Baurecht

Produktauswahl

Streitfall gleichwertig oder nicht

Grundsätzlich ist es öffentlichen Auftraggebern bei der Vergabe von Bauaufträgen untersagt, bestimmte Produkte vorzugeben. Trotzdem finden sich in Leistungsbeschreibungen, insbesondere im Baubereich, immer wieder Produktvorgaben. Häufig werden diese Produktvorgaben mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ verknüpft, was den Bietern die Möglichkeit eröffnen soll, von der Vorgabe abweichende Produkte anzubieten. 

leider kommt es bei den Produktvorgaben im Kontext der Frage der Gleichwertigkeit immer wieder zu Streitigkeiten zwischen öffentlichen Auftraggebern und Bietern. Der nachfolgende Beitrag soll dem Leser anhand einschlägiger Rechtsprechung verdeutlichen, wann der Zusatz überhaupt verwendet werden darf, was er bedeutet und welche Anforderungen darüber hinaus an diesen Zusatz und auch an die Bieter, die ein gleichwertiges Produkt anbieten wollen, gestellt werden.

Grundsatz und Ausnahme

Zunächst möchten wir noch einmal die Rechtslage in Erinnerung rufen. Wie bereits in unserem Beitrag in der Ausgabe vom Oktober 2020 dargestellt, können öffentliche Auftraggeber innerhalb gewisser Grenzen frei entscheiden, was sie beschaffen. Eine Grenze bildet der Grundsatz der Produktneutralität. Danach darf in einer Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Unternehmen bereitgestellten Produkte charakterisiert, oder auf Marken, Patente, Typen oder einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmer oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden (vgl. § 7 Abs. 2 VOB/A). Ausnahmsweise darf, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann, ein Produkt vorgegeben werden, wenn es mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen wird. Genau an dieser Stelle entstehen jedoch immer wieder Streitigkeiten zwischen öffentlichen Auftraggebern und Bietern.

Zulässigkeit der Produktvorgabe mit Zusatz

Zulässig ist eine Produktvorgabe mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ nur dann, wenn eine hinreichend genaue, allgemein verständliche Beschreibung des Auftragsgegenstandes durch verkehrsübliche Bezeichnungen nicht möglich ist.

Insbesondere im Bereich der Optik ist es denkbar, dass der Auftragsgegenstand genauer und verständlicher durch Nennung eines bestimmten Fabrikats beschrieben werden kann. So hat die VK Bund am 29.01.2018 (Az.: VK 2-160/17)  beschlossen, dass Schreibtische aufgrund vielfältiger farblicher Nuancierungen nicht allein durch die Bezugnahme auf bestimmte Dekor-Typen wie „Kirschbaum“ oder „Ahorn“ beschrieben werden können. Die VK sah es daher als zulässig an, Referenz- bzw. Leitdekore bestimmter Holzwerkstoffhersteller zu benennen, an denen sich die Bieter orientieren konnten.

Das OLG Düsseldorf hat am 09.01.2013 (Az.: VII-Verg 33/12) die Vorgabe eines Leitfabrikats im Zusammenhang mit der Fassadengestaltung zugelassen. Begründet wurde dies damit, dass die vom Auftraggeber gewünschte Optik der Fassade auch unter Verweis auf DIN- und ISO-Normen nicht verbal beschrieben werden konnte, weshalb die Vorgabe eines die gewünschte Optik widerspiegelnden Leitfabrikats zulässig ist.

Auch im Zusammenhang mit der Technik ist es denkbar, dass eine hinreichend genaue Beschreibung des Auftragsgegenstandes nicht möglich ist. Bejaht wurde dies zum Beispiel bei modularen Gerätesystemen für eine Berufsschule. Beschafft werden sollten hier anspruchsvolle Tischsysteme mit modularen Gerätesystemen für zwei Elektrolabore. Die VK Baden-Württemberg nahm gemäß ihrem Beschluss vom 29.01.2015 (Az.: 1 VK 59/14) an, dass eine hinreichend genaue Beschreibung nicht möglich ist und dass die Vorgabe eines Leitfabrikats daher zulässig ist.

Nicht zulässig ist die Vorgabe eines Leitfabrikats mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ im Umkehrschluss bei standardisierten Bauteilen oder Stoffen. So hat es auch die VK Thüringen am 06.06.2017 (Az.: 250-4002-4513/2017-N-008-NDH) für den Leuchtentyp für Straßenbeleuchtung entschieden.

In diesem Zusammenhang sei der Hinweis erlaubt, dass Bieter, die der Auffassung sind, dass die Vorgabe des Leitfabrikats mit Zusatz unzulässig ist, dies bis zum Ablauf der Angebotsfrist rügen sollten. Andernfalls werden die Vorgaben in der Leistungsbeschreibung, die gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung verstoßen, nach einer Entscheidung des OLG Koblenz vom 07.11.2007 (Az.: 1 Verg 6/07) als (fingiert) vergaberechtskonform anzusehen.

Bedeutung der Produktvorgabe mit Zusatz

Ist die Vorgabe des Leitfabrikats als zulässig einzustufen, stellt sich die Frage, was das für den Bieter bedeutet. Sowohl die VK Thüringen als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf haben entschieden, dass Gleichwertigkeit nicht vollkommene Gleichheit bedeutet (vgl. VK Thüringen Beschluss vom 21.11.2019, Aktenzeichen 250-4003-15123/2019-E-021-EF; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013, Aktenzeichen Verg 33/12). Das heißt, dass eine vollständige Identität in allen Beschaffenheitsmerkmalen nicht erforderlich ist. Vielmehr bedeutet Gleichwertigkeit, dass sich die Produkte in ihrer Beschaffenheit ähneln müssen. Mithin können Produkte anderer Hersteller grundsätzlich auch dann gleichwertig sein, wenn sie in ihren Beschaffenheitsmerkmalen von denen der in die Leistungsbeschreibung aufgenommenen Leitfabrikate abweichen.

Dies hat zur Konsequenz, dass es grundsätzlich erforderlich ist, in den Ausschreibungsunterlagen die Parameter für die Gleichwertigkeit festzulegen. Andernfalls kann nur gleichwertig sein, was dem Leitfabrikat exakt entspricht − was den Zusatz „oder gleichwertig“ zunichtemachen würde.

Die VK Thüringen hat hierzu unter dem 21.11.2019 (Az.: 250-4003-15123/2019-E-021-EF) entschieden, dass der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung klar und deutlich anzugeben hat, was er als gleichwertig einstuft. Andernfalls ist der Nachweis der Gleichwertigkeit praktisch unmöglich. Die pauschale Forderung nach Gleichwertigkeit bezüglich der hier ausgeschriebenen Lieferung von Büromöbeln genügt nach Auffassung der VK Thüringen folglich nicht. Vielmehr wäre es Aufgabe des Auftraggebers gewesen, zu den in der Leistungsbeschreibung angegebenen Maßen, Konstruktionen und Materialien anzugeben, inwieweit Abweichungen zulässig sind.

Dies hat die VK Thüringen auch bereits im Jahr 2016 (Beschluss vom 27.05.2016, Az.: 250-4002-4190/2016-N-004-IK) entschieden. Hier fehlte der Hinweis, auf welche Leistungsparameter der Auftragsgegenstände Kunststoffrasen, Toranlage und Drähnrohr sich der Zusatz „oder gleichwertig“ bezieht.

Ebenso hat die VK Nordbayern am 06.07.2016 (Az.: 21.VK-3194-04/16) entschieden. Ausgeschrieben wurden hier unter anderem medizinische Gasentnahmestellen eines bestimmten Typs und Herstellers. Das Leitfabrikat beinhaltete ein vom Rückschlagventil getrenntes Wartungsventil. Es fehlte jedoch an einer Darstellung, was vom Auftraggeber noch als gleichwertig angesehen wird. Daher wurde die von einem Bieter angebotene Gasentnahmestelle, welche kein vom Rückschlagventil getrenntes Wartungsventil beinhaltete, von der VK zu Recht als nicht gleichwertig eingestuft.

Der Entscheidung der VK Sachsen-Anhalt vom 11.04.2017 (Az.: 3 VK LSA 05/17) lässt sich hierzu ergänzend entnehmen, dass es auch nicht ausreicht, dass Maße in der Leistungsbeschreibung mit „in etwa“ oder „circa“ angegeben werden. Hiermit offenbart der Auftraggeber nach Auffassung der VK zwar, dass diese Parameter nicht zwingend eingehalten werden müssen. Es fehlt jedoch an der Angabe, inwieweit Abweichungen als zulässig bzw. gleichwertig angesehen werden.

Konsequenzen auf Bieterseite

Konsequenz der Vorgabe eines Leitfabrikates auf Bieterseite ist, dass sich die Bieter bei der Angebotsabgabe eindeutig festlegen müssen, welches Produkt sie anbieten. Es können mithin nicht mehrere Produkte eingetragen oder bei der Eintragung selbst der Zusatz „oder gleichwertig/oder ähnlich“ aufgenommen werden. Dies hat die VK Sachsen mit Beschluss vom 02.04.2015 (AZ.: 1/SVK/006-15) entschieden. Andernfalls liegt nach Auffassung der VK Sachsen nämlich kein wirksames und damit kein zuschlagsfähiges Angebot vor. Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, dass etwas anderes gilt, wenn kein Produkt angegeben wird. Dann muss der Auftraggeber die Angabe entweder nachfordern oder es wird, wenn die Ausschreibungsunterlagen dies vorsehen, vermutet, dass der Bieter das Leitfabrikat anbieten will.

Darüber hinaus ist Konsequenz der Vorgabe eines Leitfabrikats mit dem Zusatz „oder gleichwertig“, dass die Bieter die Gleichwertigkeit nachweisen müssen. Die VK Münster hat unter dem 26.07.2012 (Az.: VK 17/12) entschieden, dass der Nachweis, der sich auf alle Eigenschaften des Leitfabrikats beziehen muss, grundsätzlich mit dem Angebot vorzulegen ist.

Zusammenfassung

Soweit der Auftragsgegenstand tatsächlich nicht hinreichend genau beschrieben werden kann, ist die Vorgabe eines Leitfabrikates mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu begrüßen. Nur dann ist schließlich eine eindeutige und erschöpfende und damit eine vergabekonforme Leistungsbeschreibung anzunehmen, die außerdem Wettbewerb zwischen verschiedenen Produkten zulässt.

Wann ein Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau beschrieben werden kann, ist im Einzelfall zu prüfen. Es gibt sowohl im Bereich der Optik/Gestaltung als auch im Bereich der Technik immer wieder Fälle, bei denen dies anzunehmen ist. Lediglich bei standardisierten Bauteilen/Stoffen ist dies regelmäßig zu verneinen.

Es ist dann aber auch Aufgabe des Auftraggebers, die Parameter der Gleichwertigkeit zu definieren. Die Bieter sollten, um in die Lage versetzt zu werden, auch tatsächlich gleichwertige Produkte anbieten zu können, Angaben zur Gleichwertigkeit beim öffentlichen Auftraggeber noch vor Angebotsabgabe anfordern, sofern diese nicht vorhanden sind. Andernfalls läuft der Bieter Gefahr, ein Angebot abzugeben, das mangels Gleichwertigkeit zu Recht ausgeschlossen wird.

Die Gleichwertigkeit ist zudem bereits mit Angebotsabgabe nachzuweisen, wobei sich der Nachweis auf alle Eigenschaften des Leitfabrikats beziehen muss.

www.smng.de

Autoren

Rechtsanwalt Prof. Christian Niemöller ist Geschäftsführender Gesellschafter der SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt/Main. Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der umfassenden bau- und immobilienrechtlichen Beratung, ständiger Berater des Verbandes Fenster + Fassade in Frankfurt Main und Lehrbeauftragter an der DHBW Mosbach.

Bianca Mikasch ist Rechtsanwältin für Baurecht und Expertin im Vergaberecht.

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