Klarheit in Sachen EN 1090
Im Gespräch mit Baudirektor Franz AntretterDie DIN EN 1090 sorgt in der Praxis vielfach noch für Irritation. Stefanie Manger stellte deshalb eine Anfrage ans bayerische Innenministerium bezüglich der DIN EN 1090-1:2012-02 „Ausführung von Stahltragwerken und Aluminiumtragwerken – Teil 1: Konformitätsnachweisverfahren für tragende Bauteile“ und der DIN EN 1090-2: 2011-08 „Ausführung von Stahltragwerken und Aluminiumtragwerken – Teil 2: Technische Regeln für die Ausführung von Stahltragwerken“. Geantwortet hat Baudirektor Franz Antretter vom Sachgebiet „Konstruktive Bauwerkssicherheit, Baunormung, Bauforschung“ an der Obersten Baubehörde. Er stellt vorab klar vorab: „Wir antworten im Geltungsbereich der BayBO.“
metallbau: Es herrscht immer noch Unsicherheit, ob die Metallbaubetriebe in allen Bereichen, sprich: öffentlich, gewerblich und privat — verpflichtet sind, nach EN 1090 auszuführen?
Franz Antretter: Ausführende Metallbaubetriebe müssen im Anwendungsbereich der BayBO die aktuellen Technischen Baubestimmungen beachten. Diese gelten sowohl für gewerbliche, öffentliche wie auch private bauliche Anlagen. Unabhängig davon können tragende Stahltragwerke als Bauprodukte nach DIN EN 1090-1 nur noch nach den Vorschriften der Bauproduktenverordnung in Verkehr gebracht und gehandelt werden. Dies erfordert eine CE-Kennzeichnung und die damit verbundene Leistungserklärung.
metallbau: Gibt es im Rahmen von Wettbewerben unter ausführenden Betrieben und den dann möglichen beschränkten Ausschreibungsverfahren die Möglichkeit, die Verpflichtung zur DIN EN 1090 zu umgehen?
Antretter: Eine Ausschreibung für Stahltragwerke, unabhängig vom Vergabeverfahren, muss so gestaltet sein, dass bei der tatsächlichen Ausführung die Anforderungen aus der BayBO erfüllt werden. Fragen und Beschwerden bezüglich eines bestimmten Verfahrens bzw. zu Normen sind an die zuständige Stelle, die in den Ausschreibungs- bzw. Vertragsunterlagen bekanntgegeben wurde, zu stellen.
metallbau: Inwiefern kann die DIN 18800 noch Gültigkeit haben, obwohl die Koexistenzphase vorbei ist und die EN 1090 allein Gültigkeit beansprucht?
Antretter: Am 1. Juli 2014 endete die sogenannte Koexistenzperiode (Übergangsfrist) der europäisch harmonisierten Norm DIN EN 1090-1. Nun ist die parallele Anwendbarkeit mit der DIN 18800-7 beendet, und es gilt ausschließlich die DIN EN 1090-1 als europäisch harmonisierte Norm. Sie gilt für das Herstellen/Inverkehrbringen und den Handel von Stahltragwerken im Anwendungsbereich der Norm. Grundlage dafür ist die europäische Bauproduktenverordnung. Die Hersteller bzw. Inverkehrbringer von Stahltragwerken müssen ihren Betrieb und insbesondere ihre werkseigene Produktionskontrolle nach DIN EN 1090-1 durch eine notifizierte Zertifizierungsstelle zertifizieren lassen, um die Produkte mit dem CE-Kennzeichen versehen und die Leistungserklärung abgeben zu können. Eine Herstellung bzw. ein Inverkehrbringen von Stahltragwerken nach DIN 18800-7 ist nicht mehr möglich. Theoretisch könnten jedoch vor dem 1. Juli 2014 hergestellte Bauprodukte (Lagerbestände) noch rechtmäßig auf dem Markt sein.
Die Ausführung von Stahltragwerken, sei es im Werk oder auf der Baustelle, ist technisch geregelt in der DIN EN 1090-2. Auf der Baustelle muss sichergestellt sein, dass die Bauprodukte verwendbar sind im Sinne der BayBO, und die Montagefirma muss die DIN EN 1090-2 einhalten.Darüber hinaus muss auf der Baustelle gemäß § 3 der Bauprodukten- und Bauartenverordnung (BauPAV) die besondere Herstellerqualifikation beim Schweißen von Stahlbauteilen berücksichtigt werden. Folgende Punkte sind dabei gemäß Liste der Technischen Baubestimmungen (Anlage 2.4/2) zu beachten: Die Ausführung von geschweißten Bauteilen, Tragwerken und Bauwerken aus Stahl in den genannten Ausführungsklassen darf nur durch solche Betriebe auf der Baustelle erfolgen, die über einen Eignungsnachweis für die Ausführung von Schweißarbeiten in den entsprechenden Ausführungsklassen verfügen. Als Eignungsnachweis gilt dabei alternativ ein durch eine notifizierte Stelle ausgestelltes oder bestätigtes Schweißzertifikat nach DIN EN 1090-1-1:2012-02, wenn die werkseigene Produktionskontrolle des Betriebs durch diese Stelle entsprechend DIN EN 1090:1-2012-02 zertifiziert ist oder wenn ein auf Grundlage von DIN EN 1090-2 in Verbindung mit DIN EN 1090-1:2012-02, Tabelle B.1 durch eine bauaufsichtlich anerkannte Stelle ausgestelltes Schweißzertifikat vorliegt oder während der verbleibenden Gültigkeitsdauer eine Bescheinigung über die Herstellerqualifikation nach DIN 18800-7, entsprechend der Tabelle oben rechts besteht. Auf der Baustelle können daher immer noch Metallbaufirmen mit gültiger Bescheinigung über die Herstellerqualifikation nach DIN 18800-7 tätig sein, soweit die Voraussetzung dafür durch den Standsicherheitsnachweis nach Eurocode 3 erfüllt ist.
metallbau: Für ausführende Betriebe ist es nicht nachvollziehbar, dass Stahlbauprodukte zwingend nach EN 1090 hergestellt werden müssen, dagegen auf der Baustelle unter Umständen noch nach DIN 18800 geschweißt werden darf. Was steckt dahinter?
Antretter: Wie bereits erwähnt, fällt die Herstellung im Werk unter den Geltungsbereich der europäischen Bauproduktenverordnung, die verpflichtend einzuhalten ist. Die EN 1090-1 wurde auf Grundlage eines Mandates der Europäischen Kommission erarbeitet und ist seit dem Jahr 2011 zu beachten. Die Terminsetzung für das Ende der Koexistenzperiode wurde von der Europäischen Kommission festgelegt. Die Anforderungen für die Ausführung von Schweißarbeiten auf der Baustelle werden hingegen durch bauaufsichtliche Regeln festgelegt. Nach diesen Regeln kann übergangsweise — soweit die Voraussetzungen stimmen — noch mit gültigen Bescheinigungen nach DIN 18800-7 geschweißt werden.
metallbau: Nach EN 1090 übernimmt der ausführende Metallbaubetrieb die Verantwortung für die Verzinkung bzw. Beschichtung des Werkstücks (z.B. Wendeltreppe) und ist auf eine Vorlage von vorgeschriebenen Zertifikaten seitens z.B. der Beschichter angewiesen. Diese haben aber für ihr Gewerk sich größtenteils noch nicht so organisiert, dass sie den Metallbauern die nach EN 1090 geforderten Nachweise vorlegen können. Wie sollen sich Metallbaufirmen verhalten, die in punkto Verzinkung/Beschichtung auf der rechtlich sicheren Seite sein möchten?
Antretter: Es kommt bei der Fertigung von Stahltragwerken als Bauprodukt nach DIN EN 1090-1 vor, dass Unterauftragnehmer wie beispielsweise Tragwerksplaner oder Beschichtungsbetriebe mit beauftragt werden. Die Gesamtverantwortung bleibt dabei aber bei dem eigentlichen Hersteller/Inverkehrbringer. Dieser hat dafür Sorge zu tragen, dass die Unterauftragnehmer nach seinen Vorgaben arbeiten und die Anforderungen der DIN EN 1090-1 an die werkseigene Produktionskontrolle erfüllen, beispielsweise durch Lieferantenaudits oder Vorlage von entsprechenden Qualifikationen der Lieferanten. Welche Nachweise vorgelegt werden, sollte der Hersteller mit der für seine Betriebszertifizierung zuständigen notifizierten Zertifizierungsstelle abklären.
metallbau: Welche Unterlagen müssen Metallbaubetriebe beispielsweise bei der Montage einer Stahltreppe auf der Baustelle vorweisen, wenn die Marktüberwachung/Bauaufsicht das harmonisierte Bauprodukt auf sein CE-Kennzeichen am Montageort prüft?
Antretter: Die Marktüberwachung kontrolliert im Markt (Hersteller, Händler) und nicht die Verwendung auf der Baustelle. Ansonsten gilt – wie für andere Bauprodukte auch —, dass Bauprodukte für die Errichtung, Änderung und Instandhaltung baulicher Anlagen nur verwendet werden dürfen, wenn sie nach BayBO verwendbar sind. Im Falle der DIN EN 1090-1 sind dies die CE-Kennzeichnung und die Leistungserklärung des Herstellers.
metallbau: An wen kann sich ein Metallbauunternehmen im Streitfall um die Normen DIN 18800 und EN 1090 wenden?
Antretter: Im Zuge eines Vergabeverfahrens (Ausschreibung) sind Fragen und Beschwerden bezüglich des Verfahrens bzw. zu Normen an die zuständige Stelle, die in den Ausschreibungs- bzw. Vertragsunterlagen bekanntgegeben wurde, zu stellen. Darüber sind fachliche Fragen zur Einführung, Zertifizierung, Anwendungsbereich oder Inhalt der DIN EN 1090 an die dafür zuständigen Institutionen zu stellen:
Zum Anwendungsbereich und zur Einführung der EN 1090: die Europäische Kommission (Website)
Fachliche Fragen zum Stahlbau: der Deutsche Ausschuss für den Stahlbau und das bauforumstahl
Fachliche Fragen zur DIN EN 1090-1 und 1090-2: an den entsprechenden Normenausschuss beim DIN.
Betriebszertifizierung: an die jeweilige notifizierte Zertifizierungsstelle
Vergabeverfahren: zuständige Stellen, die in den Vergabeunterlagen bekanntgemacht wurden
Bauaufsichtliche Einführung der DIN EN 1090 als Technische Baubestimmung: an die obersten Bauaufsichtsbehörden der Länder