Swisspacer Symposium

Fassadentechnik und ihre Marktchancen

„Die besten Köpfe der Branche“ wollte Swisspacer als Referenten werben. Mit mehr als 15 Experten aus diversen Branchen rund um die Gebäudehülle gelang dem Unternehmen mit inzwischen 125 Mitarbeitern ein konzentrierter Fachtag. Fachvorträge und Podiumsdiskussionen zeichneten ein umfängliches Bild über aktuelle und künftige Themen des Fenster- und Fassadenmarktes.
Prof. Winfried Heusler und Prof. Franz Feldmeier trugen als Vertreter aus Wissenschaft und Forschung vor. Über neue Konstruktionen der Systempartner berichteten u.a. Hendrik Pahlsmeyer, der bei Schüco das Produktmanagement Fassadensysteme leitet, und Stefan Sepp, Leiter der Abteilung Technik und Entwicklung bei Raico. Sprachrohr der Betriebe für den Fensterbau waren Franz Freundorfer, Geschäftsführer von pro Passivhausfenster, und Helmut Over, Betriebsleiter und Vertriebsleiter von Hilzinger. In vier Expertenrunden, für die Swisspacer etwa Prof. Ulrich Sieberath, den Leiter des ift Rosenheim, als Moderator engagiert hatte, wurden Referenten und Plenum miteinander ins Gespräch gebracht.

Zukunft des Bauens

Prof. Winfried Heusler entwarf Zukunftsszenarien, wie sich die Bauwirtschaft im Jahr 2050 verändert haben könnte. Demnach hätte die Digitalisierung das Handwerk voll im Griff. „Alle Arbeitsfelder, angefangen von der Entwicklung über die Planung, Fertigung und Montage bis hin zu Service und Wartung,  werden in eine geschlossene, digitale Kette integriert“, so die Prognose. Dr. Thomas A. Winterstetter ergänzte, dass auch die Arbeit der Architekten und Planer vorab in den „einheitlichen Datenfluss“ einbezogen sind, über den selbst die Maschinen in der Produktion gesteuert werden.
Nach langjähriger Tätigkeit für die Metallbauer Gartner und Schüco fungiert Prof. Heusler seit 2014 als Leiter Corporate Building Excellence bei Schüco und lehrt als Honorarprofessor an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Nach seinen Expertisen bleibt die Auftragslage auch in Zukunft gut: „Mit dem Zuwachs der Weltbevölkerung von heute 7,3 Mrd. Menschen auf 9,6 Mrd. im Jahr 2050 wird es der Baukonjunktur insbesondere in den Städten gut gehen.“ Wobei die Weltbevölkerung zuvörderst in Asien und Afrika wächst, Europa rangiert an dritter Stelle. Den größten Wohnungsbaumarkt in der Welt hat heute China.
„Damit möglichst viele Menschen würdig leben, ist das nachhaltige Bauen eine wichtige Voraussetzung“, so Prof. Heusler. Nachhaltigkeit setzt sich einerseits aus den drei Aspekten Ökologie, Ökonomie und Soziokulturelles zusammen sowie andererseits aus den drei Strategien Effizienz (Aufwand verringern), Konsistenz (Nebenwirkungen verringern) und Suffizienz (Bedarf verringern).
Die Gebäudehüllen der Zukunft sind motorisiert, schaltbar und arbeiten als dynamischer Filter für alle Jahres- und Tageszeiten. Gegen widrige äußere Einflüsse wie Schall und Schadstoffe sollen sie mittels funktionsgerechter Absorption, Reflexion und Transmission wie Barrieren wirken. „Über ‚lernfähige‘ Steuerungen, die mit Sensoren verknüpft sind, reagieren die Fassaden auf variable Außen- und Innenbedingungen“, berichtete der Fassadenspezialist. Die Vernetzung zwischen Gebäude- und Fassadentechnik setzt sich in den nächsten fünf Jahren als Standard durch. Prof. Heusler: „Sogenannte aktive Gebäudetechnik wie Heizung und Kühlung, Lüftung mit Wärmerückgewinnung sowie elektrische Beleuchtung sorgen für Raumkomfort.“ Die Komponenten sind eindeutig identifizierbar, lassen sich über Fernüberwachung warten und machen Verbesserungsvorschläge für ihren künftigen Einsatz.

Internationales und vernetztes Arbeiten

Facility Manager (FM) haben die vernetzte Fassaden- und Gebäudetechnik unter Kontrolle. In diesem Zusammenhang wies Dr. Winterstetter auf die Bedeutung von BIM hin. „Bei Architekturwettbewerben beispielsweise können FM-Manager mithilfe von Building Information Model (BIM) die Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes vorab beurteilen, sodass inzwischen die Betriebskosten in die Auswertung des Wettbewerbs stärker miteinbezogen werden.“ In seinem Vortrag über die Fassaden von morgen hob er die Internationalisierung des Projektmanagements anhand einiger Beispiele hervor. „Immer öfter erweist sich die multinationale Zusammenarbeit als die größte Herausforderung des Projektgeschäftes, international standardisierte Schnittstellen und eine Vereinheitlichung des Normenwesens beziehungsweise der Qualitätskontrolle erleichtern die Arbeit.“ Die zunehmend globale Abwicklung von Fassadenobjekten wird zugleich immer häufiger von einer Architektur dominiert, die in komplexen Geometrien gestaltet. Beispiele sind das National Museum in Qatar oder das Heydar Aliyev Cultural Center in Baku. Diese Bauweise lässt sich nur wirtschaftlich mit dem Transfer der digitalen Daten vom Architekten über den Planer bis hin zum ausführenden Fassadenbauer (File-to-Factory-Designprozess) umsetzen sowie mithilfe der 3D-Technologie zugunsten einer interdisziplinären Optimierung des Designs.
Welche Rolle BIM künftig für das Bauen spielen wird, erläuterte Andreas Bittis, Architektenberater bei Saint Gobain.  Nach seinen Informationen wird „das Arbeiten mit BIM in Großbritannien ab 2016 für den Bau aller öffentlichen Gebäude Pflicht, in Deutschland geht die Branche davon aus, dass BIM in fünf Jahren beim Bau öffentlicher Gebäude verpflichtend ist.“ Bittis hob BIM als Kommunikationsplattform und Informationsmanagementsystem für alle Baubeteiligten hervor: BIM ermöglicht Systemanbieter, Generalunternehmer, Generalplaner und Projektentwickler Zugang zum selben Informationspool. Darüber hinaus unterstrich der Architektenberater den Einsatz von BIM für das Marketing neuer Produkte. „Während wir bei technischen Innovationen am Ende der Fahnenstange angekommen sind, ist das Potenzial für die Bereiche Vertrieb und Service noch nicht ausgeschöpft.“ Derzeit werden viele falsche Erwartungen an BIM gestellt werden, wie Prof. Heusler auf dem Expertenpodium klarstellte, zugleich betonte er: „Das Fachgespräch zwischen Planer und Metallbauer kann nicht von BIM ersetzt werden.“ Dass die Anwendung von BIM für Handwerksbetriebe allzu komplex ist, hält er allerdings für ein Vorurteil. Prof. Sieberath räumte ein, dass ihm die Transparenz der Daten Angst macht. Zugleich befürchtet er bei den Herstellern ein hohes Interesse, mithilfe von BIM ihre Verkaufschancen zu verbessern.

Prinzipien für energieeffiziente Fenster

Über Konstruktionsprinzipien hocheffizienter Fenster referierte Dr.-Ing. Benjamin Krick vom Passivhaus Institut. Er reihte sieben Parameter:

  • ein schmaler Rahmen sorgt für Solargewinn
  • werden die Rahmen durchgehend in einer Dämmebene eingebaut, lassen sich Wärmebrücken vermeiden
  • homogener Isothermenverlauf ohne Spalten, sprich keine Wärmebrücken
  • ein hoher Glaseinstand reduziert Wärmeverluste
  • ein isolierter Glasrand entschärft eine Glasrandwärmebrücke
  • eine guter Abstandhalter
  • Wirtschaftlichkeit der Fenster

Marktlage für Passivhausfenster

Den Markt für Passivhaus-Fenster lotete Martin Langen, Geschäftsführer von B+L Marktdaten in Bonn, aus. Er stellte Ergebnisse einer Studie vor, die für das Jahr 2014 die Marktdurchdringung von Passivhaus-Fenstern (Uw ≤ 0,8 W/m²K) untersucht hat. Für sieben europäische Länder konnten folgende Zahlen festgestellt werden (In jedem Land wurden zwischen 30 und 50 Fensterbauer befragt):

Anforderungen an ­Aluprofilsysteme

Ingo Riewenherm, Vertriebsleiter von Pural Profilsysteme, erläuterte die Anforderungen, die seiner Erfahrung nach an zukunftsfähige Aluprofile gestellt werden:

  • sehr gute Wärmedämmung: Uf – Werte bis zu 0,70 W/m²K
  • geringer Aluminiumanteil
  • schnelle Verarbeitung
  • eindeutige Materialien: z.B. Aluminium (bis zu 80 % recyceltes Aluminium), Polyamid (fast zu 100 % recycelbar), Polyurethan-Dämmzone (Bioöl-Basis)
  • kostengünstige Konstruktionen
  • gute Sanierungslösungen
  • schnelle Verarbeitung

Vakuumglas braucht Schub

Prof. Franz Feldmeier von der Hochschule Rosenheim differenzierte für Glas Lowtech-Lösungen, hierzu zählen beispielsweise Dreifach- oder Fünffach-Isolierglas, und Hightech-Lösungen wie Vakuumglas. Dieses stammt derzeit in erster Linie aus China, in Europa gibt es keine Produktion – dafür wäre zunächst ein technischer Schub nötig. Problem ist ein elastischer Randverbund, der bei Temperaturdifferenzen nicht empfindlich reagiert, und darüber hinaus ein zuverlässiger Produktionsprozess.
Eine Maßnahme für eine optimierte Wärmedämmung ist VSG-Dünnglas mit ca. 50 % weniger Gewicht und einem U-Wert von 0,3 W/m²K. „Forschungsergebnisse dazu liegen 2016 vor“, berichtete Prof. Feldmeier. Aktuelle Forschungsergebnisse zum permanent druckangepassten Isolierglas zeigen ein Risiko von Tauwasser und eine Beschränkung bei soft coatings. Als Entwicklungsziele nannte der Experte die Begrenzung der Druckdifferenz, das Erhalten der Lastverteilung und einen sauberen und trockenen Zwischenraum, der den Anforderungen der EN 1279-2 entspricht. Gute Marktchancen prognostizierte Prof. Feldmaier dem partiell druckentspannten Isolierglas, „allein schon weil es eine gute Übereinstimmung zwischen Modell/Berechnung und Experiment gibt“. Die Entwicklungsziele sind identisch mit dem permanent druckangepassten Isolierglas. Als Lösungen hält er für dieses Isolierglas die Anpassung des Volumenstromes über ein Kapillarrohr für möglich sowie die maximale Trocknungsmittelmenge.

Fazit

Die technische Entwicklung der Fassadentechnik und eine Offenheit für neue Strukturen und Arbeitsmethoden im Projektmanagement sind eine Seite der Medaille, auf der anderen Seite geht es darum europaweit die Marktchancen auszuloten und ein zündendes Marketing für den Absatz der Produkte zu finden. Die Veranstaltung fenestra vision bot einen kurzweiligen  sowie fachlich hochkarätigen Rahmen, um Synergien, Kreativität und neue Aktionen für die Branche anzustoßen. ⇥ma ◊

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