Experten sprechen mit Schülern

Funktionsgläser und Sonnenschutzsysteme

Angespornt vom Innovationsgrad des Werkstoffs Glas und der Vielfältigkeit moderner Sonnenschutzsysteme fand an der David-Roentgen-Schule Neuwied  zum Lernfeld „Herstellen von Fenstern, Fassaden und Glasanbauten“ ein Expertengespräch statt. Am Unterrichten der Metallbauerklasse Fachstufe II beteiligten sich Wolfgang Böttcher von Saint Gobain und Ulrich Lang sowie Thomas Rexroth von Warema.

Ziel dieses Expertengesprächs war es neben grundständigen Inhalten vor allem den aktuellen Stand der Technik im Unterricht zu erarbeiten. Als Abbild eines realen betrieblichen Beratungsauftrags stand zu Beginn des Expertengesprächs folgende Lernsituation:

Das Wohnhaus der Familie Neumann soll im Rahmen neue Fenster erhalten. Während im Sommer eine noch erträgliche Aufheizung der Räume durch Sonnenstrahlen geduldet werden, geht es dem Gebäudebesitzer in der kalten Jahreszeit darum, solare Wärmegewinne zu generieren. Lästige Sonnenblendung möchte niemand in den Wohnräumen. Mit diesen Anforderungen werden Sie als Metallbauer konfrontiert, wenn es um die Erneuerung der Fenster geht. Zur Vorbereitung für ein Beratungsgespräch zu Funktionsgläsern und Sonnenschutzsystemen beim Kunden soll Sie die Bearbeitung der folgenden Aufgaben unterstützen. Nutzen Sie insbesondere das fachliche Gespräch mit den Experten.

Lernjob „Funktionsglas“

Auf die Lernsituation und die Vorträge abgestimmt, entwickelte Lehrer Michael Höhler Lernjobs. Auszugsweise können daraus zum Themenbereich „Funktionsgläser“ folgende Aufgaben benannt werden, deren Bearbeitung zur Kompetenzerweiterung der Nachwuchskräfte dienten:

  1. Erklären Sie die bruchtechnischen Eigenschaften von ESG und TVG!
  2. Wärmeisolierglas: Erläutern Sie den Uw–Wert!
  3. Sonnenschutzisolierglas:
    - Was ist der g-Wert?
    - Welche Wirkung hat er für den Wohnraum bei Sonneneinstrahlung   durch das Fenster?

Herstellung und Behandlung von Floatglas

Zu Beginn des Expertengesprächs benannte Böttcher grundlegende Eigenschaften des multifunktionalen Werkstoffs Glas und verdeutlichte dessen große Bedeutung durch verschiedene Einsatzbeispiele. Ein historischer Rückblick ausgehend von den heutigen transformierten Glasprodukten als Funktionsgläser schloss sich an. Funde von Glasprodukten in Ägypten werden auf zirka 5.000 Jahre v. Chr. datiert. Bei einem großen geschichtlichen Sprung in die Neuzeit muss das Unternehmen Pilkington erwähnt werden, das in den 1950er-Jahren das Floatverfahren entwickelte, so der Experte weiter, mit dem „klare, gefärbte und beschichtete Gläser für den Baubereich … (hergestellt werden).

Das so entstandene Floatglas dient als Basis für die weitere Verarbeitung des Glases unter anderem zu ESG, TVG, Wärmeisolierglas, Sonnenschutz- oder Schallschutzglas (transformierte Produkte). Je nach Einsatz des Glases in der Gebäudehülle wird eine vorherige thermische Behandlung erforderlich. „Die thermische Behandlung schafft eine Druckspannung in der Glasoberfläche und eine Zugspannung im Kern“, laut Böttcher nach einer definierten Wärmebehandlung des Glases.

Im praktischen Einsatz werden das ESG und das TVG unterschieden, die jeweils unterschiedliche Abkühlungsprozesse durchlaufen. Während ESG im Schadensfall in viele kleine Bruchstücke zerfällt, entstehen beim TVG größere, scharfkantige Glasteile. Es handelt sich dabei als Einzelformat nicht um ein Sicherheitsglas, wie Böttcher betont. TVG wird daher als Bestandteil in Verbindung mit Folie als Verbundglas eingesetzt. Schüler Burak Akdeniz ergänzte, dass er solche Gläser schon bei einer Vordachkonstruktion im Rahmen der betrieblichen Ausbildung verbaut habe.

Von der in der Fachwelt längst bekannten, aber dennoch äußerst wichtigen Gefahr des Spontanbruchs von ESG berichtete der Praktiker unter großer Aufmerksamkeit der Schüler und erläuterte „die temperaturabhängige, zeitlich verzögerte Phasenumwandlung von Nickel-Sulfid-Einschlüssen (NiS) im Glas“, die in Verbindung mit äußeren Belastungen zu Spontanbrüchen des Glases führen könne. Je nach Einbauort bestünde Lebensgefahr durch herabfallende Gläser. Es kommen daher Fassadenplatten oder Verglasungen aus ESG bei einer Einbauhöhe größer als vier Meter nur zum Einsatz, die nach dem Heat- Soak-Test als geprüfte Produkte erheblich reduziertes Restrisiko für den Glasbruch aufweisen.

Herstellung und Wirkung von Funktionsgläsern

Im zweiten Teil des Vortrags von Böttcher standen die Funktionsgläser im Fokus. Unbehandeltes Floatglas lässt Sonnenlicht und Wärmestrahlung in einem bestimmten Wellenbereich passieren. Diese Eigenschaften können durch unterschiedliche Beschichtungen so verändert werden, dass transformierte Produkte wie Wärmeisolierglas, Sonnenschutzglas oder eine Kombination dieser Funktionsgläser entstehen. Böttcher beschrieb im Überblick wichtige Funktionsgläser und die Wirkung der jeweiligen Beschichtungen, die zum Erstaunen der Schüler mit 80-90 nm Dicke Erstaunliches leisten. Der Fachmann erläuterte beim MIG die Positionen der Beschichtungen und deren unterschiedliche Wirkungen mit den entsprechenden technischen Größen, wie Uw- oder g-Wert.

Anhand vieler praktischer Einsätze unterschiedlicher Funktionsgläser gelang es dem Referenten, ergänzend zu den Aufgaben des Lernjobs Fachgespräche innerhalb der Klasse zu initiieren. Zum Abschluss des Vortrags hatten die Schüler Gelegenheit, unterschiedliche Funktionsgläser zu sichten und deren technische Daten im Hinblick auf den jeweiligen Einsatz zu vergleichen. Dadurch motiviert, ergaben sich rege Fachgespräche.

Sonnenschutzsysteme – Hinführung und Lernjob

Für den zweiten fachlichen Schwerpunkt übernahmen Lang und Rexroth vom global agierenden Sonnenschutzanbieter Warema das Wort. Sie vertraten den Themenbereich „Sonnenschutzsysteme“. Es herrschte große Aufmerksamkeit in der Klasse, waren die Lerner nach einer vorherigen Abfrage nach Sonnenschutzeinrichtungen doch sehr an dieser Fachlichkeit interessiert. Bekannt waren die gängigen Systeme wie Jalousien, Markisen oder auch Raffstores. Diese Kenntnisse wurden für eine fachliche Anschlussbildung genutzt.

Beispielsweise folgende Kompetenzen sollten Schüler durch die Bearbeitung des Lernjobs und durch Fachgespräche entwickeln:

  1. Relevante bauphysikalische Größen für ein Sonnenschutzsystem angeben.
  2. Die Wirkung eines Sonnenschutzsystems angeben:
       a) außenliegend
       b) innenliegend
  3. Dem Kunden ein passendes Sonnenschutzsystem anbieten, wenn dessen Fenster:
        a) Sonnenschutzgläser aufweisen
        b) Wärmeisoliergläser haben
  4. Aspekte zum Sachverhalt „Sommerlicher Wärmeschutz oder solare Wärmegewinne“ benennen.

Sonnenschutzsysteme

„Weshalb wird Sonnenschutz gebraucht?“, lautete die Einstiegsfrage von Experte Lang an die Klasse. Ergänzend zu den Antworten der Nachwuchskräfte machte der Referent deutlich, wie umfänglich die entsprechenden technischen Systeme in der richtigen Platzierung in der Gebäudehülle wirken und welches technische Know-how als Basis für eine sinnvolle Informations- und Beratungsleistung beim Kunden vorhanden sein muss. Lang setzte den Vortrag mit bauphysikalischen Grundlagen fort. Mittels Formel und Abbildungen erklärte er den Zusammenhang zwischen dem Gesamtenergiedurchlassgrad gtot und dem Abminderungsfaktor der Sonnenschutzeinrichtung (Fc-Wert). Dabei band er die Schüler mit ein und griff deren Überlegungen auf. „Der Gesamtenergiedurchlassgrad g tot wird reduziert, je niedriger der Fc-Wert ist. Er beeinflusst den Energiedurchlass durch das Glas“, fasste Lang zusammen. „Was ist die bessere Sonnenschutzlösung im Hinblick auf den Temperatureintrag durch Sonnenstrahlung in den Raum? Innenliegend oder außenliegend?“ Damit lenkte der Experte den Blick auf die Platzierung des Sonnenschutzes. Es wurde deutlich, dass hier außenliegende Sonnenschutzlösungen effektiver wirken.

Etwas verwundert reagierten die Schüler, als Lang sie nach der häufigen Reaktion der menschlichen Haut bei Kälteempfinden fragte. Schüler Christoph Becker benannte die sogenannte „Gänsehaut“. Was hat es mit dieser Reaktion auf sich, wollte der Experte weiter wissen? Der Schüler ergänzte: „Wenn einem kalt ist, entsteht diese Gänsehaut!“ „Die Körperhaare richten sich dann auf und der Körper kann sich erwärmen“, folgerte der Fachmann. Daraus abgeleitet sollte als Erkenntnis aus diesem Lernprozess der Fc-Wert des Sonnenschutzsystems einstellbar sein. Im Sommer macht ein niedriger Abminderungsfaktor Sinn, während im Winter mit einem möglichst hohen Gesamtenergiedurchlassgrad durch einen hohen Fc-Wert solare Wärmeenergie in den Räumen generiert werden soll.

Das Credo lautet: klimaaktive Fassade, bei der die Sonnenschutzsysteme eine hohe Varianz hinsichtlich der strahlungsphysikalischen Größen Gesamtenergiedurchlassgrad g, Wärmedurchgangskoeffizient U und Lichttransmissionsgrad T aufweisen. „Dies wird erreicht“, so Lang weiter, „durch die sinnvolle Position und durch die Verstellbarkeit des Sonnenschutzsystems. Das heißt prinzipiell außenliegendes Sonnenschutzsystem und einen innenliegenden Blendschutz.“ Gemäß der Unterrichtsplanung stand am Ende des Expertengesprächs die Sichtung der vorhandenen Modelle an Sonnenschutzanlagen und deren Bauteile. Erläuterungen dazu gab Warema-Experte Rexroth, der im Unternehmen Geschäftskunden in der konkreten Ausführung und Montage von Sonnenschutzanlagen berät. Es entwickelten sich viele Fachgespräche zwischen Experten und Schülern zu den dargebotenen Systemen, die auch noch am Ende des Schultags den Spannungsbogen aufrechterhielten und das Expertengespräch zu einem lebendigen Unterrichtserlebnis werden ließen.

Info & Kontakte

David-Roentgen-Schule Gewerbe und Technik
Langendorfer Straße 65
56564 Neuwied
Tel. 02631 98900

www.drsneuwied.de

Das Expertengespräch

Das Expertengespräch ist eine Unterrichtsmethode, bei der durch das Engagement eines Praxisvertreters im beruflichen Unterricht die Vermittlung von berufsspezifischen und berufsfeldübergreifenden Qualifikationen unterstützt wird. Zum Unterrichtstermin präsentiert der Experte substanzielle Fachinhalte zu einem abgesprochenen Arbeitstitel. Diese sind inhaltlich in den laufenden Unterricht eingebettet und berücksichtigen den Lernfortschritt der angehenden Fachkräfte. Die Lerner erhalten zu Beginn des Expertengesprächs als Abbild eines realen betrieblichen Arbeitsauftrags (Lernsituation) einen Lernjob. Dessen Aufgaben dienen der fachlichen Strukturierung der Präsentation und sind zu bearbeiten. Der Vortrag des Experten trägt neben anderen Informationsquellen als fachlicher Input zur Lösung der Aufgaben bei. Vor allem aber soll der Vortrag in Zusammenhang mit den betrieblichen Erfahrungen Nachwuchskräfte als Impuls für zielorientierte Fachgespräche zwischen dem Experten und den inhaltlich und methodisch vorbereiteten Lernern dienen. Die Gesprächsresultate werden für die Bearbeitung des Lernjobs genutzt. Der Lehrer fungiert als Moderator und gibt Impulse oder wendet Gesprächstechniken zur Unterstützung der fachlichen Kommunikation an.

Literatur

Höhler 2013a: „Expertengespräche als zukunftsorientierte Qualifizierung junger Fachkräfte. Engagement von Unter­nehmen im beruflichen Unterricht“ in: stahl und eisen 8/2013, S. 73

Höhler 2013b: „Expertengespräch im Berufsschulunterricht – Unterrichtsgestaltung mit besonderer Authentizität“, in: Die berufsbildende Schule 3/2013, S. 89

Höhler 2013c: „Expertengespräch im Berufsschulunterricht – Unterrichtsgestaltung mit besonderer Authentizität“, in: Die berufsbildende Schule 3/2013, S. 88

Kultusministerkonferenz 2002: „Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Metallbauer/Metallbauerin“, S. 18


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