Veranstaltungsbericht

ift Fenstertage 2019

Klimaschutz im Fokus

Fensterbauer konnten sich auch in diesem Jahr wieder in Rosenheim über die jüngsten Entwicklungen in Sachen Technologie, Tageslicht, DIN 18008 und über die Prüf- und Gutachterpraxis am ift informieren. Der inhaltliche Rahmen: Klimaschutz hat höchste Priorität.

Die 47. Rosenheimer Fenstertage standen 2019 unter dem Motto „Fenster for Future – smart, praxisorientiert, klimafreundlich“. Die Vorträge orientierten sich dem Titel nach weithin an den „Fridays for future“ mit dem obersten Ziel, das Klima zu schützen. Dabei standen auch smarte Technologien sowie praxisorientierte Anwendungen im Fokus der Veranstaltungsreihe. Diese sollte übrigens insgesamt grüner werden. So hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ein Kombi-Ticket mit inkludiertem DB-Fahrschein zu erwerben. Dieses aber, so zeigte es die interaktive Umfrage im Plenum, wurde kaum genutzt. Noch immer ist das Auto, mit dem man alleine anreist, mit über 30 Prozent das beliebteste Verkehrsmittel der rund 800 Teilnehmer und die Bahn mit rund 16 Prozent ein weniger beliebtes. In dieser Hinsicht gab es also noch wenig Veränderung, ganz im Gegensatz zu den Neuerungen in Rosenheim selbst.

Veränderungen in
Rosenheim

Der neue Vorstandsvorsitzende des Instituts für Fenstertechnik (ift), Oskar Anders, begrüßte das Plenum aus 24 Nationen und hieß sowohl den scheidenden Institutsleiter Prof. Ulrich Sieberath als auch dessen Nachfolger Prof. Jörn Peter Lass willkommen. Auch willkommen hieß er die langjährige Oberbürgermeisterin der Stadt Rosenheim, Gabriele Bauer, die ebenfalls aus dem Amt scheidet, und überließ ihr für weitere Begrüßungsworte das Podium.

Diese nutzte sie einerseits, um ihre persönlichen Vorstellungen zur gesellschaftlichen Zukunft darzustellen, aber vor allem, um sich von Ulrich Sieberath zu verabschieden, ihrem Geschäftsfreund „Uli“, mit dem sie viele Jahre in Rosenheim verbanden. Sie ehrte ihn mit der Verdienstmedaille der Stadt Rosenheim und übergab mit dieser Geste das Wort an ihn selbst, der sich unter lang anhaltendem warmem Applaus aufs Podium begab und die Rosenheimer Fenstertage 2019 mit mit seinem Vortrag „Fenster for Future. Offen für smarte Technologien, praxisorientierte Anwendung und Klimaschutz“ inhaltlich eröffnete und damit die Tradition der Veranstaltungsreihe fortsetzte, sich den aktuellen Trends zu widmen, Probleme offen anzusprechen und zukunftsfähige Lösungen vorzuschlagen.

Klimaziele höchste Priorität

Die aktuelle Diskussion um die Klimaziele haben in der Politik und der öffentlichen Meinung wieder höchste Priorität erlangt. So lenkte auch Sieberath den Fokus seines Vortrags auf die Veränderungen der Fenstertechnik durch Umwelteinflüsse wie den steten Temperaturanstieg oder die sich immer mehr häufenden Katastrophen wie (Sand)Stürme, Hagel, Hochwasser oder Muren, um nur einige zu nennen. Darauf müssen u.a. Sonnen- oder Insektenschutz, Lichtlenkung, Staubdichtheit, aber auch Farbgebungen reagieren. Anthrazit und generell dunkle Töne an Fenstern werden wegen zu großer Ausdehnungen langfristig weißen oder zumindest hellen Tönen weichen.

Fenster und Fassaden werden außerdem immer mehr zu Energiemanagern wie z.B. Closed-Cavity-Fassaden, schaltbare Verglasungen, Verbundaufbauten, Einbauten, Druckentspanntes MIG, VIG oder die Dünnglas-Technologie, die der amtierende Institutsleiter als äußerst zukunftsfähig bezeichnete. Ebenso wies er auf Fenster mit smarter, also kabelloser, intelligenter und intuitiver Mechantronik hin, mit der man sich intensiver auseinandersetzen werde, nicht zuletzt deshalb, weil neue Technologien wie z.B. die Transponder-Technik preislich immer attraktiver werden. Auch für zukunftsfähig erklärte Sieberath den Kunststoff als tragendes Element sowie Hybridaufbauten mit Kombinationen aus Metall, Glas, Kunststoff oder Holz. Neben den Technologien sprach Sieberath die betriebswirtschaftliche Ausrichtung des Mittelstands an und empfahl diesem, sich noch mehr in Netzwerken zu vereinigen, um stark genug zu sein, sich am Markt mit immer komplexeren Montagen behaupten zu können. Insoweit ist es auch nicht verwunderlich, dass er im Zuge dieser Erkenntnis auf Montagezargen einging, die immer häufiger verbaut werden. In der interaktiven Live-Umfrage im Plenum bestätigte rund die Hälfte der Teilnehmenden, dass der Einsatz von Montagezargen beim Kunden inzwischen trotz Mehrpreis vermittelbar sei. Als weitere zukunftsfähige Veränderungen in der Fenster- und Fassadenbranche nannte Sieberath die voll digitalisierte Fertigung, die dank augmented reality auch ortsunabhängig stattfinden kann, sowie das Arbeiten mit der BIM-Methode (building information modelling), bei der alle relevanten Bau-Daten in einem Modell zusammengefasst werden. Sieberaths Fazit: Die Fenster- und Fassadenbranche sollte ihre Produkte im Hinblick auf klimaneutrales Bauen weiterentwickeln und ihren Einfluss nutzen, um rechtliche Rahmenbedingungen wie das Gebäudeenergiegesetz voranzubringen, ebenso wie die Möglichkeiten steuerrechtlicher Abschreibungen. Mit diesem Schluss verabschiedete sich Sieberath nach 37-jähriger Institutszugehörigkeit und 16 Jahren Leitung endgültig und lud die Teilnehmer zu den Themenblöcken „Technik und Praxis“ sowie „Architektur und Fassade“ ein.

Technik und Praxis: geprüft

Gemäß dem Untertitel der Fenstertage „smart, praxisorientiert, klimafreundlich“, stieg Referent Manuel Demel vom ift mit seinem Vortrag über die „Bewertung von absturzsichernden Fenstern mit Öffnungsbegrenzern“ gleich sehr tief in den Fensterbau-Alltag ein. Demel erläuterte anhand von Fallbeispielen die ift-Prüfpraxis von bodentiefen, öffenbaren Fenstern, deren Nachfrage stark ansteigt, aber deren Verwendung nicht gesetzlich geregelt ist. So ist deren Verwendbarkeit mit einem Nachweis erforderlich, der über die Zustimmung im Einzelfall durch oberste Baubehörden oder Länder erfolgen kann. Die ift-Prüfung und deren Ergebnisse können für eine solche Zustimmung herangezogen werden. Demel stellte sowohl das Prüfkonzept und dessen Qualitäten vor als auch die Ziele, die damit erreicht werden sollen: Im Prüfkonzept wird die gesamte Sicherheitskette bewertet. Diese reicht vom tragenden Baukörper über die Befestigungen von Baukörper und Bauteil sowie die Verwendung des Öffnungsbegrenzers und die Verglasung bis hin zum Rahmenprofil. Erforderlich wird eine objektspezifische Fensterstatik. Als Grundlage dienen vorgeprüfte Bauteile vom Beschlag und vom Öffnungsbegrenzer. Die objektspezifische Bewertung besteht aus einem Gutachten und aus Nachweisen der Prüfungen. Sind alle Kriterien erfüllt, ist eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) oder eine vorhabenbezogene Baugenehmigung (vBG) sinnvoll.

Technik und Praxis: begutachtet

Während Demel aus dem Prüfungs-Alltag des ift berichtete, widmete sich sein ift-Kollege Ingo Leuschner in seinem Vortrag „Ohne Planung kein Erfolg. Aus der gutachterlichen Praxis“ jüngst realisierten Fenstereinbauten, die durch fehlerhafte oder unvollständige Planung zum Gutachtenfall geworden sind. All das mit dem Ziel, für eine bessere Planung und Abstimmung zu werben. Mit Verve präsentierte Leuschner diese Fälle dem gut gefüllten Saal Rosenheim. Zahlreiche Praxisbeispiele mit anschaulichem Fotomaterial untermauerten die These, es werde in Deutschland nicht sauber und exakt genug geplant, um gute und lang anhaltende bauliche Ergebnisse zu erzielen. Analytisch betrachtet gehören zur Fensterplanung neben der Gestaltung und der Nutzung auch der Einbau sowie die Technik und die Gewerke. Leuschners Erfahrung: Die Gestaltung in Bezug auf Materialität, Oberflächen, Größen und Öffnungsarten sind meist sehr gut geplant. Weniger gut sieht es in Sachen Technik, Einbau oder Nutzung aus, wenn es um Klassen, Werte, Ausstattung, Funktionen, Wartung, Umbau oder genaue Abdichtungsdetails geht. Gerade in Bezug auf den Einbau könnte allerdings der achtseitige Montageleitfaden helfen. Genauer, die Tabelle 3.2 mit der Checkliste zur Planung. Leuschner ging insbesondere auf die Detailplanung ein, die sich nicht selten von der gebauten Realität unterscheidet. Hier legte er nochmals das seit 1991 im Montageleitfaden vorhandene „Ebenenmodell“ nahe. Zur Erinnerung: Eine Fassade setzt sich aus drei Funktionsebenen zusammen, bei der jede Ebene eine spezielle Funktion übernimmt: von innen nach außen betrachtet die Trennung von Raum- und Außenklima, den Wärme- und Schallschutz sowie den Wetterschutz. Dabei ist besonders bei individuellen Bauweisen und Designmerkmalen auf einen individuell nachgewiesenen Wärmeschutz zu achten. Fazit: Generell ist der Planungsaufwand moderner Fenstereinbauten höher als früher, deshalb sind ganzheitliche und exakte Detailzeichnungen und Bezeichnungen mehr denn je erforderlich. Bei mangelhafter Planung wird oft im Nachgang vor Ort improvisiert. Das aber kann eine gute Planung niemals ersetzen. Was hilft, ist ein Blick auf alte Erkenntnisse, Richtlinien und Erfahrungen. Diese haben in der Regel alle noch ihre Berechtigung. Bei Sanierungen sind dagegen oft Sonderlösungen nötig, die ohne Fachkräfte nicht zu realisieren sind.

Arbeiten mit der neuen DIN 18008

„Man muss halt gut zu leben wissen mit Kompromissen“, sang einst Roger Cicero. Der Bundesverband Fachglas (BF) und der Verband Fenster + Fassade (VFF) leben inzwischen gut mit dem Kompromiss, den sie in Bezug auf die Überarbeitung der Teile 1 und 2 der DIN 18008 „Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln“ geschlossen haben. Dies erläuterte neben VFF-Geschäftsführer Frank Lange auch der Hauptgeschäftsführer des BF Jochen Grönegräs im Vortrag „DIN 18008 aktuell. Handlungsempfehlungen für Fensterbauer und Glaser.“ Ursprünglich war für den Abschnitt 5.1.4 von Teil 1 der DIN 18008 vorgesehen, die Sicherheit von Glasflächen, die bis zum Fußboden allgemein zugänglicher Verkehrsflächen herabreichen, per Gesetz zu gewährleisten. Die zuständigen Bauaufsichten der Länder aber haben sich im Dezember 2018 davon distanziert, weil – so die offizielle Version – die Kosten beim Bauen zu hoch angestiegen wären. Auch der BF und der VFF hatten hierzu unterschiedliche Positionen, die sie aber im Laufe des vergangenen Jahres klären konnten. Der neue Textbaustein lautet nun wie folgt: „Werden auf Grund gesetzlicher Forderungen zur Verkehrssicherheit Schutzmaßnahmen für Verglasungen erforderlich, kann dies beispielsweise durch Beschränkung der Zugänglichkeit (Abschrankung) oder Verwendung von Gläsern mit sicherem Bruchverhalten erfüllt werden. Anmerkung: Es wird auf §37 Abs. 2 Musterbauordnung (MBO) bzw. die entsprechende Formulierung der jeweils geltenden Landesbauordnung hingewiesen.“

In der Praxis werden solche baulichen Situationen und Nutzungen nun nach Risikoeinschätzungen bewertet. Entsprechend wird entschieden, welches Glas verwendet wird und wie und ob es gekennzeichnet werden muss. Am Ende muss der Auftraggeber die Entscheidung schriftlich bestätigen. Als Hilfestellung dient allen am Bau Beteiligten das sogenannte „Verbändepapier zur Verkehrssicherheit bei bodentiefen Verglasungen ohne Absturzsicherung“. Die neuen Normteile gelten voraussichtlich ab Januar 2020. Das Verbändepapier ist online zum Download verfügbar, z.B. unter bundesverband-flachglas.de. Die Positionierung der Verbände zu Angebotsabgabe und Hinweispflicht soll in Kürze folgen.

Tageslichtnorm DIN EN 17037

Welchen hohen Stellenwert Tageslicht für das menschliche Wohlbefinden hat, erläuterte bereits im Vorjahr Prof. Peter Andres in seinem applausgekrönten Vortrag. Jetzt gibt es mit der DIN EN 17037 auch eine europäische Norm, von der in diesem Jahr Dr. Jan de Boer vom Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) im (leider erneut) tageslichtfreien (!) Saal Bayern berichtete. Korrekt heißt die Norm „Daylight of Buildings“ und gibt erstmalig europaweit anwendbare Empfehlungen für die Tageslichtversorgung und -qualität sowie für die Aussicht, die Besonnungsdauer und für die Blendung. Anwendbar ist sie in der Regel auf alle Räume, die für längere Zeiträume und regelmäßig genutzt werden. Da die neue Norm nicht alle Inhalte der bisher gültigen nationalen Normenreihe DIN 5034 abdeckt, verliert diese nach wie vor nicht an Gültigkeit. Gleichzeitig wurden einzelne Teile der deutschen Version überprüft und aktualisiert. Bei der Tageslichtversorgung beispielsweise gilt der Grundsatz: „Ein Raum gilt als ausreichend mit Tageslicht versorgt, wenn eine Zielbeleuchtungsstärke über einen vorgegebenen Anteil der Bezugsebene für mindestens die Hälfte der Tageslichtstunden erreicht wird.“ Mit welcher Methodik das nachgewiesen werden kann, welche Empfehlungen daraus resultieren und wie die Ergebnisse diskutiert und eingeordnet werden können, zeigte de Boer anhand einiger Beispiele auf. Ebenso ging er auf die Aspekte „Aussicht“, „Besonnungsdauer“ und „Blendung“ ein. Fazit: Tageslicht hat durch die neue Norm eine Aufwertung erfahren. Nicht nur, dass die Tageslichtversorgung über die Zeit bewertet und zum Teil der Blendschutz mit einbezogen wird, sondern auch, dass zur Bewertung der Raumbezug stärker herangezogen wird, ist ein Fortschritt, um das Wohlbefinden zu steigern. So profitieren nach der europäischen Norm beispielsweise fensternahe Arbeitsplätze gegenüber denen, die tiefer im Raum positioniert sind. Gleichzeitig müssen neue Erfahrungen gesammelt werden. Das betrifft u.a. die Wechselwirkung mit anderen Anforderungen an Fassaden in der Lichttechnik, aber auch in anderer Hinsicht wie dem sommerlichen Wärmeschutz. Der Untertitel des Vortrags warf übrigens die Frage auf, ob Fenster mit der neuen Norm nun größer werden müssen. De Boers Antwort, die er als persönliche Interpretation der Norm verstanden wissen möchte, lautete: „Zumindest nicht kleiner.“

Der Staat als Bauherr

Bringen Sie den Saal zum Kochen!, forderte Ulrich Sieberath den letzten Referenten des Vortragstages, den Publizisten Jürgen Lauber, auf. Lauber hat für sein Buch „BauUnwesen“ das staatliche Bauwesen analysiert und zeigt darin seine Sicht der Dinge auf, warum es zu Störungen im Bauablauf, zu Verzögerungen von Bauzeiten komme und wie der Preiskampf bei den Ausschreibungen dazu beitrage. Was Lauber da in einer Stunde dem Plenum um die Ohren fegte, hatte sicherlich Potenzial für große Emotionen, aber die Teilnehmenden quittierten Laubers Vortrag, der sich darum drehte, wie es um den Staat als Bauherren bestellt ist und wie Großprojekte wie die Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen in solch einen Misskredit geraten konnten, eher mit höflichem Applaus. Laubers Fazit: Eigentlich gehe das Bauen in Deutschland dank qualitativ hochwertiger Bautechnik und Bauleuten oder Verwaltungsangestellten, die top ausgebildet sind und einen guten Job erledigen, sehr, sehr gut. Vielmehr seien nach seiner Einschätzung alte Strukturen wie zum Beispiel ein altes Finanzwesen ohne Anlagenbuchhaltung, ohne Schlussrechnungen, ohne Abschreibungen ebenso problematisch wie die Praxis, lieber den günstigsten Anbieter als den wirtschaftlichsten zu beauftragen.

Karin Lieb hat bei den Fenstertagen zum Thema „Umgang mit Sicherheitsglas in der Fassade. Was machen die Nachbarländer?“ referiert. Den Beitrag lesen Sie ab Seite 15.

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