Schule in Corona-Zeiten
Die neue NormalitätDie Pandemie stellt auch die ausbildenden Betriebe und Bildungseinrichtungen des Metallhandwerks vor nie dagewesene Herausforderungen. Ein Einblick in den Lehr- und Prüfalltag der Berufs-, Techniker- und Meisterschulen unter neuen, pandemischen Bedingungen.
Ein bis zwei Tage in der Woche werden die Berufsschüler in der Regel in der Schule ausgebildet, den Rest der Woche im Betrieb. Seit Mitte März erhalten die Berufsschüler der David-Roentgen-Schule in Neuwied ihr Unterrichtsmaterial auf digitalem Weg. Für die Schulen wie auch für die Ausbildungsbetriebe der 33 angehenden Metallbauer, die sich in unterschiedlichen Klassen befinden, führt diese schlagartige Umstellung zu besonderen Herausforderungen. Auch die Betriebe blicken kritisch darauf, dass sie plötzlich Schülerarbeiten zu Lernaufgaben von der Berufsschule betreuen sollen.
„Brauchen den Präsenzunterricht“
„Wir haben im Augenblick viel zu tun“, so das Echo einiger Ausbildungsbetriebe. Die Folge: Der Lernstoff bleibt vorerst auf der Strecke, die Azubis werden für die laufenden Aufträge eingesetzt. Doch ganz so schwarzmalen möchte Michael Höhler die Situation nicht. Er verantwortet an der Schule seit fast 20 Jahren die Metallbauerausbildung und sagt: „Die Umsetzung des neuen schulischen Alltags hat in den Betrieben sicherlich zu besonderen Herausforderungen geführt. Die meisten haben darauf aber sehr verständnisvoll reagiert. Manche Betriebe haben ihre Auszubildenden sogar am Berufsschultag zuhause die Schulaufgaben bearbeiten lassen. Das war natürlich sehr vorbildlich. Es betont auch, wie groß ihr Zutrauen in sie ist.“
Die Lösungen der Aufgaben stellen die Schüler per Scan oder meistens als Handy-Foto in die Lernplattform Moodle ein. Auch der Mailversand wurde genutzt. Doch Moment! Ein PC oder gar ein Scanner sind auch im Jahr 2020 noch nicht für jeden Haushalt eine Selbstverständlichkeit. Handys hätten die Schüler alle, so Höhler. Den Gesprächen mit Kollegen nach habe sich aber genau dies als Schwierigkeit herausgestellt. Ein Handy ersetzt eben keinen Laptop; für den Digitalunterricht bietet es nur eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten. Und noch eine Erkenntnis kann der Berufspädagoge aus den Erfahrungen der vergangenen Monate gewinnen: „Meine angehenden Metallbauer brauchen den Präsenzunterricht. Es ist wichtig, als Lehrender die Schüler vor Augen zu haben und ihnen ein direkter Ansprechpartner zu sein, der bei Problemen und Fragen agieren und unterstützen kann. Der Zugang zum Lernen über den ausschließlich digitalen Weg erfordert von den Berufsschülern große Selbstdisziplin und einen höheren Motivationsgrad.“
Am 25. Mai 2020 hat der Präsenzunterricht wieder begonnen und es muss beobachtet werden, wie sich die Lage entwickelt. „Höchste Vorsicht und die respektvolle Beachtung der Hygieneregeln sind absolute Pflicht in der Schule. Einige Schüler jedenfalls“, so Höhler weiter, „haben bereits in Antwortmails ihre Freude über den gemeinsamen Unterricht mitgeteilt.“
Aus der Erfahrung schöpfen
„Im Rahmen des Sonderprogramms MobiPro-EU für das Metallhandwerk hatten wir vor vier Jahren spanische Jugendliche ausgebildet und dabei erstmals auf digitalen Unterricht gesetzt. Unsere Dozenten sind methodisch-didaktisch entsprechend geschult und bringen für die jetzige Situation die passende Erfahrung mit“, erklärt der Geschäftsführer des Bundesfachzentrums Metall und Technik (BFM) in Northeim Diether Hils. Als Mitte März die Schulen schließen mussten, konnte er den Unterricht daher sofort auf das virtuelle Klassenzimmer umstellen. Lehrer und Schüler nutzen hierfür das Programm Adobe Connect. In Vorbereitung seien aber schon Digital-Konzepte mit eigener Plattform, verrät der Dozent, der eigentlich Maschinenbauingenieur ist und, wie er sagt, eine hohe Affinität zur computergesteuerten Welt besitzt: Mit dem Metallverband schob er ebenfalls vor vier Jahren das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt DigiWorld an.
„Im Moment fahren wir das Bundesfachzentrum sukzessive wieder hoch, wie in den Regelschulen angefangen bei den Abschlussklassen der Azubis, dann die der Umschüler, dann die Meisterklassen“, erläutert der Geschäftsführer. Der Unterricht in ERP, CAD und CNC bietet sich für das virtuelle Klassenzimmer ideal an; diese Fächer kamen bei den angehenden Metallbau-Meistern im April auf den Lehrplan. Der Schweißunterricht wurde, weil dort Wiederholungsprüfungen anstehen, im Juni wieder gestartet. „Nur die ein und die andere Werkbank wird besetzt, alle Teilnehmer kriegen von der Schule kostenlos Mundmasken und natürlich ihre persönliche Arbeitsschutzausstattung gestellt. Überall wird abgeklebt, überall stehen Infektionsspender und an jeder Maschine Desinfektionsmittel.“ Alle Mitarbeiter und Teilnehmer sind angehalten, die geforderten Sicherheitsabstände einzuhalten, den Mundschutz zu tragen und die Maschinen, Bedienteile und gemeinsam genutzten Werkzeuge nach jedem Gebrauch komplett zu reinigen. Verpflichtende Hygienebelehrungen und strikte Hygieneanweisungen nähmen, meint Hils, alle ohne großes Murren an. „Sie sind einfach nur froh, dass der Präsenzunterricht schrittweise wieder anläuft.“
Flexibel sein und handeln
Auch der Betrieb der Metallfachschule Hessen in Oberursel war zwischen dem 17. März und dem 3. Mai ausgesetzt. Bis auf den anfänglichen Online-Unterricht – in den Wochen, als noch nicht feststand, dass sich die von der Handwerkskammer für April angesetzten Prüfungen verschieben würden – konnten daher die Meistervorbereitungskurse, aber auch alle anderen Lehrgänge und Veranstaltungen nicht stattfinden. Nach der Verordnung der Hessischen Landesregierung vom 4. Mai wurde für private Bildungseinrichtungen wie die Metallfachschule der Unterricht für die Abschlussklassen, der Einzelunterricht und in Kleingruppen bis zu fünf Personen wieder gestattet. Seit dem 11. Mai kann wieder der normale Unterricht für alle bis zu einer Gruppenstärke bis 15 Personen durchgeführt werden. Letzteres entspricht ohnehin der Höchstgrenze der Metallfachschule Hessen.
Aus dem Schulalltag berichtet Geschäftsführer Helge Rühl: „Unsere Meisterkurse haben wir wieder eingeladen und halten die Schüler nach den Vorschriften und Empfehlungen des RKI auf Distanz, d.h. mindestens 1,5 m Abstand und 5 m² pro Schüler im Klassenzimmer. Vor jeder Tür steht ein Spender mit Handdesinfektionsmittel. Wir haben alle gebeten, auch ihr eigenes mitzubringen und einen Mund-Nasenschutzes zu nutzen. Während des Unterrichts haben wir die Nutzung des Mund-Nasenschutzes empfohlen, aber auch freigestellt. Wir zeigen sechssprachige Lehrfilme über die allgemeinen Hygiene-Empfehlungen und reden den Schülern und Dozenten ins Gewissen.“ Bei den Schweißkursen gibt es Einzelunterricht, sodass nur jede zweite Schweißkabine belegt ist. Die Klassenräume sind für bis zu 70 Personen ausgelegt. Damit sollte es möglich sein, bei den kommenden Lehrgängen, Kursen und Seminaren genügend Abstand zwischen den Tischen sicherzustellen. Rühl: „Als Bildungseinrichtung muss man flexibel sein, die Situation mit einer gewissen Gelassenheit hinnehmen und handeln. Ich muss natürlich mit gesundem Menschenverstand schauen, was machbar ist. Wenn nur einer erkrankt, sind wir wahrscheinlich alle in Quarantäne. Meine größte Angst ist derzeit, dass wir in zwei bis drei Monaten wieder einen Lockdown erleben.“
Handlungsspielraum für Dozenten
„Unsere Metallbautechniker-Klassen haben das Glück, dass sie erst nächstes Jahr Prüfungen haben“, sagt Arnold Schorb, Koordinator für die Fachrichtung Metallbau an der Technikerschule München. Für sie gingen die Präsenzveranstaltungen daher erst wieder am 11. Mai los. Dies allerdings in Form des Blended Learning, d.h. im Wechsel mit dem Online-Unterricht. Wie auch bei den Abschlussklassen der anderen Fachrichtungen lernen die Schüler jetzt in zwei sich einander abwechselnden Kleingruppen. „Digitalunterricht bedeutet für die Lehrkräfte deutlich mehr Vor- und Nachbereitungsaufwand. Er ist weniger effektiv, und wir brauchen einen deutlich höheren Personalschlüssel“, so der Schulleiter Dr. Siegfried Hummelsberger. Auch problematisch sei die anfängliche Überlastung der Server gewesen und die Tatsache, dass die Computerausstattung der Schule nicht auf den Online-Unterricht ausgerichtet ist. Daher nutzen viele Lehrkräfte ihre privaten Endgeräte.
Die Kommunikation von Dozenten und Lernenden erfolgt über mehrere Kanäle: die multifunktionale Plattform Teams, das Telefon, E-Mail, sogar WhatsApp (Ministerium und Schulleitung drücken hier während der Corona-Zeit alle Augen zu). Allgemeine Infos, Termine und Stundenpläne können die Lernenden auf der Webseite der Schule abrufen. „Man muss in solch einer Situation als Schule improvisieren, aber auch innerhalb der rechtlichen Vorgaben im Hinblick auf Schulaufgaben, Benotung etc. klare Rahmenbedingungen setzen. Dazwischen geben wir den Lehrern möglichst viel Handlungsspielraum. Das ist von Fach zu Fach und von Lehrer zu Lehrer unterschiedlich. Einige sind Risikogruppe oder in Quarantäne und unterrichten von zuhause.“ Schorb ergänzt: „Je spezieller die Thematik, zum Beispiel im Fach Statik, desto schwieriger lässt sie sich im Onlineunterricht vermitteln. Der Unterricht lebt von den Fragen der Schüler und davon, dass wir diese direkt im Klassenraum besprechen.“
Wie geht es weiter?
Helge Rühl von der Metallfachschule Hessen prognostiziert, dass sich die Krise in seiner Bildungseinrichtung in einer gestiegenen Nachfrage nach Umschulungen niederschlagen wird. Denn „es gibt ja durchaus Branchen, wie etwa die Gastronomie oder das Friseurhandwerk, die härter als das Metallhandwerk getroffen sind.“
Und Dieter Hils vom BFM Northeim resümiert: „Einfach nur ein Buch zu digitalisieren oder irgendwelche Inhalte auf eine Plattform zu bringen, führt nicht zu selbstgesteuertem Lernen. Wir brauchen den virtuellen Classroom, den Chatroom und vieles mehr. Wir brauchen auch Dozenten, die damit umgehen können. Wer aber glaubt, nach Corona wird es nur noch Video-Konferenzen geben, der irrt.“
Präsenzunterricht wird denn auch in Zukunft unersetzlich sein. Dass es im September aber regulär weitergehen wird, ist durchaus fraglich. Besonders schmerzend empfindet etwa Siegfried Hummelsberger, dass auch alle außerschulischen Veranstaltungen wie etwa Praktika oder die Hausmesse, Seminare und Externen-Trainings nicht stattfinden können. Seine Aussichten für das kommende Schuljahr: „Ich fürchte, dass die Schulen im Halbbetrieb werden laufen müssen, solange es keinen Impfstoff oder ein Medikament gegen Covid-19 auf dem Markt gibt. Wir haben jedenfalls ständig Schuljahresanfang, weil ich von Woche zu Woche den Studienplan, den Lehrereinsatzplan und die Belegungspläne für die Klassenzimmer neu überlegen muss. Das ist unglaublich komplex.“