Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf im Interview

Solaroptimierte Fassade

Architektin und Professorin Tina Wolf leitet das Fachgebiet Technologie und Design von Hüllkonstruktionen an der TU München. Im Interview spricht sie über Solartechnik in der Fassade und warum sich auch Metallbauer damit beschäftigen sollten.

Mitarbeiter und Studenten des Fachgebietes Technologie und Design von Hüllkonstruktionen an der Technischen Universität (TU) München beschäftigen sich mit optimierten Gebäudehüllen, besonders unter dem Aspekt der erneuerbaren Energien. Welche Vorteile fassadenintegrierte Solartechniken für Architektur und Handwerk bereithalten erklärt die freiberufliche Architektin Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf an im Interview. Zu einer Gebäudehülle gehört für sie alles, was ein Haus einhüllt – vertikale Fassaden ebenso wie Dachflächen. Auch gibt es Projekte, bei denen kein Unterschied zwischen Dach und Fassade ersichtlich ist. Beispielsweise bei Gebäuden mit zwei Stirn-, zwei Längsfassaden und einer Dachfläche, oder sehr skulpturalen Bauwerken, die in der gleichen Materialität eingehüllt sind. Allerdings wird in 80 bis 90% der Fälle über die vier Fassadenflächen eines Gebäudes gesprochen.  
? Frau Professor Wolf, welche Vorteile muss eine solaroptimierte Fassade bieten?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Eine solaroptimierte Fassade ist für mich eine aktivierte Fassade. Das ist eine Gebäudehülle, die Energie einspart, nutzt und sammelt. Das erreicht sie z.B. durch konsequente Dämmung oder gute U-Werte. Dazu sollte sie Mehrfachfunktionen beinhalten, wie integrierte Solarelemente. Architektonisch integriert übernehmen diese vielleicht nur eine Funktion wie Stromerzeugung. Aber wenn man diese Technik tatsächlich in die Fassade eingliedert, sollten sie mehre Funktionen übernehmen wie Sicht- und Sonnenschutz, Tageslichtlenkung oder Wetterschutz. In meiner Promotion von 2006 zum Thema „Entwicklung einer solaroptimierten Fassade“ war eine Funktion die Tageslichtlenkung. Das hatte den Hintergrund das Tageslicht aktiv zu nutzen und den Energieverbrauch der elektrischen Beleuchtung zu reduzieren.  
? Kann gebäudeintegrierte Solartechnik im Deutschen Energie-Mix einen relevanten Beitrag leisten? Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Im Moment werden rund 20 bis 30 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt. Davon stammen vielleicht drei Prozent aus PV-Anlagen – größtenteils aus Dach- oder Freilandanlagen. Fassadenintegrierte Solarelemente leisten auch einen Beitrag, allerdings liegt dieser unter einem Prozent oder künftig vielleicht sogar bei einem Prozent. Diesen Anteil darf man aber nicht unter den Teppich kehren. Es ist sehr wichtig, Fassadenflächen konsequent zu nutzen. Ihr Anteil ist zwar zu gering, um unsere Energieprobleme zu lösen, man sollte aber z.B. nicht die Heizleistung vergessen. Hierfür eignet sich die Gebäudehülle sehr gut, da sie vor allem im Winter die tiefstehende Sonne in einem optimalen Winkel einfängt. Ich halte einen relevanten Beitrag in der Solarthermie für realisierbar, aber es wird sicher nicht morgen passieren.  
? Erklären Sie uns dieses Potenzial genauer?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: 2000/2001 starteten wir an der Universität Stuttgart ein Forschungsprojekt. Unser Ziel war es, solarthermische Systeme in Fassaden von Bürogebäuden zu integrieren und diese damit zu kühlen. Erst bei Messungen auf Teststationen wurde uns klar, wie gut die Heizleistung mit diesen Systemen in der Fassade funktioniert. Weil eben die Sonne im Winter ideal steht und hohe Erträge einbringt. Unser wissenschaftlicher Partner, das Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme, kurz Solites, hat dazu Simulationen durchgeführt. Dabei kam heraus, dass die Qualität der Nutzung einer Fassadenfläche, also wie gut diese sich für den Einsatz von Solarelementen eignet, von der Direktstrahlung am jeweiligen Ort abhängt. Bisher dachten wir, dass das vom Breitengrad abhängig ist.
Es stimmt in diesem Fall also nicht, dass eine Solar-Fassade, die in einem südlichen Land integriert ist, bessere Leistungen erbringt. In Richtung Äquator steht die Sonne senkrecht, sodass eigentlich keine Strahlung mehr auf die Südfassade trifft. Im Norden steht die Sonne tiefer. Das heißt, dort trifft zwar über den Tag verteilt weniger Strahlung auf die Fassade, kommt aber in einem idealeren Winkel auf.  
? Und wie geht das Projekt weiter?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Im Moment ist der Abschlussbericht in Arbeit. Wir haben gemeinsam mit unseren Partnern eine Fassade aus Vakuum-Röhren-Kollektoren entwickelt, die 2010 mit dem intersolar-Award  ausgezeichnet wurde. In Ravensburg haben wir jetzt eine Wohnanlage gefunden, in der die Fassade eingebaut wird. Wir suchen aber noch nach anderen Bauwerken, am besten Bürogebäude, die auch solare Kühlung nutzen wollen. Das Projekt entstand gemeinsam mit der Metallbau Früh GmbH mit Sitz in Umkirch, der Frehner und Reifer GmbH aus Brixen und der Firma Hydro Building Systems – Wicona, Ulm. Die Kollektoren lieferte die Ritter Solar GmbH.  
? Denken Sie, dass der Einsatz von fassadenintegrierten Solarkollektoren steigt?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: In Deutschland findet man solarthermische Anlagen, vor allem integrierte Flachkollektoren, hauptsächlich auf Dächern privater Einfamilienhäuser. Bei unserem Projekt haben wir uns mit Vakuum-Röhren-Kollektoren beschäftigt. Diese haben sich noch nicht durchgesetzt, wir sind noch in den Anfängen und es fehlt an Aufträgen.
Die gebäudeintegrierte Photovoltaik hat den Sprung in die Architektur geschafft. Das verdanken wir zum Teil auch den Fördermaßnahmen. In der Solarthermie sieht es leider nicht ganz so ideal aus. Der Topf muss voll sein, bevor Förderungen verteilt werden können. Ich glaube, daran hakt es zurzeit. Vor allem wenn man in Richtung große Mietshäuser oder Verwaltungsbauten blickt. Das beste Beispiel: Für unser Forschungsprojekt haben wir händeringend nach einem Demonstrations-Gebäude im Raum Stuttgart gesucht. Im Zentrum von Stuttgart haben wir ein Bürogebäude gefunden, das wir als Beispiel für unsere Simulationen genutzt haben und dessen Fassade sogar saniert werden sollte. Am Schluss hat sich der Vertreter des Bauherren gegen das Projekt entschieden, es ist an den höheren Kosten gescheitert.  
? Wie überzeugen Architekten Bauherren von einer Solar-Fassade und den dadurch entstehenden Mehrkosten? Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: An diesem Beispiel hat es nicht funktioniert, hier waren meine Argumente wohl zu schwach. Ein Punkt könnte z.B. bei einem Eigentumsprojekt oder Firmensitz sein, dass das Unternehmen einen Imagegewinn bekommt und sich damit schmücken kann, grün aufzutreten. Egal ob bei Solarthermie oder PV-Anlagen, gute Argumente sind auch die steigenden Energiekosten aufgrund der Verknappung der Rohstoffe. Man kann natürlich auch versuchen den Bauherren in die Verantwortung zum Thema Umweltproblematik zu nehmen. Das war bei einem meiner Projekte der Fall. Nachdem der Bauherr gesehen hat, dass für ihn kein finanzielles Risiko besteht, sondern abschätzbare Kosten, wollte er auch eine integrierte PV-Anlage.  
? Haben Sie den Eindruck, dass Architekten und Bauherren nach Metallbau-Betrieben suchen, die bereits Erfahrung mit der Montage von Solar-Fassaden gesammelt haben?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Ja. Ich hoffe auch, dass meine Kollegen noch öfter auf Handwerker zugehen. Zuerst sind aber Architekten und Planer an der Reihe, Verantwortung zu übernehmen. Solche Überlegungen müssen bereits in der Planungsphase stattfinden. Hier ist in den letzten zehn Jahren bereits viel passiert, dass sieht man auch an den vielen verwirklichten Projekten und zahlreichen Kongressen. Es ist bereits ein Wandel passiert und den brauchen wir auch.  
? Und wie steht es mit einem Wandel im Handwerk, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Viele Handwerker hinken diesem Thema noch hinterher. Ich hatte das Glück, einige Ausnahmen kennenzulernen, allerdings beschränkt auf die PV. Das liegt daran, dass die Montage und Installation dieser Anlagen einfacher ist. Die Solarthermie ist heikler, z.B. wegen den heißen Flüssigkeiten. Trotzdem tut sich im Handwerk etwas. Jeder Betrieb der hier Referenzen vorweisen kann wird mit Sicherheit in Zukunft gefragt sein. Ich denke, das war auch eine Motivation der Metallbaubetriebe Früh sowie Frehner und Reifer, bei unserem Forschungs-Projekt mitzuwirken. Sie wollten sich einen Wissensvorsprung sichern, damit sie bei Ausschreibungen überzeugen wenn die Realisierung einer Kollektor-Fassade gefragt ist. Diese beiden Metallbau-Unternehmen werden auch keine Probleme bei der Ausführung bekommen. Wir haben einige Testfassaden in den Firmensitzen aufgebaut und das hat super geklappt.  
? Welche Solar-Trends setzen sich Ihrer Meinung nach durch?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Die PV hat sich bereits durchgesetzt, was unter anderem an der Förderlandschaft und an der unkomplizierten Integration liegt. Ein Grund ist auch, dass Strom einfacher einspeist und gezählt werden kann. Die PV ist zurzeit lukrativ, obwohl diese starken Kürzungen vorgenommen wurden und einige Solarunternehmen schließen mussten. Einen Schritt weiter gedacht, ist es ein ganz wichtiges Merkmal von Gebäudehüllen, dass sie adaptiv sind. Alle starren Strukturen können nicht auf die sich verändernden Außenräume wie das Klima reagieren. Deshalb wollen wir auch im Rahmen eines Forschungsvorhabens einen adaptiven, photovoltaisch aktivierten Sonnenschutz entwickeln. Für dieses Projekt konnten wir bereits den Metallbauer Frehner und Reifer gewinnen und zurzeit sind wir mit dem Modulhersteller Odersun im Gespräch. Wir werden das nicht als einzelnen Aspekt entwickeln, sondern ein komplettes Studentenheim als Demonstrations-Gebäude aufbauen. Hier werden auch der Fassaden-Kollektor, eine Kälte-Absorptions-Maschine, die mit solarthermischer Energie heizen und kühlen soll und ein neu entwickelter Beton zum Tragen kommen. Dafür benötigen wir ein großes Fördervolumen und ich hoffe, dass wir im Laufe des Jahres die Genehmigung erhalten.  
 
? Welche politischen Entwicklungen erwarten Sie, um die Energiewende in Deutschland weiter voran zu bringen?
Prof. Dr.-Ing. Tina Wolf: Ohne zusätzliche Zuschüsse und Anreize werden wir die Energiewende in Deutschland nicht schaffen. Es müssen nicht nur erneuerbare Energien sondern auch Einsparmaßnahmen gefördert werden. Wir müssen den Energieverbrauch reduzieren und das sollte belohnt werden. Beispielsweise bei besserer Dämmung, dichteren Fenstern oder bei einer neuen effizienterer Anlagentechnik, die gegen alte Heizsysteme ausgetauscht wird. Die momentanen Zuschüsse sind zu niedrig, PV-Anlagen ausgenommen, diese sind auch nach der Kürzung sogar noch anständig. Beispielsweise bei einer Dachsanierung, die rund 10.000 Euro kostet, bekommt man als Zuschuss 1000 Euro. Auch das ist nett, aber es wird niemanden zu einer Sanierung veranlassen wenn es nicht unbedingt sein muss. Gerade im Gebäudebestand, der in Deutschland rund 80 Prozent ausmacht, gibt es viel Potenzial. Es müssen zügig Maßnahmen erfolgen, damit Bauherren das Gefühl haben, dass es eine gute Sache ist, in erneuerbare Energien zu investieren. Die Leute müssen sicher sein, dass sie von Seiten der Bundesregierung genügen Unterstützung bekommen, um den Rest selber stemmen zu können. Hier wird bereits Geld in die Hand genommen und es ist auch schon viel passiert. Aber es fehlen noch Anreize, um den Bauherren zu überzeugen.  
Vielen Dank für das Gespräch.
 
Info + Kontakte
 
Technische Universität (TU) München
Fakultät Architektur, Fachgebiet für Technologie und Design von Hüllkonstruktionen
Arcisstraße 21
80290 München
Tel. +49 (0)89/28922491
Fax +49 (0)89/28928408
www.lrz.tum.de



 

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