Dr. Roman Kordtomeikel, Schüco
„Mit Carbon Control CO2-Emissionen senken!“Zur BAU in München hat der Systemgeber Schüco sein Angebot Carbon Control ausgerollt. Kein Fachbesucher der Messe hat die Plakate über dem Eingang der Messe München übersehen können. Wir haben Dr. Roman Kordtomeikel, Leiter für nachhaltige Produkte, gebeten, das modulare Angebot zu erläutern und aufzuzeigen, wie Metallbaubetriebe dies nutzen können.
metallbau: Was hat es mit Carbon Control auf sich?
Dr. Roman Kordtomeikel: Schüco Carbon Control ist ein aus Beratungsleistungen, Produkten und Services gestaltetes modulares Angebot, das sich in die vier Lebensphasen eines Gebäudes Design to Decarb (Planen), Build to Decarb (Bauen), Operate to Decarb (Betreiben) und Recycle to Decarb (Rückbau) strukturieren lässt. Die vier genannten Lebensphasen stehen in Abhängigkeit zueinander und profitieren im besten Falle voneinander. Bei Carbon Control handelt sich nicht um einzelne Tool-Varianten, die wie eine Software installiert werden können.
metallbau: Wenn Sie bitte mal die einzelnen Module spezifizieren! Design to Decarb …
Dr. Kordtomeikel: Bei der Entwurfs- und Planungsphase eines Gebäudes werden die Weichen für dessen spätere CO2-Bilanz gestellt. Mit Design to Decarb setzen wir hier an. Unsere Beratungs-Teams beraten Investoren, Architekten und Fachplaner individuell – mit dem Wissen, dass sich über die Gebäudeform, die Auswahl der Materialien und Systeme, der Oberflächen und Elementgrößen sowie durch den Einsatz smarter Gebäudetechnologie sowohl die grauen Emissionen (Embodied Carbon) als auch die späteren, betriebsbedingten Emissionen (Operational Carbon) im Vorfeld positiv beeinflussen lassen. Es geht also von Anfang an um eine ganzheitliche Betrachtungsweise bis zum Lebensende eines Gebäudes, da sich der Planungs- und Entwurfsprozess mit all seinen Entscheidungen auf die weiteren Lebensphasen eines Gebäudes auswirkt.
metallbau: Als zweite Lebensphase nannten Sie Build to Decarb…
Dr. Kordtomeikel: Build to Decarb fokussiert sich mit Beratung, Produkten, Software-Lösungen und Services auf die Verarbeiter und unterstützt sie auf dem Weg zur CO2-minimierten Produktion. Unter anderem geht es um die Kalkulationssoftware SchüCal, mit der fortlaufend je nach Produktauswahl und nach Materialoption der CO2-Fußabdruck als CO2e-Wert (CO2-Äquivalent oder GWP-Wert) ausgespielt wird. Dieses Feature haben wir bereits ausgerollt und allen SchüCal-Kunden in Form eines kosten-freien Updates zur Verfügung gestellt. Beispielsweise kann der Verarbeiter u.a. zwischen Standard-Aluminium und den beiden neuen Aluminiumgüten Low Carbon (LC) und Ultra Low Carbon (ULC) wählen und vergleichen. Neben der Produktauswahl begleiten wir mit Build to Decarb unsere Verarbeitungs-Partner durch individuelle Beratung auf dem Weg zu einer CO2-minimierten Produktion. Darüber hinaus optimiert Schüco fortlaufend sein nachhaltiges Verpackungsmanagement, damit Ressourcen geschont werden.
metallbau: Um was geht es in der dritten Phase Operate to Decarb?
Dr. Kordtomeikel: In der dritten Phase Operate to Decarb geht es um den CO2-minimierten Betrieb von Gebäuden. Hier wirken sich die Entscheidungen, die in der Entwurfs- und Planungsphase getroffen wurden, aus. Bei Bestandsgebäuden gilt es deshalb, vorrangig Einsparpotenziale zu ermitteln, um energetische Verluste zu vermeiden. Auch hier bieten wir in Bezug auf die Gebäudehülle individuell Beratung und Produkte, Nachrüst- und Wartungsservices, um das Corporate-Real-Estate-Management beim Tagesgeschäft zu unterstützen. Denn die längere Verwendung eines bestehenden, funktionierenden Produktes ist oft die beste Wahl, um CO2 einzusparen. Wartung und Nachrüstung einzelner Komponenten stellen die nachhaltige effiziente Funktionalität der Elemente wieder her und zögern so den Einbau eines mit hohem Aufwand hergestellten neuen Produktes hinaus.
metallbau: In diesem Sinne werden ja immer häufiger QR-Codes auf Produkte aufgebracht, mit denen sich verbaute Komponenten identifizieren lassen.
Dr. Kordtomeikel: Ja, die digitale Identität von Elementen erleichtert die Wartung und Pflege von Fenstern und Türen. Mit Schüco IoF ID erhält jedes neue oder bereits eingebaute Schüco Element, egal ob aus Aluminium, Stahl oder Kunststoff, eine Identität. Durch diese Kunststoff-Plakette kann das Bauteil eindeutig identifiziert, verortet und automatisch mit allen zum Produkt gehörenden Informationen und Dokumenten verknüpft werden. Die digitale Identität der Elemente erleichtert Facility-Service-Dienstleistern ihr Tagesgeschäft.
metallbau: Dann kommen wir noch zur vierten und letzten Lebensphase – Recycle to Decarb.
Dr. Kordtomeikel: Mit Recycle to Decarb haben wir geschlossene Wertstoffkreisläufe samt Rückbau und Rücknahme im Fokus. Denn für Schüco sind Gebäudehüllen das Rohstofflager der Zukunft. So digitalisiert Schüco IoF ID die Gebäudehülle und liefert auch wichtige Informationen zur Wiederverwendung der Materialien. Es geht also auch bei Recycle to Decarb neben individuellen Beratungsleistungen von Anfang an um eine Material- sowie Produktauswahl mit entsprechenden Zertifizierungen. Insofern spielen die Entscheidungen, die in der Planungs- und Bauphase getroffen werden, eine signifikante Rolle.
metallbau: Ein Beitrag, um Recyclierbarkeit zu sichern, sind ja Cradle-to-Cradle-Produkte.
Dr. Kordtomeikel: Immer mehr Produkte und Systeme von Schüco erhalten die Zertifizierung Cradle to Cradle, denn diese erfüllen besondere Anforderungen der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) und können, wie der Name schon sagt, „von der Wiege (zurück) zur Wiege“ recycelt werden. Mit 76 zertifizierten Aluminiumsystemen sind wir Vorreiter.
metallbau: In welchen der vier Phasen eines Gebäudes fallen denn nach Ihren Erfahrungen/Berechnungen am meisten CO2-Emissionen an? Und in welchen der vier Phasen lässt sich derzeit am meisten CO2 einsparen?
Dr. Kordtomeikel: Diese Fragen lassen sich nicht eindeutig beantworten. Sicherlich spielt die Entwurfs- und Planungsphase eine signifikante Schlüsselrolle – sowohl auf Embodied als auch auf Operational Carbon bezogen. Wenn wir von einem bestehenden Gebäude mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von 60 Jahren ausgehen, so können wir nach heutigem Stand mit ca. 30 % Embodied Carbon (grauen Emissionen) rechnen. Die restlichen ca. 70 % Operational Carbon (betriebsbedingten Emissionen) sind über die durchschnittliche Lebensdauer von 60 Jahren zu betrachten. Das liegt vor allem daran, dass ältere Gebäude noch nicht die Anforderungen an moderne Dämmungen erfüllen. Bei heutigen Bestandsgebäuden ist es also wichtig, die betriebsbedingten Emissionen zu reduzieren – und die grauen Emissionen, die bei der Produktion von Ersatzprodukten entstehen, im Blick zu haben.
metallbau: … und bei Neubauten?
Dr. Kordtomeikel: Bei Neubauten wiederum geht es darum, von Anfang an sowohl die grauen als auch die späteren betriebsbedingten Emissionen über alle Lebenszyklen hinweg möglichst niedrig zu halten. Deshalb ist es unvermeidbar, in der Planungs- und Entwurfsphase (Design to Decarb) nicht nur die grauen Emissionen, sondern insbesondere die betriebsbedingten Emissionen auf Akzeptanzmaß zu planen. Tendenziell sehen wir zukünftig aber eine Verschiebung in Richtung Embodied Carbon. Graue Emissionen werden einen zunehmenden Einfluss auf den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes haben, da viele Neubauten oft Niedrig- oder Positiv-Energie-Häuser sind. Insofern bildet meiner Ansicht nach in Zukunft die Planungs- und Entwurfsphase (Design to Decarb) die Basis zur Verringerung von grauen und betriebsbedingten Emissionen.
metallbau: Schüco bietet aktuell drei Aluminiumgüten an; gibt es einen Plan, künftig nur noch die Güte mit den wenigsten CO2-Emissionen zu produzieren?
Dr. Kordtomeikel: Schüco bietet Standard, LC und ULC. Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei den in der Frage genannten Kleiner-als-Werten von LC und ULC schon um Profil-Werte handelt, die bereits einen Bearbeitungsschritt vom Bolzen zum Profil inklusive der dafür angefallenen Emissionen enthalten. Und ja, wir verfolgen das Ziel, immer mehr Profile aus CO2-reduziertem Alu einzukaufen und unseren Verarbeitern zur Verfügung zu stellen. Dies hängt jedoch in hohem Maße von Bedingungen, wie z. B. von geopolitischen Faktoren und Verfügbarkeiten, ab. Hier sind wir gemeinsam mit unseren Partnern auf einem guten Weg.
metallbau: Geht es bei Carbon Control auch darum, dass Metallbaubetriebe ihre CO2-Emissionen reduzieren?
Dr. Kordtomeikel: In unseren Produkt-EPDs werden auch die Herstellung und beispielsweise der Transport, der durch unsere Verarbeitungs-Partner entsteht, als Durchschnittswerte berücksichtigt und entsprechend eingespeist. Unser Ziel ist, das Angebot für Metallbaubetriebe noch weiter auszubauen. So planen wir perspektivisch, über unser Sustainability Consulting unseren Verarbeitern durch Beratung dabei zu helfen, sich zu dekarbonisieren. Hierbei können wir auf unsere Erfahrungen bei unserer eigenen Dekarbonisierung im Kontext Emission Zero zurückgreifen und diese mit unseren Partnern teilen.
metallbau: Was hat Carbon Control mit der Plattform Madaster zu tun?
Dr. Kordtomeikel: Durch die mithilfe Schüco IoF ID gespeicherten Daten wird eine Rückführung der Materialien erleichtert und unterstützt. Mit der Schnittstelle zu Madaster lassen sich diese per Schüco IoF ID identifizierten Elemente aus dem Gebäude-Rohstofflager dann direkt in den Materialkreislauf zurückführen.
metallbau: Was leistet Schüco, damit die Einzelteile der Gebäudehülle nach Ende des Lebenszyklus demontiert und recycelt werden können?
Dr. Kordtomeikel: Unsere Aufgabe besteht meiner Ansicht nach darin, entsprechende Prozesse und Produkte für einen geschlossenen Wertstoffkreislauf samt Rückbau und Rücknahme zu entwickeln und anzubieten. Hier sind rückbaufähige, zertifizierte Produkte zu nennen, aber auch Kooperationen und Mitgliedschaften, um dem wachsenden Ressourcenbedarf durch geschlossene Wertstoffkreisläufe aktiv zu begegnen.
metallbau: Wird Carbon Control fortlaufend weiterentwickelt?
Dr. Kordtomeikel: In Carbon Control fließen stets neueste Erkenntnisse, beispielsweise neue EU-Verordnungen, ebenso mit ein wie neue Produktentwicklungen. Carbon Control ist kein starres Konzept, sondern ein auf aktuelle Anforderungen abgestimmter Baukasten mit einer Vielzahl von Lösungen für die objektspezifische CO2-Minimierung.