Bühnenreif
Die Musikschule ErftstadtIm nordrhein-westfälischen Erftstadt wurde unlängst nach den Plänen der Arbeitsgemeinschaft Brauhaus eine Musikschule für rund 700 Schüler fertiggestellt. Zwei in L-Form angeordnete Grundrisse für die kubischen Hauptbaukörper sind über einen vertikalen Glasbau erschlossen. Die Räumlichkeiten für die Musikschule wurden in einem der beiden Baukörper untergebracht und mit einer für die Region typischen Klinkerfassade ummantelt. Neben den Unterrichtsräumen und der Erschließung ist der Konzertsaal nicht nur inhaltlich, sondern auch in seiner äußeren Erscheinung das Schmuckstück der Einrichtung. Der für den Konzertsaal zugrunde liegende Entwurfsgedanke der Architekten aus dem mittelfränkischen Burgthann war eine freie Form. Gleichzeitig bietet sich für eine homogene Raumakustik ein kubisch ausgebildeter Baukörper an.
Diese Balance erreichten die Planer mit zweierlei Maßnahmen. Der Saal mit etwa 250 Sitzplätzen zeigt sich innen als Kubus, außen wurde er mit einer Textilfassade umhüllt, die wie eine Art Bühnenvorhang mit sichtbarem Faltenwurf aussieht. Das gelang in einer guten Zusammenarbeit der Planer mit dem österreichischen Unternehmen Typico und dem Membranhersteller Serge Ferrari. Die Fassade besteht aus einem rund 500 m² großen Polyesternetz mit dem Namen Stamisol FT, ein sogenanntes Fassadenmesch. Thomas König, Inhaber von Typico aus dem österreichischen Lochau nennt Gründe für die Wahl von Gewebefassaden: „Mal abgesehen davon, dass diese Bauweise deutlich kostengünstiger als beispielsweise ein Metallgewebe ist, sind Architekten in der Dimensionierung nicht eingeschränkt, wenn sie textiles Gewebe heranziehen. Außerdem wiegt so eine Fassade nicht besonders viel im Vergleich zu einem Metallgewebe.“
Bei der Musikschule hat man sich für eine geschwungene, dreidimensionale Gewebefassade entschieden. Es gibt aber weitere Möglichkeiten, eine textile Fassade zu verwenden: zum Beispiel mit gespannten Einzelrahmen. Diese sind zweidimensional bespannt, ähnlich wie ein klassischer Sonnenschutz. Eine weitere Art der textilen Fassadenumhüllung ist die Großflächenbespannung. König berichtet von einem Typico Bauprojekt (Susa), das mit einer Großflächenbespannung umhüllt wurde. Hier war ein einziges Fassadenfeld stattliche 450 m² groß.
Gestalterische und funktionale Aspekte
Aber zurück zur Musikschule: Die zeigt sich von außen als homogene Fläche ohne Öffnungen. Fenster gibt es zwar, diese sind aber im eigentlichen Baukörper dahinter. Dort findet auch die thermische Trennung statt. Das textile Netz ist vorgehängt. Trotzdem kann Tageslicht ins Innere dringen, da – wie es der Name schon sagt – das Netz lichtdurchlässig ist. Das Trapezgewebe hat einen schimmernden Grundton. Je nach Wetter und Tageszeit reflektiert darauf das Licht, und es entstehen Schattenspiele. Durch den inszenierten Faltenwurf verstärken sich diese Spiele noch mehr. Abends wechselt die Hülle ihr Gesicht. Licht dringt von innen durch das Gewebe nach außen. Die Wärmedämmung des inneren Baukörpers wurde ebenfalls mit einer Membran bespannt, und zwar in einem kräftigen Grünton. Das erzeugt eine individuelle Tiefenwirkung und ist ein werbewirksames Instrument für Veranstaltungen im Konzertsaal. „Gewebe als Bauteil sind generell sehr beliebt als Kommunikationsinstrument“, sagt König und weist darauf hin, dass Typico derzeit zahlreiche Messestände für die IAA in Frankfurt am Main herstellt.
Der „Bühnenvorhang“ besteht aus vier Elementen: Vorder- und Rückseite haben die Formate 11 x 9 m, die Längsseiten 19 x 9 m. Er birgt neben den oben genannten gestalterischen Vorteilen auch viele funktionale Eigenschaften: Er schützt die Bauteile des eigentlichen Baukörpers, zum Beispiel vor Sonneneinstrahlung. Im Hinblick auf die immer höheren Anforderungen der EnEV (Energieeinsparverordnung) leistet die Fassade gute Dienste. Eine Simulation ergab bei einer direkten Verschattung eine Reduzierung des Wärmeeintrags um 50 %. Das Material schützt den Bau auch vor weiteren Witterungseinflüssen. Dafür sorgt u.a. eine UV-stabile Schutzlackierung, die zehn Jahre Gewährleistung hat. Generell ist die verwendete Membran reißfest und dehnt sich dank der patentierten Precontraint-Technologie kaum aus. Heißt: Ein späteres Nachspannen unter thermischen Einflüssen ist voraussichtlich nicht nötig. Auch Schmutz haftet kaum am Material an, weil sich die Materialoberfläche selbst reinigt und weil sich auf dem gewählten Farbton „Metall gehämmert“ so gut wie keine Verschmutzung abzeichnet. „Sicher patiniert die Fassade im Laufe der Jahre auch mit, aber das Ausbleichen ist nicht anders als bei einem Putz“, räumt König ein. Die Fassadenbahn Stamisol Color schützt nicht nur die Wärmedämmung, sondern sie sorgt durch ihre Diffusionsoffenheit zudem für eine Entfeuchtung des Gebäudes und ein angenehmes Raumklima.
Befestigung und Montage
Ausführungen und Befestigung dieser Gewebefassade mit inszeniertem Faltenwurf forderten im Vorfeld den am Bau Beteiligten nicht nur Know-how, sondern auch Experimentierfreude ab. Typico stellte im eigenen Werk mehrere Modelle her, sogenannte Mock-ups im Maßstab 1:2, um für die Architekten eine Basis für den Entwurf des Faltenwurfs zu schaffen. „Wir bedienen in unserem Unternehmen die Schnittstelle zwischen den Kreativen und den Monteuren“, betont König. Diese Position ist sehr wichtig, denn die Ausführung solcher individuellen Entwürfe ist nicht trivial. König folgt mit Typico daher auch dem Credo, alle Gewerke in einer Hand zu halten: den Metallbau einerseits, weil die Anbindung an den Hauptbau gewährleistet werden muss, und die Herstellung der Schienensysteme andererseits. Es handelt sich bei den Systemen um sogenannte Aluminium-Keder-Spannsysteme, die aus einem Stab (Keder) in einer Aluschiene bestehen. Bei der Musikschule wurden gebogene K45-Systeme sowie vertikale KP1- und KP2-Systeme verwendet. Die erstgenannten wurden für die Befestigung der Gewebe als horizontal geschwungene Kränze zwischen der Attika und der Decke des Erdgeschosses an unterschiedlich langen Kragarmen angebracht. Die Schwünge oben laufen asymmetrisch zu denen unten, sodass der Faltenwurf eine starke Wirkung erhält.
„Bei der Montage ist Vorsicht geboten. Gerade dann, wenn man in zehn, zwölf Metern Höhe ein Tuch in eine Schiene einziehen möchte. Vorsicht einmal, das Material nicht zu beschädigen, aber unbedingt auch Vorsicht, nicht abzustürzen. Meistens müssen die Monteure die gelieferten Rollen von einem Kran aus befestigen, da die Rollen am Stück recht schwer sind. Für 400 m² spricht man von etwa 300 kg. Bei starkem Wind ist die Montage von Geweben natürlich sehr schwierig.“
Für König sind diese Art Gebäudehüllen noch Newcomer, denen er aber eine ziemliche Karriere prognostiziert.