ÖsterreichSpezial

Augenhöhe mit dem Auftraggeber

Neues Tool Paroli unterstützt bei Vertragsfragen

Die Arbeitsgemeinschaft der Hersteller von Metall-Fenster/Türen/Tore/Fassaden (AMFT) in der WKO und das Aluminium Fenster Institut (AFI) haben die Online-Suchmaschine Paroli initiiert, Anwälte der Kanzlei Schramm Öhler Rechtsanwälte in Wien den rechtlichen Input geliefert. Wir haben mit RA Matthias Öhler und RA Julia Graf über das Werkzeug für österreichische Metallbauer gesprochen. Seit Juni kann es als Abolizenz erworben werden.

metallbau: Zunächst, Herr Öhler, weshalb engagieren Sie sich für ein Online-Tool, das die Anfragen an Sie reduziert? Brauchen Sie keine Mandanten?

Matthias Öhler: Das Tool soll insbesondere als erste „schnelle Anlaufstelle“ für Metallbauunternehmen dienen. Damit soll die Wichtigkeit von Vertragsbedingungen vermittelt und das (Rechts-)Verständnis gefördert werden. Wenn eine Unklarheit oder Frage auftaucht, kann das Tool als „Erstmaßnahme“ genutzt werden, um das konkrete Problem zu verstehen und zu definieren. Die Beratung im Einzelfall durch einen erfahrenen Rechtsanwalt kann das Online-Tool aber nicht ersetzen.

metallbau: Können Sie bitte erläutern, wie dieses Online-Tool Paroli aufgebaut ist?

Öhler: Paroli enthält eine Suchmaske, mit der Begriffe gesucht werden können. Da sich Paroli an verschiedene Zielgruppen richtet (Personen mit und ohne juristische Vorerfahrung / Ausbildung), sind Ergebnisse in unterschiedlichem juristischen Detailgrad enthalten… von den grundlegenden „Basics“ eines Themas bis hin zu Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes. Darüber hinaus arbeitet Paroli mit zahlreichen Verlinkungen und Verweisen: Einerseits im Online-Tool selbst zur Vertiefung eines Themas, andererseits aber auch im Rechtsinformationssystem des Bundes (dort sind tagesaktuell die Gerichtsentscheidungen aufgelistet). Letztlich kann der Nutzer jeweils den Detailgrad bzw. Grad der Vertiefung eines Themas bestimmen. Paroli soll die Möglichkeit geben, Ausführungen in Verträgen und Allgemeinen Vertragsbedingungen besser zu verstehen und so letztlich die Tragweite der Regelungen zu erkennen.  Durch wiederholte Auseinandersetzung mit den Inhalten von Paroli steigt das Verständnis für die rechtlichen Zusammenhänge sowie Risiken für die Unternehmen und beim Nutzer – es stellt sich ein „Lerneffekt“ ein.

metallbau: Führen nicht vielmehr ungleiche Machtverhältnisse zu unfairen Vertragsbedingungen als rechtliches Fachwissen?

Julia Graf: Ziel von standardisierten Vertragsbedingungen von Auftraggebern ist natürlich, viele Rechtsverhältnisse gleich zu regeln. Logischerweise wird der Ersteller die eigene Rechtsposition eher vorteilhaft für sich gestalten. Wir beraten insbesondere auch öffentliche Auftraggeber in Vergabeverfahren und erleben regelmäßig eine gewisse Bereitschaft von Auftraggebern, ihre Vertragsbedingungen anzupassen (z.B. in Verhandlungen). Dafür ist es aber wesentlich, dass der Bieter (der Unternehmer) konkret sagt, welche Regelung für ihn so nicht in Ordnung ist. Letztlich ist die Information (durch Paroli) aus unserer Sicht wesentlich, um eine Begegnung „auf Augenhöhe“ zu ermöglichen.

metallbau: Was kann dieses Recherchetool nicht leisten und der Metallbauunternehmer ist mit einem Baurechtsanwalt besser beraten?

Graf: Das Tool kann keine allgemein gültige Lösung liefern. Denn jede Klausel ist anders, es gibt eine unüberschaubare Vielfalt an Formulierungen und rechtlichen Themen (z.B. wurden die Begriffe „höhere Gewalt“, „unvorhersehbares Ereignis“ und „Pandemie“ noch vor zwei Jahren wesentlich seltener diskutiert als heute) und es gibt kaum 100%-idente Sachverhalte. Die Lösung eines Falls ist und bleibt abhängig von den konkreten Umständen im Einzelfall. Um dem zu begegnen, setzt Paroli auf einen „systematischen Ansatz“ und bereitet verschiedene Themen auf. Zur besseren Verständlichkeit sind manche Themen vereinfacht und abstrakt dargestellt. Damit geht auch Komplexität und exakte Präzision gewissermaßen verloren. Außerdem betrifft das Tool ausschließlich den B2B-Bereich, also Geschäfte unter Unternehmern, und fokussiert sich derzeit auf die wichtigsten Themen des Bauvertrages.

metallbau: Könnten Sie eine typische Situation konstruieren, bei der das Online-Tool behilflich sein kann?

Graf: Ein Sachbearbeiter (ohne juristische Erfahrung) ist neu im Unternehmen und erstellt zum ersten Mal ein Angebot für ein konkretes Projekt. Er liest die Ausschreibungsunterlagen, versteht jedoch Rechtsbegriffe im Vertrag noch nicht ganz. Paroli kann diesem Sachbearbeiter helfen, die Regelungen zu verstehen und einzuordnen.

metallbau: 30 Euro monatlich kostet die Abolizenz für Mitglieder von AFI und AMFT, haben Sie zwei Beispiele parat, dass das Tool schnell sein Geld wert ist?

Öhler: Derzeit befindet sich das Online-Tool in einer Testphase für AMFT-Mitglieder und ALU-FENSTER-Fachbetriebe (Sublizenznehmer des Aluminium-Fenster-Instituts). Diese Betriebe können ab Juni 2021 eine Abolizenz für monatlich 30 Euro erwerben. Paroli liefert mit der Suchfunktion schnelle und kompakte Ergebnisse und kann als erste Maßnahme langwierige Recherchen in einem komplexen, oft unbekannten Gebiet ersparen. Viele Betriebe haben im Alltagsgeschäft weder Zeit noch Ressourcen dafür.

 

metallbau: Inwiefern ist das Online-Tool speziell auf die Metallbaubranche abgestimmt?

Öhler: Paroli baut in wesentlichen Bereichen auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) sowie die Bauwerkvertragsnorm ÖNORM B2110 auf und verweist regelmäßig auf Einzelpunkte dieser Norm. Da die ÖNORM B2110 Bauleistungen regelt − und nicht auf die Metallbaubranche beschränkt ist − können natürlich auch Unternehmen aus anderen Branchen von Paroli profitieren. Denn die ÖNORM B2110 wird überwiegend in den unterschiedlichsten Baugewerken als Vertragsgrundlage vereinbart.

metallbau: Ist nicht ein Online-Tool zu statisch, als dass es das Gespräch mit dem Anwalt ersetzen könnte?

Graf: Im Tool können Suchbegriffe (Wörter oder auch Kombinationen), aber grundsätzlich keine konkreten Fragen eingegeben werden. Dies ist aufgrund der Vielzahl der Konstellationen und der Komplexität im konkreten Einzelfall nicht möglich. Die auf den Sachverhalt abgestimmte Beratung durch einen Anwalt kann das Tool logischerweise nicht ersetzen.

Ein spezielles (juristisches) Fachwissen ist für die Benutzung des Tools nicht nötig – es kann für jede Person im Unternehmen (vom Lehrling bis zum Geschäftsführer) eine wertvolle Ressource sein. Mit seinen einfachen und verständlichen Erklärungen sowie Beispielen richtet sich Paroli insbesondere auch an Nicht-Juristen. Mit Paroli soll ein Grundverständnis aufgebaut bzw. das Verständnis erweitert werden – mit Verlinkungen kann der Nutzer ein Thema je nach konkretem Bedarf vertiefen. Es soll den Nutzer für den nicht unwesentlichen rechtlichen Part in der Projektumsetzung sensibilisieren. Die Realisierung als Online-Medium bietet wesentliche Vorteile für die Flexibilität bei Wartung oder Erweiterung im Gegensatz zu einem Druckwerk.

metallbau: Welche Aufgaben hat Ihre Kanzlei bei Erstellung des Tools geleistet? Wie viel Zeit von Ihnen und Herrn Öhler ist  eingeflossen?

Graf: Die bisherige Erstellung des Tools war ein sehr spannendes Projekt, das uns viel Spaß gemacht und in das wir gerne Zeit investiert haben. Wir waren insbesondere mit umfassenden Recherchen und der Erstellung der juristischen Texte befasst, haben daneben verschiedenste – auch nicht-juristische – Themen mit dem Projektteam des AFI und AMFT diskutiert. Bei einem „living instrument“ wie Paroli gibt es immer Erweiterungspotential – abhängig von Nutzerwünschen und aktuellen Entwicklungen: Wir haben z.B. auch zeitnah auf die COVID-19-Pandemie reagiert und ihre rechtlichen Konsequenzen im Tool abgebildet.

metallbau: Wie haben sich die Unternehmen in den Angelegenheiten, für die das Tool hilfreich ist, wohl bislang beholfen?

Öhler: Wir denken nicht, dass es eine einheitliche Herangehensweise aller Unternehmen gab. So war der Zeitpunkt, zu dem ein Jurist bzw. Rechtsanwalt herangezogen wurde, von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich und sicher vom konkreten Projekt bzw. Fall abhängig. Manche Betriebe haben ihre eigenen „Red Flags“ bzw. rote Listen von Vertragsbedingungen festgelegt. Wesentlich ist, dass sich die Unternehmen mit rechtlichen Aspekten der Vertragserfüllung befassen.

metallbau: Es wird immer wieder vom Ideal gesprochen, dass Aauftraggeber und Aauftragnehmer auf Augenhöhe verhandeln, halten Sie das überhaupt für erreichbar?

Öhler: Wir sind auch auf Vergaberecht spezialisiert und beraten insbesondere öffentliche Auftraggeber. Wir haben durchaus bemerkt, dass Auftragnehmer immer informierter auftreten und ganz konkrete Anmerkungen zu Verträgen äußern. Damit kann der Auftragnehmer stichhaltiger verhandeln. Die Ausgangslage bzw. Gesprächs- und Verhandlungsbasis ist ganz anders, als wenn ein Bieter bzw. Auftragnehmer einen Vertrag pauschal und ohne Begründung ablehnt.

www.schramm-oehler.at

www.paroli-avb.at

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