Risikoarbeitsplatz Hubarbeitsbühnen
Natürlich darf nicht jeder eine Hubarbeitsbühne bedienen. Besonders umfangreich ist die nötige Weiterbildung aber nicht. Der Schein lässt sich an einem Tag erwerben. Vieles liegt also in der Verantwortung des Arbeitgebers, des Bedieners und der Leute, die mit dem Mann in der Höhe zusammenarbeiten.
Mit Grausen erinnert sich Steffi Tauschke an den Tag zurück, an dem ihr Mann um ein Haar eine Hand verloren hätte. Ulf Tauschke, Inhaber des gleichnamigen Metallbauunternehmens in Höhenland bei Berlin, war hoch oben zugange. Er war auf einer Hubarbeitsbühne, um an einer Stahlkonstruktion zu arbeiten. Mit einer Hand hielt er sich am Geländer fest, mit einer Hand steuerte er die Bühne weiter nach oben. Das Geländer und ein Stahlträger kamen sich außerhalb seines Blickfelds immer näher, bis schließlich die Hand eingequetscht war. Tauschke schrie wie am Spieß, konnte sich selbst nicht mehr befreien. Ein Mitarbeiter kletterte geistesgegenwärtig an der Stahlkonstruktion nach oben und stemmte die Hand mit einem Pflock frei. Tauschke kam mit einer leichten Verletzung davon. Man könnte sogar sagen: mit dem Schrecken. Viele Unfälle mit Arbeitsbühnen enden tödlich. Nicht selten wird dabei mehr eingequetscht als eine Hand.
Und gleichermaßen gehören Unfälle mit Arbeitsbühnen auf dem Bau leider zum Alltag. Die gequetschte Hand zählt noch zum geringsten Übel. Immer wieder passiert es auch, dass meterhohe Hubarbeitsbühnen umkippen und Menschen unter sich begraben. „Grundsätzlich gelten Hubarbeitsbühneneinsätze für Arbeiten in der Höhe bei sachgemäßer Planung, Vorbereitung und Durchführung als sicher“, sagt Thomas Hensel vom Gutachterbüro Hensel-Geschwendtner. Hensels Büro wird von Unfallversicherungen beauftragt, um zu klären, was schiefgelaufen ist, wer nicht aufgepasst hat oder ob das Gerät selbst versagt hat.
Arbeitsbühnen sind immer schweres Gerät. Darum, mahnt Gutachter Hensel, „ist es für die Entwicklung der Präventionsmaßnahmen notwendig, sich mit Unfallstatistiken und deren Aussagen auseinanderzusetzen“. Zu den Zahlen gibt es unterschiedliches Datenmaterial. Das liegt vor allem daran, dass sie nach verschiedenen Kriterien aufbereitet werden. So wird jemand, der von einem Baugerüst fällt und sich dabei schwer verletzt, in einer anderen Statistik erfasst, als jemand, der von einer Hubarbeitsbühne fällt. Der Fall von der Leiter geht wieder in eine andere Statistik.
Unfallstatistiken
Der internationale Hersteller- und Händlerverband IPAF etwa hat im Jahr 2013 weltweit 53 tödliche Unfälle mit Hubarbeitsbühnen gezählt. 30 Prozent davon kamen zu Stande, weil die Arbeitsbühne umgekippt war. Nur bei jedem vierten Fall ist der Mensch von der Bühne gefallen. Menschen erleiden tödliche Stromschläge, werden eingequetscht oder von herunterfallenden Gegenständen erschlagen. Dass ein Mensch von einer Bühne oder einem Gerüst fällt, kann mit Leichtsinn, Übermut oder der Unwissenheit des Bedieners zu tun haben. Muss es aber nicht. Manche fallen auch infolge des Stromschlags hinab, oder weil sie während der Arbeit einen Herzinfarkt erleiden. Nicht immer können die Todesfälle bis ins Detail aufgeklärt werden. Nicht immer kann die Zahl in der Statistik sauber abbilden, was tatsächlich passiert ist.
Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) hat zwischen 1992 und 2010 in Deutschland 83 Todesfälle gezählt. Auch in dieser Statistik steht das umkippende Gerät an erster Stelle vor dem Einquetschen. 19 Prozent der getöteten Arbeiter wurden herausgeschleudert. 13 Todesfälle beschreibt die BGHM mit „Sonstiges/Ungeklärt“.
Metallbauer betreibt Verleih
Bei den Tauschkes ist das Verleihgeschäft nur ein Nebenarm des täglichen Handwerks. Ulf Tauschke ist mit seiner Firma vor allem auf den Bau von Stahlhallen und Schwerlastregalen spezialisiert. Das Unternehmen hat fünf eigene Hubarbeitsbühnen im Maschinenpark, geht damit bis auf 24 Meter hoch. Verliehen wird aber nur bis zu einer Höhe von 16 Metern – vor allem aus Sicherheitsgründen. „Und wir verleihen eigentlich auch nur mit Bediener“, sagt Steffi Tauschke. Es findet auch keine aktive Vermarktung statt. Vielmehr sei es eher so, dass Tauschkes die Bühne selbst gebraucht haben und sie dann noch länger stehen lassen, weil zum Beispiel der Elektriker noch mal hoch muss. Dann berechnet das Unternehmen Tagessätze von 80 Euro aufwärts dafür, dass die Bühne später weggeräumt wird. Der eigene Bedarf geht dabei immer vor, denn: „Wir brauchen diese Geräte jeden Tag.“
Die Unfallrisiken
Wahrscheinlich wird es nie ganz gelingen, die Unfallzahlen mit den motorisierten Bühnen auf null zu stellen. Genau so, wie immer Menschen von Leitern fallen werden. „Wir merken, dass die Menschen viel Respekt vor der Höhe haben“, sagt Steffi Tauschke. Andere Risiken – etwa dass eine Arbeitsbühne umkippen kann – werden gelegentlich aber vernachlässigt. Dabei kann ein kleiner unzulässiger Neigungswinkel am Boden in zehn Metern Höhe zu einer großen Gefahr, einem unzulässigen Kippmoment, werden. Das ist in etwa so, als würde man mit einer Rakete auf den Mond zielen und sich um ein Grad verrechnen.
Eine schief aufgestellte Hebebühne ist in erster Linie kein Unfall. Sie ist Missbrauch. Der Bediener ist verantwortlich dafür, dass er keine unnötigen Risiken eingeht. So wie man nicht mit verbundenen Augen an der Kreissäge sitzen würde, sollte man den Boden plan und standfest machen, wenn man dort eine Hebebühne aufstellt. „Ebenheit und Standfestigkeit sind die Grundvoraussetzungen für den sicheren Betrieb“, sagt Gutachter Hensel.
Die Hersteller reagieren darauf mit Sicherheitstechnik. Viele Maschinen erkennen heute selbst, wenn sie nicht gerade stehen und können dann gar nicht mehr hochgefahren werden. Aber genau so, wie noch viele Oldtimer auf den Straßen fahren, sind auch noch Arbeitsbühnen im Einsatz, die eher ins Museum als auf die Baustelle gehören. Und dass eine Bühne gerade steht, heißt noch lange nicht, dass sie auch gerade stehen bleibt. Wenn etwa der Boden oder die Böschung nachgibt, wird es trotzdem gefährlich. Manche Hubarbeitsbühnen können auch bewegt werden, während oben ein Mensch im Korb steht. Fährt die Maschine dann über ein Schlagloch, kann der Korb zum Katapult werden, wie man es von Steine werfenden Römern aus den Asterix-Comics kennt. Ist der Arbeiter nicht ausreichend gesichert, kann er regelrecht rausgeschleudert werden.
Gegen die Gefahren Einklemmen und Quetschen haben in den vergangenen Jahren renommierte Hersteller in Kooperation mit Vermietern Lösungen entwickelt. Diese gibt es heute als Serienausstattung, können aber auch bei älteren Bühnen nachgerüstet werden. Es gibt einen ganzen Katalog von Präventionsmaßnahmen, den Bediener ergreifen müssen. Ob sie das auch sorgfältig und gewissenhaft tun, lässt sich nicht wirklich überprüfen. Schließlich kann nicht immer ein Gutachter anrücken, wenn eine Straßenlaterne repariert oder ein Baum beschnitten werden muss. Die einfachste und effizienteste Schutzmaßnahme gegen den Absturz sei immer noch ein sachgerechter Gurt, sagt auch Gutachter Hensel. Dieser wird auch von den Herstellern in der Bedienungsanleitung verlangt. Muss man sich also angurten? Ja.
Minimalwissen mittels Schulung
Schulungsanbieter haben sich mittlerweile gut auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingestellt. Gelernt werden kann am PC oder zu Hause auf dem Sofa. Zur Vorbereitung auf die Prüfung kann man sich dann etwa ein Benutzerkonto einrichten und sich bequem auch nach Feierabend auf die Prüfung vorbereiten. Hat man das Lernprogramm durchlaufen, bleiben anderthalb Monate Zeit, um die theoretische und praktische Prüfung zu absolvieren. „Die Dauer je Teilnehmer beträgt für diesen gesamten Seminarteil nur etwa zwei Stunden“, schreibt der Hamburger Vermieter AFI, der eine eigene Akademie betreibt.
Neben dem Verletzungsrisiko für den Menschen besteht beim Unfall natürlich auch die Gefahr, dass das Gerät beschädigt wird. Bei einer umkippenden Arbeitsbühne liegt es auf der Hand, dass sie nicht einfach aufgerichtet und weiter benutzt werden darf, als wäre es nur ein von einer Windböe umgestoßenes Fahrrad. „Das ist auch ein Grund, warum wir unsere Geräte nicht gerne aus der Hand geben“, sagt Steffi Tauschke. Die Metallbaufirma braucht ihre Bühnen jeden Tag. Reperaturen und Wartungen werden sorgfältig ins Tagesgeschäft eingeplant. Ausfälle und böse Überraschungen mag man sich nicht leisten.
Mietrisiko
Und natürlich können die Schäden auch für den Bediener selbst oder seinen Arbeitgeber teuer werden. Wie bei einem Mietwagen werden auch die Hebebühnen vom Vermieter so zurückgefordert, wie er sie ausgegeben hat. Wird das Gerät unbrauchbar und muss für längere Zeit oder ganz aus dem Verkehr gezogen werden, kann der Vermieter einen Schadenersatzanspruch gegen das Unternehmen oder gar gegen den Bediener haben. Je nach dem Grad der Fahrlässigkeit können Versicherungen die Zahlung zum Teil oder ganz einstellen. Wer nach einem Abend im Vollrausch am nächsten Morgen glaubt, eine Arbeitsbühne bedienen zu müssen, spielt mit seinem Leben, dem Leben anderer und mit seiner finanziellen Existenz.
Info & Kontakte
Hensel-Geschwentner Gutachterbüro
Bei den Weiden 11
71686 Remseck
Tel. 07146 28 84 06
Ulf Tauschke GmbH
Haselberger Str. 1
16259 Höhenland
Tel. 033451 60 48 0
Im Gespräch: Kathrin Stocker von der BGHM
„Der Unternehmer hat die Verantwortung“
metallbau: Frau Stocker, welches sind die häufigsten Missachtungen in Zusammenhang mit Hubarbeitsbühnen?
Kathrin Stocker: Oftmals verfügen Hubarbeitsbühnen bei ihrem Einsatz über eine schlechte Standsicherheit, da etwa keine Unterlagen verwendet werden. Ebenso steigen Personen in großer Höhe aus oder verwenden die Hubarbeitsbühne missbräuchlich als Aufzug, was herstellerseitig verboten ist. Gleiches gilt für die Verwendung dieser Bühnen als Kranersatz. Des Weiteren wird die zulässige Tragfähigkeit nicht beachtet und die Bühne überlastet. Bei den bedienenden Personen kommt es vor, dass sie keine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) gegen Absturz in Auslegerbühnen anlegen und tragen.
metallbau: Wie geht die BGHM dagegen vor? Welche Möglichkeiten haben Sie und welche hätten Sie gern?
Stocker: Die BGHM setzt hier vor allem auf Prävention – insbesondere Verhaltensprävention. Unser Ansatz ist es, Unfälle oder Fehlverhalten im Arbeitsalltag gar nicht erst entstehen zu lassen und hierzu Versicherte und Fachkräfte für sicherheitsgerechtes Arbeiten zu sensibilisieren. Dazu beraten Aufsichtspersonen der BGHM-Mitgliedsunternehmen hinsichtlich der durchzuführenden Gefährdungsbeurteilungen und der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes. Jeder Präventionsdienst der BGHM verfügt über einen Ansprechpartner, der rund um das Thema hochgelegene Arbeitsplätze berät, informiert und Auskunft geben kann. Hinzu kommen noch auch Beratungen vor Ort auf der Baustelle. Ebenso bietet die BGHM Seminare für Vorgesetzte, Sicherheitsfachkräfte und Sicherheitsbeauftragte zur Organisation von Bau- und Montagearbeiten und hochgelegenen Arbeitsplätzen an, für die Mitgliedsunternehmen keine Mehrkosten entrichten müssen.
metallbau: Welche Nachweise von Seiten der Unternehmer/Bediener sind notwendig, um eine fachgerechte Bedienung zu gewährleisten?
Stocker: Hierzu zählen der Nachweis und die Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung, die Qualifikation der bedienenden Personen nach BGG 966 (DGUV-Grundsatz 308-008), eine schriftliche Beauftragung, eine jährlich aufs Neue durchzuführende Unterweisung der bedienenden Personen und die Einweisung in die Bühnen vor Ort.
metallbau: Wer prüft, ob die Bediener sich an geltende Vorschriften halten? Gibt es etwa Stichproben, auch was verwendete Schutzkleidung angeht?
Stocker: Verantwortlich ist der Unternehmer oder der Vorgesetzte vor Ort. Die aufsichtführende Person trägt die Verantwortung und muss dafür sorgen, dass die Mitarbeiter sich sicherheitsgerecht verhalten.