Glasdicke nach DIN (3)
In der dritten und letzten Folge seines Beitrages zur neuen DIN 18008 „Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln“ beschäftigt sich unser Fachautor mit Teil 2 der Norm „Linienförmig gelagerte Verglasungen“, die als Ersatz für die TRLV gedacht ist.
Teil 2 der neuen DIN 18008 ist als Ersatz für die 2006 zuletzt aktualisierten „Technischen Regeln für die Verwendung von linienförmig gelagerten Verglasungen“ (TRLV) gedacht. Die Inhalte der TRLV wurden mit geringfügigen Änderungen weitgehend übernommen. Die ebene, ausfachende Verglasung muss an mindestens zwei gegenüberliegenden Seiten mit mechanischen Verbindungsmitteln (z.B. verschraubten Pressleisten) durchgehend linienförmig gelagert sein. Allerdings sind gemäß dem geplanten Teil 3 der Norm punktförmige Randklemmhalter oder durch Glasbohrungen geführte Tellerhalter möglich.
Zusätzliche Anforderungen sind zu berücksichtigen für Verglasungen, die begangen oder befahren werden sollen, als Absturzsicherung dienen (Teil 4 der Norm) oder ständigem Flüssigkeitsdruck (z.B. Aquarienverglasung) ausgesetzt sind.
Je nach Neigung zur Vertikalen werden unterschieden:
* Horizontalverglasungen mit Neigung > 10°
* Vertikalverglasungen mit Neigung ≤ 10°
Anwendungsbedingungen. Der Glaseinstand ist so zu wählen, dass die Standsicherheit langfristig sichergestellt ist. Er muss mindestens 10 mm betragen. Die linienförmige Lagerung an mindestens zwei gegenüberliegenden Seiten muss für Druck- und Sogkräfte wirksam sein. Bei Isolierglas muss die linienförmige Lagerung für alle Scheiben wirksam sein. Eine Scheibe ist linienförmig gelagert, wenn - bezogen auf die aufgelagerte Scheibenlänge - die Durchbiegung der Unterkonstruktion maximal L/200 beträgt. Eine fachgerechte Verklotzung der Verglasungen ist durchzuführen.
Horizontalverglasungen. Hier ist eine ganze Reihe von zusätzlichen Regelungen zu beachten:
* Bei Einfachverglasungen bzw. für die untere Scheibe von Horizontalverglasungen darf zum Schutz von Verkehrsflächen nur VSG aus Float oder VSG aus TVG oder Drahtglas verwendet werden.
* Die Resttragfähigkeit darf durch Bohrungen oder Ausschnitte nicht beeinträchtigt werden.
* VSG-Scheiben aus TVG dürfen zur Befestigung von Deckleisten gebohrt werden.
* VSG-Scheiben mit einer Stützweite größer 1,2 m sind allseitig zu lagern.
* Bei VSG muss die Nenndicke der Zwischenfolie mindestens 0,76 mm betragen. Als Ausnahme ist eine Folie von 0,38 mm ausreichend, wenn eine allseitige Lagerung mit einer maximalen Stützweite von 0,8 m vorliegt.
* Drahtglas darf bis zu einer maximalen Stützweite von 0,7 m eingesetzt werden; es benötigt einen Glaseinstand von mindestens 15 mm.
* Drahtglas-Kanten dürfen nicht ständig der Feuchtigkeit ausgesetzt sein. Freie Kanten dürfen der Bewitterung ausgesetzt werden, wenn ihre Abtrocknung nicht behindert wird.
* Ein freier Rand von VSG darf in allen Richtungen maximal 30% der Auflagerlänge, höchstens jedoch 300 mm über die linienförmige Auflagerung auskragen.
* Als Tropfkante von z.B. Überkopfverglasungen darf die Scheibe eines VSG maximal 30 mm über den Verbundbereich hinaus auskragen.
* Bei Isolierglas als Horizontalverglasung ist die untere Scheibe stets auch für den Fall des Versagens der oberen Scheibe(n) als „außergewöhnliche Bemessungssituation“ nachzuweisen, falls die obere Scheibe nicht in VSG ausgeführt ist.
Von den genannten zusätzlichen Regelungen für Horizontalverglasungen darf abgewichen werden, wenn geeignete konstruktive Maßnahmen, z.B. ausreichend tragfähige engmaschige Netze, sicherstellen, dass Verkehrsflächen nicht durch herabfallende Glasteile gefährdet werden.
Vertikalverglasungen. Auch hier gibt es zusätzliche Regelungen:
* Monolithische Einfachverglasungen aus grob brechenden Glasarten (z.B. Floatglas, TVG, Ornamentglas), deren Oberkante mehr als 4 m über Verkehrsflächen liegt, müssen allseitig gelagert sein.
* Monolithisches ESG, dessen Oberkante mehr als 4 m über Verkehrsflächen liegt, ist als ESG-H auszuführen, auch bei Verwendung in Mehrscheiben-Isolierglas.
Einwirkungen. Der Spannungsnachweis ist gemäß DIN 18008-1 zu führen (Ed ≤ Rd). Für die Durchbiegungsbegrenzung ist als Bemessungswert der Gebrauchstauglichkeit L/100 anzusetzen. Auf diesen Nachweis darf bei Vertikalverglasungen verzichtet werden, wenn nachgewiesen wird, dass infolge Sehnenverkürzung eine Mindestauflagerbreite von 5 mm auch dann nicht unterschritten wird, wenn die gesamte Sehnenverkürzung auf einer Seite angesetzt wird. Auf ggf. höhere Anforderungen der Isolierglashersteller an die Durchbiegungsbegrenzung wird hingewiesen. Diese gehen von einer Durchbiegungsbegrenzung von L/200, maximal 15 mm, in Einzelfällen auch noch von L/300, maximal 8 mm, aus. Nach der TRLV bestand für allseitig gelagerte Vertikalverglasungen keinerlei Durchbiegungsbeschränkung.
Nachweiserleichterungen. Allseitig linienförmig gelagerte Vertikalverglasungen aus 2-fach-Isolierglas, die bei normalen Produktions- und Einbaubedingungen hergestellt und nur durch Wind und Eigengewicht belastet sind, dürfen bis 20 m Einbauhöhe über Gelände ohne weitere Nachweise verwendet werden, wenn die nachfolgend genannten Bedingungen eingehalten werden:
* Glaserzeugnis: Floatglas, TVG, ESG, ESG-H
* Fläche: ≤ 1,6 m²
* Scheibendicke: ≥ 4 mm
* Differenz der Scheibendicken: ≤ 4 mm
* Scheibenzwischenraum: ≤ 16 mm
* Charakteristischer Wert der Windlast: ≤ 0,8 kN/m²
Anhang. Teil 2 der Norm enthält dann noch einen informativen Anhang A, in dem ein Näherungsverfahren zur Ermittlung von Klimalasten in der gleichen Form beschrieben ist, wie das bereits in der TRLV der Fall war. Nicht mehr in die Norm übernommen wurden die in der TRLV gegebenen „Erläuterungen zu den Mindestwerten für klimatische Einwirkungen“.
Auf einen Blick
Die wichtigsten Änderungen in der DIN 18008
* Das Bemessungskonzept wird umgestellt von reinen Spannungs- und Durchbiegungsnachweisen auf Teilsicherheitsbeiwerte, die mit statistischen Werten auch Betrachtungen zur Wahrscheinlichkeit verlangen.
* Es geht dabei um Nachweise von Grenzzuständen der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit, bei denen dann freilich doch wieder Spannungen und Durchbiegungen die wesentliche Rolle spielen.
* Völlig neu ist die Betrachtung von außergewöhnlichen Bemessungssituationen (z.B. Zerstörungsstände, Erdbeben).
* Die Einwirkungsdauer spielt eine wesentlich größere Rolle.
* Vorgespannte Gläser und Verbundgläser werden günstiger beurteilt.
Kommentar
Normenfamilie schnell einführen
Grundsätzlich ist es in Ordnung, dass die Glasdicken-Ermittlung auf eine normative Grundlage gestellt wird. Ob dies in einer Art zeitlicher Konkurrenz zu ähnlichen europäischen Normungsvorhaben hätte sein müssen, sei einmal dahingestellt. Jedenfalls sind die neuen Nachweisverfahren für handwerkliche Endanwender kaum mehr selbst rechenbar; zumindest wird jetzt der Einsatz leistungsfähiger EDV-Programme vollends unumgänglich. Kleinere und auch mittlere Handwerksbetriebe werden sich bezüglich der Glasdicken-Ermittlung verstärkt an ihre Beratungsstellen oder Glaslieferanten wenden müssen. Die von dort gelieferten Rechenergebnisse können aber nur so gut sein wie die objektspezifischen Vorgaben, die idealerweise vom Planer kommen sollten. Ohne eine umfassende Projekt-Beschreibung, die Informationen zu Geometrie, Abmessungen, Lagerung, Glasarten außen/Mitte/innen, SZR 1, ggf. SZR 2, Einbauwinkel, Ort, Ortshöhe, Windzone, Gebäudebreite, -höhe, -tiefe, Geländekategorie, Schneelastzone, Klimalast, ggf. Höhe von Produktions- und Einbauort über NN, Linienlast und Punktlast enthält, ist hier nichts zu machen. Erste Berechnungen zeigen, dass die Glasdicken bei Vertikalverglasungen um etwa eine Dicken-Stufe höher, bei Horizontalverglasungen um etwa eine Dicken-Stufe niedriger als bisher ausfallen. Besonders wichtig und wünschenswert ist eine schnelle bauaufsichtliche Einführung der Normenfamilie, damit die Zeit der Unsicherheit, welches Regelwerk aus welchen Gründen auch immer in einem spezifischen Fall anzuwenden ist, möglichst kurz gehalten wird. Und auch, dass damit einhergehende Wettbewerbsverzerrungen minimiert werden.