Henninger Turm in Frankfurt/M
Je höher die Luft, umso teurer der QuadratmeterFluglärm, Wind und Logistik – das waren für die Fassadenbauer aus dem Allgäu nur einige große Herausforderungen bei der Realisierung der Gebäudehülle des Henninger Turms in Frankfurt am Main.
Auf dem ehemaligen Gelände der Brauerei Henninger entstand in Frankfurt-Sachsenhausen nach den Plänen der Architekten Meixner Schlüter Wendt der Henninger Turm – ein 140 Meter hohes Wohngebäude mit Restaurant und Gewerbeflächen. Seine Kubatur aus Turm mit einem aufgesetzten Zylinder erinnert an seinen Vorgänger-Bau, der einst an dieser Stelle stand und als Wahrzeichen der Stadt galt. Der ursprüngliche Henninger Turm war mit 120 Metern Höhe in den 1960er-Jahren eine Zeit lang das höchste Hochhaus in Frankfurt am Main. Es ragte über ein halbes Jahrhundert aus dem Stadtteil Sachsenhausen heraus. Fertiggestellt wurde die „alte graue Dame“ – wie man den Turm nannte – 1961 nach den Plänen von Karl Emil Lieser. Der ehemalige Getreidesilo für die Henninger-Bräu AG wurde mit seinem Drehrestaurant zum Wahrzeichen und beliebten Ausflugsziel. Bereits in den 1980er-Jahren wurde der Zugang aus Sicherheitsgründen gesperrt. Und das sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Die Brauerei wechselte mehrmals den Eigentümer und nach und nach wurde das alte Brauereigelände abgebaut. 2006 fiel der letzte Schornstein der Brauerei, 2013 wurde der Turm bis auf den Grund rückgebaut.
Die Gesellschaft Actris Henninger Turm aus Mannheim erwarb zuletzt das Areal und realisierte Ende 2017 den neuen Turm mit 150 hochwertig ausgestatteten Wohnungen. Mit seiner Höhe von 140 Metern zählt er heute zu den höchsten Wohnhäusern Deutschlands. Im Sockelbau befinden sich ein Nahversorgungszentrum mit Geschäften, einer Apotheke sowie einem Fitnessstudio. Ein neu gestaltetes „Bierfass“ mit Aussichtsplattform und Restaurant sitzt auf dem Wohnturm, heute allerdings ohne Drehfunktion.
Die Gebäudehülle
Die Architekten Claudia Meixner, Florian Schlüter und Martin Wendt entwarfen eine ganz individuelle Gebäudehülle, für die Sonderkonstruktionen nötig waren. Die Fassade wird gerne als „Pixelfassade“ bezeichnet, was aus der heterogenen Gebäudehülle resultiert, die die Vielfalt der dahinterliegenden Wohnungen widerspiegelt. Sie ist ein Nebeneinander aus Lochfenstern und den Fassadenelementen der außenliegenden Wintergärten. Dazwischen wurden die hinterlüfteten Natursteinfassaden mit dem anthrazitfarbenen „Nero Assoluto“ aus Afrika verbaut. Die helle Rückseite von der Nordseite des Turms wurde mit dem kroatischen Kalkstein „Plano“ errichtet. Die vollverglasten Seiten wiederum sorgen für den Pixel-Effekt mit ihren scheinbar chaotisch angelegten Loggien und Balkonen. Aber eben nur scheinbar, denn sehr viele Einzelteile wurden ganz individuell für jede Wohnung entworfen. Die Vielfalt der Wohnungstypen zeichnet sich im Fassadenbild entsprechend ab. Und dann gibt es da noch das Fass – so nennen alle Baubeteiligten den auf den Turm aufgesetzten Zylinder, der im ursprünglichen Bauwerk von Karl Emil Liesen als Kornspeicher diente. Diesen umhüllt eine Elementfassade, die mit gerundeten Gläsern ebenfalls voll verglast ist.
Der Fassadenbau
Verantwortlich für den kompletten Fassadenbau, also für alles, was man von außen sieht, zeichnete der Stahl-, Metall- und Fassadenbauer Rupert App aus dem baden-württembergischen Leutkirch. App hat in seinem Portfolio zwar schon ganz berühmte Referenzen verzeichnet wie das Porsche Museum, das Bundeskanzleramt oder das Zoofenster Waldorf Astoria Hotel in Berlin, allerdings war keines davon so groß wie das Projekt Henninger Turm mit rund 45 Mio. Euro Auftragssumme. Insgesamt gingen fünf Bauleiter und rund 40 bis 60 Monteure für die Allgäuer ins Rennen, darunter Oberbauleiter Werner Dobler sowie Projektleiter Bernd Maurus. Beide haben schon ihre Techniker-Ausbildung bei App absolviert und sind inzwischen seit fast 40 Jahren im Team der Allgäuer, die insgesamt rund 300 Mitarbeiter zählen.
Schnittstellen, Wind, Schallschutz
Bei einem Projekt dieser Größenordnung sind auch die Herausforderungen groß und zahlreich: Für Maurus lag die größte darin, als Generalunternehmer Fassade alle Nachunternehmer im Blick zu haben und die Schnittstellen zu koordinieren. „Unsere Verantwortung reichte bis zur Montage der Natursteinplatten, der Wärmedämmung, aller Abdichtungen, Verkleidungen und Pflasterbelägen auf den Balkonen“, sagt Maurus. Sein Kollege Werner Dobler ergänzt: „Wir hatten es nicht mit einer Einheitsfassade zu tun. Alle Fenster beispielsweise wurden eigens für den Turm bei uns im Werk hergestellt. Hinzu kam, dass uns die Architekten kaum Toleranzspielräume gelassen haben. Alles musste exakt sitzen. Das war Millimeterarbeit.“
Aber auch die Architekten waren im Vorfeld stark gefordert, besonders im Hinblick auf den Schallschutz. Das Grundstück liegt Luftlinie nur etwa zehn Kilometer vom Frankfurter Flughafen entfernt. Dort starten und landen jährlich an die 500.000 Flugzeuge, die viel Lärm verursachen. Für Luxuswohnungen ist dieser Lärm natürlich nicht zuträglich und so entwickelten die Fassadenbauer eine Spezialkonstruktion für ein elektrisch angetriebenes Parallelausstellfenster aus 3-Scheiben-Verglasungen mit Dichtungen aus aufgeschäumtem Neopren, der auch im geöffneten Zustand der Fenster einen hohen Schallschutz gewährt. App entwickelte hierfür eine neue Konstruktion mit komplizierten Sicherheitsmechanismen, die potenzielle Unfälle vermeiden soll.
Turm spezial
Eine Turm-Fassade stellt die Verantwortlichen schon vor besondere Herausforderungen: mit Wind und Transportlogistik sind nur zwei davon genannt. „Für den Transport aller Fassadenteile haben wir Klettermastbühnen genutzt. Je weiter es nach oben ging, umso schwieriger wurde der Transport, da wir alles von außen montieren mussten“, sagt Maurus. Weiter mussten die Bauleiter stets den Wind im Auge behalten. Denn mit ihrer Größe von etwa zwei bis dreieinhalb Metern sind die Fenster schon am Limit für solche Montagen in bis zu 140 Metern Höhe angekommen, wo der Wind stark bläst.
Glas
Bei der praktischen Umsetzung des Entwurfs galt es, den besonders hohen Anforderungen an Glasproduktion und Herstellung der insgesamt 5.130 einzelnen Elemente sowie deren Montage am Gebäude gerecht zu werden. Die planen Scheiben für den Turm wurden in Radeburg gefertigt. Sie weisen viele verschiedene Formate und Glastypen auf und erfüllen alle Anforderungen bezüglich Absturzsicherung, Sonnen-, Wärme- und Schallschutz. Der Sonnenschutz wird im Sockel mit außenliegenden Blenden unterstützt, in den Wohnungen mit innenliegenden Verosol-Stoffen.
Um die Glasqualität der gebogenen Fenster für das Fass zu definieren, begutachteten Architekten, Bauherrenschaft, Fassadenplaner und Metallunternehmer gemeinsam 1:1-Referenzmuster beim Verarbeiter in Berlin. Dabei legten die Projektverantwortlichen höchsten Wert auf eine brillante Optik und verzerrungsfreie Durchsicht der Isoliergläser.
Man einigte sich auf eine Glasspezifikation aus Dreifach-Isolierglas mit Mehrscheiben VSG-Float-Kombinationen. Zum Einsatz kamen zylindrisch gebogene Gläser. Sie wurden beim Fassadenkonstrukteur vormontiert, teilweise im Structural-Glazing-Verfahren verklebt und dann als Fertigelemente mit teils 500 Kilogramm Gewicht auf der Baustelle per Kran eingehängt, von Hand ausgerichtet und montiert.
Ausblick
Nach 16 Monaten Fassadenbau sind heute nur noch ein paar wenige Restarbeiten zu erledigen. Auf dem Gelände selbst wird derzeit noch richtig viel gebaut. Im Sinne der städtischen Nachverdichtung stellt der Henninger Turm nur einen Baustein unter vielen dar. Daneben entstehen derzeit mehrere fünfgeschossige Stadtvillen mit 110 Wohneinheiten. Dort zu wohnen, ist allerdings nicht günstig, denn im Durchschnitt müssen künftige Eigentümer 5.500 Euro für den Quadratmeter hinlegen. Im Turm selbst liegt der Durchschnitt bei schwindelerregenden 6.500 Euro pro Quadratmeter. Dabei gilt, je höher desto teurer.
Die Aussichtsplattform ist für die Besucher des Panoramarestaurants geöffnet, sie können ihren Blick von der neuen Landmarke aus über die Stadt schweifen lassen. Im Ranking der Frankfurter Hochhäuser steht der Turm an 18. Stelle, die Frankfurter verbinden mit dem Neubau ein traditionelles Wahrzeichen für das Stadtbild.
Infos & Kontakt
Rupert App GmbH & Co.
Stahl- und Metallbau, Werk 2
Unterzeiler Weg 3
88299 Leutkirch
Telefon +49 75 61 827-160
Bautafel
Objekt: Überbauung Henninger Turm, Frankfurt am Main
Standort: Hainer Weg 56-80, 60599 Frankfurt am Main
Bauherr: Actris Henninger Turm GmbH & Co. KG, Mannheim
Architektur: Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt am Main
Fassadenplanung: IFFT Institut für Fassadentechnik Frankfurt GmbH, Frankfurt am Main
Fassade: Rupert App GmbH + Co., Leutkirch
Glas: Saint-Gobain Building Glass Europe, Aachen
Fenster und Aluminium: Wicona, Ulm
Blendschutz: Henningsen GmbH & Co. KG, Altenholz
Befahranlage: Wahlefeld Fassadenaufzugstechnik
Naturstein: Hofmann Naturstein GmbH & Co. KG, Werbach
Fertigstellung: 2017