Fußballstadion in Freiburg

Stahltragwerk aus Stützengrün

Nach drei Jahren Bauzeit kam im Oktober 2021 eines der bisher größten, aber auch kontrovers diskutierten Bauprojekte der Stadt Freiburg zu einem glücklichen Ende: das Europa-Park Stadion. Es ist nach dem Hauptsponsor benannt und bietet dem Fußball-Erstligisten SC Freiburg samt Fans eine neue Heimat. Der Betrieb Stahl- und Anlagenbau Schädlich aus dem sächsischen Stützengrün hat das Dach und die umlaufenden Stützen ausgeführt.

Der professionelle Fußball in Freiburg war 67 Jahre lang mit dem Dreisamstadion verbunden. Doch schon länger war deutlich geworden, dass es den Ansprüchen der DFL für die Austragung von Bundesliga-Spielen nicht mehr Genüge tat. Unter anderem war das Spielfeld zu kurz, die Zuschauerkapazität beschränkt, und es gab auch keinen VIP-Bereich. 2011 beschlossen daher die Stadt Freiburg und der SC Freiburg, eine Lösung für dieses Problem zu finden.
Ein langes Hin und Her der Varianten- und Standortsuche, die Grundsatzentscheidung und schließlich der bestätigende Bürgerentscheid 2015 mündeten in den Bau eines neuen, nach dem Hauptsponsor Europa-Park genannten Stadions. Als Standort bot sich der Wolfswinkel an, ein bis dato unbebautes, naturnahes Gebiet zwischen Messegelände und dem Freiburger Flugplatz im Nordwesten der Stadt. Anfang Oktober 2021 weihte man die neue Arena mit einem Heim-Debüt gegen RB Leipzig vor rund 20.000 Zuschauern ein.

„Identitätsstiftende Architektur“

Über ein Verhandlungsverfahren mit der Realisierung und der Planung des Stadions beauftragt wurden der Totalunternehmer Köster und das Planungsbüro HPP Architekten aus Düsseldorf. Letztere entwarfen einen Baukörper, der sich, wie sie schreiben, „sanft in die Landschaft einfügt und eine identitätsstiftende Architektur für den SC Freiburg ausbilden kann“. Die Grundform der Spielstätte für 34.800 Zuschauer ist oktogonal, das Dach rechteckig und, durch den benachbarten Flugbetrieb in der Höhe limitiert, flach gehalten.
Die Zugänge zum Stadion befinden sich jeweils unter den vier auskragenden Dachecken, wobei die Fans der Gastmannschaft das Stadion von Nordosten betreten und die Heimfans im Südosten über einen Boulevard ins Stadion geleitet werden. Hohen Wiedererkennungswert haben die rundum angebrachten, diagonalen Zugstützen. Sie sind bis zum Boden geführt und kons­truktiv mit dem Dach verbunden.

Steile Tribünen und ideale Sichtbedingungen auf das Spielfeld charakterisieren das Bauwerk im Inneren. Eine umlaufende, über vier Rampen barrierefrei zugängliche Promenade zwischen Ober- und Unterrang stellt als Sichtfuge den Bezug nach außen her. Einzig die Südtribüne ist durchgängig geschlossen. 8.000 Fußballbegeisterten der Heimatmannschaft vorbehalten, dient sie ihnen als bespielbare Fanwand.

Die Business-, Tagungs- und Veranstaltungsbereiche des Stadionbaus können während und außerhalb der Fußballspiele autark betrieben werden. Die VIP-Bereiche der Obergeschosse ordneten die Architekten in dem Hauptgebäude an. Dieser Baukörper kragt nach außen aus und bildet einen überdachten Eingangsbereich. Die Stromversorgung des Stadions erfolgt über eine auf dem Dach installierte Photovoltaik-Anlage mit einer prognostizierten Leistung von 1.840 kWp. CO2-freie Fernwärme bezieht die Stadionanlage aus der Abwärmenutzung eines nahegelegenen Chemieunternehmens.

Dach und Stützen

Überdacht werden die Tribünen von einer 24.000 Quadratmeter großen Stahldachkonstruktion. Die Tragstruktur setzt sich zusammen aus 80 auskragenden Fachwerkbindern aus geschweißten Hohlprofilen. Die bereits erwähnten 160 schräg stehenden, 18 Meter langen Zugstützen aus Rundrohren leiten die aus den Fachwerkbindern resultierenden Zug- u. U. auch Druckkräfte in den Baugrund ab. Die begehbare Dachhaut besteht aus Trapezblechen und, in Richtung Stadioninnenraum, aus Polycarbonat-Platten. Flutlichter, Videowand und Lautsprecher befinden sich in der Ebene der Dachkonstruktion. Werkstatt- und Montageplanung sowie Fertigung und Montage der Dach- und Fassadenkonstruktion übernahm das Unternehmen Stahl- und Anlagenbau Schädlich aus dem sächsischen Stützengrün. Der Stahlbauer hat der Redaktion folgende Auftragsbeschreibung zur Verfügung gestellt:

Materialgüten und Dicken

Die Blechwerkstoffe, Walzprofile und Rundrohre haben die Materialgüte S355J2H, die Achsbolzen sind aus dem niedrig legierten Baustahl der Güte 34CrNiMo6 gefertigt. Die verwendeten Bleche zur Fertigung der Hohlkastenprofile lagen im Dickenbereich zwischen 8 mm und 20 mm. Die Achsbolzendurchmesser für die Verlagerung der Zugstützen reichen von Ø 80 mm bis Ø 120 mm. Aus korrosionstechnischen Gründen wurde auf Baustellenschweißungen verzichtet. Baustellenstöße, die man über die Einflussnahme bei der Werk- und Montageplanung auf ein Minimum reduzieren konnte, wurden biegesteif ausgeführt. Die Gesamttonnage liegt bei rund 2.600 t.

Die Fachwerkträger

Die Fachwerkträger der Dachkonstruktion als Hauptträger der Positionen über den Tribünen Nord, Ost, Süd und West bzw. dem Hauptgebäude West bestehen im Wesentlichen aus:

• Unter- und Obergurt, jeweils aus geschweißten Rechteck-Hohlprofilen mit h / b = 300 / 300 mm. Sie sind gefertigt aus Stahlblechen pro Gurt mit unterschiedlich gestaffelten Wandungsstärken einschließlich innenliegender Steifen etc.,

• senkrechten Trägern bzw. Stielen aus HEA- oder UPE-Profilen,

• diagonalen Trägern bzw. Stielen aus HEA- oder UPE-Profilen,

• hauptsächlich mit zum Innenraum an der Spitze des Fachwerkträgers angesetztem Hohlkasten aus zusammengeschweißten Stahlblechen einschließlich innenliegender Steifen etc., vereinzelt ohne angesetzten Hohlkasten.

Die geschweißten Hohlprofile und Hohlkästen sind mit durchlaufenden, sauber geschweißten Halsnähten absolut dicht hergestellt worden. Handlöcher z. B. im Bereich von Montagestößen sind mit eingelassenen Deckeln dicht verschlossen worden.

Verbindung von Träger und Stütze

Die Hauptträger über den Tribünen Nord, Ost, Süd, Südwest und Nordwest liegen in einem Punkt auf einer Fertigteilstütze auf. Sie kragen ca. 38,50 m zum Innenraum des Stadions frei aus und werden im Abstand von ca. 6,00 m vom Auflagerpunkt am anderen äußeren Rand der Dachkonstruktion mit zwei Zugstützen aus Rundrohr gehalten. Die Profile hierzu lieferte das Unternehmen ProPipe. Diese sind gefertigt nach der Herstellnorm EN 10210 in den Abmessungen 406,4 x 20,0 mm in 18-Meter-Länge und 406,4 x 25,0 mm in 10,7-Meter-Länge.

Die Verbindung zwischen Fachwerkbinder und Stütze ist in der Regel mit einem Achsbolzen Ø 80 mm beweglich ausgeführt. Die Hauptträger über der Westtribüne bzw. dem Hauptgebäude West liegen auf zwei Punkten auf dem Gebäude auf. Sie kragen ca. 30,35 m zum Innenraum des Stadions aus. Auch diese Verbindungen wurden jeweils mit einem Achsbolzen in entsprechender Größe und Abmessung ausgeführt. In den Stadionecken sind zusätzlich Quer-/Wechsel-, Diagonal- und Ergänzungsträger ähnlich den Hauptträgern als Fachwerkträger ausgebildet. Sie ergänzen die Hauptträger der Dachkonstruktion und vervollständigen die Konstruktion. Erforderlich waren hierzu biegesteife Plattenstöße mit Shifter-Geometrie. Eine mechanische Bearbeitung der Anschlüsse war Grundvoraussetzung für die passgenaue Ausführung dieser Stöße.

Zwischen den Fachwerkträgern wurden Aussteifungsträger beziehungsweise -verbände und auf den Fachwerkträgern Dachpfetten montiert. Für die architektonische Gestaltung der Fachwerkbinder sind wechselseitig in den Verbindungsecken der Fachwerkbinder konkav ausgeformte Eckbleche eingeschweißt. Diese runden die Ecken aus. Eine zusätzliche Forderung des Prüfbüros war die Verankerungstechnik für die Zugstützen-Fußplatten auf den Fundamenten. Hierbei sollte das modifizierte Drehmomenten-Verfahren durch ein hydraulisches Zugverfahren ersetzt werden – das war auch für den Stahlbauer Neuland.

Weiterer Abstimmungsbedarf entstand durch eine im Nachhinein getroffene Entscheidung zum Gesamtverformungsverhalten des Tragwerks. Die Absicht der Rohbaufirma, über den Stahlbeton (Fundamente, Aussteifungskerne, Stützen u. a.) die Verformungen des Stahltragwerkes definiert zu beherrschen, schlug fehl.

Daraufhin waren wir gefordert und mussten eine Vielzahl von verschieblichen Lagerstellen über die Werk- und Montageplanung entwickeln, dann über das Prüfbüro freigeben lassen und anschließend auch fertigen und montieren. Dank unseres technischen Know-hows und der vorhandenen Zerspanungsmaschinen waren wir in der Lage, schnell und sicher zu reagieren.

Werkplanung und Montage

Sämtliche zum Dachtragwerk gehörenden Bauteile aus Stahl (Fachwerkbinder, Rohre, Pfetten, Koppelstäbe u. a.) wurden vor der Montage gestrahlt und mehrfach lackiert. Die technische Bearbeitung im Betrieb in Stützengrün (Werk- und Montageplanung mit Anschlussstatik) wurde von vier Konstrukteuren und einem Tragwerksplaner in einem Zeitraum von acht Monaten realisiert. Für die Montage kamen drei Mobilkräne und vier Hebebühnen mit rund zehn Monteure zum Einsatz. Nachdem alle Auflager und die Zugstützenfußpunkte in Lage und Höhe eingerichtet worden waren, wurden die außen liegenden Fachwerkbinder mit der Auflagerstelle verbolzt und am Kran gehalten. Mit einem zweiten Mobilkran erfolgte die Montage der Zugrohre (Bolzenverbindung am Fachwerkbinder und am Zugstützenfußpunkt). Beim ersten Fachwerkbinder wurden vier seitliche Seilabspannungen montiert, um ein Ausknicken bzw. Wegdrehen des Binders zu verhindern. Das zum Stadion-inneren zeigende Binderteil wurde anschließend mittels Mobilkran „fliegend“ an das bereits montierte äußere Bindersegment angeschlossen. Diese Verbindungen wurden mit 40-Meter-Steigern ausgeführt. Die anschließende Montage der Binder erfolgte analog; hier wurden aber Obergurt und Untergurt mit Verbänden und Kopplungen stabilisiert. Eine Seilabspannung war dabei nicht mehr erforderlich. Die Komplettierung der Zwischenfelder wurde teils von außen und teils vom Stadioninneren aus in Abhängigkeit der Abstände zu den Montagestellen bewerkstelligt. Eine besondere Herausforderung stellten die jahreszeitlichen Einschränkungen dar. Den Montage-Rhythmus beeinflussten Kälte, Schnee- und Regenschauer und vor allem die tageweise außerordentlich hinderlichen Windverhältnisse.

Fazit

Bestärkt durch die positiven Statements des Prüfbüros und des vom Bauherrn beauftragten Bauüberwachers wertet Stahl- und Anlagenbau Schädlich den Stadionneubau in Freiburg als Erfolg. Die Fassaden- und Dachkonstruktion ist eine schöne Referenz, die sich einreiht in bereits realisierte Objekte wie das Stadion in Zwickau-Eckersbach, die Weltcup-Schanze in Klingenthal, die Messehalle in Düsseldorf und viele andere mehr.

www.stahlbau-schaedlich.de

Bautafel:

Objekt: Europa-Park Stadion Freiburg

Bauherr: Stadion Freiburg Objektträgergesellschaft
GmbH & Co. KG (SFG)

Architektur: HPP Architekten GmbH, Düsseldorf

Tragwerksplanung: Knippers Helbig, Stuttgart

Energiekonzept für die Klimaneutralität,
Beratungsleistungen: Stahl + Weiß, Freiburg

Stahlbau: Stahl- und Anlagenbau Schädlich, Stützengrün

Gebäudekenndaten: BGF 16.300 m²

Fertigstellung: 2021

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