger ist es sicherlich für kleinere Betriebe bis zehn Mitarbeiter, Lernende mit Berufsmaturität auch für die Zukunft an die Firma zu binden, da es dort deutlich weniger Karrierechancen gibt. Auch die Fehlzeiten sind für kleine Betriebe nicht so leicht in der Betriebsorganisation zu kompensieren. „Aber meine Erfahrung ist, durch ihre Leistungsfähigkeit kompensieren die Lernenden mit Berufsmaturität die Fehlzeiten zumindest zum Teil“, schildert Steiger.

Gute Allgemeinausbildung

MetallRaum in Bütschwil (Kanton St. Gallen) ist ein typischer Schweizer Familienbetrieb mit fünf Angestellten. Seit zwei Jahren lernt zum ersten Mal ein Lehrling in seinem Betrieb den Beruf des Metallbauers, gekoppelt mit der Berufsmaturität. „Im Prinzip bin ich für eine gute Allgemeinausbildung. Das hat heutzutage einen hohen Stellenwert und ist auch im technischen Handwerk sehr wichtig“, so der Geschäftsführer Hansjörg Hasler. Allerdings sieht er – insbesondere für kleinere Betriebe – ein gewisses Defizit bei der Praxisausbildung: „Lehrlinge, die die Berufsmaturität bei uns in der Schweiz machen, fehlen gegenüber den regulären Lehrlingen rund 25 % der Zeit mehr im Betrieb. Das ist nicht so leicht nachzuholen. Gerade in der Praxis braucht es einfach viel Übung. Man sollte die Arbeitsaufträge immer von Anfang bis Ende begleiten können. Das ist jedoch gar nicht so einfach, wenn der Lehrling nur an drei Tagen in der Woche im Betrieb präsent ist. Theorie kann man auch zuhause lernen, die Praxis nicht.“ Oft muss er dann Arbeitsabläufe umorganisieren, das gestaltet sich manchmal kompliziert. „Vor allem bei interessanten Arbeiten ist es für unseren Lehrling mit Berufsmaturität schwierig, von Anfang bis Ende dabei zu sein“, weiß Hasler. „Solch einen organisatorischen Aufwand für die Berufsmaturität zu betreiben, das muss man sich als kleinerer Handwerksbetrieb schon genau überlegen, ob dies Sinn macht, außer man möchte gezielt eine Führungskraft für seinen Betrieb gewinnen.“
Silvan Ramsauer hat gerade das zweite Lehrjahr als Metallbauer in Kombination mit der BM beim Schweizer Familienunternehmen MetallRaum hinter sich. Der 18-Jährige sieht die Berufsmaturität als Sprungbrett für seine Karriere. Die Volksschule beendete er mit einer guten Note und startete mit der BM direkt nach Abschluss der 9. Klasse. Ihm gefällt die gekoppelte Ausbildung im Betrieb. Die Doppelbelastung empfindet er nicht als stressig.
Rund 70 % der Studenten der Hochschule Luzern, Technik & Architektur haben die Berufsmaturität absolviert. Prof. Urs Rieder, Vizedirektor der Hochschule Luzern, führt dies auf die hohen Ansprüche dieses Berufsweges zurück. „Die obligatorische Aufnahmeprüfung für die BM und die Berufsmaturaprüfung schaffen nur die Besten, und die haben die nötigen Voraussetzungen für ein Studium“, so Rieder. In vielen Fällen sind diese sogar erfolgreicher als Studenten, die den rein gymnasialen Weg zur Maturität gewählt haben. Auch gibt es hier weniger Studienabbrecher. „Aufgrund ihrer vierjährigen Berufsausbildung bringen diese jungen Menschen Praxiserfahrung mit und sind oft reifer. Und die geringeren Kenntnisse in Mathe und Physik der Absolventen der BM gegenüber dem herkömmlichen Abitur sind auch kein Problem. Das holen sie aufgrund ihrer hohen Disziplin und Leistungsbereitschaft gut auf“, so Prof. Rieder.

Berufsmatura in Österreich

In Österreich ist die Berufsmatura von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich organisiert. In Kärnten dauert die Ausbildung bei den Metallbauberufen mit Matura (vergleichbar mit dem deutschen Abitur) vier Jahre. Die Ausbildung ist kostenlos. Im Ausbildungsberuf werden die Fächer Deutsch, Mathe, Englisch sowie das berufsbezogene Fach geprüft.
Voraussetzung für die Berufsmatura ist die Pflichtschulzeit (9 Jahre) und ein Lehrvertrag. Die gesamte Maturaschulausbildung umfasst 900 Stunden und zusätzlich 125 Stunden Persönlichkeitsbildung. Während der vierjährigen Ausbildung sind die Auszubildenden 125 Tage weniger im Betrieb. Die österreichische Wirtschaftskammer entschädigt die Betriebe für diese zusätzlichen Fehlzeiten finanziell. Das Land Kärnten bietet zusätzlich weitere finanzielle Unterstützung. Die letzte Teilprüfung zur Matura kann erst nach erfolgreich abgeschlossener Lehre abgelegt werden. Danach können die Absolventen sowohl an Unis als auch an den Fachhochschulen studieren.
Sehr erfolgreich mit der Berufsmatura ist die Fachberufsschule Wolfsberg (Kärnten). Sie verfügt neben anderen Fachrichtungen über ein Kompetenzzentrum für Metallberufe. Seit 2008 wird dort die Berufsmatura angeboten. „Zwei Abschlüsse in vier Jahren. Diese duale Berufsbildung bietet ausgezeichnete Karrierechancen“, sagt Norbert Aichholzer, Direktor der Fachberufsschule Wolfsberg, die derzeit 108 Lehrlinge mit Berufsmatura ausbildet.
Er sieht die österreichische Berufsmatura als mehrfache Win-Win-Situation: „Erstens profitieren die Betriebe davon. Kärnten ist eine sehr starke Region im Metallbau, da müssen wir etwas gegen den Fachkräftemangel tun.“ Zweitens haben die Jugendlichen schon in jungen Jahren ihr eigenes Einkommen. Drittens führt dies auch zu einer deutlichen Entlastung der Sozialkassen. „Diese jungen Menschen zahlen bereits mit 15 Jahren in die Rentenkasse. Angesichts des demografischen Wandels ein nicht zu unterschätzender Faktor“, so Aichholzer. Und viertens: „Selbst wenn die Doppelbelastung Lehre und Matura zu hoch ist, kann die Lehre normal beendet werden. Es wird niemand arbeitslos, und es wird keine Zeit verloren, wie z.B. bei Gymnasiasten oder Studienabbrechern, die dann eventuell ohne Lehrstelle dastehen.“

Coaching und intensive Betreuung

Aichholzer hat die Zeichen der Zeit früh erkannt und intensiv bei den Unternehmen, aber auch in den Schulen für diese Doppelqualifikation geworben: „Wir haben die Betriebe und Schulen schon vor Jahren sehr stark für das Thema sensibilisiert.“ Mittlerweile wählen bereits sechs Prozent der Lehrlinge die Lehre mit Matura, in Kärnten sind es neun Prozent. Der Direktor führt den Erfolg auf die intensive Betreuung der Auszubildenden zurück: „Wir haben nicht nur sehr moderne Lehrwerkstätten, sondern unterstützen und coachen unsere Lehrlinge auch.“ Allerdings bestätigt Aichholzer, dass wirklich nur die Besten diese Doppelbelastung meistern würden. „Doch 95 Prozent aller Berufsmatura-Lehrlinge, die das erste halbe Jahr überstehen, kommen dann auch zum Abschluss“, weiß der Direktor. Und – die Investition würde sich auch für die Branche rechnen, so Aichholzer: „Denn die meisten bleiben trotz Studium in ihrem Fachbereich.“
Die Firma Metallbau Wilhelmer Projekt zählt zu den Vorreitern. Seit fünf Jahren bildet der Familienbetrieb in Oberkärnten Lehrlinge mit dieser Zusatzqualifikation aus. Derzeit absolvieren von acht drei die Doppelqualifikation Lehre und Matura.
Wilhelmer hat ein eigenes Modell für seine Auszubildenden: „Unsere Lehrlinge, egal ob mit oder ohne Matura, machen immer ein komplettes Projekt, von der Skizze über das Angebot, Kalkulation bis zur Fertigung. So lernen sie wirtschaftliches Denken und die betrieblichen Prozessabläufe kennen.“ Das gefalle vor allem den Azubis mit Berufsmatura. „Die sind besonders motiviert. Sie haben eine andere Einstellung zum Lernen. Sie sind mit Freude dabei und wissbegierig. Die haben ein Ziel und sind oft sehr starke Persönlichkeiten“, weiß der Bauingenieur.
Ein Problem sieht er allerdings. „Unser Firmensitz ist im Nationalpark Hohe Tauern. Wenn unsere jungen Leute dann ihre Berufsausbildung samt Matura haben, gehen sie in die Großstädte zum Studieren und kehren dann oftmals nicht mehr zurück.“
Fabian Wilhelmer hat soeben seine Lehre mit Matura bei Wilhelmer Metallbau Projekt erfolgreich absolviert. Nach neun Jahren Volks- und Hauptschule besuchte er zuerst für drei Jahre die Landwirtschaftliche Fachschule in Lienz, die er mit einer Facharbeiterlehre abschloss. „Mir war jedoch der Bildungsstandard in der Landwirtschaftlichen Fachschule zu niedrig. Zudem braucht man heutzutage für fast alles Matura“, schildert der 21-Jährige seine Beweggründe für seine zweite Ausbildung zum Metallbauer und Blechtechniker: „Ich fehle pro Woche ungefähr einen Tag mehr als die anderen Lehrlinge ohne Matura. Manchmal ist das schon etwas problematisch für den Werkstattleiter. Da kann es dann schon passieren, dass andere meine Aufgaben fortführen müssen“, so Fabian Wilhelmer.
Die Theorie für die Matura bereitet dem 21-Jährigen keine Probleme. „Wichtig ist, dass man am Lernen dranbleibt, gerade während man im Betrieb ist. Im Schnitt sind das drei Stunden pro Woche.“ Auch wenn Fabian sein jetziger Beruf Spaß macht, sieht er seine Zukunft doch eher bei seiner Berufung, der Musik. „Musik ist meine Leidenschaft, und vermutlich werde ich das auch studieren.“⇥

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