Bester Metallbau-Azubi 2017
Kameradschaft als ErfolgsrezeptWas zeichnet einen Betrieb aus, dessen Azubi es bis an die Bundesspitze schafft? Ein positiver Umgang miteinander sowie Geduld und gut ausgebildete Mitarbeiter. Die aktuellen Probleme kennt auch der Ausbildungsbetrieb Kahl & Schlichterle: Viele Azubis haben eine schlechte schulische Vorbildung und sind mangelhaft motiviert. Jonas Wiedemann gelang 2017 der Sprung aufs bundesweite Siegertreppchen der Metallbauer, obwohl sein Ausbildungsstart holprig war.
Für den Betrieb Kahl & Schlichterle aus dem hessischen Burgwald ist es das erste Mal, dass es ein Auszubildender bis zum Bundeswettbewerb schaffte und zur großen Überraschung auch noch Sieger wurde. Der Bundesverband Metall wurde aufmerksam und zeichnete das Unternehmen als Ausbildungsbetrieb des Jahres 2017 aus.
„Einen Innungssieger hatten wir schon mal, einen Landes- oder Bundessieger noch nie“, sagt Seniorchefin Helga Kahl. Dass Jonas Wiedemann die Lehre in Fachrichtung Konstruktionstechnik bei ihnen absolvierte, war eher ein großer Zufall. „Er hatte woanders begonnen, war dort aber wohl unzufrieden und kannte hauptsächlich Schwarzstahl. Deshalb suchte er sich einen anderen Ausbildungsbetrieb.“ Über Mitschüler in der Berufsschule wurde Jonas Wiedemann auf den Metallbaubetrieb Kahl & Schlichterle aufmerksam. Er stellte sich kurzerhand bei Meister Robert Klambauer vor, konnte überzeugen und noch im zweiten Lehrjahr wechseln. Die Trennung vom vorherigen Betrieb verlief einvernehmlich.
Jonas Wiedemann kam der Wechsel zugute: Er arbeitete in der Abteilung für Edelstahl und lernte auch die Fertigung von Alufenster, Treppen und Hallen kennen. „Und endlich hatte ich auch Gleichaltrige um mich und konnte nach Anweisung eigenständig arbeiten. Oft bekamen wir Azubis vom Werkstattleiter Zeichnungen, die nicht alle Maße zum Konstruieren enthielten. Das war aber richtig gut, so musste man sich vieles selbst ausrechnen. Und wenn man das nicht schaffte, bekam man immer Hilfe.“ Jonas Wiedemann ist voll des Lobes über seine Lehrausbilder und Kollegen, denn sie nahmen sich – auch unter Zeitdruck – immer die Zeit, in Ruhe zu erklären, notfalls auch zweimal. Ist das Problem einmal verstanden, so konnte beim nächsten Mal schneller und selbständiger gearbeitet werden. „Obwohl wir natürlich oft unter Zeitdruck arbeiteten, war es besonders wichtig, dass wir echt gute Qualität ablieferten. War mal etwas nicht in Ordnung, wurde es neu gemacht. So lernt man mit der Zeit, wie man es anstellt, damit es richtig wird.“
Unternehmensnachfolge gelungen
Nach dem Abitur wollte Jonas Wiedemann nicht gleich studieren, sondern eine handwerkliche Ausbildung beginnen. „Meine Eltern haben mir da überhaupt nichts vorgeschrieben. Sie haben nur gesagt, wir unterstützen dich bei dem, was du machst.“ Natürlich habe ihm in der Berufsschule sein Abiturwissen sehr geholfen, sagt er, aber in der praktischen Ausbildung waren andere oft einen Schritt voraus. „Manche konnten bereits Schweißen, andere stammten aus einem Metallbaubetrieb. Die hatten in der Praxis sehr viel drauf.“ Jonas Wiedemann findet, dass es wichtig ist, von jemandem lernen zu können, der einem auch etwas beibringen möchte und der auch etwas kann. So hat er auch die Kollegen und das Arbeitsklima bei Kahl & Schlichterle empfunden.
Das Unternehmen zählt 55 Mitarbeiter und besteht aus zwei eigenständigen Betrieben: Dem klassischen Metallbaubetrieb Schlosserei Kahl & Schlichterle oHG und der Kahl & Schlichterle GmbH, die Maschinen für die Getränkeindustrie überholt und weltweit verkauft. Kahl & Schlichterle wurde im Jahr 1970 von Heinrich Kahl und Peter Schlichterle als Schlosserei- und Metallbaubetrieb gegründet. 1975 kam der Bereich Maschinenbau hinzu. Als Heinrich Kahl 1989 verstarb, führten Helga Kahl und Peter Schlichterle den Betrieb weiter, Robert Klambauer übernahm als Metallbaumeister die Leitung der Schlosserei. Seit 2009 lenken Esther Kahl, Bernd Schlichterle und Jörg Sill in zweiter Generation die Geschicke.
Industrie wirbt ab
Derzeit stehen den sechs Azubis drei Meister zur Seite. In der Vergangenheit gab es oft acht Auszubildende. Robert Klambauer und Kevin Kreis betreuen die Metallbauer, Fachrichtung Konstruktionstechnik. Patrick Specht ist für die Maschinen- und Anlagenführer sowie die Industriemechaniker, Fachrichtung Maschinen- und Anlagenbau, zuständig. Der Mitarbeiterstamm verjüngt sich regelmäßig durch die eigenen Azubis, weshalb der Altersdurchschnitt niedrig ist und es keine Nachwuchssorgen gibt. „Die meisten Facharbeiter sind zwischen 22 und 35 Jahren. Was uns fehlt, sind die 40-Jährigen, besser besetzt sind wir wieder mit Mitarbeitern Anfang 50“, erzählt Robert Klambauer. Als schwierig schätzt er ein, dass „die Industrie die gut ausgebildeten Azubis mit sehr lukrativen Angeboten dem Handwerk entzieht. Da gibt es einige Unternehmen, die ganz offensiv auf den Markt gehen“. Die Bezahlung sei verständlicherweise ein großes Thema, aber er gibt zu bedenken, dass die Arbeit im Handwerk sehr viel abwechslungsreicher sei als am Fließband. „Ständig wechselnde Kundschaft, man kommt raus, arbeitet auf Baustellen und die An- und Abfahrt dahin wird bezahlt. Wo gibt es das sonst noch?“, fragt Robert Klambauer.
Problematische schulische Vorbildung
Die betriebliche Ausbildung läuft im Handwerk anders als in der Industrie. Hier gibt es keine Lehrwerkstätten und separate Unterrichtseinheiten. Die Auszubildenden sind von Anfang an ins Geschehen eingebunden. „Man kann einem Azubi nichts Besseres antun, als ihm neben dem Meister auch einen guten Gesellen zur Seite zu stellen und zu sagen, wenn du was lernen willst, dann pass gut auf“, sagt Robert Klambauer. „So war es früher schon, daran hat sich nichts geändert. Und dazu gehört insbesondere ein motivierter Azubi. Der muss lernen wollen und nicht nur gucken, dass der Tag rum geht und wie viele Whatsapp-Nachrichten er erhalten hat.“
Während der ersten beiden Lehrjahre durchlaufen die Azubis bei Kahl & Schlichterle alle drei Abteilungen: Stahlbau, Edelstahlbau und Aluminiumverarbeitung. Ab dem dritten Ausbildungsjahr werden sie mehr und mehr zum eigenständigen Arbeiten herangeführt, das heißt, sie führen Aufträge unter Aufsicht selbständig aus bis hin zur Montage.
Auf die Frage, ob es heute schwieriger geworden sei, geeignete Auszubildende zu finden, antwortet Helga Kahl: „Qualifizierte Azubis zu bekommen, das ist sehr schwierig. Die schulische Vorbildung ist bei einigen schon ein Problem. Ganz wichtig ist, dass die Mathematik-Noten einigermaßen passen.“ Sie berichtet, dass es noch vor 10 bis 20 Jahren überwiegend Bewerber mit mittlerem Abschluss gab. Heute sind es meist Hauptschüler oder Realschüler mit schlechterem Durchschnitt. Jonas Wiedemann sei wirklich eine Ausnahme gewesen. „Das hätte man am Anfang aber nicht gedacht, dass er dann eine solche Leistung bringt. Ihm hat es eben auch bei uns gefallen“, freut sich Helga Kahl. Was sie sich von der jungen Generation wünscht und worauf auch im Betrieb großer Wert gelegt wird, sind Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, soziales Verhalten, Freundlichkeit gegenüber Kunden und Kollegen sowie Verantwortung für die übernommenen Aufgaben. Also Tugenden und Eigenschaften, die einem störungsfreien Umgang im Betrieb dienlich sind. Die Seniorchefs Helga Kahl und Peter Schlichterle sind noch immer täglich im Büro, um die Geschäftsleitung zu unterstützen. „Der Betrieb liegt uns sehr am Herzen, wir sind ja von Anfang an dabei.“
Berufsausbildung als Basis fürs Studium
Dank seiner Lehrzeit weiß Jonas Wiedemann, dass er sich sehr für Technik interessiert, und studiert deshalb ab Herbst 2018 Maschinenbau an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Vielleicht spezialisiert er sich später mal in Richtung Produktentwicklung, Prozessoptimierung oder Produktionstechnik. So genau steht das noch nicht fest. Auf jeden Fall möchte er in einer Managementfunktion Verantwortung übernehmen.
Warum er sich gegen eine Zukunft im Metallbau entscheidet? „Mir hat der Beruf als Metallbauer während meiner Zeit bei Kahl & Schlichterle total viel Spaß gemacht. An die dank Ausbildung erworbenen Kenntnisse möchte ich nun mit einem Maschinenbaustudium weiter anknüpfen“, sagt er. Fürs Studium strebt er ein Stipendium an und denkt schon über ein Auslandssemester nach. Bei den Fördermöglichkeiten vermisst er allerdings die Anerkennung seiner Berufsausbildung. „Alle interessieren sich hauptsächlich für die Leistungen im Abiturzeugnis, nach der Ausbildung fragt bisher niemand.“ Darüber ist Jonas Wiedemann etwas enttäuscht.
Info & Kontakte
Kahl & Schlichterle oHG
Edelstahldesign – Metallbau
Bauschlosserei – Aluminiumverarbeitung
Rodaer Str. 4
35099 Burgwald-Ernsthausen
Tel. 06457 9131-0
www.kahl-schlichterle.de
Tipps für die Ausbildung in Ihrem Betrieb
Ein Betrieb mit nur zwei bis drei Mitarbeitern könnte überfordert sein oder der Azubi fühlt sich mangels Gleichaltriger allein gelassen.
In jedem Ausbildungsjahr mindestens ein Azubi ist der Idealfall.
Vielfältiges Produktportfolio mit den Materialien Stahl, Edelstahl und Aluminium. Je abwechslungsreicher die Aufträge sind, umso mehr lernt der Azubi.
Gute Altersmischung: Gibt es in jeder Altersgruppe Mitarbeiter, dann profitieren alle von den Erfahrungen im Team.
Bestes Bildungsniveau: Gut ausgebildete Mitarbeiter, die ihr Wissen gern teilen, und ein offenes Arbeitsklima sind für die betriebliche Ausbildung wichtig.
Geduldige Meister und Gesellen mit pädagogischem Händchen sowie motivierte Auszubildende.