Folgen des Krieges in der Ukraine auf Bauverträge
Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine sind in der Baubranche deutlich zu spüren. Bereits jetzt kommt es zu signifikanten Preisanstiegen und Lieferengpässen bei vielen Baumaterialien wie Stahl, Roheisen, Nickel und Titan. Rund 30 % des Baustahls kommt aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Der Fachbeitrag führt aus, inwiefern sich durch den Krieg in der Ukraine veranlasste Preissteigerungen und Lieferengpässe auf die vereinbarten Bauzeiten sowie auf die vereinbarte Vergütung in laufenden Bauvorhaben auswirken.
Die Tragweite der Auswirkungen der Kriegsereignisse kann noch nicht prognostiziert werden. So haben große Raffinerien angekündigt, ihre Produktion des für den Straßenbau benötigten Bindemittels Bitumen kurzfristig deutlich reduzieren zu müssen. Es droht der Ausfall von einem Drittel der deutschen Bitumenversorgung. Hinzu kommen die steigenden Kraftstoffpreise sowie der Ausfall ukrainischer LKW-Fahrer. Beides trifft die transportintensive Baubranche stark.
Auswirkungen auf die Bauzeit
Vertragliche Vereinbarungen
a) Höhere-Gewalt-Klausel
Ob es infolge des Ukraine-Krieges zu Bauzeitverlängerungen kommt, kann sich bereits aus den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien ergeben. Gerade Bauverträge, die nach Beginn der Corona-Pandemie zustande gekommen sind, enthalten häufig „Höhere-Gewalt“-Klauseln bzw. „Force-Majeur“-Klauseln. Die Berechtigung zur Berufung auf eine solche Klausel im Falle des Ukraine-Krieges hängt von deren konkreter Ausgestaltung ab. Teilweise führen die Klauseln den Krieg als Beispielsfall der höheren Gewalt ausdrücklich an. Aber auch nach dem allgemeinen Verständnis kann der Ukraine-Krieg als Fall höherer Gewalt eingestuft werden. Dazu ausführlich unter b) § 6 VOB/B.
Welche Rechtsfolgen die Klausel vorsieht, ist im Einzelfall konkret zu prüfen. Die Parteien können mit ihr eine Regelung zur Bauzeitverlängerung oder zur Loslösung vom Vertrag vereinbart haben.
b) § 6 VOB/B
Für Bauverträge, bei denen die Bestimmungen der VOB/B einbezogen wurden, ist die Regel des § 6 VOB/B maßgeblich, nach der Behinderungen der Leistungserbringung des Auftragnehmers zu einer Bauzeitverlängerung führen können. Das ist dann der Fall, wenn der Ukraine-Krieg und die dadurch entstehenden Behinderungen ein Ereignis höherer Gewalt im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 1 c Alt. 1 VOB/B darstellen. Unter höherer Gewalt wird in der Rechtsprechung ein von außen auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches Ereignis verstanden, das unvorhersehbar ist, selbst bei Anwendung äußerster Sorgfalt ohne Gefährdung des wirtschaftlichen Erfolgs des Unternehmens nicht abgewendet werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit von dem Unternehmer in Rechnung zu stellen und mit in Kauf zu nehmen ist (BGH, Urteil vom 23.10.1952, Az.: III ZR 364/51; BGH, Urteil vom 15.03.1988, Az.: VI ZR 115/87).
Der Angriffskrieg in der Ukraine begann unangekündigt und unvorhersehbar mit einem großangelegten Überfall des russischen Militärs am 24.02.2022. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es in Europa kein vergleichbares Ereignis. Kommt es infolge des Krieges zu Materialknappheiten und Lieferengpässen von Baustoffen, wird deswegen höhere Gewalt im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 c Alt. 1 VOB/B anzunehmen sein.
Darüber hinaus kann ein sonstiger „unabwendbarer Umstand“ im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 c Alt. 1 VOB/B in einer plötzlich, objektiv gänzlich unvorhersehbar aufgetretenen Materialknappheit liegen. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ein Baustoffmangel infolge des unvorhersehbaren und plötzlich begonnenen Ukraine-Krieges als Behinderung gesehen werden. Dabei ist zu beachten, dass sich der Auftragnehmer im Rahmen von § 6 VOB/B nicht darauf berufen darf, dass er infolge der gestiegenen Preise nur noch mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand Baumaterialien beschaffen kann. Etwas anderes kann sich erst im Falle eines unerträglichen Mehraufwands ergeben. Insofern wird auf die Ausführungen zu § 313 BGB verwiesen (dazu unten unter „Gesetzliche Regelungen des § 313 BGB“).
Im Rahmen seiner Anzeigepflicht nach § 6 Abs. 1 VOB/B muss der Auftragnehmer sämtliche Tatsachen aufdecken und darlegen, aus denen sich mit hinreichender Klarheit die Gründe für die Behinderung im Einzelnen ergeben. Dabei muss er konkret anzeigen, welche Behinderungen vorliegen und inwiefern diese Folgen des Ukraine-Krieges sind. Die bloße Anzeige von „Materialknappheit infolge des Ukraine-Krieges“ ohne nähere Ausführungen wird unzureichend sein. Eine Offenkundigkeit der Behinderung und damit einhergehend eine Entbehrlichkeit der Anzeigepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B besteht nicht, da zwar der Ukraine-Krieg offenkundig ist, nicht aber dessen Auswirkungen auf die konkreten Leistungsverpflichtungen des Auftragnehmers aus dem jeweiligen Bauvertrag.
Als Rechtsfolge wird die Ausführungsfrist nach § 6 VOB/B um den festgestellten Behinderungszeitraum unter Berücksichtigung eines zeitlichen Zuschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten verlängert, § 6 Abs. 4 VOB/B.
Gesetzliche Regelung des § 275 BGB
§ 6 VOB/B erfasst lediglich Fälle von Behinderungen und Unterbrechungen, nicht hingegen solche der dauerhaften Unmöglichkeit der Leistung. Diese Fälle regelt § 275 Abs. 1 BGB, der eine Leistungsbefreiung vorsieht, wenn die zu erbringende Leistung für den Schuldner oder für jedermann unmöglich geworden ist. Dabei ist jedoch zu beachten, dass länger andauernde Lieferengpässe und Materialknappheiten keine Unmöglichkeit der Erfüllung von Vertragspflichten des Auftragnehmers begründen, solange die Beschaffung der Baustoffe nicht dauerhaft ausgeschlossen ist. Auch erhebliche Preissteigerungen lassen die Vertragsausführung nicht unmöglich werden. Die sog. wirtschaftliche Unmöglichkeit kann vielmehr zur Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB führen (dazu unten unter „Gesetzliche Regelungen des § 313 BGB“).
Auch ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB wird dem Auftragnehmer bei wirtschaftlicher Unmöglichkeit aufgrund extremer Preissteigerungen nicht zustehen. Denn im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist das Leistungsinteresse des Gläubigers alleiniger Bezugspunkt. Dieses wächst entsprechend der Preissteigerung, da das Gewerk eine Werterhöhung erfährt. Der Mehraufwand des Auftragnehmers steht damit nicht in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers.
Auswirkung auf die Vergütung
Vertragliche Vereinbarung
a) Höhere-Gewalt-Klausel / Preisgleitklausel
Vereinbarte Höhere-Gewalt-Klauseln können auch eine Preisanpassung als Rechtsfolge regeln. Das ist im Einzelfall zu prüfen. Zudem sollte kontrolliert werden, ob der Vertrag eine sog. Stoffpreisgleitklausel enthält. Durch diese behält sich der Auftragnehmer das Recht vor, bei Erhöhung seiner Selbstkosten die vereinbarte Vergütung seiner Leistungen anzupassen. Bei derartigen Vereinbarungen ist jedoch besondere Vorsicht geboten, da für die Wirksamkeit solcher Klauseln strenge Voraussetzungen gelten.
b) VOB/B
Regelungen, die eine Preisanpassung wegen steigender Materialpreise infolge von den Ereignissen höherer Gewalt vorsehen, gibt es in der VOB/B nicht. Die Tatsache, dass der Auftragnehmer eine Bauzeitverlängerung beanspruchen kann, aber zu den insoweit entstehenden Kosten bei fehlendem Verschulden der Vertragsparteien nichts geregelt ist, besagt allerdings nicht, dass der Auftragnehmer diese Kosten trägt. Hier ist auf die Regelungen des BGB zurückzugreifen, die unverändert gelten.
Gesetzliche Regelung des § 313 BGB
§ 313 BGB ermöglicht es den Parteien, den Vertragsinhalt an veränderte Verhältnisse unter den strengen Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage anzupassen.
Im Folgenden wird erörtert, ob die bauwirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges zu einer Erhöhung der vertraglich vereinbarten Vergütung nach § 313 BGB führen können. Die maßgeblichen Voraussetzungen für eine Störung der Geschäftsgrundlage sowie die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag werden dabei getrennt geprüft, wobei die Voraussetzungen des § 313 BGB nicht trennscharf voneinander abgrenzbar sind. Es ist stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
a) Geschäftsgrundlage und Risikosphäre
Geschäftsgrundlage sind nach der Rechtsprechung die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (BGH, Urteil vom 07.03.2013 – VII ZR 68/10; BGH, Urteil vom 30.06.2011, Az.: VII ZR 13/10). Zu beachten ist, dass Vorstellungen, die in den Risikobereich einer Partei fallen, keine fundamentale, gemeinschaftliche Grundlage des Vertrags im Sinne von § 313 BGB bilden (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2022, Az.: XII ZR 8/21).
Das Risiko der Auskömmlichkeit seiner Kalkulation sowie das Risiko von Leistungserschwerungen trägt grundsätzlich der Auftragnehmer. Es liegt also in seiner Risikosphäre, dass die vertraglich vereinbarten Leistungen auch unter Berücksichtigung steigender und unerwarteter Einkaufspreise von dem vertraglichen Festpreis gedeckt sind. Das gilt auch dann, wenn die Vergütung für den Auftragnehmer nicht mehr kostendeckend ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.1977, Az.: VIII ZR 196/75). Die Kalkulation des Auftragnehmers wird deshalb grundsätzlich keine Geschäftsgrundlage.
Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes lehnte die Rechtsprechung eine Preisanpassung bisher häufig ab. Zur Begründung führten die Gerichte meist an, dass die Preissteigerung bereits vor Vertragsschluss erwartbar bzw. vorhersehbar gewesen sei. Der Auftragnehmer hätte sich daher durch vertragliche Regelungen, z. B. eines Preisvorbehalts, absichern können (so z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2008, Az.: I-23 U 48/08, das deswegen eine Preisanpassung wegen einer Stahlpreiserhöhung in Höhe von ca. 30 % für „Maurer- und Stahlbetonarbeiten“ ablehnte; OLG Hamburg, Urteil vom 28.12.2005, Az.: 14 U 124/05; OLG München, Urteil vom 22.09.1983, Az.: 24 U 893/82; OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.06.1973, Az.: 22 U 176/72). In diesen Fällen war der Risikobereich des Auftragnehmers nicht überschritten – da die Preiserhöhung für den Auftragnehmer absehbar war, oblag es ihm, sich entsprechend abzusichern.
Allerdings kann die Risikozuweisung aus der Kalkulation dann eine Grenze erfahren, wenn durch Umstände außerhalb des Einfluss- und Risikobereichs des Auftragnehmers das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung gestört wird. Der Grundsatz der Balance zwischen Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip) wird stets Geschäftsgrundlage eines Vertrags.
Eine derartige Störung kann als Folge des Wegfalls der sogenannten „großen Geschäftsgrundlage“ angenommen werden. Unter dieser versteht man die dem Vertrag in der Regel zugrunde liegende Erwartung, dass sich die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht grundlegend verändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert wird (BGH, Urteil vom 12.01.2022, Az.: XII ZR 8/21). Der BGH nennt dabei ausdrücklich den Kriegsfall als Beispiel. Ob jedoch der vorliegend zu bewertende Ukraine-Krieg die verschiedenen Rahmenbedingungen in Deutschland grundlegend verändert, ist zweifelhaft. Denn die Folgen des Krieges sind (noch) primär wirtschaftlich bemerkbar. In dem genannten Urteil bejahte der BGH die Störung der Geschäftsgrundlage infolge der Covid-19-Pandemie. Das Coronavirus betraf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland gleichermaßen stark und unmittelbar.
Jedoch ist im Rahmen von § 313 BGB die individuelle Geschäftsgrundlage entscheidend. Beim Abschluss von Bauverträgen kommt es den Parteien vor allem auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an. Infolge des Ukraine-Krieges erhöhten sich die Preise für viele Baumaterialien um mehr als 25 %. Seit Kriegsbeginn bis Mitte März unterlag der Baustoff Stahl einer Preissteigerung von ca. 35 %.; Dieselkraftstoff unterlag einer Preissteigerung von ca. 30 %. Die Preiserhöhung für das Bindemittel Bitumen lag innerhalb der ersten 10 Tage seit Kriegsbeginn bei ca. 25 %. Diese signifikanten Preissteigerungen waren für Auftragnehmer nicht vorhersehbar, kalkulierbar und liegen außerhalb ihres Einflussbereichs. Deswegen erscheint es gut vertretbar, die Erschütterung zumindest der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit einhergehend eine Störung der Geschäftsgrundlage im Einzelfall anzunehmen.
b) Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag
Allein die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann (BGH, Urteil vom 12.01.2022, Az.: XII ZR 8/21). Ein Festhalten am Vertrag mit dem ursprünglich vereinbarten Festpreis muss also durch drastische Preissteigerungen zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis für den Auftragnehmer führen. Das erfordert eine umfassende Interessenabwägung beider Vertragsparteien unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.
Dabei ist zu beachten, dass sowohl beim Einheitspreisvertrag als auch beim Pauschalpreisvertrag eine Gesamtwürdigung des Äquivalenzverhältnisses vorzunehmen ist. Die Erhöhung der Preise einzelner Leistungen darf grundsätzlich nicht isoliert betrachtet werden, weil es im Rahmen von § 313 BGB nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage bei einzelnen Positionen ankommt, sondern der Geschäftsgrundlage des gesamten Vertrags. Eine Ausnahme kann sich für vertraglich vereinbarte Leistungsabschnitte mit Teilpauschalen im Rahmen eines Pauschalvertrags ergeben.
Es muss daher bei jedem Vertragsverhältnis konkret geprüft werden, inwiefern die Gesamtleistung des Auftragnehmers von unvorhersehbaren und außerordentlichen Preissteigerungen betroffen ist. Bei einem Stahlbauer ist zum Beispiel eine andere Betroffenheit anzunehmen als bei einem Generalunternehmer, dessen Leistungen nur teilweise den Preissteigerungen unterliegen.
Die Rechtsprechung lehnte bisher eine Preisanpassung nach § 313 BGB häufig deswegen ab, weil die Steigerung der Preise nicht hoch genug für die Annahme der Unzumutbarkeit zulasten des Auftragnehmers war.
Diese Thematik wird vor allem im Zusammenhang mit einer Preisanpassung nach § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 2 VOB/B diskutiert. Die Norm regelt einen Ausgleichsanspruch des Auftragnehmers, wenn die vertraglich vorgesehene Leistung erheblich von der ausgeführten Leistung abweicht, sodass ein Festhalten an der Pauschalsumme nicht zumutbar ist. Insoweit wird häufig eine Grenze der unerwarteten Mehrkosten in Höhe von 20 % angesprochen. Bei einer Kostensteigerung des Gesamtbauvorhabens um 20 % wird in der Regel eine Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag für den Auftragnehmer noch angenommen (BGH, Urteil vom 20.10.1960, Az.: VII ZR 126/59; OLG München, Urteil vom 10.06.2008, Az.: 9 U 2192/07, das von einem „Mindestwert in Höhe von 20 %“ spricht; OLG Hamm, Urteil vom 16.06.1992, Az.: 21 U 18/92; OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.1992, Az.: 5 U 164/91). Jedoch hat der BGH mit Urteil vom 30.06.2011 (Az.: VII ZR 13/10) festgestellt, dass hinsichtlich der zumutbaren Mehrkosten auf eine starre Risikogrenze von 20 % der Gesamtvergütung nicht abgestellt werden könne. Der Umstand, dass infolge der unvorhersehbaren Preiserhöhungen nicht nur der zu erwartende Gewinn des Auftragnehmers aufgezehrt wird, sondern sogar Verluste eintreten, kann im Rahmen der Zumutbarkeit eine Rolle spielen. Die drohende Insolvenz des Auftragnehmers ist jedoch keine Voraussetzung einer Vertragsanpassung.
Wie bereits ausgeführt, erhöhten sich die Preise infolge des Ukraine-Krieges für viele Baumaterialien um jedenfalls mehr als 20 %. Im Rahmen der Zumutbarkeit wird allerdings auch die Dauerhaftigkeit der Preissteigerungen entscheidend sein. Das Bindemittel Bitumen beispielsweise erfuhr nach dem ersten Preisanstieg bis zum 09.03.2022 einen Preisrückgang bis Mitte März in ungefähr gleicher Höhe. Seitdem steigt der Preis jedoch wieder an. Ein Festhalten am Vertrag bei nur kurz andauernden Preisanstiegen ist in aller Regel zumutbar.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Baumaterialien unterschiedlich preisstabil sind. Der Baustoff Stahl beispielsweise unterliegt generell verhältnismäßig starken Preisschwankungen. Diese Schwankungen sind bei der Kalkulation vom Auftragnehmer einzupreisen.
Kann nach diesen Kriterien eine Störung der Geschäftsgrundlage angenommen werden, hat der Auftragnehmer nach § 313 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Anpassung der vertraglich vereinbarten Vergütung. Die Höhe der Vertragsanpassung
ist im Einzelfall festzusetzen.
Regelungen für den öffentlichen Auftraggeber
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat für die Bundesbauverwaltung und den Verkehrswegebau am 25.03.2022 bis zum 30.06.2022 befristete Sonderregelungen zum Umgang mit den Problemen der Lieferengpässe und Preissteigerungen als Folgen des Ukraine-Krieges für die Produktgruppen Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte, Epoxidharze, Zementprodukte, Holz und gusseiserne Rohre getroffen.
Diese Regelungen werden zugleich als Leitbild für die öffentlichen Auftraggeber im Allgemeinen dienen. Hinsichtlich der Auswirkungen auf bestehende Verträge nennt das Bundesministerium neben den hier bereits erwähnten Möglichkeiten der Bauzeitverlängerung nach § 6 VOB/B sowie der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB die Veränderung von Verträgen nach § 58 BHO, die nachträgliche Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel sowie die Auftragsänderung nach § 132 GWB bzw. § 22 EU VOB/A.
Nach § 58 BHO darf das Bundesministerium Verträge zum Nachteil des Bundes und zugunsten des Auftragnehmers auch unterhalb der Schwelle der gestörten Geschäftsgrundlage ändern. Voraussetzung ist ein „begründeter Ausnahmefall“, der dann vorliegt, wenn der Auftragnehmer unbillig benachteiligt ist, da sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse bei Vertragserfüllung infolge ihm nicht zuzurechnender Umstände erheblich verschlechtern würden. In den Sonderregelungen wird die Entscheidungsbefugnis vom Bundeministerium grundsätzlich auf die die Fachaufsicht führende Ebene übertragen.
Außerdem wird in den Sonderregelungen festgehalten, dass im Einzelfall unter Gesamtabwägung der maßgeblichen Umstände im Rahmen der Störung der Geschäftsgrundlage sowie des begründeten Ausnahmefalls nach § 58 BHO eine nachträgliche Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel in bestehende Verträge in Betracht kommt. Das gilt nur für solche Verträge, bei denen bisher höchstens die Hälfte der Leistungen aus den oben aufgeführten Produktgruppen ausgeführt wurde. Die Anwendung der Preisgleitklausel kommt nur für noch nicht erbrachte Leistungsteile in Betracht.
Hinsichtlich der Regelungen nach § 132 GWB bzw. § 22 EU VOB/A stellt das Bundesministerium klar, dass Vertragsänderungen infolge der Kriegsereignisse in der Ukraine in aller Regel keine Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens erfordern.
Fazit
Lieferengpässe und Preissteigerungen als Folgen des Ukraine-Krieges können zu Bauzeitverlängerungen und auch zu einer Anpassung der im Vertrag vereinbarten Vergütung führen. Für die Bauzeitverlängerung nach § 6 Abs. 2 VOB/B wird es maßgeblich auf die Frage ankommen, inwiefern die Lieferengpässe und Materialknappheiten Folgen des Ukraine-Krieges sind und wie sich diese konkret auf die vereinbarten Ausführungsfristen auswirken. Diese Kausalitäten muss der Auftragnehmer in seiner Behinderungsanzeige nach § 6 Abs. 1 VOB/B für den Auftraggeber deutlich aufzeigen.
Eine Preisanpassung wird gleichfalls in Betracht kommen und zu prüfen sein. Ob und inwiefern die Gerichte eine Störung der Geschäftsgrundlage bei extremen Preissteigerungen infolge des Ukraine-Krieges annehmen, kann nicht sicher prognostiziert werden. Regelmäßig werden jedoch gute Gründe für eine solche Störung sprechen. Höher wird die Hürde für die Annahme der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag sein. Dabei kommt es auf die individuelle Konstellation des jeweiligen Falles an. Liegt die Preissteigerung der Kosten für das gesamte Bauvorhaben jedoch unter 20 % oder wird der erwartete Gewinn des Auftragnehmers nicht vollständig aufgezehrt, liegt eine Unzumutbarkeit eher fern.
Die vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erlassenen Sonderregelungen vom 25.03.2022 können im Falle von Bauverträgen mit öffentlichen Auftraggebern unter erleichterten Bedingungen zu einer Vergütungsanpassung führen. Dies hängt letztlich von der Bewertung des Einzelfalls durch den Auftraggeber der öffentlichen Hand ab.