Frankreich und sein Entsendegesetz

Le monstre français

Frankreich hat das Entsendegesetz zu einem mittelstandsfressenden Monster hochgezüchtet – dabei sollte es eigentlich deutsche Arbeitnehmer schützen. Metallbauer Boris Fels ist genervt von den Hürden des europäischen Binnenmarktes, ein Viertel seines Umsatzes macht Fels in Frankreich.

Boris Fels, geschäftsführender Gesellschafter des Betriebs Paradiso System, ist eigentlich ein Freund der Franzosen. 25 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet das Unternehmen, das sich auf Schwimmbadüberdachungen spezialisiert hat, im Nachbarland. Der Standort im badischen Neuried liegt nur etwa fünf Kilometer von der Grenze ins Elsass. Dort schätze man die Zuverlässigkeit des deutschen Handwerks, wo die Betriebe deutlich länger am Markt seien, besser ausgebildete Mitarbeiter hätten und gründlicher arbeiten würden.

Der Grund für Boris Fels’ schlechte Laune ist ein französisches Bürokratiemonster: das Entsendegesetz. Es wurde von der Macron-Regierung auf den Weg gebracht, den eigentlich offenen europäischen Binnenmarkt mit Hürden und Hindernissen zu pflastern. Entlang der Rheinschiene ächzen deutsche Unternehmer, Handwerker und Dienstleister über das Gesetz, das eben nur diesen einen Sinn hat: Deutschen Unternehmen den Zugang nach Frankreich zu erschweren. Fels will hartnäckig bleiben. Ein Rückzug kommt für ihn nicht in Frage. Andere, wie der Schreiner Kurt Müll aus Kehl, tun das bereits. „Ich habe meinen Kunden gesagt, dass sie mich nicht weiterempfehlen sollen – mir reicht’s!“ Müll hat seine Steuernummer abgegeben und wird künftig nicht mehr nach Frankreich liefern.

Sinn des französischen Gesetzes

Hinter dem Entsendegesetz steckt eigentlich ein nobler Gedanke. Es soll verhindern, dass Mitarbeiter im Ausland weniger verdienen, als dort gesetzlich vorgeschrieben ist. Der französische Mindestlohn liegt mit 9,88 Euro deutlich über dem deutschen. Wer in Frankreich arbeitet, darf nicht weniger bekommen. Das soll das Gesetz regeln. Doch die Auswüchse führen eher dazu, dass es den Marktzugang für deutsche Unternehmen blockiert – oder wenigstens erschwert. So ist für Boris Fels und seine Mitarbeiter die Fahrt über den Rhein nicht mehr so angenehm, wie sie es mal war. „Es ist einfach viel anstrengender geworden“, sagt Fels. „Es nervt.“ An einen Rückzug denkt er jedoch nicht. Mittlerweile habe er sich mit den Bedingungen arrangiert. Im Tagesgeschäft stört es jedoch. „Wenn mich heute ein Kunde anruft, dass etwa die Tür klemmt, dann muss ich ihn vertrösten, bis ich die Formulare ausgefüllt habe.“ Fels fragt sich auch, was er tun soll, wenn ein Kunde nicht in sein Schwimmbad kommt, weil dort die Tür klemmt. „Am selben Tag noch angemeldet zu werden, ist fast ausgeschlossen“, sagt er.

Rückzug deutscher Betriebe

Kammern und Verbände ätzen unisono gegen den französischen Weg. Es sei „die Rückkehr zur Kleinstaaterei“, schimpft etwa Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes WVIB. „„Im Geschäft mit unserem zweitwichtigsten Handelspartner Frankreich gibt es deutlich vernehmbare Klagen über Marktzugangsbarrieren, die den Handel erschweren“, sagt auch Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK). Eine Umfrage der Kammern in Grenznähe hat ergeben, dass vier von zehn Unternehmen darüber nachdenken, ihre Geschäfte in Frankreich einzustellen.

Erleichterung in Aussicht

Dabei sei den Kammern erst im Oktober versprochen worden, dass es innerhalb eines halben Jahres Erleichterungen geben würde. Doch der einzige Achtungserfolg bis heute ist, dass es keine weitere Verschärfung gibt. Die ursprünglich vorgesehene Entsendegebühr von 40 Euro wurde auf Eis gelegt. Sie hätte zum Jahresanfang eingeführt werden sollen, wurde aber in letzter Minute gekappt. „Unsere schlimmsten Befürchtungen sind damit nicht eingetreten“, sagt Frédéric Carrière, Referent für Auslandsmärkte bei der IHK in Freiburg. „Es ist keine Erleichterung. Wir haben nur eine weitere Verschärfung verhindert.“ Auch Martin Düpper, Pressesprecher der Freiburger Handwerkskammer, sagt: „Das war ein positives Signal.“ Allerdings suche man weitere Gespräche, um die Bürokratie für die Betriebe zu erleichtern.

Und der Saarbrücker Handwerkskammer-Präsident Bernd Wegner sagt: „Derzeit befinden sich unsere Handwerker insbesondere bei Notfalleinsätzen in einer schwierigen Situation – bis sie alle Formalitäten für die Entsendung vorgenommen haben, können schon einige Stunden vergehen, der Kunde ist aber auf schnelles Handeln angewiesen.“ Er nimmt die Franzosen beim Wort. Die verhinderte Gebühr von 40 Euro wertet er als positives Signal, dass nun neu verhandelt werde. „Eine Vereinfachung der Meldeformalitäten hätte nicht nur finanzielle und administrative Erleichterungen für unsere Handwerksbetriebe zur Folge, sie helfen auch dem französischen Kunden“, so Wegner weiter. Auch das Gegenüber der französischen Seite – der französische Kammerpräsident Jean-Luc Heimburger – ist zumindest für Erleichterungen bei der Auslandsentsendung. Darum hat er gemeinsam mit seinen deutschen Kollegen eine Resolution unterzeichnet, die fordert, die Entsenderegeln zu vereinheitlichen. Im Fall von Frankreich würde das bedeuten: sie aufzuweichen.

Kein Weg vorbei

So klingeln bei den Kammern weiter die Telefone. Zehn bis fünfzehn Anrufe pro Tag zum Thema seien es, sagt der Freiburger IHK-Referent Carrière. Jeden Tag fragen Unternehmen, ob und was sie tun müssen. Wenn es keine Transportunternehmen sind, lautet die Antwort eigentlich immer: „Ja, Sie müssen was tun.“ Denn wer seine Mitarbeiter beruflich nach Frankreich schickt, der fällt unter das Entsendegesetz. Dabei ist es völlig egal, ob man einen Kunden in dessen Firma besucht, sich mit ihm zum Mittagessen im Gasthof oder auf einer Messe treffen will. Eine Tür aufzusperren ist ebenso meldepflichtig wie nur fünf Minuten lang ein Aufmaß zu nehmen. Jeder Besuch in Frankreich muss vorher angemeldet werden. Dazu braucht man diverse Unterlagen – etwa die A1-Bescheinigung zur Krankenversicherung – und muss auch einen Vertreter in Frankreich benennen, bei dem diverse Unterlagen zum Mitarbeiter und dem Unternehmen deponiert sein müssen.

Fehlt die Entsendungserklärung oder sind die Angaben darin unvollständig, kann die französische Arbeitsaufsicht drastische Sanktionen verhängen: 2.000 Euro bei einfachen Verstößen – pro entsandtem Arbeitnehmer – und Bußgelder von bis zu einer halben Million Euro werden angedroht.

Andere Länder

Auch in Deutschland gibt es ein Entsendegesetz, an das sich die Franzosen halten müssen, wenn sie ihre Leute über die Grenze schicken. Es gilt jedoch nur für Branchen, in denen eine erhöhte Missbrauchsgefahr besteht, etwa auf dem Bau. Die Franzosen wenden es jedoch konsequent für alle Bereiche an. Ortskundige Unternehmer wundern sich darüber nicht. „Die Franzosen lassen sich immer was einfallen, um uns das Geschäft zu erschweren“, sagt Boris Fels. Er nimmt es erleichtert zur Kenntnis, dass zumindest die 40-Euro-Gebühr bis auf Weiteres vom Tisch ist. Dass die Franzosen es dabei belassen, glaubt er aber nicht.

Wahrscheinlich sei, so IHK-Referent Carrière, dass mehr und mehr Länder nachziehen werden. Belgien und Luxemburg handhaben es mittlerweile genauso streng wie die Franzosen. Auch in der Schweiz gibt es ein Entsendegesetz.

Und nur weil es ein Gesetz gibt, heißt es nicht, dass alles funktioniert. Bei der A1-Bescheinigung von der Krankenkasse gibt es oft Unklarheiten, was die Zuständigkeit angeht. „Die Mitarbeiter werden von A nach B geschickt“, sagt Carrière. „Keiner fühlt sich für sie zuständig.“ Dabei sind die Regeln eigentlich klar: Ein deutscher Mitarbeiter, der etwa in Straßburg wohnt und für einen deutschen Arbeitgeber in Frankreich tätig ist, muss die Bescheinigung am Wohnsitz holen, nicht dort, wo die Firma sitzt. Die Kassen würden hier jedoch oft nicht mitspielen, so Carrière. „Das muss sich bessern.“

Info & Kontakt

Paradiso Systeme GmbH
Industriestrasse 13
77743 Neuried - Altenheim
Tel. 07807 92 58 25

www.paradiso.tv

Fünf Fragen zum Entsendegesetz

1. Wer braucht eine Entsendemeldung?

Alle Arbeitnehmer, die sich beruflich in Frankreich aufhalten. Völlig gleich, ob sie dabei einen Kunden besuchen, auf eine Messe gehen oder sich zum Mittagessen mit dem Außendienstler treffen. Ausgenommen ist lediglich das Transportgewerbe. Dort gelten auch Meldepflichten, die aber anders gehandhabt werden.

2. Was gehört zu einer Entsendemeldung?

Daten zum Unternehmen, zu Dauer und Ort des Einsatzes, Personalien zum entsandten Mitarbeiter und dessen Arbeitszeit müssen an die Arbeitsinspektion übermittelt werden. Dies geschieht über das Internetportal Sipsi. Daneben braucht es einen Vertreter in Frankreich und eine A1-Bescheinigung zur Krankenversicherung.

3. Wo finde ich einen Vertreter in Frankreich für mein Unternehmen?

Auf der Website der IHK  gibt es eine Liste deutschsprachiger Vertreter zum Thema Mitarbeiterentsendung nach Frankreich.

4. Welche Strafen drohen bei Verstößen?

Wer ohne Meldung erwischt wird, zahlt bis zu 2.000 Euro pro Mitarbeiter. Eine fehlende A1-Bescheinigung kann mehr als 3.000 Euro kosten. Daneben können Bußgelder von bis zu 500.000 Euro verhängt werden.

5. Was ist mit Selbstständigen?

Offizieller Zweck des Entsendegesetzes ist der Schutz der Mitarbeiter. Diese sollen auch beim Einsatz in Frankreich den französischen Mindestlohn bekommen, der seit Jahresbeginn bei 9,88 Euro liegt und somit deutlich über dem deutschen. Mindestlöhne gelten nicht für Freiberufler und Selbstständige. Sie sind daher nicht betroffen.

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