Branche

Biegetechnik & Metallbau

Synergien: Stahlbau, -handel & Biegen

Biegemaschinen sind teure Anschaffungen und nicht jedes Unternehmen möchte sich deshalb auf Lohnfertigung spezialisieren. Doch wer profitabel sein will, muss Synergien schaffen und das klassische Metallbauportfolio mit der Biegetechnik kombinieren. Dem Thüringer Unternehmen Schleicher in Untitz und dem Unternehmen Sülzle Stahl in Ehrenfriedersdorf aus dem Erzgebirge gelingt dies.

Untitz ist ein Ortsteil von Wünschendorf im Landkreis Greiz in Thüringen, Sitz der Firma Schleicher Metall- und Biegetechnik. Vor über 150 Jahren ließ sich der Ururgroßvater des heutigen Inhabers Thomas Schleicher dort als Dorfschmied nieder. Die DDR überstand die Firma als Ein-Mann-Betrieb mit helfender Ehefrau, 1982 und 1986 traten Sohn und Schwiegersohn in die Firma mit ein. Der Mangelwirtschaft setzte man Fachwissen und Kreativität entgegen, führte kleine Industriezulieferungen aus und beschäftigte sich mit Treppen und Geländern.

Die politische Wende brachte neue Herausforderungen: Die Zulieferaufträge fielen weg und die Bevölkerung brauchte zwar viel, hatte aber wenig Geld. Anfang der 1990er Jahre fiel die Entscheidung zur Spezialisierung auf das Biegen. Eine Rohrbiegemaschine für 50.000 DM wurde von RASI Maschinenbau gekauft, „die erste richtige Investition“, wie Thomas Schleicher sagt. Mittlerweile stehen viele CNC-gesteuerte und einige konventionelle Biegemaschinen und -vorrichtungen in der Halle.

Der gelernte Werkzeugmacher mit Meistertitel im Schlosser- und Schmiedehandwerk übernahm 1997 den Betrieb vom Vater, gemeinsam mit seiner Frau Katrin. „Beim Ausbau der Lohnbiegerei entschieden wir uns für RASI, weil der Maschinenbauer damals Vorreiter in puncto Software-Entwicklung für Biegemaschinen war und für unsere Bedürfnisse vielversprechende Lösungen anbieten konnte. Unser Credo war und ist: Das erste Teil muss passen“, sagt Thomas Schleicher. Auf den CNC-Maschinen werden sowohl individuelle als auch Serienarbeiten erledigt, die Stückzahlen liegen zwischen 1 und 500. „Je anspruchsvoller die Geometrie, desto mehr sind wir in unserem Element.“

Halbzeuge besser vom Biegebetrieb

Thomas Schleicher erläutert, dass beim Biegen die Werkstoff-eigenschaften der Halbzeuge eine wichtige Rolle spielen, weil sie von Charge zu Charge nie ganz identisch sind. Das zu biegende Material federt immer zurück, sodass bei einem gewollten Biegewinkel von 90 Grad nach dem Entspannen beispielsweise nur 87 Grad gemessen werden. Die Biegewinkel müssen aber von 5 bis 180 Grad exakt sein, vor allem wenn Teile mit mehreren Bögen und verschiedenen Zwischenlängen gebogen werden sollen. Durch Biegeversuche könne man zwar eine sogenannte Korrekturkurve pflegen, die dann von der Maschinensoftware so verarbeitet wird, dass alle am Biegeprozess beteiligten Komponenten punktgenau positionieren.

Das sei aber ziemlich komplex und immer nur für die jeweilige Charge gültig. Bei einer neuen Materiallieferung muss meist wieder angepasst werden. „Deshalb verwenden wir im Tagesgeschäft nur eigenes und kein Kundenmaterial“, betont Thomas Schleicher und ergänzt: „Kunden, für die wir sehr viel biegen, liefern uns allerdings ihr eigenes Material. Die verarbeitete Menge teilt sich insgesamt hälftig.“

Die Problematik macht der Firmeninhaber an einem Beispiel deutlich: Kürzlich wurde ein größerer Posten kundeneigenes Material zweidimensional im Walzenbiegeverfahren bearbeitet. Dabei ergab sich bei exakt identischer Biegerollenpositionierung eine sehr große Streuung des erzielten Biegeradius außerhalb der geforderten Toleranz. In mehreren zusätzlichen Walzgängen musste das korrigiert werden. „Die Ursache war eine sehr große Materialinhomogenität, die wir aber nicht tiefgründiger untersuchten, weil wir uns mit unserem Kunden finanziell über die Mehraufwendungen beim Biegen einigen konnten.“

Das Fazit: Materialeinkauf ist in gewisser Weise Vertrauenssache und manchmal legt man die Ersparnisse vom Einkauf um ein Vielfaches bei der Verarbeitung wieder drauf. „Das A und O ist homogenes Material, damit es sich beim Biegen gleichmäßig verhält“, betont Schleicher.

Mit Dienstleistern in Kooperation

Die Kernkompetenzen des Betriebes liegen beim Biegen, Schweißen und Schleifen. Als Biegeverfahren werden Dorn- und Walzbiegen, 3D-Biegen und Spezialbiegen für Nutrohre, U-Profile oder Treppen-Unterverkleidungen angeboten. Bei anderen Bearbeitungsverfahren wie Laserschneiden, Drehen, Fräsen und Oberflächenveredlung wird mit Partnerfirmen kooperiert. Dadurch ist man in der Lage, spezielle Industriezulieferungen anzubieten. Die Kunden kommen u.a. aus der Landtechnik, dem Maschinen-, Geräte-, Fahrzeug-, Yacht- und Schiffsbau. Die meisten Kunden sind Stahl- und Metallbauer. Vom Lager über die Verarbeitung bis zur Auslieferung wird strikt auf die Trennung von Schwarz- und Edelstahl geachtet.

Über die letzten 40 Jahre wurde ein besonderer Erfahrungsschatz rund um das Thema Treppe und Geländer aufgebaut. Vom Handlaufkrümmling über dorn- oder wendelgebogene Geländerteile bis zur kompletten Treppenanlage mit gebogenen Wangen, lasergeschnittenen Stufenträgern sowie 3D-gebogener Blechunterverkleidung kann alles passgenau gefertigt und vormarkiert geliefert werden. Hierfür gibt es einen Maschinenpark mit jeweils drei CNC-Rohr-, Profil- und Walzbiegemaschinen. Speziell für die Treppenwangen wurde eine sehr leistungsstarke Walze angeschafft, die sogar Wangendicken bis 25 mm bearbeiten kann. Eine weitere Spezialität ist das Biegen von Nutrohren und Glasabdeckprofilen. „Wir machen fast alles, was sich Architekten ausdenken“, verweist Thomas Schleicher mit Stolz auf diesen Service. Geliefert wird zurzeit bundesweit sowie nach Österreich und Italien.

Grundsortiment auf Lager

Auf Lager hat das Unternehmen Rohre mit Durchmessern zwischen 6 und 88,9 Millimetern und überwiegend in Längen von sechs Metern. Es sind u.a. geschweißte sowie nahtlose Rundrohre, Stab- und Profilstähle in den Werkstoffen S235, 1.4301, 1.4571. Das Schwarzstahl-Lager ist gut bestückt, aber übersichtlich, da es in zehn Kilometer Entfernung einen Stahlhändler gibt, der schnell liefern kann. Im Edelstahlbereich ist das Lager größer, „weil wir die Edelstahlrohre vielfach in geglühtem Zustand vorrätig haben“, sagt der Chef und begründet: „Das Material ist homogener, beim Biegen gibt es geringere Abweichungen. Das ist zwar teurer, spart aber Zeit bei der Bearbeitung.“ Generell sind Größen und Qualitäten vorrätig, die einerseits gängig, andererseits speziell sind und auf dem modernen Maschinenpark verarbeitet werden können.

Synergien aus Handel und Stahlbau

Sülzle Stahl in Ehrenfriedersdorf aus dem Erzgebirge verfolgt ein ähnliches Konzept. Der Betrieb ist zugleich Stahlhändler, Stahlbauer und Montagedienstleister. Hier sind 82 Mitarbeiter und sieben Auszubildende beschäftigt. Das Unternehmen gehört seit 2018 zur baden-württembergischen Sülzle-Gruppe mit rund 1.000 Beschäftigten an 25 Standorten.

Als Stahlhändler versorgt das Unternehmen große und kleine Kunden im Umkreis von ca. 100 Kilometern. Als Stahlbauer und Dienstleister werden Projekte europaweit ausgeführt.

Zum Lagersortiment gehören Formstahl, Stab- und Bandstahl, Bleche, Rohre, Gitterroste und Spezialprofile verschiedener Güteklassen. Außerdem wird Bewehrungstechnik wie Betonstahlmatten und Betonstahlstäbe angeboten. Halbzeuge aus Aluminium und Edelstahl sind vor allem von Metallbaubetrieben aus der Umgebung gefragt. 1.500 Tonnen Material werden im Lager durchschnittlich vorgehalten, der Umsatz von Stahl und Metallhalbzeugen beläuft sich auf rund 12.000 Tonnen pro Jahr. „Wir profitieren von den Synergien aus Handel und Weiterverarbeitung“, betont Betriebsleiter Alexander Schröter. „Ein reiner Stahlhandel in dieser Größenordnung würde genauso wenig funktionieren wie die reine Fertigung im Stahlbau. Beide Bereiche ergänzen sich hervorragend.“

50 % Teile angearbeitet

Sowohl beim Handel als auch bei der Bearbeitung und Anarbeitung reagiert Sülze Stahl Ehrenfriedersdorf auf den regionalen Bedarf. Im Erzgebirge ist die Handwerkerdichte traditionell sehr hoch, die Werkstätten sind eher klein. Schlossereien und Kunstschmieden bestellen vorrangig filigrane Profile und lassen aus rationellen Gründen viele Teile gleich anarbeiten. Ein Teil der Metallbaubetriebe kauft ausschließlich Halbzeuge in Standardlängen ein, während andere die Profile oder Träger zugeschnitten, gebohrt und angearbeitet bestellen, um sie später nur noch montieren und verschweißen zu müssen. Es komme auch vor, dass Kunden Fertigungsengpässe haben. „Dann fertigen wir alles komplett, auf Wunsch mit Verzinkung und Farbkonservierung, sodass die Teile sofort zum Endkunden gehen können. Wir sind da sehr flexibel“, sagt Alexander Schröter. Einige sehr große Metallbaubetriebe ordern ihren Materialbedarf an größeren Trägern und Blechen direkt, während Bauunternehmen oder Tischlereien die Stahlträger oder Konstruktionen mit sämtlichen Anarbeitungen und Beschichtungen fix und fertig bestellen. Etwa 50 Prozent der angefragten Teile werden angearbeitet. „Wir machen auch komplette Aufträge, von der großen Traghalle bis zur fertigen Gießerei“, berichtet der Betriebsleiter.

Große Biegearbeiten an Stahlträgern oder Blechen werden gemeinsam mit Partnerunternehmen realisiert, die über die entsprechenden Maschinen verfügen. Ebenso gibt es Kooperationen mit Farbspritzereien, Verzinkereien und Laserschneidbetrieben in der Region. Der eigene Maschinenpark besteht aus einer CNC-gesteuerten Säge-Bohr-Anlage, mehreren Bandsägen mit Gehrungsfunktion und einer CNC-Gewindeschneidmaschine. Ergänzt wird dies durch eine Strahlanlage zum Abzundern, eine kleine Farbspritzerei und Schweißarbeitsplätze. Es können Stahlträger von 18 Meter Länge und bis zu 1,20 Meter Querschnitt geschnitten werden. Im Blechbereich können Bleche zwischen 0,75 und 100 Millimeter Dicke mit Brennschneidanlagen bearbeitet werden. Für die Bewehrungstechnik werden Betonstahlmatten entsprechend zugerichtet, gebogen und geschweißt, sodass sie einbaufertig zur Baustelle geliefert werden. Eine spezielle Zulassung für das Schweißen von Bewehrungstechnik liegt vor. „Man braucht verschiedene Fertigungsverfahren und Zulieferer, um die spezialisierten Teile überhaupt herstellen zu können“, sagt Alexander Schröter und meint damit beispielsweise die anspruchsvolle Bewehrungstechnik für das Bahnprojekt Stuttgart 21. Das Großprojekt wird von Sülzle Stahl Ehrenfriedersdorf und insbesondere von den Sülzle Stahlpartner-Niederlassungen im gesamten süd- und ostdeutschen Raum sowie der eigens eingerichteten S21-Projektbiegerei beliefert.

Neue Biegerei 4.0

Industrie 4.0 − also die Digitalisierung und Vernetzung von Produktions- und Logistikprozessen – ist auch im Stahlhandel auf dem Vormarsch. Sülzle Stahlpartner, einer der größten Bewehrungsstahlhändler und Biegebetriebe Deutschlands, setzt seit Mai 2019 an seinem Standort in Lübeck konsequent auf die neuen Technologien: In rund zwölf Monaten hat das Unternehmen gemeinsam mit Lieferanten, führenden Maschinenherstellern und Softwarehäusern im Lübecker Hafen eine der modernsten Biegereien Europas realisiert. Sämtliche Abläufe sind perfekt aufeinander abgestimmt, automatisiert und werden einheitlich per Computer gesteuert – vom Wareneingang des Rohmaterials bis zur Auslieferung der gefertigten Biegeteile an den Kunden. Die Übermittlung technischer Daten vom Kunden an die Arbeitsvorbereitung ist sowohl auf konventionellem Weg als auch via Softwareschnittstelle mit CAD-Daten, beispielsweise auf Basis virtueller 3D-Planung, möglich. „Wir denken, dass wir mit dieser Biegerei einen Meilenstein für die deutsche Biege-Kultur setzen“, erläutert der geschäftsführende Gesellschafter Andreas Sülzle. Kunden profitieren nicht nur von den erweiterten Kapazitäten, sondern auch von durchgängig automatisierten, digitalisierten und vernetzten Prozessen. Mit der Biegerei 4.0 ist es dem Unternehmen Sülzle möglich, noch schneller und flexibler auf Anfragen zu reagieren – und das bei noch präziserer Biegegenauigkeit. Und Alexander Schröter, Betriebsleiter von Sülzle Stahl Ehrenfriedersdorf, ergänzt: „Building Information Modeling (BIM) ist noch nicht so leistungsfähig, wie wir es uns wünschen, wird aber in Zukunft auch für Sülzle Stahl Ehrenfriedersdorf eine immer größere Rolle spielen.“

Info & Kontakte

Schleicher Metall- und Biegetechnik
Untitz 15
07570 Wünschendorf
Tel. 036603 88281
info@schleicher-metallbau.de
www.schleicher-metallbau.de

Sülze Stahl Ehrenfriedersdorf GmbH
Geyersche Str. 52
09427 Ehrenfriedersdorf
Tel. 037341 18 0
info@suelzle-stahled.de
www.suelzle-stahled.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 09/2017 Hoch- und höherfeste Stahlgüten

Im Stahlwerk Differdingen

Gewalzte Träger für den konstruktiven Stahlbau

Spricht ein Stahlbauer von Differdinger, meint er Stahlträger. Differdingen, eine Kleinstadt im Großherzogtum Luxemburg, gilt als Synonym für gewalzte Stahlträger. Die Differdinger Jumbos von...

mehr
Ausgabe 10/2021

Dienstleister für Metallbauer

Von externer Expertise profitieren

Amazon für den Metallbau. Diese Vision hatte Thomas Kaysser, als er im Oktober 2010 ein vollautomatisches Onlineportal startete. Laserteile4you nannte er die neue Marke der seit 1947 bestehenden H....

mehr
Ausgabe 12/2009

Biegemaschinen

Horizontale Arbeitsweise bringt Vorteile

Egal, ob Biegen, Richten oder Prägen: Die horizontale Konstruktion der neuen Biegemaschine der Stierli Bieger AG, bietet eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten. Die offene Bauweise bringt...

mehr
Ausgabe 06/2018

Biegetechniken

Möglichkeiten im Überblick

Biegen ist nicht gleich Biegen. Wenn Rohre, Bleche und Profile in eine gerundete Form gebracht werden müssen, nehmen viele Metallbauer die Hilfe von Spezialisten in Anspruch. Das sind echte...

mehr
Ausgabe 12/2015

Biege- und Richtmaschine

Der Stierli-Bieger ist neu auch als 22 t Version erhältlich. Mit einer Werkzeughöhe von 130 mm und einem langen Hub von 200 mm eignet er sich sowohl für Richt– als auch Biegearbeiten. Vor allem...

mehr