Silberschmiedemeister Jörg Otto

„Am meisten gefällt mir, wenn es tricky ist.“

Jörg Otto aus Halle an der Saale führt einen nach EN 1090 zertifizierten Metallbaubetrieb und fertigt in akribischer Handwerksarbeit gern klar gestaltete Produkte. Mit seinen fünf Mitarbeitern bietet er eine breite Palette vom Kunstschmieden bis zum Alu-Schweißen an. Nach 30-jähriger Berufspraxis blickt er mit eher gemischten Gefühlen in die Zukunft: Die zum Teil fehlende Wertschätzung des Handwerks, die wachsende Bürokratie im Büro und der ausbleibende Nachwuchs bereiten ihm Kopfschmerzen.

Jörg Otto sieht sich weder als Schlosser noch als Metallbauer, sondern eher als kreativer Metallgestalter. Der gelernte Silberschmied nennt seinen Betrieb „Metallwerkstatt“ und das entspricht durchaus seinem Selbstverständnis. Lohnbearbeitung oder Türen- und Fensterbau sind nicht sein Ding, dafür aber individuelle Geländer, Gitter, Tore oder Turmspitzen. Sein Steckenpferd sind Treppen, besonders wenn sie individuell an die Umgebung angepasst und etwas ausgefallen sind.

Sein Betrieb, der mit den üblichen Maschinen und Handwerkzeugen für den Metallbau ausgestattet ist, besteht aus auffallend vielen, unterschiedlichen Räumen. Und im Eingangsbereich wird der Besucher gleich von einer Reihe historischer Turmkugeln empfangen, die Jörg Otto neu gebaut oder denkmalgerecht nachempfunden hat. Neben seinem Büro mit CAD-Zeichenarbeitsplatz gibt es eine Modellbauwerkstatt mit Zeichentisch, wo hin und wieder auch feine Silberschmiedearbeiten entstehen. An den Wänden finden sich Entwürfe, Skizzen und Fragmente – Zeugnisse der kreativen Atmosphäre. Einen Gang weiter folgt eine Schmiede mit Esse, Amboss und Richtbank, zwei getrennte Schweiß- und Arbeitsräume für Stahl und Edelstahl sowie ein Raum für die Dreh- und Drückbank mit selbstgefertigten Holzfuttern. Auch gibt es eine Rollenbiegemaschine, Handabkantmaschinen, eine Schlagschere bis 6 mm, eine Kreis- und eine Bandsäge. Das gesamte Werkstattensemble umfasst ca. 500 Quadratmeter und befindet sich in einem einstöckigen Gebäude mit Außengelände auf dem Areal des ehemaligen Transformatorenwerkes in Halle-Büschdorf, jetzt ABB.

Kombi aus Handwerk und Gestaltung

Nach seiner Lehrausbildung absolvierte Jörg Otto ein kurzes Praktikum bei Metallgestalter Jörg Hinz, das sich zu seiner ersten Arbeitsstelle ausweitete. 1991 legte er die Meisterprüfung als Silberschmied ab und machte sich selbstständig. Die ersten Aufträge waren Restaurierungsaufgaben von Wetterfahnen, Turmkugeln und Dachspitzen aus Kupfer oder Zink, getrieben oder gedrückt. Jörg Otto sagt rückblickend: „Ich hatte damals zwar keine Ambitionen, eine Schlosserei oder größere Werkstatt zu gründen, aber Silbergerät ist spätestens seit der Wende nur noch ein Nischenprodukt. Insofern habe ich den Wandel zum Metallgestalter auch ein bisschen gesucht.“ Folgerichtig veränderte sich allmählich das Portfolio. Die Reparatur und der Nachbau historischer Bauelemente wurde durch neue, moderne Produkte ergänzt. Schon nach vier Jahren konnte Otto sein heutiges, wesentlich größeres Areal beziehen und den ersten Mitarbeiter fest einstellen. Aktuell beschäftigt er fünf. Inzwischen hat er neben klassischen Zaunanlagen und Toren auch etliche Museumseinrichtungen gebaut und Laden- und Kneipeninterieur aus Kupfer, Stahl oder Cortenstahl entworfen, oft kombiniert mit Holz oder Glas. Hin und wieder fertigt er Bauteile für Künstler-Skulpturen oder realisiert Grabmale. Oft ist es die Kombination aus traditionellem Handwerk und moderner Gestaltung.

Treppenbau aus Leidenschaft

„Mein Lieblingsthema aber sind individuelle Treppen“, bekennt Jörg Otto. „Das macht mir am meisten Spaß, besonders wenn es ein bisschen tricky wird.“ Er lacht, mit tricky meint er, dass manche Projekte zwar ganz einfach aussehen, aber anspruchsvolle Details haben können. Beim schrägen Untertritt einer gewendelten Treppe beispielsweise sei es schon schwieriger, den Zuschnitt zu konstruieren. In seinem nach EN 1090 EXC2 zertifizierten Betrieb baut er komplette Treppenanlagen für Einfamilienhäuser, z.B. als Spindel-, Wendel- oder Faltwerktreppen. Geschätzt ein Viertel der Aufträge erhält er von Privatpersonen, die anderen von Architekten oder dem Amt für Denkmalpflege.

Jörg Otto bedauert, dass viele Architekten wenig Ahnung von materialgerechter Fertigung haben. Und so werden immer wieder Entwürfe vorgelegt, die mit handwerklichen Möglichkeiten nicht umsetzbar sind. Auch verlangen die Materialien Stahl, Aluminium und Edelstahl unterschiedliche Fertigungstechnologien. „Leider macht sich fast keiner die Mühe und lässt sich in der Werkstatt mal was zeigen. Natürlich kann kein Architekt alle Gewerke am Bau beherrschen, aber man könnte in einen Dialog treten. Einer sagte mir sogar: Was ich zeichnen kann, können Sie auch bauen.“

Was Jörg Otto plant und konstruiert, zeichnet er selbst und verwendet dazu das CAD-Zeichenprogramm sowie das 3D-Programm von MegaCAD. Die Kenntnisse dafür hat er sich in wenigen Schulungstagen angeeignet. Die Maße nimmt er vor Ort ganz klassisch auf, inzwischen mit Lasermessgerät. Zum Kanten oder Ausschneiden der Stufen, Treppenwangen oder Geländergrundteile nutzt er gern Fachbetriebe aus der näheren Umgebung, z.B. MTH Metall Technologie Höhne/ Halle, Schleicher Metall- und Biegetechnik/Wünschendorf oder Kiel Zulieferungen/Landsberg.

Kein Interesse für den Handwerksberuf

Die Projekte setzt Silberschmiedemeister Otto gemeinsam mit seinen Mitarbeitern von A bis Z selbst um. Weil aber der Vergabeaufwand immer größer werde, die Bürokratie ausufere und dadurch der zeitliche Einsatz im Büro immer umfangreicher werde, nehme er beispielsweise seltener an öffentlichen Ausschreibungen teil. „Letztlich fehlt mir eine gute Allround-Bürokraft, die alles meistert und mich entlastet“, sagt er. Auch sei der digitale Wandel sicher notwendig, aber von einem kleinen Unternehmen kaum zu stemmen. „Eigentlich haben wir ein großes Potenzial, können das aber unter diesen Umständen nicht voll ausspielen. In meinen Augen ist in diesem Punkt die Handwerkskammer gefragt, vor allem kleine Unternehmen zu unterstützen und viele Dinge anzuschieben oder zu fördern“, findet Jörg Otto.

Mit seinem fünfköpfigen Mitarbeiterstamm ist er sehr zufrieden. „Jeder hat besondere Stärken, die sich im Zusammenspiel gut ergänzen.“ Allen voran lobt er seinen Werkstattleiter Friedrich F. Weigert: „Einen solchen Schmiedemeister muss man lange suchen.

Jörg Otto engagierte sich in der Vergangenheit wiederholt vergeblich um Nachwuchs. Alle verließen den Betrieb jedoch wieder über kurz oder lang. Es gab auch etliche Praktikanten. „Kein einziger hatte auch nur das leiseste Interesse daran, einen Handwerksberuf zu erlernen“, berichtet er etwas resigniert. Vordergründig wollten die meisten mit wenig Aufwand, viel Geld verdienen. „Da ist es natürlich zweitrangig, dass man mit seiner Arbeit auch Erfüllung und Selbstbestätigung findet“, resümiert Otto.

Guter Geschmack ist selten

Er beobachtet eine allgemein nachlassende Wertschätzung von Arbeit, insbesondere von anspruchsvoller handwerklicher. Dabei spart er nicht mit Kritik an beiden Seiten, am Produzenten und wie am Konsumenten: „Viele Metallbauer liefern gestalterisch wenig Überzeugendes ab. Aber auch guter Geschmack ist sehr selten geworden und hat nichts mit der Größe des Geldbeutels zu tun“, so Otto. Wo liegt also die Ursache für mangelhaftes Urteilsvermögen bezüglich Qualität und Material, von handwerklichem Können und materialgerechter Verarbeitung? Was macht ein handgefertigtes Produkt aus?

Jörg Otto überlegt und findet: „Speziell in Deutschland muss alles makellos, glatt, plan und frei von Fehlern sein. Architekten und Designer geben das vor und die Deutschen wollen das so.“ Doch vor allem handwerklich Gefertigtes darf in seinen Augen auch mal eine Unregelmäßigkeit haben, etwas Individuelles, Einzigartiges. „Die absolute Perfektion ist hier in gewisser Weise ein Armutszeugnis, da sie Industrieprodukte nachahmt“, sagt er. Warum kommen viele Menschen begeistert aus einem Italien- oder Frankreichurlaub zurück und schwärmen von verwaschenen Fassaden, bröselnden Mauern und Einrichtungsgegenständen mit echter Patina? Seiner Meinung nach strahlt das Authentische, Ortstypische, mit heimischen Materialien Gefertigte Schönheit und Ästhetik aus. Und dafür hätten viele zum Glück noch ein Gespür und allmählich ginge der Perfektionswahn etwas zurück.  Natürlich gibt es in der Ausführung einen entscheidenden Unterschied zwischen nicht gekonnt und bewusster Individualität.

www.metallwerkstattotto.de

Info + Kontakte

Metallwerkstatt Jörg Otto
Delitzscher Straße 76 06112 Halle/ Saale
Tel. 0345 56 03 454
otto@metallwerkstattotto.de
www.metallwerkstattotoo.de

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