DANK-Mal
Denkmal für OrganspendeWas hat der Flügelschlag eines Schmetterlings mit einem Kunstwerk aus Stahl zu tun? Sehr viel, sagen der Architekt Michael Wezstein und der Metallbauer Markus Ruf. Gemeinsam schufen sie das DANK-Mal, ein Denkmal für Organspende, auf dem Gelände der Berliner Charité. Zusammengesetzt ist es aus zwei sich überschneidenden stählernen Spiralen. Es erinnert an den Schmetterlingseffekt, der ein kleiner Anstoß für etwas Großes sein kann, analog entfaltet Organ- als Lebensspende eine fast wundersame Wirkung.
Organspende hat in Deutschland einen schlechten Stand. Zwar sprechen sich neun von zehn Deutschen dafür aus, doch nur 39 Prozent von ihnen verfügen tatsächlich über einen Organspendenausweis. Zu diesen zählen auch Markus Ruf und Michael Wezstein. Letzterer, ein junger Architekt und Künstler aus Tengen, nahm 2019 – damals noch als Student – am Ideen- und Realisierungswettbewerb „Denkmal für Organspende“ der Patienten-Stiftung „Aktion Niere“ teil. Er und andere Studierende der Hochschule Konstanz sollten für die Berliner Charité ein Kunstwerk entwerfen, das Organspendern und ihren Angehörigen gewidmet ist. Als Standort wählte man die als Park angelegte Mittelallee zwischen den Hauptgebäuden des Virchow-Klinikums. Am überzeugendsten fand die Jury Wezsteins Konzept: Eine begehbare Stahlskulptur, die sich aus zwei ca. 3,5m langen, 1 bis 1,4 m breiten und 2,2 bis 3,4 m hohen, ineinander verschränkten Spiralen zusammensetzt.
„Spirale des Lebens“
„Ich wollte einen Ausdruck finden für den Impuls, den eine Organspende auf den Empfänger und seine unmittelbare Umgebung ausübt. Der Organempfänger bekommt ein Leben geschenkt und kann wieder Leben weitergeben“, erläutert der Tengener Architekt. Dabei ließ er sich vom Schmetterlingseffekt inspirieren, der von der Annahme ausgeht, dass ein kleiner Anstoß („der Flügelschlag eines Schmetterlings“) eine große Wirkung („einen Tornado in Texas“) entfalten kann. Diese Vorstellung brachte den Künstler auf die „Spirale des Lebens“, umgesetzt als zwei begehbare und sich konzentrisch verkleinernde, ellipsenförmige Spiralen. Die eine steht für den Organspender, die andere für den Organempfänger. Im vorderen Teil überschneiden sich diese beiden offenen Körper sinnbildlich im „Akt der Spende“. Das Kunstwerk lässt aber auch andere Interpretationen zu. So mag seine doppelte Ellipsenform an Niere oder Lunge erinnern – Wezstein hat sich hier nicht festgelegt. Wichtig, meint er, seien die Leichtigkeit und positive Ausstrahlung, die von dem Werk ausgingen.
Vor der Skulptur befinden sich zwei stählerne, offene Bänke, dazwischen eingelassen ist eine stählerne Gedenktafel. Auch diese Elemente sind gebogen und so ausgerichtet, dass man durch die Spiralen hindurchblicken kann. Skulptur und Sitzgelegenheit laden zu einem Moment der Ruhe und des sinnlichen Erlebens ein: Die Spiralen schwingen leicht, wenn man sie berührt oder der Wind hindurchbläst. Keine Perspektive des Kunstwerks gleicht der anderen, jede Tages- und Jahreszeit provoziert ein anderes Licht- und Schattenspiel.
Von der Idee zum fertigen Objekt
Realisiert wurde das DANK-Mal von Ruf & Keller, einem auf Stahl- und Stahl-/Glasbau spezialisierten Unternehmen aus Tengen-Watterdingen. Mit ins Projektteam nahm man auch das Statikbüro Relling aus Singen. Nach Wezsteins Wettbewerbsgewinn im Dezember 2020 machten sich die drei Partner an die Arbeit und fertigten zunächst einen Prototyp für das spätere Objekt. Grundlage für Ausführung und Statik dieses 1:1-Spiralsegments und der Gesamtkonstruktion waren die in Allplan erstellten Werkpläne. Im Unterschied zum Architekturmodell, das Wezstein aus einem Stück geschnitten hatte, musste das Stahlobjekt aber aus mehreren Teilen gefertigt werden. Denn die Ellipsen, die zusammen eine Spirale formen, sind für ein Normblech schlicht zu groß. Außerdem entstehen beim Plasmaschneideprozess Brandkanten und es kommt zu Materialschwund. Konsequenterweise unterteilte man die Spirale in einzelne Segmente bzw. Ringe; im fertigen Objekt gibt es pro Seite zehn davon. Die Ringe wiederum setzen sich je nach Größe aus einem bis vier Einzelteilen zusammen. Darüber hinaus passte man die Ansichtsbreite der Ringe von ursprünglich geplanten 5 cm auf 7cm an. Eigens für das Projekt entwickelt wurde der Fußpunkt, eine Stahlplatte mit 15 mm-Steifen und zwei 30 mm-Anschlussblechen.
Die Dreidimensionalität der gebauten Spirale kommt zustande, weil die Enden der planebenen Ringe in der fertig montierten Konstruktion um einige Zentimeter versetzt angeordnet sind. Dies ist der Komplexität aber nicht genug: So neigen sich die beiden Spiralen in Längsrichtung und gleichzeitig auch nach außen. Daher weisen die Ringe an den Enden einen Höhenversatz auf. Eine Herausforderung war es zudem, die Spiralen so zu gestalten, dass sie an einer Stelle zwar ineinanderlaufen, sich aber nicht berühren. „Diese handwerkliche Meisterleistung haben unser Vorarbeiter Andreas Fromm und der Werkstattmeister Dieter Wikenhauser perfekt umgesetzt“, findet Ruf. Als ebenso kniffelig entpuppte sich die statische Berechnung des Fußpunkts. Denn es war davon auszugehen, dass der Ring durch Windkräfte in Schwingung gerät. Am 1:1-Modell konnten Metallbauer, Architekt und Statiker die Konstruktion auf solche Situationen hin testen, optimieren und die Ergebnisse in die spätere Ausführung einbringen.
5,5 Tonnen Gesamtgewicht
Ende März 2021 erreichte den Betrieb aus Watterdingen die Nachricht, das Projekt realisieren zu dürfen „Das Timing war äußerst eng bemessen. Markus hat für das Projekt alles andere erst Mal auf Eis gelegt und für uns mit acht Leuten das Denkmal produziert. So etwas hätte nicht jeder Betrieb getan“, sagt Wezstein. Ruf bestellte also umgehend das Material und fing knapp zwei Wochen später mit der Produktion an – in dem Wissen, dass ihm bis zur Einweihung ein Zeitfenster von fünf, maximal sechs Wochen blieb. Doch dank der Vorarbeit am Prototyp wussten er und seine Partner den exakten Weg dahin.
Zuallererst berechnete der Metallbauer mithilfe des Schachtelungsprogramms Asper die optimale Anordnung der Ringteile und Anschlussplatten auf den Blechen und damit die genaue Menge an Rohmaterial. Im Ergebnis waren dies zehn 3 m x 1,5 m große Tafeln, bestehend aus 30 mm starkem, langlebigem und hochfestem S235er-Stahl. Im Anschluss brannte er die Einzelteile an der CNC-gesteuerten MicroStep-Feinplasmaanlage aus. In einem weiteren Schritt wurden alle Einzelteile zu den 20 Ringen zusammengeschweißt, daraufhin auf die Anschlussplatten geschweißt und schließlich zum Feuerverzinken zur Firma Galvaswiss nach Wellhausen in die Schweiz und zum Pulverbeschichten zur Firma Pulvertec KLK im nahegelegenen Eigeltingen transportiert. Aus 10,5 Tonnen Rohmaterial fertigte Ruf ein Kunstwerk von 5,5 Tonnen Gesamtgewicht. Trotz aller Optimierung bedeutete das eine beachtliche Menge an Verschnitt. Dieser floss in großen Teilen beispielsweise in den Bau von Großflächenmarkisen. Diese vertreibt, plant, produziert und montiert der Watterdinger Betrieb seit Jahren mit einem Partner zusammen in ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Countdown bis zur Einweihung
Kurzfristig zum Tag der Arbeit fuhr Ruf nach Berlin, um vor Ort mit dem hauseigenen Architekten der Charité und einem ortsansässigen Kranunternehmen die Gegebenheiten am Virchow Campus zu besichtigen und die Montage, die die Klinikabläufe nicht behindern durften, zu besprechen. Am 9. Mai verluden zwei seiner Mitarbeiter und Michael Wezstein das fast fertige Werk zu seiner letzten Reise, am gleichen Tag schon fingen die drei Männer mit dem Aufbau an. Abends stand die erste Spiral-Reihe, am zweiten Tag die zweite, 24 Stunden später montierte das Team Bänke und Gedenktafel. Die Anschlussplatten der Ringe fixierte man mit jeweils vier 30 cm-Ankerstangen (FIS A M16) und Injektionsmörtel in der 80 cm starken Betonfundamentplatte.
Überraschend bekamen Ruf und Wezstein dann noch eine ganz andere Aufgabe zugeteilt: Es ging darum, 80 qm Rollrasen zur Abdeckung der Bodenplatte zu besorgen. Die Herausforderung lag darin, dass zu dem Zeitpunkt in ganz Berlin kein Rollrasen aufzutreiben war. Deswegen orderten ihn die beiden kurzerhand aus Süddeutschland. Zwei Tage vor Einweihung kam das wertvolle grüne Gut beim DANK-Mal an. Ruf lacht, wenn er davon spricht und sagt: „Zum Glück sieht man nicht, unter welchem Zeitdruck das Kunstwerk entstanden ist!“ Die Einweihung fand wie geplant am 20. Mai bei bestem Wetter und unter Beisein aller Projektbeteiligten, der eingeladenen Gäste und der Schirmherrin Julia Klöckner statt.