Metallbildhauer Thomas Leu
Heliport und Barock-EpitapheEine moderne Helikopter-Skulptur und die Rekonstruktion wertvoller Barock-Epitaphe sind zwei gänzlich unterschiedliche Kunstprojekte, die Metallbildhauer Thomas Leu verwirklichte. Beide sind höchst anspruchsvoll und verdeutlichen die enorme Kreativität und Vielseitigkeit des Künstlers aus Halle. Das Besondere: Er entwirft nicht nur, sondern setzt seine Ideen auch vollständig und in hoher Qualität selbst um.
Take-off nennt Thomas Leu seine Skulptur, die er für den Hubschrauberlandeplatz der Bundespolizei-Fliegerstaffel in Oberschleißheim bei München schuf. Der diplomierte Metallbildhauer aus Halle an der Saale gewann mit seinem Entwurf den 1. Preis eines bundesweit ausgeschriebenen Kunstwettbewerbs. „Die Idee ergab sich zwangsläufig bei der Beobachtung eines Hubschrauberstarts, in der Pilotensprache ‚Take-off‘ genannt“, berichtet er und ergänzt: „Es bedarf doch eines ziemlichen Energieaufwandes, bevor dieser einen stabilen und dynamischen Auftrieb erzeugen kann. Genau das, wie auch die entstehenden Luftverwirbelungen, soll die Skulptur zum Ausdruck bringen.“ Für die Ausarbeitung entschied sich Thomas Leu für Vierkantrohr aus Edelstahl, das gebogen und in unterschiedliche Längen geschnitten, um einen Mittelpunkt kreisförmig aufeinandergeschichtet wird.
Je höher das Gebilde wächst, umso mehr lösen sich die Edelstahlrohre von der konzentrischen Mitte, wirbeln verschieden gerichtet nach oben und außen, weiten den Zylinder auf. Diese Idee präsentierte er zunächst als Entwurf: Ein aus Stahl gebautes 1:20-Modell, eine Detail- und Materialstudie aus gebogenem und geschweißtem Edelstahlvierkantrohr sowie die animierte Darstellung auf großen Präsentationspostern, wie sich das Objekt später in die bestehende Umgebung einfügen wird, überzeugten die Jury.
Mit der Rohrbiegemaschine auf Reisen
Die Umsetzung der Idee bedeutete erheblichen Aufwand. Immerhin misst die Skulptur fünf Meter in der Höhe und zweieinhalb Meter im Durchmesser. Um sie bauen zu können, mietete sich Thomas Leu im ehemaligen Transformatorenwerk, jetzt ABB, in Halle-Büschdorf ein. Hier gibt es eine große Werkhalle mit Krananlage. Die quadratischen Edelstahlprofile mussten vorab geschnitten und gewalzt werden. Zunächst war angedacht, diese vom Metallbaubetrieb Edelstahlverarbeitung Schmitt in Taubenheim/ Sachsen vorfertigen zu lassen. „Aber das hätte ein größeres Transportproblem zur Folge gehabt. Es war ein riesiger Berg an gewalzten Bögen, die auf einem LKW nicht richtig gesichert transportiert werden konnten“, sagt Thomas Leu. Er kam schließlich mit dem Betrieb überein, die Rohrbiegemaschine auf den LKW zu laden und die Arbeit direkt in der ABB-Halle zu erledigen. „Das war wesentlich einfacher und hat sehr gut funktioniert.“
Die Vierkantröhren wurden zunächst verbödet und verschliffen, dann untereinander verschweißt. Mühsam, Stück für Stück, meist von innen, damit die Schweißnähte unsichtbar blieben. Thomas Leu verschliff und bürstete die Nähte sofort, weil viele Stellen später verdeckt oder unzugänglich waren. So wuchs die Skulptur mit Hilfe des Hallenkrans und auch durch die tatkräftige Hilfe seines Künstler-Kollegen, des Metallbildhauers Friedemann Knappe.
Statiktests teils vor Ort
Beim Anblick der ungeordnet aneinander geschweißten Profile taucht die Frage nach der Statik auf. Braucht man hierfür eine, wenn ja, wie wird sie berechnet? „Natürlich brauche ich für jede Skulptur eine Bau- und Aufstellgenehmigung und die schließt die statischen Berechnungen ein. Für das Fundament ist das relativ einfach. Schwierig wird es bei solchen Kreationen wie dem Take-off“, erläutert Thomas Leu. Hier kann man nicht alles vorher genau berechnen. Die Baugenehmigung hängt auch vom Standort ab, ob es ein öffentlicher oder nicht öffentlicher Raum ist. Und praktisch immer gibt es sowieso die Abnahme am fertigen Objekt. Es gibt Statiker, die sich mit außergewöhnlichen Konstruktionen oder auch den Schwierigkeiten im Denkmalschutz auskennen. Manchmal ist es dann auch ein Test am bestehenden Objekt. „Der Statiker, mit dem ich oft zusammenarbeite, kommt auch mal in die Werkhalle und prüft, ob etwas zu stark schwingt, und gibt Hinweise, wo etwas geändert werden muss. Als Künstler habe ich das ästhetische Ziel, möglichst ohne Stützen auszukommen“, sagt Thomas Leu. Im Falle von Take-off waren die Hubschrauber eine wirkliche statische Herausforderung. So mussten der durch die Rotorblätter entstehende starke Auftriebs-Luftstrom und die Sog-Wirbel statisch berücksichtigt werden.
Schlichte Formen ergänzen Barock
Das Epitaph-Projekt der Universität Leipzig war für Thomas Leu in jeder Hinsicht Neuland. Die im Jahr 1240 geweihte Leipziger Universitätskirche St. Pauli wurde 1968 auf Anordnung des damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht gesprengt, um Platz für einen Neubau zu schaffen. Auch wenn es Denkmalpflegern gelang, kurz vor der Sprengung wertvolle Ausstattungsstücke zu retten, so gingen doch etliche, meist mit dem Bau fest verbundene Teile verloren. In der Zeit danach vergrößerte unsachgemäße Lagerung die Verluste.
Unter Leitung des Kustos der Universität, Prof. Dr. Rudolf Hiller von Gaertringen, startete das Projekt zur Restaurierung und Wiederaufstellung der Epitaphe im neuen Paulinum. Thomas Leu entwickelte ein Konzept, die erhaltenen Teile mit modernen eloxierten Aluminiumformen zu ergänzen, ohne sie auf handwerkliche Weise detailgetreu zu vervollständigen. „Es ging darum, eine gestalterische Einheit zu schaffen und dennoch zu zeigen, was Original ist und was Ergänzung“, sagt Leu. Es sollte sein bisher umfangsreichstes Projekt auf dem Gebiet der Denkmalpflege werden.
Glücklicherweise gab es historische, fast verzerrungsfreie Schwarz-Weiß-Aufnahmen. „Ich habe das CAD-Aufmaß über die Fotos gelegt und mich so an die originalen Proportionen herangetastet, um sie zu rekonstruieren“, beschreibt Thomas Leu den Arbeitsprozess. Nur dadurch war es ihm möglich, das komplizierte Projekt exakt auszuführen. „Die Fehlstellen habe ich als Flächen ergänzt, auf die später mit einem gerasterten Siebdruck das verlorene Original als Illusion aufgedruckt wurde.“ So wurden beispielsweise geschnitzte Engelsflügel oder Faltenwürfe nicht von einem Holzbildhauer nachgeschnitzt, sondern durch Aluminiumbleche mit Siebdruck ergänzt. Manche Teile wirken plastisch, andere wurden für den Druck stark vereinfacht, um bewusst zwischen moderner Ergänzung und historischem Original zu unterscheiden.
Laserzuschnitte für zehn Epitaphe
Aluminium bot sich als Material an, weil die mögliche Eloxal-Färbung eine hervorragende Möglichkeit zur farblichen Anpassung an die Originale ergab, auch mit Gold und Silber. So konnte sich Thomas Leu den Epitaphen einerseits modern, andererseits auch historisch nähern.
Die Epitaphe sind vier bis fünf Meter hoch, die Figuren mit ca. 150 Zentimetern fast lebensgroß. Sie sind nun im Andachtsraum des 2017 neu eröffneten Paulinums der Universität präsentiert. „Schwierig war die Montage von inneren Konsolen, die die Epitaphe unsichtbar an den Wänden halten sollten“, erinnert sich Leu. Gemeinsam mit dem versierten Statiker Thomas Bolze aus Potsdam gelang es, dafür aufwändige Edelstahlkon-struktionen zu entwerfen. Besonders stabil mussten die Konsolen für schwere Figuren sein, wie zum Beispiel beim Epitaph für Michael Heinrich Horn (1623 – 1681), dem ersten Professor der Chemie und Rektor an der Universität Leipzig. Die Architektur dieses Epitaphs musste fast vollständig nachgebildet werden, lediglich die Figuren waren erhalten geblieben. Aluminium erwies sich als die beste Lösung für diese Restaurierungsaufgabe, auch weil es leicht ist und in den Hohlräumen der Konstruktion statisch relevante Elemente untergebracht werden konnten.
Thomas Leu schuf Ergänzungen für zehn dieser Epitaphe. Pro Jahr realisierte er ein bis zwei, weil er noch an anderen Projekten arbeitete. Sämtliche Aluminiumteile wurden lasergeschnitten und „mussten dazu für die großen Blechtafeln wie auf einem Bastelbogen ineinander verschachtelt werden.“ Er musste für die Dienstleister hier genauso exakte Angaben wie ein gelernter Konstrukteur erstellen. Anschließend wurde montiert, gebohrt, geschweißt und geschliffen. Die dafür nötige Ausstattung seiner Werkstatt gleicht der einer mittleren Schlosserei.