Bilanz von Isolierglas
Nicht nur der U-Wert ist zu betrachtenIn letzter Zeit haben sich in der Fensterbranche auf Herstellerseite weitere Optimierungen vorzugsweise auf den U-Wert konzentriert. Dabei bleibt die für die Bilanz von Isolierglas notwendige Gesamtbetrachtung vielfach auf der Strecke – mit fatalen Folgen, wie unser Fachautor in seinem Beitrag aufzeigt.
Neue Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) und auch neue Förderbedingungen der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) haben eine weitere Spirale der „U-Wert-Olympiade“ bei Fenstern in Gang gesetzt. Systemgeber von Rahmen für Fenster und Hersteller von Fenstern sind in einen Wettbewerb getreten, der dem seit Längerem im Bereich von Isolierglas laufenden um nichts nachsteht. Es zeigen sich bereits erste ungute Auswüchse, indem einseitige Optimierungen vorgenommen werden und dabei die notwendige Gesamtbetrachtung außen vor bleibt. Dieser Beitrag zeigt die Problematik am Beispiel Fenster-U-Wert mit und ohne Betrachtung des energetischen Zugewinnes, gekennzeichnet durch den Gesamt-Energiedurchlassgrad der Verglasung (g-Wert).
Gewinn und Verlust. U-Werte als Wärmedurchgangskoeffizienten beschreiben in Form von „Verlustgrößen“, welche Wärmeleistung in Watt pro Quadratmeter Bauteilfläche und Grad Temperaturunterschied zwischen innen und außen verloren geht. So benötigt z.B. ein Holzfenster mit einem unbeschichteten 2-fach-Isolierglas bei einem Uw-Wert von 2,8 W/m²K je nach Einbauort bzw. dessen „Gradtagzahl“ (in der die winterlichen Temperaturen ebenso eine Rolle spielen wie die Länge der Heizperiode) ca. 31 Liter Heizöl pro Jahr und Quadratmeter Fensterfläche, während ein Fenster mit Uw = 1,2 W/m²K mit ca. 13 l/m²a nur noch bei einem Bruchteil liegt und ca. 58% weniger Wärmeverlust „produziert“. Der „statische“ Uw-Wert ist abhängig von den Eingangsgrößen * U-Wert des Rahmens Uf, * U-Wert der Scheibe Ug, * von den Flächenanteilen dieser Komponenten,
* vom Einfluss des Systems zur Isolierglasanbindung, gekennzeichnet durch den linearen Wärmebrückenkoeffizienten ψ in W/mK und dessen Länge,
* von der gesamten Fensterfläche. Er beschreibt rein den Wärmeverlust. Dagegen nimmt die realistischere Betrachtung des „äquivalenten Uw-Wertes“, der den allein bei transparenten Bauteilen gegebenen Energiezugewinn von außen nach innen berücksichtigt, eine Bilanzierung von Wärmeverlusten und Wärmegewinnen vor. Die entscheidende Größe dafür ist der g-Wert der Verglasung. Dieser ist stark von der Art der Glasbeschichtung und geringfügig auch von der Glasdicke abhängig.
Beschichtungen. Seit den 1970er-Jahren setzt man zur Verbesserung der Wärmedämmung von Isoliergläsern zunehmend Beschichtungen auf Glas ein. Etwa seit Mitte der 1980er-Jahre spricht man von „neutralen Beschichtungen“, weil diese visuell wenig auffallen. Der Clou der hier gemeinten Glasbeschichtungen ist jedoch ihre „selektive Durchlässigkeit“. Diese Eigenschaft bedeutet: Die Sonnenstrahlung, die ein sehr großes Spektrum umfasst, wird in unterschiedlichen Wellenlängen-Bereichen zu sehr unterschiedlichen Anteilen durchgelassen. Von diesen Strahlungseigenschaften sind die wichtigsten * der g-Wert, der als „Gesamtenergiedurchlassgrad“ den Anteil der ins Rauminnere gelangenden Energie über den gesamten Wellenlängen-Bereich des Sonnenspektrums angibt;
* der TL- oder τV-Wert, der den durch eine Verglasung hindurchgehenden Anteil des sichtbaren Sonnenlichtes angibt, also von Strahlen im Wellenlängen-Bereich von 380 bis 780 nm. Insgesamt sind Beschichtungen zum Wärme- und zum Sonnenschutz unterschiedlich optimiert; beide Schichtsysteme haben eine vergleichsweise hohe Durchlässigkeit für kurzwellige Strahlen, also einen Großteil der Sonnenstrahlung, aber eine geringe Durchlässigkeit für langwellige Wärmestrahlung. Gerade darin besteht ein wesentlicher Teil des „Treibhaus-Effektes“: Die eher kurzwelligen Sonnenstrahlen wandeln sich nach Durchgang durch Verglasungen beim Auftreffen auf – bevorzugt dunkle – Gegenstände in langwellige Wärmestrahlung um, für die die Schichten eine sehr geringe Durchlässigkeit aufweisen. Die Wärme wird so – zusammen mit der ebenfalls langwelligen Wärme von Heizsystemen - im Raum gehalten. Bei großflächigen Verglasungen besteht dadurch aber die Gefahr einer Überhitzung der dahinter angeordneten Räume, weshalb die EnEV die Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz verschärft hat.
Äquivalenter Wert. Der g- und der τV-Wert von derzeit üblichen Verglasungen können sehr unterschiedlich ausfallen. Deshalb ist es wichtig, nicht allein auf beispielsweise den Ug-Wert und damit auf den Uw-Wert zu schauen, sondern die beiden anderen Größen ebenfalls im Auge zu behalten. Dies insbesondere auch deshalb, weil für die nächste Stufe der EnEV eine Chance besteht, mit einem äquivalenten Uw-Wert bzw. einen äquivalenten HT`-Wert als Nebenbedingung zum Jahres-Primärenergieeinsatz durch Berücksichtigung des Energiezugewinnes bei transparenten Bauteilen eine bessere und richtigere Beurteilung von Glas, Fenster und Vorhangfassaden zu bekommen und so vielleicht mit vergleichsweise weniger aufwendigen Konstruktionen auf die neuen Anforderungen zu reagieren. Diese Betrachtung ist nicht neu; bereits in der Wärmeschutzverordnung 1995 gab es einen äquivalenten k-Wert für das Fenster im Neubau. Dabei wurde von der Verlustgröße Wärmedurchgangskoeffizient ein Strahlungsgewinn abgezogen, der sich aus dem g-Wert und einem von der Himmelsrichtung abhängigen Strahlungskoeffizienten SF ermittelte. Weil dabei Verluste und Gewinne gegeneinander aufgerechnet wurden, sprach man auch von einem „Bilanz-k-Wert“. Auf die heutigen Verhältnisse bezogen, bringt diese Betrachtung hochinteressante Erkenntnisse. Dazu sind in der Tabelle auf Seite xx mit den heute gängigen Glas- und Fenster-Werten neben dem statischen Uw-Wert (der in der ISO/FDIS 15099:2003 „Thermal performance of windows, doors and shading devices – detailed calculations“ als „U-Wert für die Nacht“ bezeichnet wird) zusätzlich Bilanz-U-Werte dargestellt. Für Letztere sind zwei Ermittlungsgrundlagen in der Diskussion. Während die Wärmeschutzverordnung 1995 noch von Strahlungsgewinnkoeffizienten SF von 2,4 W/m²K für die Südorientierung, von 1,65 W/m²K für die Ost- und West- sowie von 0,95 W/m²K für die Nordorientierung und damit von relativ hohen Werten ausging, sind diese in DIN V 4108-6:2003-06 „Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden - Teil 6: Berechnung des Jahresheizwärme- und des Jahresheizenergiebedarfes“ mit 2,1 W/m²K für die Süd-, 1,2 W/m²K für die Ost- und West- sowie 0,8 W/m²K für die Nordorientierung etwas vorsichtiger gewählt.
Erkenntnisse. Die Tabelle zeigt hochinteressante und teilweise durchaus überraschende Ergebnisse. Ein wesentliches ist die Erkenntnis, dass das heutige Standard-2-fach-Isolierglas mit einem g-Wert knapp über 60% in der energetischen Gesamtwirkung dem Standard-3-fach-Wärmedämmglas mit Ug = 0,7 W/m²K und einem g-Wert um die 50% in der Südorientierung praktisch ebenbürtig ist. Mit den Werten aus der Wärmeschutzverordnung 1995 ergeben sich die gleichen Uw,eq-Werte bei dem preiswerten und gewichtsmäßig um 50% leichteren 1,1er-Glas und dem 0,7er-Glas mit einem g-Wert von 51%. Auch bei den übrigen Orientierungen liegt das nominell um 0,4 W/m²K bessere 3-fach-Wärmedämmglas nur unwesentlich günstiger als die 1,1-Scheibe in einem jeweils guten Rahmen. Naturgemäß sind die Differenzen bei den kleineren Zugewinn-Faktoren nach DIN V 4108-6 etwas geringer; die Grundtendenz bleibt aber die Gleiche. Erst, wenn das 3-fach-Wärmedämmglas eine Beschichtung mit einem g-Wert um die 60% erhält, zeigt sich bei Fenstern mit solchen Gläsern ein merklicher Effekt beim Bilanz-U-Wert. Allerdings muss man auf die mit dem geringsten energetischen Zugewinn ausgestattete Nordseite gehen, um die 0,3-W/m²K-Differenz vom Uw- auch beim Uw,eq-Nord-Wert wiederzufinden. Zu beachten ist zusätzlich, dass die 3-fach-Verglasungen bei der Lichtdurchlässigkeit knapp über 70% liegen, während eine Schicht Ug = 1,1 mit 80% einen Wert erreicht, der nur noch vernachlässigbar gering unter dem von unbeschichtetem 2-fach-Isolierglas liegt. Da laut EnEV in Nicht-Wohngebäuden die Beleuchtungsenergie in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist, sollte auch dem Lichttransmissionsgrad TL erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Darüber hinaus gibt es Kriterien wie Außenreflexion und Farbwiedergabe, die ebenfalls von der Glasbeschichtung abhängen. Insofern sei den Fachbetrieben empfohlen, im Beratungsgespräch und als „Zulage-Position“ auf die Möglichkeit von 3-fach-Wärmedämmglas mit hohem g-Wert hinzuweisen. An die Hersteller von Isolierglas geht der Appell, die doch überdeutliche und von außen nicht nachvollziehbare Preis-Kluft bei 3-fach-Isolierglas mit 50% bzw. 60% g-Wert zu verringern. Es wäre schade, wenn durch eine falsche Preis-Politik die Markt-Durchdringung mit möglichen exzellenten technischen Werten ver- oder auch nur be-hindert würde. Es sollte gar nicht erst die Meinung aufkommen, dass man g-Werte um die 60% vergessen kann (und muss), weil die Mehrkosten in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen stehen. Ansonsten: Krypton lässt grüßen.
Fazit. Isoliergläser können mit verschiedenen Beschichtungen zur Wärmedämmung ausgestattet werden. Bei einer Bilanz-Betrachtung, wie sie von allen Fenster- und Glasverbänden bei der Fortschreibung der EnEV gefordert wird, relativieren sich die Unterschiede zwischen einem 2-fach-Isolierglas mit Ug = 1,1 und einem g-Wert von z.B. 63% im Vergleich zu einem 3-fach-Wärmedämmglas mit Ug = 0,7 und einem g-Wert um die 50% stark. Bei einer Beschichtung dieser Gläser mit einem g-Wert von ca. 60% wird der Einsatz von 3-fach-Glas wieder interessant – es sei denn, der dafür verlangte Mehrpreis kann durch den Zusatz-Nutzen nie wieder eingespielt werden.