Interview

Prof. Dr.-Ing. Dirk Proske, FH Bern

„Softwarefehler, etwa durch BIM, machen mir Sorgen.“

Ein Jahr nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua am 14. August 2018 zog Prof. Dr.-Ing. Dirk Proske die Schlussfolgerung: „Die Brücken im deutschen Autobahn- und Fernstraßennetz sind sehr sicher.“ Die Datenerhebungen von Brücken, Dämmen und Tunneln lassen seiner Ansicht nach die Prognose zu, dass sich die Sicherheit der Infrastrukturbauwerke kontinuierlich verbessert und damit derartige Katastrophen verringern. Allerdings erschwert die steigende Komplexität der Projekte die Risikoerkennung. Gefahr Nummer eins sei die Software.

metallbau: Welche Bilanz können Sie nach dem dramatischen Einsturz der Morandi-Brücke ziehen?

Prof. Dirk Proske: Die tragische Bilanz sind die Todesopfer, Verletzten, Sachschäden und erhebliche Auswirkungen auf den Verkehrsfluss in der Stadt. Der Einsturz hat weltweit zu einer erhöhten Wahrnehmung der Frage der Sicherheit von Brücken geführt, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei den Ingenieuren. Viele große Infrastrukturbetreiber haben daraufhin ihren Brückenbestand nochmal unter die Lupe genommen.

metallbau: Sind jetzt mehr Bauüberwachung und Überprüfung erforderlich?

Proske: Zwischen 40 und 80 Prozent der Schäden an Brücken entstehen durch Fehler während der Planung und Konstruktion. Die Bauüberwachung und die Inspektionen sind von erheblicher Bedeutung für die Lebensdauer der Brücken. Allerdings stürzen Brücken nur sehr selten durch Verfall und Überlastung ein. Straßenbrücken erreichen die geplante Nutzungsdauer von 100 Jahren oft nicht und werden in manchen Ländern im Durchschnitt nur 50 Jahre alt. Der vorzeitige Ersatz ist meist den extremen Umweltbedingungen und erheblichen Veränderungen des Verkehrsaufkommens geschuldet. Beides hat mehr Einfluss auf den Brückenzustand als das Alter.

metallbau: Es sollte also rechtzeitig saniert oder lieber gleich abgerissen werden? Wie viel Restrisiko bleibt trotzdem?

Proske: Natürlich können rechtzeitige Sanierung oder Abriss solche Einstürze verhindern. Wenn man aber jede Brücke bei Verdacht sanieren will, hat man unter Umständen kein Geld mehr für den Abriss und Neubau. Es gibt weltweit Bestrebungen, Risikobetrachtungen in das Erhaltungsmanagement von Brücken einfließen zu lassen. Das führt aber wieder zu der berühmten Frage: Wie sicher ist sicher genug? Die Optimierung der Lebenszykluskosten oder die Anwendung von Lebensqualitätsparametern führen letztlich zu Entscheidungen, die auf politischer Ebene gefällt werden müssen. Auch hat der Neubau von Brücken, bezogen auf die Zeitdauer, ein viel höheres Einsturzrisiko als der Betrieb einer Brücke. Und eine Sanierung kann unter Umständen zu einer Verschlechterung des Brückenzustandes führen. Das ICE-Unglück von Eschede 1998 zeigte die Unabhängigkeit zwischen Einsturz, Alter und Zustand der Brücke. Brückeneinstürze durch Anprall treten tendenziell eher bei jüngeren Brücken auf, Einstürze durch Verkehr bei älteren Brücken.

metallbau: Was halten Sie vom sogenannten Brücken-TÜV, den Bundesminister Andreas Scheuer für Deutschlands Brücken Ende 2018 angekündigt hatte?

Proske: Schnelle Aktionen nach solchen Katastrophen, die aus politischen und kommunikativen Gründen sinnvoll erscheinen, werden bei den Ingenieuren manchmal als „Design by Disaster“ bezeichnet. Die Korrelation zwischen Brückenzustand und Einsturzhäufigkeit sehe ich persönlich nicht oder nur sehr schwach.

metallbau: Sind in Deutschland, der EU oder der Schweiz neue Gesetze in Vorbereitung?

Proske: Mir sind keine neuen Gesetze bekannt, was aber nicht heißen muss, dass keine in Arbeit sind. Herr TRDir Prof. Dr. Marzahn hat auf dem 29. Dresdner Brückenbausymposium im März 2019 das Regelwerk des Bundes für den Ingenieurbau vorgestellt und Entwicklungen aufgezeigt. In den letzten Jahren wurden umfangreiche Richtlinien und Empfehlungen zur Bewertung bestehender Bauwerke erstellt, in der Schweiz z.B. die SIA 269, in Deutschland die Richtlinie zur Nachrechnung von Brücken etc. Die Gründung der Autobahn AG des Bundes und die Umstellung der Verantwortlichkeiten von den Ländern zum Bund, könnte Auswirkungen auf die Sicherheit der Brücken haben. Auf Europäischer Ebene gibt es gerade ein sehr erfolgreiches Forschungsprojekt zur Harmonisierung der Brückenbewertung, an dem Prof. Dr. Alfred Strauss von der Universität für Bodenkultur in Wien mitarbeitet.

metallbau: Können Sie Unterschiede im Umgang mit Brückenbauwerken in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland oder Österreich feststellen?

Proske: Ich hatte das große Glück, in allen drei Ländern zu arbeiten, zusätzlich auch noch in den Niederlanden. Es gibt vielleicht in dem einen Land ein formelleres Herangehen, anderswo ein pragmatischeres. Unbedingt notwendig ist immer ein hervorragendes Fachwissen und ich habe überall sehr gut ausgebildete, sehr verantwortungsbewusste Ingenieure erlebt. Eine Brücke wird nicht sichererer durch härtere Strafgesetze, sondern nur durch gute Ingenieursarbeit. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so definieren, dass die Ingenieure ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen durchführen können.

metallbau: Was muss sich aus Ihrer Sicht dringend ändern, damit derartige Katastrophen nicht mehr passieren?

Proske: In den Daten der vergangenen Jahrzehnte lässt sich eine kontinuierliche Verbesserung der Sicherheit der Brücken, aber auch von Dämmen oder Tunneln ablesen, was solche Ereignisse, wie wir sie aus Genua kennen, verringert. Mir machen allerdings andere Entwicklungen mehr Sorgen, z. B. der Einsatz von Werkzeugen wie BIM. Der immer größere Einfluss von Software birgt neue Risiken. Die steigende Komplexität der Projekte macht es für den einzelnen Ingenieur immer schwerer, Risiken zu erkennen, zu benennen und so zu kommunizieren, dass sie gehört werden.

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