Rosenheimer-Fenstertage
Prüfung, Praxis, Forschung und GlasIm Fokus des Themenblocks „Prüfung und Praxis“ standen im Fokus Absturzsicherungen mit und ohne Glas, die DIN 18008, die MVV TB für Glaskonstruktionen sowie Vakuum-Isoliergläser. Eines vorweg: Alle Fragen sind hierzu noch nicht geklärt, aber einige wurden von den Experten in Rosenheim beantwortet.
Mehrfach-Isoliergläser werden immer häufiger in bodentiefer Ausführung eingebaut. Im Zuge dessen rückt auch das Thema „Absturzsicherung“ immer mehr in den Fokus von Auftraggebern, Prüfingenieuren und Baubehörden. Alleine eine TRAV-Scheibe einzubauen, genügt längst nicht mehr, denn die hohen Anforderungen beziehen sich auf das ganze Fenster inklusive Rahmenkonstruktion. Professor Benno Eisele von der Technischen Hochschule Rosenheim veranschaulichte in seinem Vortrag die Nachweiskette, die es für statische Anforderungen und Nachweispflichten für das gesamte Fenster mit Glas oder opaker Füllung und Rahmen einzuhalten gilt. Sobald auch nur ein Kettenglied zu schwach dimensioniert ist, versagt die gesamte Konstruktion.
Eisele ging im Vortrag entsprechende Regelwerke durch wie den Eurocode, die ETB-Richtlinie und die DIN 18008-4. Weiter erläuterte er die Unterschiede zwischen statischen Lasten und Stoßlasten. Besonders spannend wurde es, als Eisele ausgewählte Problempunkte vorstellte, gleichzeitig aber eine Lösung präsentierte. Angesprochen wurden Bauteile, die nicht nachweisbar sind, wie Unterbauprofile oder Dämmschichten. Auch ein undefinierter oder nicht genügend tragfähiger Untergrund kann Probleme bereiten, ebenso wie auch formal nicht ausreichende Prüfzeugnisse oder Gutachten. Fazit des Vortrags: Konkrete Lösungen müssen immer objektspezifisch in enger Abstimmung zwischen Statiker und ausführender Firma gefunden werden.
DIN 18008 und Sicherheitsglas
Bei den Fenstertagen hieß es im Block 5 „Glas“, sich der Theorie zu stellen. Professor Christian Schuler von der Hochschule München gab in seinem Vortrag Einblicke in die Gründe der Änderung der DIN 18008 gegenüber der Vorgängerversion. Eine Überarbeitung von Teil 1 und 2 waren aus Sicht des Arbeitsausschusses nach fünfjährigem Jubiläum notwendig. Änderungen betreffen neben kleineren redaktionellen Verbesserungen die Nachweiserleichterung für Mehrscheiben-Isoliergläser für kleinere Glasformate sowie Einschränkungen der Anwendung des ESGs und Neuerungen zum Nachweis der Resttragfähigkeit von VSGs. Weiter zeigte er Möglichkeiten auf, die sich aus den einzelnen Änderungen gegenüber bisherigen Konstruktionen ergeben. Aber nicht nur die DIN-Norm wurde fortgeschrieben und überarbeitet, sondern parallel entwickelte man den Eurocode 11 − Structural Glass, der die DIN 18008 langfristig ersetzen soll. Hier werden in der Nachweisführung Unterschiede erwartet. Dass gerade auch die europäische E (Entwurf) DIN EN 16612 (12-2017) eingeführt werden soll, die sich noch im Entwurfs-Stadium befindet, sorgte in der Branche für Irritationen und es ist nicht verwunderlich, dass von vielen Seiten Einsprüche erhoben werden. Von diesen berichtete Schuler und erläuterte die drei genannten Bemessungsnormen anhand verschiedener Projektbeispiele.
Regelungen der MVV TB für Glaskonstruktionen
Ministerialrat Dr. Hans Schneider von der Obersten Baurechtsbehörde Baden-Württemberg versuchte in seinem Vortrag den Fensterbauern zu vermitteln, wie sich die vom Europäischen Gerichtshof angeordnete Überarbeitung der Musterbauordnung in die Landesbauordnung in Baden-Württemberg gestaltet hat, da dieses Bundesland als erstes die neuen Mustervorschriften in Landesrecht umgesetzt hat. Die Umsetzung steht in verschiedenen Bundesländern noch an. Weiter stellte Schneider anhand von zahlreichen Paragraphen dar, wie die Bauregellisten und die Muster-Liste der Technischen Baubestimmungen durch eine neu zu schaffende Muster-Verwaltungsvorschrift ersetzt worden sind. Ziel des Vortrags war die Erläuterung der grundlegenden rechtlichen Zusammenhänge und die Umsetzung in Landesrecht − auch im Hinblick auf die Bestimmungen für das Bauen mit Glas, das auch von der Änderung des bauaufsichtlichen Systems in Deutschland betroffen ist. Schneider stellte Vollzugshinweise vor, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist das bauaufsichtliche Vorgehen regeln, bis die neuen Musterregelungen in Landesrecht umgesetzt werden. Da hier noch nicht alle Fragen geklärt werden konnten, hat das ift Rosenheim angekündigt, sich um die Begleitung der Umstellung zu kümmern. Dem Vorwort des Institutsleiters Professor Ulrich Sieberath zufolge darf die Branche gespannt sein, in welcher Form das geschehen wird: „Nach wie vor glauben wir an die Kraft harmonisierter Regeln, und dass nur das stetige Austesten von Grenzen und die Herausforderung, das Unmögliche möglich zu machen, uns in einem freien und fairen Wettbewerb weiterbringen.“
Vakuum-Isolierglas
Neben den Vorträgen zur Rechtslage standen auch praxisnahe Themen wie das Vakuumglas auf der Agenda. Lange Zeit galt das Vakuum-Isolierglas (VIG) als das Produkt der Zukunft schlechthin, in der Praxis aber hat sich diese Technologie besonders in Deutschland nicht durchgesetzt. Hier entwickelte man vor allem das Mehrscheiben-Isolierglas (MIG) weiter. Nun ist an dieser Stelle aber ein physikalisch gesetztes Ende der Optimierungsmöglichkeiten absehbar, gleichzeitig verlangt der Markt nach hochwärmedämmenden dünnen Scheiben – speziell, wenn es um Renovierungen geht. Die Möglichkeit, den Luft-/Gaszwischenraum durch ein Vakuum zu ersetzen, bleibt nach wie vor attraktiv. Allerdings setzt der Einsatz besonders die Dauerhaftigkeit des Produkts voraus. Und neben Wärme- oder Schallschutz müssen die VIGs auch Windlasten ausreichend aushalten oder stoßfest sein. Auch weitere Leistungseigenschaften wie Sonnenschutz, Brandschutz und Nutzungssicherheit sind von Interesse. Hierzu liegen aber zum Teil noch nicht genügend Prüfungsergebnisse vor. Was auch mit den VIGs einhergeht, ist die hochaufwändige Integration in eine Fensterrahmen- oder Fassadenkonstruktion. Denn gerade hier entsteht immer wieder Tauwasser am Glasrand, was unbedingt verringert werden muss.
VIG in der Forschung
Mit dieser Thematik befassten sich vom ift Rosenheim Karin Lieb und Konrad Huber und aus der Holzforschung Austria Peter Schober. Dieser stellte das Sondierungsprojekt „MOTIVE“ vor und präsentierte erste Lösungsansätze für die technische Integration von Vakuumglas-Elementen in neue Holz- und Holz-Alufenster. MOTIVE leitet sich übrigens ab von „Modellierung, Optimierung und technische Integration von Vakuumglas“. Die Forscher entwickelten zunächst Konzepte für zukünftige Vakuumglasfenster – zum Teil mit völlig neu gedachten Öffnungs- und Bewegungsrichtungen, die später analysiert und bewertet wurden. Abgeleitet von diesen Ergebnissen wurden erst Handmuster und infolge funktionsfähige Prototypen erstellt. Abschließend entstand ein Mock-up für detaillierte Prüfungen besonders in Bezug auf U-Werte oder thermische Schwachpunkte der Konstruktionen. Schober macht kein Geheimnis daraus, dass er in der Verwendung von Vakuumgläsern große Chancen sieht. „In fünf Jahren sind wir so weit! Dann können Fensterbauer mit solchen Konstruktionen ein Produkt mit Alleinstellungscharakter anbieten. Sie müssen sich nur trauen und solche Fenster bauen! Architekten und Planer fordern diese Technologien längst!“
Um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, zählte Schober alle Vorteile auf. Darunter die Schlankheit der Profile und damit einhergehend ihr geringeres Gewicht. Weiter nannte er höhere Licht- und Energieeinträge sowie neuartige Öffnungsarten und Bewegungsrichtungen. Was dafür nötig sei? Die Weiterentwicklung im Hinblick auf Beschläge, Dichtungen, Antriebe. Also alle Sekundärtechnologien. Schober hat hierzu schon ein Folge-Forschungsprojekt: FIVA heißt es. Darin werden zwei bis drei Prototypen aus dem MOTIVE-Projekt weiterentwickelt.
VIG in der Praxis
Dass die Forschung am Vakkuumglas dranbleibt, ist eine Sache. Aber was ist mit der Praxis und speziell mit der Praxis in Deutschland? Schwer hat es das VIG hier, denn es gibt in Deutschland weiterhin keinen Hersteller, der es produziert. Diese sitzen in China, Taiwan oder Südkorea. Unter dem Sekretariat Chinas hat nun ein Normenausschuss 2018 den Schlussentwurf einer Vakuumglas-Norm veröffentlicht. Diese enthält zwar einige Vorschläge, aber sie scheinen den hohen europäischen Anforderungen nicht zu genügen. So kam das ift ins Spiel und entwickelte ein Prüfprogramm für VIG-Fenster, das an einigen asiatischen Produkten erprobt wurde: das ift-Hausverfahren. Es teilt sich in zwei Bereiche. Einmal werden die Gläser im Labor und ein weiteres Mal In situ, also vor Ort unter realen Bedingungen geprüft. Im Labor werden die Ug-Werte von VIGs ermittelt. Anschließend werden diese Gläser in eine Musterfassade eingebaut und sowohl einer klimatischen als auch einer mechanischen Belastung ausgesetzt. Nach dieser Runde werden die Ug-Werte erneut gemessen und Abweichungen erfasst. Zusätzlich werden kleinformatige VIGs einer kombinierten Feuchte- und UV-Belastung ausgesetzt, um die Dauerhaftigkeit des Randverbundsystems unter einer Klimawechsellast zu prüfen. Abschließend erfolgt nochmals eine Ug-Wert-Prüfung, um Veränderungen des U-Werts beurteilen zu können. Bei der In situ-Belastung werden die VIGs in die ift-Musterfassade eingebaut. Dort bleiben sie mindestens ein Jahr lang, bis sie ausgebaut werden und ihr U-Wert im Labor mit den Ausgangswerten verglichen wird. Dasselbe Prozedere wiederholt sich nach zwei und nach drei Jahren erneut. Die Laborversuche waren also schon erfolgreich. Die In situ-Versuche laufen noch bis 2022.
Bislang handelt es sich bei VIG also noch um ein ungeregeltes Bauprodukt. Trotzdem steht fest, dass mit VIG deutlich bessere U-Werte erzielt werden können als mit 3-fach-Isoliergläsern.
Nicht zuletzt deshalb sind hie und da auch in Europa schon VIG eingebaut worden. Zum Beispiel in einem Geschosswohnungsbau in Zürich, der nach den Plänen von Schwarz Architekten realisiert wurde. Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung praktische Umsetzung erfolgt. Es bleibt abzuwarten, welche Erfahrungen bei diesen Bauvorhaben gemacht werden. Auch im Hinblick auf Verfügbarkeit, Lieferzeit und Formate.
Ein Plädoyer für eine bessere Tageslichtplanung
„Planen mit Licht“ nannte Prof. Peter Andres von Prof. Peter Andres, Beratende Ingenieure Lichtplanung GBR, aus Hamburg seinen Vortrag. Seine Mission: maximal viel Tageslichteinfall einplanen. Seine Klage: Deutschland sei in Europa absolutes Schlusslicht in Bezug auf das Einfordern von Tageslichteinfall. Sein Applaus: groß!
Nach einer kurzen Einführung zu den Grundlagen der Lichtplanung nahm Prof. Peter Andres seine Zuhörer mit auf eine kleine Reise zu zahlreichen Referenzprojekten, bei denen sowohl der maximale als auch der fehlende Tageslichteinfall von großer Bedeutung ist. Ein paar Dinge wurden jedenfalls klar: Tageslicht ist wichtig für das Wohlbefinden der Menschen. Gleichzeitig setzen gerade die Deutschen dieses hohe Gut hintan und beleuchten ihre Räume lieber mit Kunstlicht. Jüngste LED-Technologien verführen Planer und Architekten natürlich zu solchen Entwicklungen, und selbst die deutsche Gesetzgebung fördert diesen Zustand, denn diese definiert nach DIN 5034 einen Raum als ausreichend ausgeleuchtet, wenn lediglich 0,9 % Tageslichteinfall nachgewiesen wurden. „Wir sind in Deutschland absolutes Schlusslicht in Europa in Bezug auf Forderung nach Tageslichteinfall“, beklagte Andres und brachte in rund anderthalb Stunden Vortrag Licht ins Dunkel des – wohlbemerkt fensterlosen(!) – Saals.
Biologische Folgen
Das Tageslicht hat auf den Menschen biologische Auswirkungen, dabei ist für den Menschen nur ein minimaler Teil des auf der Erde vorhandenen Lichts sichtbar und spürbar. Dazu gehören das UV-Licht, Infrarot- oder Röntgenstrahlen sowie das sogenannte „blaue Licht“, mit dem beispielsweise Neugeborenengelbsucht behandelt wird. Die Sonne ist die einzige natürliche Lichtquelle und alle Entwicklung resultiert daraus. Einer Rose sieht man beispielsweise direkt an, welcher Lichtsituation sie ausgeliefert war, aber auch bei Menschen hat Tageslicht enorme Auswirkungen auf Stoffwechsel und Stimmung. Wenn an einem trüben Tag der Himmel aufreißt, stellt sich ein Wohlgefühl ein.
Tageslichtplanung
Für das Bauen und Planen mit Tageslicht sind auch Forschungen in Bezug auf den Biorhythmus relevant. Man spricht von „Eulen“, wenn Menschen ihren Tag eher später beginnen, und von „Lerchen“, die schon früh am Tag aktiv sind. Schüler beispielsweise gelten vorwiegend als Eulen. Andres erwähnte hierzu eine Studie, für die rund 1.000 Schulklassen getestet wurden. Dabei hat sich bestätigt, dass Schüler sehr viel Tageslicht für eine bessere Konzentration benötigen. Anhand von zahlreichen Referenzbeispielen demonstrierte Andres anschaulich, wie einflussreich der Tageslichteinfall auf Innenräume sein kann. Die meisten dieser Beispiele wurden vor der Realisierung im Lichthimmel simuliert und erreichten als realisierte Gebäude später ziemlich exakt die errechneten Werte. Andres stellte überzeugend dar, dass sich jede Anstrengung lohnt – auch bei hohen LED-Qualitäten –, sich um maximalen Tageslichteinfall zu bemühen. Sein Fazit: „Es erscheint mir absurd, dass ein Gebäude derzeit die Höchst-Auszeichnung LEED platin erreichen kann, wenn in den Räumen Kunstlicht-Energie für ein ganzes Kraftwerk abgefackelt wird!“