Digitalisierte Baustelle
Ein Forschungsprojekt der RWTH AachenIm Februar 2020 wurde die 10.000 m² große Referenzbaustelle auf dem Campus West in Aachen eröffnet. Beim Center Construction Robotics (CCR) für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sind auch Unternehmen aus dem Stahlbau dabei, die gemeinsam mit der RWTH Aachen unter der Leitung von Prof. Dr. Sigrid Brell-Cokcan Strategien der digitalen Vernetzung im Bauwesen erforschen und entwickeln.
Der Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen beschäftigt sich mit Themen, die von digitalen Planungs- und Simulationsmethoden bis hin zur Entwicklung neuartiger, robotischer Fertigungsprozesse reichen. Ein maßgebender Themenschwerpunkt stellt dabei die Mensch-Maschinen-Interaktion von Industrierobotern dar. Unter der Leitung von Prof. Dr. Sigrid Brell-Cokcan setzt sich der Lehrstuhl aus einem über 20-köpfigen Wissenschaftlerteam von Architekten, Bauingenieuren, Maschinenbauern und Automatisierungstechnikern zusammen. Seit über fünf Jahren befasst sie sich mit ihrem Team mit zukunftsweisen Planungsparadigmen und Bauprozessen. Gemeinsam stellen sie sich interdisziplinären Herausforderungen, um durch digitale Planungsmethoden und automatisierte Fertigungsprozesse Lösungen für effiziente Einzelteilfertigungen im Bauwesen zu schaffen.
Remote-Online-Workshop
Die Steuerung und Programmierung von Industrierobotern war lange Zeit gut ausgebildetem Fachpersonal vorenthalten. Mit intuitiven und intelligenten Schnittstellen zwischen Arbeitern und Maschinen soll die Ansteuerung von Industrierobotern vereinfacht und flexible und sichere Einsatzpotentiale geschaffen werden. So wurden beispielsweise die Umstände durch Corona genutzt, um einen internationalen Online-Live-Roboter-Workshop aufzusetzen. In dem Online-Seminar konnten internationale Teilnehmer von ihrem Schreibtisch aus teilnehmen und die Roboter live über eine Remote-Verbindung an der RWTH Aachen ansteuern. Ein Workshop dieser Art ist bislang einzigartig.
Studiengang „Construction & Robotics“
Darüber hinaus startete in diesem Jahr erstmalig der Studiengang „Construction & Robotics“ an der RWTH Aachen. Der Studiengang wurde vom Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion initiiert, um Studierenden ein interdisziplinäres Umfeld im Spannungsfeld des Bauwesens und der Robotik zu schaffen. Studierende aus den Bereichen der Architektur, des Bauingenieurwesens, des Maschinenbaus, der Elektrotechnik oder der Informationstechnik haben bereits dieses Jahr erfolgreich das erste Semester digital absolviert.
Referenzbaustelle
Für das kommende Semester soll die physische Interaktion deutlich gesteigert werden. Auf der Referenzbaustelle haben die Studierenden die Möglichkeiten ihre Konzepte und Ideen praxisnah und real umzusetzen. Eine Vielzahl an Baucontainern wurde für Lehr- und Entwicklungszwecke eingerichtet, sodass die Studierenden direkt vor Ort ihre digitalen Konzepte ausarbeiten und in die Praxis umsetzen können. Das reale Umfeld dieses einzigartigen Reallabors schafft damit eine Plattform zum kreativen Forschen und Entwickeln für praxisnahe Lösungen und soll auch für Start-ups und Industrien zukünftig als Testfeld zur Erforschung und Innovation in der digitalen Transformation des Bauwesens dienen.
Stahlbauunternehmen im Verbundprojekt IoC
Eines der ersten Projekte auf der Referenzbaustelle ist das BMBF-Verbundprojekt Internet of Construction (kurz: IoC). Hier arbeitet der Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion und das Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen mit sieben Industrieunternehmen und dem IPRI Forschungsinstitut konsortial an Methoden zur Automatisierung und digitalen Vernetzung von Bauprozessen zusammen. Ziel dabei ist es, Potenziale der Industrie 4.0 unter Berücksichtigung von kleinen und mittelständischen Unternehmen im Bauwesen zu schaffen.
Ein Schwerpunkt ist die Vernetzung von Wertschöpfungsketten. Der Bauablauf ist komplex und geschieht im Zusammenspiel von verschiedenen Baubeteiligten. Wiederkehrende Informationsbrüche innerhalb einzelner Wertschöpfungsketten haben dabei schwerwiegende Auswirkungen auf die Kosten, Qualität und Fertigstellung eines Bauprodukts. Im Rahmen des IoC arbeiten Planer, Vorfertiger, Maschinenhersteller und Automatisierungsfirmen zusammen mit den Forschungsinstituten daran, einen Rahmen für einen durchgängigen Informationsfluss entlang der Wertschöpfungsketten zu schaffen.
Neben den Unternehmen Annen Holzbau, Kuka, Leonhard Weiss, Liebherr, Lamparter, Robots in Architecture Research UG sind auch die Stahlbauunternehmen Lamparter und Wurst an dem Verbundprojekt beteiligt. Dabei werden im Stahlbau verschiedene Potentiale erwartet. Beispielsweise können durch den Einsatz mobiler oder kollaborierender Roboter flexible Automatisierungslösungen für Einzelteilfertigungen bei geringem Investitionsrisiko geschaffen werden. Zudem soll durch ein sogenanntes Referenzarchitekturmodell der Rahmen für eine übergreifende digitale Vernetzung geschaffen werden, um vor allem kleine und mittelständische Unternehmen bei der digitalen Transformation zu unterstützen.
Mit der Referenzbaustelle Campus West liefert die RWTH Aachen einen idealen Transformationsort für die Entwicklungen innerhalb dieses Projektes. Somit wird ein praxisnaher Aufbau von Demonstratoren im realen Maßstab ermöglicht und gewinnt zukünftig auch als Testfläche für Bauprozesse von Stahlbauunternehmen an Bedeutung.
Digitale Transformation des Stahlbaus
Der Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion engagiert sich jedoch nicht nur im Bereich der Forschung. Ein besonderes Anliegen ist es, die Innovationen und Erfolge im Bereich der digitalen Transformation des Bauwesens auch in die Arbeitswirklichkeit der Unternehmen zu tragen. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen ist das notwendige Know-how zur Integration automatisierter Fertigungsprozesse und flexibler Roboteranlagen eine entscheidende Hürde. Ein fundiertes Verständnis im Bereich der Robotik bildet die Basis für die Entscheidungen und Bewertung einer digitalen Transformation im Stahlbau.
Gemeinsam mit dem bauforumstahl arbeitet der Lehrstuhl an Arbeitshilfen zur Robotik im Stahlbau, um eben dieses Know-how einer großen Zahl an Mitgliedern im Stahlbau zugänglich zu machen. Diese Arbeitshilfen sollen grundlegende Themen von einem ersten Einstieg in die Robotik bis hin zu flexiblen Konzepten von Roboteranlagen und Sicherheitseinrichtung abdecken. Hierbei ist nicht etwa eine vollständige Sammlung der vorhandenen Informationen das Ziel, sondern eine kurze, verständliche Darstellung der wichtigsten Zusammenhänge, die den Einstieg in die Thematik erlaubt, zu einer tieferen Beschäftigung mit dem Themenkomplex führt und zur gezielten Unterstützung durch Experten befähigt.
Um dieser selbst gesteckten Erwartung gerecht zu werden und eine digitale Transformation nicht nur als theoretisches Konzept in der Forschung zu betrachten, ist es wichtig, die aktuelle Situation und den Stand der Automatisierung der Stahlbaufirmen genau zu kennen. Um hier, neben den Erfahrungen mit Verbundpartnern aus dem Stahlbau wie Wurst oder Lamparter, weitere fundierte Informationen zu Automation, Sicherheit, Fachkräftemangel und Effizienz der Produktionsprozesse im Stahlbau zu sammeln, führt der Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion gemeinsam mit dem bauforumstahl eine Studie zur Robotik im Stahlbau durch. Die Erkenntnisse einer ersten Umfrage werden nicht nur zur Feinabstimmung der Arbeitshilfen verwendet, sondern bilden darüber hinaus die Grundlage zur Evaluierung und Initiierung weiterer Entwicklungsmaßnahmen.
Paradigmenwechsel durch Künstliche Intelligenz
Planung und Entwurf im Bauwesen finden in einer komplexen Koordination zwischen diversen Stakeholdern und Fachplanenden statt. Vor allem in den frühen Planungsphasen ist es kaum möglich, genug Expertise in allen Bereichen zu besitzen, um die Anforderungen, die im Laufe des Bauprojektes und im Zuge der Detaillierung durch die einzelnen Gewerke anfallen, von vornherein zu berücksichtigen. Um komplexe Planungsanforderungen zu vermitteln, wird die Planung entweder über die Nutzung einer diskreten Menge an Bauteilen vereinfacht oder es wird eine hohe Anzahl von Einzel- und Sonderbauteilen aufwendig gefertigt. Insbesondere aufgrund dieser Sonderfertigung ist es selbst für erfahrene Planende außerordentlich schwer, die Konsequenzen einer Entwurfsentscheidung auf die Fertigung abzuschätzen. Gleichzeitig spielt es für moderne Fertigungsanlagen keine Rolle, ob es sich um Großserienfertigung oder eine Einzelteilfertigung handelt, solange der Bauteilentwurf den Fertigungsanforderungen gerecht wird.
Dank der Fortschritte in der Simulationstechnik und der digitalen Abbildung, insbesondere durch Techniken der Industrie 4.0 und der digitalen Fabrik, ist ein direktes Feedback für die konstruierenden Beteiligten möglich. Diese erfolgt bislang aber nur als Rückmeldung in der Finalisierung der konstruktiven Zeichnung auf Basis einzelner Bauteile.
Aus diesem Grund beschäftigt sich der Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion mit der Abbildung komplexer Parameterräume der Fertigung durch Künstliche Intelligenz. Mit Hilfe von Deep Learning lassen sich digitale Simulationen von Fertigungsanlagen in einem digitalen Schatten – also ein vereinfachtes Modell relevanter Fertigungsanforderungen – übersetzen. Auf dieser Basis kann die Planung schon frühzeitig eine Fertigungsanalyse aller Bauteile und somit eine Optimierung der Gesamtplanung durchlaufen. Dies bietet die Chance, nicht nur diskrete Mengen an fertigbaren Bauteilen, sondern auch kontinuierliche Parameterräume der Fertigung in der Planung zu berücksichtigen.
Die Anzahl der Sonderfertigungen kann somit durch die bessere Ausnutzung von Fertigungsmaschinen reduziert werden. Darüber hinaus können so neue Planungsvorgänge entwickelt werden, die nicht nur die Planung frühzeitig validieren, sondern dem Planenden als Entscheidungsunterstützung dienen. Dabei bietet dieses Konzept große Potenziale für die Planung, die Optimierung einer individuellen Fertigung sowie die Vernetzung von Fertigungsanlagen, die den Stahlbau und somit auch den Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion in den kommenden Jahren zunehmend beschäftigen wird.
Info & Kontakte
Diese Arbeit ist Teil des Forschungsprojekts „Internet of Construction“, das mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Forschungsprogramm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen (Förderkennzeichen 02P17D081)” gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut wird.