Fassadenbau

Gare Saint-Denis Pleyel in Paris

Knotenpunkt für täglich bis zu 250.000 Reisende

Der Bahnhof Saint-Denis Pleyel ist nicht nur einer der Knotenpunkte, an dem sich vier Metrolinien treffen und täglich bis zu 250.000 Reisende umsteigen, sondern mit seiner Gestaltung auch eines der architektonischen Highlights des "Grand Paris Express". Das Infrastrukturprojekt weitet den öffentlichen Nahverkehr bis in die Vororte von Paris aus. Frener & Reifer in Brixen leistete die Planung, Fertigung und Montage der Gebäudehülle des Olympiabahnhofs. Bei Einsatzspitzen waren bis zu 50 Mitarbeiter für die Baustelle abgestellt. Den Zeitplan gab der Start der Olympischen Spiele 2024 vor.

Die französische Hauptstadt gilt mit über 20.000 Einwohnern/km2 als eine der dichtest besiedelten Städte der Welt. Mit rund 12,5 Millionen Einwohnern ist der Großraum die größte Metropolregion der EU, davon pendeln rund 4 Millionen Menschen zum Arbeiten in die Stadt. Die Folgen sind Staus und überfüllte U-Bahnen zu den Hauptverkehrszeiten.

Doch inzwischen hat sich die Stadt grundlegend verändert. Teile der Stadtautobahn werden zu öffentlichen Grünflächen, statt parkender Autos säumen lange Radwege die Straßen. Teil des Umbaus ist auch das derzeit größte europäische Infrastrukturprojekt „Grand Paris Express“, das den öffentlichen Nahverkehr bis in die Vororte ausweitet. Bis 2030 sollen vier neue vollautomatische Metrolinien sowie die Verlängerung der bestehenden Linie 14 das Streckennetz um 200 km erweitern und mit insgesamt 68 neuen Stationen die Vororte der Region Île-de-France mit dem Pariser Zentrum verbinden. Hier schließt sich der Kreis, denn der Bahnhof Saint-Denis Pleyel ist nicht nur einer der großen und wichtigen Knotenpunkte, an dem sich vier Metrolinien treffen und täglich bis zu 250.000 Reisende umsteigen, sondern mit seiner Gestaltung auch eines der architektonischen Highlights des Grand Paris Express.

Der Entwurf stammt vom japanischen Architekturbüro Kengo Kuma & Associates, das mit dem Bahnhof einen neuen Dreh- und Angelpunkt zwischen den verschiedenen Projekten, die um ihn herum entstehen werden, geschaffen hat. Neben der Verbindung der Stadtteile über das Schienennetz des Pariser Nordbahnhofs schafft der neue Baustein auch ein neues Zentrum, dessen ergänzendes Raumprogramm nicht wie üblich aus einem Einkaufszentrum besteht, sondern den Schwerpunkt auf eine kulturelle Nutzung für die Bewohner legt.

Die Gesamtfläche von 34.000 m2 verteilt sich auf neun Ebenen, davon vier unterirdische, die bis zu 28 Metern in die Tiefe reichen. Das Programm gliedert sich in zwei Verkehrsebenen mit Gleisanlagen und Erschließungsflächen, zwei unterirdische Geschosse mit Technikräumen und Reserveflächen sowie eine Polizeistation und Gewerbeflächen auf der Eingangsebene. In den oberen Stockwerken des Bahnhofs wird auf einer Fläche von 5.000 m2 ein großer kultureller Raum für bildende Kunst, Film, digitale Kreationen und urbane Kulturen geschaffen. So soll der Bahnhof nicht nur als Verkehrsknotenpunkt, sondern auch als für die Öffentlichkeit zugänglicher Kulturraum für die gesamte Region wirken.

Statt das Volumen in einem kompakten Baukörper zusammenzufassen, verteilten die Architekten die Flächen auf fünf oberirdische Ebenen, die sich spiralförmig nach oben erstrecken. Dadurch wird nicht nur Tageslicht über ein zentrales Atrium in die Gleisebene geleitet, sondern auch eine Verschmelzung des Gebäudes mit der neu geschaffenen Fußgängerbrücke über die Gleise des Regionalbahnhofs erreicht. Ein großzügiger Vorplatz mit Aufenthaltsqualität bildet mit einer klar definierten Eingangssituation den Auftakt. Um die Fußgängerströme zu lenken, verlaufen entlang der Ebenen Rampen und Treppen von den verschiedenen Straßenniveaus bis zur begrünten Dachterrasse und bilden den Übergang zur neuen Fußgängerbrücke. Die Dynamik der Form setzt sich in den Fassaden aus Glas, Stahl und vertikalen Holzlamellen fort, die als keilförmige Flächen eine Hommage an Weichen und Gleisstränge darstellen.

Engineering „in-house“

Der Bau eines Bahnhofs ist komplex, da er als Verkehrsknotenpunkt vielfältige funktionale, technische, architektonische und städtebauliche Anforderungen, Sicherheits- und Umweltauflagen sowie flexible Anpassungen und Umnutzungen der Flächen vereinen muss. Die Größe und Komplexität des Gare Saint-Denis Pleyel, aber auch die Anforderungen an eine optimale Fassadengestaltung forderten die besondere Lösungskompetenz von Frener & Reifer.
Aufgrund der komplizierten Geometrie, der Materialvielfalt und der großen Anzahl unterschiedlicher Bauteile war eine umfangreiche technische Planung erforderlich. Die einzelnen Schritte wurden daher in überschaubare Arbeitspakete aufgeteilt und in der Engineering-Phase, in der mehrere Teams parallel arbeiteten, in praktikable und realisierbare Fassadenlösungen umgesetzt. Insbesondere die dynamischen Kräfte, die durch den Zugverkehr auf die Glasfassade wirken, mussten sowohl konstruktiv als auch montagetechnisch berücksichtigt werden.

Herausforderung Fassadenarchitektur

Die Architekten Kengo Kuma & Associates verfolgten wie bereits in früheren Projekten das Konzept der Entmaterialisierung, das dem Gebäude eine leichte und schlanke Erscheinung gibt. Erreicht wird dies durch die sorgfältige und präzise Fügung von Materialien und Strukturen, die die physische Präsenz des Gebäudes minimieren. Die großzügigen Glasflächen entlang der spiralförmigen Gebäudeform verwischen zudem die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum. Die großen Fensterformate von bis zu 2,4 m x 1,2 m erreichen mit einem U-Wert von 1,5 W/m2K und einem Lichttransmissionsgrad von 68 % sehr gute energetische Werte für eine derart großvolumige Konstruktion.
Erreicht wird diese technische Leistung durch eine hochwertige Pfosten-Riegel-Fassade aus Stahl mit insgesamt 4.300 m², die aufgrund der unregelmäßigen und komplexen Gebäudegeometrie erhöhte Anforderungen an die Konstruktion und vor allem an die Montage stellte. Die vertikale Ordnungsstruktur der filigranen Pfosten der Glasfassade zieht sich wie ein roter Faden durch das Projekt. Abhängig von der Raumhöhe der fünf Ebenen - von 3,5 bis 8,3 Metern - wird die Fassade durch horizontale Unterteilungen, Shadow Box Paneele, opake Verkleidungen und Lüftungspaneele aus Aluminium ergänzt. Je nach Blickwinkel und Standort verändert der Bahnhof seine Form - von lang und breit bis schmal und hoch. Dieses dynamische Formenspiel setzt sich in der Fassadengestaltung fort.

Die vorgesetzten, trapezförmigen Holzlamellen aus unbehandelter europäischer Eiche erfüllen neben der Verschattungsfunktion noch die Anmutung eines dekorativen Elements. Unregelmäßig verteilt unterstützen sie die fließende Bewegung der Fassade, erzeugen je nach Blickwinkel einen geschlossenen oder transparenten Charakter und setzen sich als gestalterisches Element im Innenraum fort. In den vertikalen Flächen des Atriums entsteht im Tagesverlauf durch die präzise Anordnung und die unterschiedlichen Längen der Holzlamellen ein lebendiges Spiel von Licht und Schatten. Vor- und Rücksprünge mit gezielt eingesetzten Lamellen filtern das Tageslicht im Innenraum und sorgen für eine blendfreie Wegeführung der Nutzer. Die Verbindung der Ebenen erfolgt über großzügige Treppen- und Rolltreppenanlagen.

Die Erschließung des Außenraumes erfolgt für die Nutzer über ein spiralförmig angeordnetes Treppen- und Rampensystem entlang des Gebäudevolumens. Die daraus resultierenden Auskragungen sind als Vordächer ausgebildet und erfordern komplexe geometrische Lösungen. Die insgesamt 1.500 m² große Vordachkonstruktion hat eine Höhe von 1 Meter mit einer Auskragung, die zwischen 1,5 Meter und 6,5 Meter variiert.
Acrytherm-Paneele wurden als Deckmaterial an den Oberseiten eingesetzt, während die Untersichten aus Aluminiumverbundplatten mit mineralischem Füllkern bestehen, in die Lichtkanäle integriert sind. Wechselnde Raumhöhen, Geometrien und auskragende Vordachkonstruktionen erforderten höchste Präzision bei der Vorfertigung und Montage vor Ort, um ein optisch einwandfreies Fugenbild zu erzielen. Die Anordnung und Neigung der Auskragungen sowie deren Proportionen erfüllen neben dem gestalterischen Anspruch auch funktionale Anforderungen. Die geschickte Verschattung verhindert ein Aufheizen der Fassaden durch direkte Sonneneinstrahlung und wirkt sich positiv auf das Raumklima aus. Die Energieeffizienz des Gebäudes erhöht sich durch eine geringere Kühlleistung.

Hohe Anforderungen wurden auch an die Öffnungselemente gestellt. In der Fassade befinden sich 14 automatische Schiebeanlagen und über 60 Türen unterschiedlichster Bauart und Größe - z.B. zweiflügelige Türen im Sonderformat mit einer Höhe von bis zu 5 Metern. Einen ebenso hohen Stellenwert hat die Zutrittssicherung im Gebäudeinneren. Für den nachträglichen Verschluss der U-Bahn-Station sind Sicherheitsschleusen eingebaut, fernbedienbare Automatiktüren mit einbruchhemmenden Gittern der Klasse RC4. Weitere sicherheitsrelevante Vorkehrungen sind in der Fassade im Bereich der integrierten Polizeistation berücksichtigt, die den Einsatz von durchschusshemmendem Glas der Widerstandsklasse BR6-NS sowohl in den Außen- als auch in den Innenfassaden erfordert.

Eine besondere Herausforderung für die Fassadenkonstruktion war die Berücksichtigung der Schwingungen, die durch den Zugverkehr in der U-Bahn-Station entstehen. Deren Auswirkungen auf das Gebäude wurden in umfangreichen Studien detailliert untersucht und in der technischen Planung von Frener & Reifer berücksichtigt. Eine ermittelte mögliche Gebäudebewegung von bis zu maximal 6 Zentimetern wird durch gleitende Fugen ausgeglichen, sodass Glasbruch vermieden wird.

Vom Konstruktionsdetail zum „Avis de chantier“

Die französischen Bauvorschriften sind sehr streng, verbunden mit einer aufwändigen Nachweispflicht. Die von Frener & Reifer entwickelte technische Lösung, die die Bewegungen des Gebäudes berücksichtigt und gleichzeitig einen Materialmix verwendet, der ein ästhetisch homogenes Erscheinungsbild mit sehr raffinierten Details unter Berücksichtigung der komplexen architektonischen Formen ermöglicht, wurde in aufwändigen Prüfverfahren verifiziert. Der gesamte Planungsprozess und die entwickelten Lösungen wurden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für den „Avis de Chantier“ vom Bureau de control validiert.

Von der Planung bis zur Montage

Frener & Reifer war verantwortlich für die technische Planung, Fertigung, Logistik und Montage der gesamten thermischen Gebäudehülle einschließlich der Verkleidungselemente. Die Größe und Komplexität des Projektes mit einer Gesamtlaufzeit von 42 Monaten erforderte die Fachkompetenz verschiedener Disziplinen mit Lösungserfahrung und Durchhaltevermögen.
Seitens Frener & Reifer waren 90 Mitarbeiter direkt involviert, mit hoher Agilität in den einzelnen Projektphasen und Einsatzspitzen auf der Baustelle von bis zu 50 Monteuren. Die Planung und Ausführung der Fassade erfolgte zeitgleich in Abstimmung mit den Gewerken Rohbau und Technische Gebäudeausrüstung. Entscheidend für den termingerechten Projekterfolg war die Kommunikation und Zusammenarbeit der verschiedenen Unternehmen. So wurden alle Informationsstände der verschiedenen Planungen über ein gemeinsames 3D-Modell integriert. Mit diesem Tool klärten sich die Abhängigkeiten an den Schnittstellen nahezu automatisch und die einzelnen Aufgaben konnten von den Verantwortlichen eindeutig gelöst werden.

Ebenso wurden viele Fragen zur Gestaltung und technischen Machbarkeit bereits im Vorfeld geklärt. Hierzu diente das erstellte, originalgetreue „Visual Mockup“ der Hauptfassade mit Vordachkonstruktion als Entscheidungsgrundlage für Bauherr, Generalunternehmer und Architekt. Die gewonnenen Erkenntnisse haben den weiteren Planungs- und Ausführungsprozess positiv beeinflusst.

Eine besondere Herausforderung für alle am Bau Beteiligten war der enge Zeitplan mit dem unverrückbaren Termin der Inbetriebnahme zu den Olympischen Spielen 2024. Um die Vorplanung und Montage selbst in der Hand zu haben, entschied sich der Tiroler Fassadenbauer daher, den Vorfertigungsgrad im Werk Brixen im Vergleich zu anderen Bauvorhaben deutlich zu erhöhen. Mit insgesamt 100 Sattelschleppern belieferte das Logistikteam die bis zu 50 Kollegen auf der Baustelle in Saint Denis nach einem auf den Bauablauf abgestimmten Zeitplan. Die Abnahme erfolgte termingerecht am 22.05.2024, die Commission de Securité wurde erfolgreich bestanden und der Bahnhof konnte pünktlich zu den Olympischen und Paralympischen Spielen eröffnet werden.

www.frener-reifer.com

Bautafel

Projektart: öffentliches Gebäude

Eigentümer / Bauherr: Société du Grand Paris

Kunde / Generalunternehmer: BESIX

Architekt: Kengo Kuma & Associates

Planungsbeginn: Januar 2021

Beginn Montage: Mai 2023

Fertigstellung: Mai 2024

Eröffnung: 25.06.2024

Projektleitung FRENER & REIFER: Marco Aprà

Technischer Projektleiter FRENER & REIFER: Davide Chesini / Federica Iachelini

Montageleiter FRENER & REIFER: Andreas Reifer / Quentin Gautier

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