Technisches Zeichnen
Ein Beruf im WandelHochkomplexe Gebäudehüllen sind möglich, weil sich Planungsmethoden im Metall- und Fassadenbau stetig weiterentwickeln und neue Anwendungspotenziale Ansporn zu Innovationen bieten. So auch im Hause des international agierenden Fassadenspezialisten GIG aus Österreich.
Das englische Wort „Aspiration“ steht für „Anspruch“, „Streben“, „Zukunftsziel“. Nicht von ungefähr, könnte man meinen, trägt die Londoner „Bridge of Aspiration“ diesen Namen. 2002 von Wilkinson Eyre entworfen und in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Fassadenspezialisten GIG realisiert, besteht die Brücke aus 23 Stahlrahmen und gläsernen Zwischenelementen. Die Konstruktion dreht sich entlang der Achse um 90 Grad und bildet dadurch eine hochkomplexe Form. Im Werk des international renommierten Fassadenbauers sticht sie deshalb hervor, weil sie das Dreidimensionale in die Gebäudehülle brachte und den Anspruch an planerische Werkzeuge auf ein neues Level setzte. Der rasante technische Fortschritt – in den beiden vergangenen beiden Jahrzehnten ist hier Enormes geschehen – spiegelt sich beispielsweise wider in der von GIG gefertigten und von Zaha Hadid entworfenen Fassade der Wirtschaftsuniversität Wien.
Von der Tuschezeichnung zum 3D
Ab 2001 als Technischer Leiter und seit 2013 in der Führung des Unternehmens tätig, hat Gerhard Haidinger den Fassadenbau mitgestaltet und die Entwicklung des technischen Zeichnens aus nächster Nähe miterlebt. Er erinnert sich insbesondere an den Wandel in den Nullerjahren von der 2D-Zeichnung in die Dreidimensionalität – aber auch an Relikte aus vergangener Zeit: „Wir haben noch Transparentpapier aus fast 40 Jahren Projekten im Keller stehen.“ Die ersten CAD-Anbindungen für den Stahl- und Fassadenbau, so Haidinger, habe es Anfang der 1990er gegeben. „Dann kam vor über 20 Jahren die 3D-Planung ins Spiel. Die Zeit war aber noch nicht reif dafür.“ Konkret bedeutete dies, dass Haidinger und sein Team für die „Aspiration Bridge“ aus dem 3D-Modell manuell die 2D-Zeichnungen erstellen mussten. „Zum Glück macht das heute die Software selbst“, schmunzelt er.
Rückblick
Mit der rasanten Entwicklung von Computer-Hard- und Software und der Einführung kleiner, erschwinglicher PCs Mitte der 1990er-Jahre verdrängten im Hoch- und Tiefbau CAD-Programme – allen voran AutoCAD, ArchiCAD und SolidWorks – zunehmend die klassischen Zeichenwerkzeuge Tusche, Papier und Zeichenbrett. Jene verschwanden in den Nullerjahren so gut wie gänzlich aus den Konstruktionsbüros. Auch die Implementierung webbasierter, mobiler Lösungen Anfang der Zehnerjahre gab dem Computer Aided Design einen großen Schub. In Anwendung kommen im Bauwesen heutzutage sowohl die vektorbasierte 2D-Zeichnung als auch das 3D, das automatisierte parametrische Design und das Building Information Modeling.
Ein Prozess: von der Planung bis zur Fertigung
In den Händen der verschiedenen Planungsteams vom GIG Fassaden und ihrer jeweiligen Designleiter liegt der gesamte technische Projektablauf – beginnend bei der Entwicklung über die Konstruktion bis hin zur Werkstattplanung. Jochen Neubauer, der 2001 zu dem Fassadenspezialisten aus Attnang-Puchheim als junger Absolvent gestoßen war und seit 2020 die Technische Leitung innehat, erklärt: „Wir arbeiten in 2D, 3D und mit BIM. Die Vorteile des 2D liegen ganz klar in der Systementwicklung. Das Zeichnen geht schnell; die Beschriftung, Bemaßung, die Detailbearbeitung sind darin unschlagbar. Alles Weitere setzen wir aber in 3D als Kern des Digitalisierungsprozesses um.“ Dieser beinhaltet unter anderem das Datenauslesen ins ERP-System, die CAM-Computer-aided manufacturing Anbindung, die Stücklistengenerierung sowie die Anbindung an das Building Information Modeling. Letztere nutzt der Fassadenplaner zur Clash Detection, sprich, um Kollisionen mit anderen Gewerken ausfindig zu machen und diese in einem nächsten gemeinsamen Schritt eliminieren zu können.
40 CAD-Lizenzen, rund 120.000 Planungsstunden
Der Fassadenbauer aus Attnang-Puchheim beschäftigt aktuell 25 Konstrukteure und einen Statiker; ca. 120.000 Planungsstunden wickelt die Firma für ihre Aufträge jährlich ab. Eingerechnet sind hier neben den Zeiten der eigenen Mitarbeiter auch jene der extern beauftragten Ingenieure. GIG Fassaden im Gesamten verfügt über rund 40 CAD-Lizenzen und sieben vollausgestattete 3D-CAD-Arbeitsplätze. Zwei Key-User kümmern sich um die IT-Betreuung und -Weiterentwicklung. Außerdem organisieren sie für ihre Kollegen regelmäßig Schulungen. Dafür sind zwei bis drei Tage im Jahr vorgesehen.
„Der Altersdurchschnitt in unserer Planungsabteilung ist relativ niedrig“, berichtet Neubauer. „Wir haben viele junge Absolventen wie auch Konstrukteure, die seit 20 Jahren bei uns beschäftigt sind.“ Dazu gehören Architekten, Hoch-, Tiefbau- und Maschinenbauingenieure, Technische Zeichner, aber auch Metallbauer mit praktischer Erfahrung aus der Fertigung. „Durch die verschiedenen fachlichen Hintergründe haben alle einen etwas anderen Blickwinkel auf die Aufgabenstellung. Davon profitieren die Projekte und das ganze Team“, ergänzt er.
Die Materie verstehen
Um Neuen den Einstieg in die Firma zu erleichtern, bekommen sie in den ersten Monaten einen erfahrenen Kollegen zur Seite gestellt. Denn auch wenn sie fachlich bewandert sind, so gibt es firmeneigene Abläufe wie auch Software-Erweiterungen, die erst einmal erlernt werden müssen. Programme, die in der Firma zum Einsatz kommen, sind unter anderem Rhino für die Formfindung, die CAD-Metallbau- und Fassadensoftware Athena für die 2D-Planung, die Fassadenbau/Stahlbau-Software HiCAD für das Konstruieren in 3D, Revit für BIM sowie SJ MEPLA und SCIA in der Tragwerksplanung. „Welche 3D-Software wir anwenden, ist eine sehr häufige Frage im Bewerbungsgespräch. Auch wenn die Qualität und Vielseitigkeit unserer Projekte für den Bewerber sicherlich weiter vorne stehen“, meint der Technische Leiter.
Der Onboarding-Prozess für die Konstrukteure startet mit einer Art Grundschulung in der Produktion und am Fassadenteststand. „Mir liegt viel daran, dass unsere neuen Mitarbeiter das Produkt, die Fassade, physisch begreifen und in Aktion erleben“, so Haidinger. Deshalb dürften sie auch sehr bald auf die Baustelle – einerseits, um praktische Erfahrung am Objekt zu sammeln, andererseits, um mit den Bauherren und Architekten in Kontakt zu kommen und dadurch ein tieferes Verständnis für die Anforderungen an die Planung zu erlangen. „Mir persönlich ist es wichtig, Fassadeningenieure und nicht Software-Anwender in der Firma zu haben. Auch wenn sie sich mit den modernen Programmen bestens auskennen und damit arbeiten, müssen sie doch in erster Linie die Konstruktion und Materie verstehen.“
Deshalb verwundert es auch nicht, wenn Haidinger, der als Konstrukteur der frühen 1990er-Jahre mit der Handzeichnung groß geworden ist, im Gespräch mit dem Bauherrn gerne mal einen Bleistift oder Marker zückt. „Auf Papier hat man eine andere Visualität als beim CAD. Man arbeitet effizienter, stellt die Dinge besser dar.“ Ein guter Fassadeningenieur ist nach Ansicht des Geschäftsführers deshalb „derjenige, der von Hand drei Schnitte zeichnen kann und sich zu 100 Prozent sicher ist, dass es funktioniert.“