Porträt

Vier Monate nach der Flut

Rudolf Kessel baut auf

Die Juli-Flut hatte den Metallbaubetrieb von Rudolf Kessel in Bad Neuenahr-Ahrweiler zerstört. Wir konnten mit dem Unternehmer fünf Tage nach der Katastrophe sprechen, damals wollte der 61-Jährige mit seinen drei Mitarbeitern im September wieder starten. Seit Oktober wird tatsächlich in der alten Werkstatt wieder gefertigt – vor allem Fenster und Türen aus Aluminium.

Stellvertretend für die zahlreichen Flutopfer hatten wir in der Ausgabe vom September über das Schicksal des Unternehmers berichtet. Von seiner Wohnung aus über dem Betrieb hatte Rudolf Kessel in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli zuschauen müssen, wie das Hochwasser seinen Betrieb geflutet und völlig zerstört hatte. Den Schaden schätzte er seinerzeit auf ca. eine Million Euro, heute nach vier Monaten stellt er rückblickend fest: „Bei der Schadensangabe habe ich richtig gelegen.“

Inzwischen wohnt er mit seiner Familie wieder zuhause. Das Unternehmen saniert er schrittweise. Der Bereich der Produktionshalle, wo Stahl verarbeitet wurde, muss erst noch instandgesetzt werden. „Der Boden ist kaputt und muss vollständig erneuert werden, die Maschinen habe ich noch nicht ersetzt“, sagt Kessel. Ein Teil der Halle war vom Wasser nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dort hat der Metallbauer die Fertigung von Aluminiumelementen neu eingerichtet. Seit Anfang Oktober ist er mit seinen drei Angestellten in die Werkstatt zurückgekehrt, winterfest ist das Betriebsgebäude jedoch nicht. „Die Heizung ist länger nicht gelaufen und die Funktionstüchtigkeit muss noch geprüft werden.“

Ein weiterer Fortschritt ist das Büro, das der 61-Jährige vorübergehend im Hause eines Mitarbeiters untergebracht hatte. Mittlerweile hat er seine Unterlagen gesammelt auf dem Betriebsgelände zur Verfügung. Von den Zahlungen seiner Versicherung für drei beschädigte Firmenautos hat er einen neuen Transporter angeschafft.

Dass er den Betrieb so zügig aufnehmen konnte, dafür ist er in erster Linie seinem Systempartner Schüco dankbar. „Die Bielefelder haben mir bei der Anschaffung gebrauchter Maschinen geholfen, von zwei meiner gefluteten PCs die Daten gerettet und auf neue Computer überspielt, sodass ich lediglich die Daten eines PCs verloren habe“, erzählt Kessel. Neben der staatlichen Soforthilfe von 5.000 Euro hat er von der Kreishandwerkerschaft 4.500 Euro Spendengelder erhalten; ca. 100.000 Euro hat er bislang selbst zum Aufbau beigesteuert.

Von der Solidarität der Menschen zeigt er sich begeistert. Er befürchtet nicht, dass die Betroffenen in NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern schnell vergessen werden. „Die Hilfsbereitschaft sowohl von Privatleuten als auch von Firmen war und ist nach wie vor groß! Allerdings schaut es aufwärts der Ahr auf Höhe der Ortschaft Dernau immer noch wie nach einem Krieg aus, fast alle Häuser stehen dort leer.“

Die Bewältigung einer Katastrophe sorgt naturgemäß für Arbeitsstau. Dennoch, den Antrag für die staatliche Flutopferhilfe hat Kessel in Arbeit genommen – von den Zuschusstöpfen der ISB kann Kessel zwischen 80 und 100 Prozent der Schadenssumme erwarten. „Den Schaden zu belegen ist allerdings problematisch, vieles werde ich gar nicht geltend machen können“, befürchtet er. Auch mit den Listen, die er der Versicherung für den Elektroschaden vorlegen muss, ist er bereits beschäftigt; mit dem Steuerberater über verlorene Inventarlisten im Gespräch; die Kooperation mit dem Gutachter läuft, die abschließende Bewertung liegt noch nicht vor. „Viele Anforderungen der zahlreichen Anträge sind mir schlichtweg zu kompliziert, ich fühle mich für die dafür nötige Hartnäckigkeit zu erschöpft“, erzählt er. Allein könne er sich nicht durch den Papierkram durchkämpfen, die Kreishandwerkerschaft hat Unterstützung zugesagt. Der Nachlass des Fremdenverkehrbeitrags ist ein Signal des Entgegenkommens der Kommune. Die meisten Behörden bestünden jedoch ohne Rücksicht auf alle bürokratischen Anforderungen, die ein Handwerksbetrieb regulär erfüllen muss.

Die Bürokratie lastet auf ihm, hat er doch mit dem Wiederaufbau des Betriebs bereits alle Hände voll zu tun, ganz zu schweigen von den coronabedingten Lieferproblemen. „Statt vier Wochen haben  Aluminiumprofile derzeit sieben bis acht Wochen Lieferzeit“, so der Unternehmer. Wenngleich die Auftragsbücher gut gefüllt sind, macht er sich Sorgen, dass sich die Lieferschwierigkeiten absehbar nicht normalisieren. „Ob wir im Jahr 2022 ausreichend Magnesium aus China erhalten, halte ich für unklar und so bleibt die verlässliche Lieferung von Aluminiumprofilen eine offene Frage.“

Für die schier endlose Arbeit seit Mitte Juli nimmt sich Rudolf Kessel von 7.30 Uhr bis 21.30 Uhr Zeit – die Mittagspause unterbricht für eine halbe Stunde das Tagesgeschäft. Die Wochenenden hält er sich konsequent frei, geht mit seinen Hunden und der Familie spazieren. „Wenn ich das Pensum langfristig durchhalten möchte, muss ich zugleich auf meine Gesundheit achten“, sagt er. Ob ihm die Flut mental nachhängt? Er sei nicht mehr so ausgeglichen und stark wie vor der Hochwasserkatastrophe. „Die Erfahrung der Flut hat mein Verhalten sicher negativ geprägt. Wenn ich heute von Ungerechtigkeiten höre, werde ich im Vergleich zu früher schneller aggressiv – der Puls fährt ruckzuck hoch.“ Aber er sei dabei, die Dinge bewusst ruhiger mit mehr Gelassenheit anzugehen.
Dass ihn eine Hochwasserkatastrophe ein zweites Mal trifft, davon geht der Unternehmer nicht aus. „So eine Flut kommt gewiss nur alle 100 Jahre, sowas werde ich nicht noch einmal erleben. Ich möchte das nicht noch einmal mitmachen!“
www.kessel-metallbau.de

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