Herr Riedels Gespür für Schnee
Neuartige Schanzentechnik für SkiflugAuch ein Metallbauer kann von Olympia träumen. Peter Riedel hat schon vieles erreicht. Da sich die Karriere als Skirennläufer in der DDR als Sackgasse erwies, fand der Inhaber der gleichnamigen Metallbaufirma einen anderen Weg, in der Welt des internationalen Skisports seine Spuren im Schnee zu hinterlassen: als Erfinder und Konstrukteur einer neuartigen Schanzentechnik, die die Unfallgefahr reduziert. Auf „seiner“ Anlaufspur werden 2025 die Skispringer der Nordischen Ski-WM in Trondheim abheben.
Er ist der Mann, der die Spur legt und den Untergrund bereitet, damit andere abheben können. Peter Riedel hat die Welt des Skispringens wie kein Zweiter geprägt, allerdings nicht als aktiver Sportler, sondern als Mann im Hintergrund. Im Gespräch wird immer wieder der Ehrgeiz spürbar – er nennt es „Drive“ –, der ihn dazu antreibt, im internationalen Hochleistungssport „mitreden“ zu wollen. Letztes Jahr war er dafür 270 Tage „auf Achse“ – unter anderem in Norwegen, Österreich und Japan. Es scheint, er hat etwas aufzuholen – immer noch.
Peter Riedels Vater, Eberhard Riedel, war der bekannteste Skirennläufer der DDR. Er nahm an drei Olympischen Spielen teil und feierte 1961 mit einem Sieg beim Riesenslalom im Schweizer Adelboden seinen größten Erfolg; sein Bekanntheitsgrad ist vergleichbar mit dem von Willi Bogner in Westdeutschland. Auch die Mutter von Peter Riedel war Leistungssportlerin. Es fiel ihr schwer, den Ski-Rennsport nach der Geburt der Söhne aufzugeben, erzählt Riedel. Sein Bruder und er sind direkt am Fichtelberg in der höchstgelegenen Stadt Deutschlands groß geworden: auf 914 Metern Höhe in Oberwiesenthal. Die Karriere des Vaters endete 1968 abrupt. Dem, der zuvor die Welt bereiste und als offizieller Sportler der Nationalmannschaft die DDR international vertreten hatte, nahm man den Pass ab und seine Familie durfte fortan nicht mehr ins nicht-sozialistische Ausland reisen. Ein harter Schlag für Peter Riedel, der unbedingt in die Fußstapfen bzw. Skispuren des Vaters treten wollte. Er selbst war mehrfacher DDR-Meister und Zehnter bei den internationalen Tschechischen Meisterschaften in Jablonec. An die großen Skierfolge seines Vaters konnte er nicht anknüpfen, denn an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen, blieb ihm verwehrt. Er sagt: „Sie wussten, wenn Peter Riedel nach Innsbruck zu einem Skisport-Wettkampf fahren würde, würde er nicht zurückkommen.“ „Sie“ – das sind die Verantwortlichen im DDR-Regime, die für die Ausreiseerlaubnis zuständig waren. Und sie hatten recht. Peter Riedel wäre nicht zurückgekommen, verrät er heute mit einem Augenzwinkern. Wie aus dem Ex-Skirennfahrer der Erfinder und Chef eines Metallbaubetriebs wurde, das erzählt dieses Porträt.
Der Mann, der aus der Kälte kam,
und in den Tunnel stieg
Peter Riedels Eltern legten Wert darauf, dass ihr Sohn auch einen „ordentlichen Beruf“ lernt. So absolvierte er eine Ausbildung zum Zimmermann und studierte anschließend Hochbau an der Technischen Universität Leipzig. Als Hochbau-Ingenieur machte er sich selbstständig und arbeitete als Planer, Statiker und Konstrukteur. Durch seine aktive Zeit als alpiner Rennsportler hatte er aber immer noch Kontakt zu den Verantwortlichen im Hochleistungssport. Aus den Gesprächen unter anderem mit Thomas Pfüller, dem damaligen Generalsekretär des deutschen Skiverbands, wusste er, dass der deutschen Nationalmannschaft in den nordischen Disziplinen sehr daran gelegen war, die Trainingszeiten auf Schnee zu verlängern – angesichts immer kürzerer Winter mit ausreichend Schnee. Ausgerechnet mit einer Entwicklung für Langläufer ist der ehemalige alpine Rennsportler bekannt geworden. Für ein Schneeerhaltungssystem in einer Röhre betrieb er Grundlagenforschung. Riedel: „Der Dreh- und Angelpunkt ist: Wie erreicht man, dass der Schnee in der richtigen Konsistenz in einer langen Röhre länger haltbar ist?“ Der Tunnel wurde schließlich 2009 in Oberhof in Thüringen eröffnet. Statt Geschick und Muskelkraft waren Köpfchen und Ingenieurskunst gefragt. Auch bei seiner nächsten Erfindung.
Neue Schanzentechnik verringert Unfallgefahr
Frage: Wie wird man ein gefragter Player im Hochleistungssport, ohne sich aktiv im Wettkampf zu messen? Antwort: Man macht eine Erfindung, die den Hochleistungssportlern zugutekommt und von der die Nationalmannschaft und die Verantwortlichen im deutschen Skiverband profitieren! Für seine nächste Erfindung wagte sich Peter Riedel auf die Skiflugschanze. Eineinhalb Jahre lang hat er an einem neuen Anlaufsystem getüftelt, das ein Mehr an Sicherheit für die Skispringer bietet. Das Problem war: Durch einen Wasserfilm auf der Anlaufspur blieben viele Springer häufig kleben und sind oft böse gestürzt. Riedels Idee: der Eisblock in der Anlaufspur wird strukturiert. Er entwickelte hierfür ein spezielles Eiserhaltungssystem. Im Sommer fährt man auf Porzellan und im Winter auf einer sieben Zentimeter dicken Eisschicht, für die er die Eisfräse gleich mitentwickelte.
Die erste Schanze wurde 2007 mit der neuen Technik ausgerüstet: in Trondheim in Norwegen. Im gleichen Jahr erhielt Riedel den Auftrag für die Schanze in Garmisch-Partenkirchen. Die längste Schanze, die ausgerüstet wurde, ist 136 Meter lang und steht in Vikersund im Süden Norwegens. Eine Besonderheit am Rande: Die ursprüngliche Anlaufspur in Trondheim liegt heute in Oslo auf der Schanze Midtstubakken; vor drei Jahren wurde das alte Spursystem demontiert, in der Werkstatt von Riedel im Erzgebirge aufbereitet, und in der Hauptstadt Norwegens remontiert. Wo es möglich ist, legt die Firma Wert darauf, alte Anlagen wiederzuverwenden.
Der Weg zur Metallbaufirma und der Millionenauftrag
2010 schließlich gründete Riedel seine eigene Montagefirma, die schnell ihr Portfolio erweitert, auch weil die Fachkräfte, die Riedel um sich versammelt, ihr Handwerk verstehen – sei es in der Schweißtechnik oder der Verarbeitung von Aluminium und Edelstahl. „Angefangen hat alles mit der Entwicklung der Eisspur; das Spursystem selbst besteht aus Kunststoff und die Trägerkonstruktion aus Stahl. Dazu kommen die Seitenverkleidungen aus Plexiglas und Treppenanlagen aus Stahl. Das anfängliche System haben wir so immer weiter ergänzt und erweitert, wie zum Beispiel das dazugehörige Kühlsystem und die Kühlverrohrung, einschließlich der Windentechnik“, erzählt Riedel. Sein Ziel sei es eigentlich nie gewesen, Stahlbauer oder Metallbauer zu werden, da seine Stärke in der Entwicklung liegt. Aber letztendlich habe er seine eigene Entwicklung umgesetzt, „weil sich niemand fand, der sich mit dem ganzen ‚Drumherum‘ – den statischen und baulichen internationalen Vorschriften – auseinandersetzen wollte.“
Die Metallbaufirma stemmt heute nicht nur Großprojekte im Schanzenbereich, sondern übernimmt vorwiegend regionale Aufträge. Die Firma baut Terrassen und Balkone, Tore und Geländer, Zäune aus Stahl, Edelstahl und auch aus Cortenstahl; Handläufe aus Edelstahl sind keine Seltenheit. Sogar Hotelanrichten und Feuerkörbe sind gefragt. Letztere werden gefertigt, „um ein Geschenk für die internationale Kundschaft zu haben, denn in anderen Ländern kennt man so etwas nicht“, so Riedel.
Was den Umsatz angeht, wird mit den Projekten zur Schanzenausrüstung der größte Anteil erwirtschaftet – etwa 85 %. Den größten Auftrag in der Firmengeschichte haben Riedel und ein Stab von vier Mitarbeitern 2022 gestemmt. 70 Tage lang waren sie im norwegischen Trondheim damit beschäftigt, die neue Schanze für die WM 2025 aufzubauen: Auftragsvolumen: 1,2 Millionen Euro. Gefragt, was die größte Herausforderung war, antwortet Riedel selbstbewusst: „Eigentlich nix!“. Ein Problem gab es dann doch: Aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation in Norwegen waren just zu der Zeit die Autokräne ausgebucht. Die Entladung der Bauteile konnte nur von festgelegten Stellen aus erfolgen. Schwerstes Teil, das bewegt werden musste: die Eisfräse, die circa 450 Kilo wog.
Neben diesen Aufträgen, die meist im sechsstelligen Bereich liegen, gibt es noch eine Spezialität, die wohl sonst kein Metallbaubetrieb im Angebot hat: handgefertigte Skier. Hiervon stellt Riedel maximal 20 Paar pro Jahr her, Kostenpunkt circa 1.000 Euro. Keine Massenproduktion, sondern eine individuelle Fertigung nach Maß, die sich nicht nur der Profi-Skisportler leisten kann.
Ein prominenter Ex-Skispringer gehört auch zur Kundschaft von Peter Riedel. Jens Weißflog ist heute ein erfolgreicher Hotelier in Oberwiesenthal. Weißflog kennt Riedel, weil dessen Vater ihn als Junior trainiert hat. 2021 hat Weißflog sein Bettenangebot erweitert und ein Nebengebäude zu Appartements umbauen lassen. Für den Erweiterungsbau hat die Firma Riedel die Stahlkonstruktion für die Verglasung und das Zugangsgebäude errichtet und die gesamte Balkonanlage nach vorne hin realisiert – das Auftragsvolumen betrug rund 150.000 Euro. Weißflog war es wichtig, mit einem Partner aus der Region zusammenzuarbeiten; die Werkstatt von Riedel befindet sich im Nachbarort Raschau. „So kann man sich schnell vor Ort treffen und Dinge auf dem kurzen Weg klären“, betont Weißflog. Die Zimmer können sich übrigens auch „Normalsterbliche“ leisten – im Sommer bekommt man sie ab 138 Euro.
2024 sind Riedel und sein Team gut beschäftigt. Zum Beispiel mit den Vorbereitungen für die Skisprungschanze in Saalfelden in Österreich und dem Bau einer Stahlbühne sowie Maschinenpodesten für eine englische Firma, die ins Erzgebirge umsiedelt. Seit Februar bereitet Riedel ein weiteres Projekt in Norwegen vor.
Nächstes Etappenziel: Predazzo 2026
Insgesamt 113 Schanzen auf der ganzen Welt hat Peter Riedel mit seinem Anlaufsystem ausgestattet. Ein Ziel möchte er noch verwirklichen: „Einmal eine Olympiaschanze auszurüsten, bevor auf ihr die Olympischen Spiele ausgetragen werden – das wäre mein Traum“, sagt Riedel. Die Chancen stehen nicht schlecht. Die Skisprungschanze im italienischen Predazzo soll Austragungsort der Skisprungwettbewerbe der Olympiade 2026 werden. Vielleicht dann mit der Anlaufspur aus dem Erzgebirge.