Wohnhaus in Münster
Stadtreparatur in Ziegel und StahlDas Münsteraner Mauritzviertel prägt ein Mix aus Villen und kurzzeiliger Blockrandbebauung aus der Gründerzeit. Zu Letzterem zählt auch ein Ensemble in der Dechaneistraße, in dessen Mitte 2020 ein Neubau errichtet wurde. Mit diesem Stadthaus gelang Mensen + Zora Architekten ein Werk behutsamer, zeitgemäßer Stadtreparatur: Die Fassade trägt eine Verkleidung aus geschlämmtem Abbruchziegel, in die schmale Stahlfenster eingebettet sind. Die reduzierte Materialität des Äußeren setzt sich im Inneren in Form freigelegten Mauerwerks und einer stählernen Wendeltreppe fort. Verantwortlich für die Metallbauarbeiten zeichnet der Betrieb Metallgestaltung Stratmann.
Dies ist die Geschichte eines Wohnhauses im Mauritzviertel in Münster. Eines, das mutmaßlich 1903 erbaut, im Zweiten Weltkrieg von einer Bombe getroffen und danach notdürftig wieder errichtet wird. Die Erzählung könnte an dieser Stelle enden, und doch beginnt sie erst: Denn rund 80 Jahre später wird das Gebäude in der Dechaneistraße 27 von einem Investor gekauft, nach eingehender Bestandsaufnahme abgerissen und neu gebaut – zu groß waren die baulichen Mängel, zu wenig entsprach die Substanz dem, was man unter zeitgemäßem Wohnstandard versteht. Mit dem Bauvorhaben wurde das Münsteraner Büro Mensen + Zora Architekten beauftragt.
Das Mauritzviertel entstand als eine der ersten Stadterweiterungen während der vorletzten Jahrhundertwende. Es ist eine beliebte, zentrumsnahe Wohngegend, nicht zuletzt wegen des vielen Grüns und der niedrigen Bebauungsdichte. Vorherrschend sind kurzzeilige Blockrandbauten sowie gründerzeitliche Ein- und Mehrfamilienhäuser. Beide Typologien zeichnen sich durch tiefe Traufen aus. Ihre repräsentativen Fassaden sind bestückt mit Erkern, Giebeln, Balkonen und Altanen und spiegeln den Wohlstand ihrer einstigen Erbauer wider. „Wir haben bei unserem Entwurf versucht, das gründerzeitliche Straßenbild in eine moderne Form zu übertragen. Das Haus trägt deshalb einen vorspringenden Giebel und kleine Erker, die Alkoven-Fenster. Damit haben wir eine Stadtreparatur und eine angemessene Einpassung des Gebäudes in die Umgebung erreicht“, so der projektleitende Architekt Bernhard Mensen.
Grundriss und Gründung
Das Ende 2020 fertiggestellte Gebäude ist das mittlere einer unter Ensembleschutz stehenden Dreiergruppe. Recht tiefe Vorgärten grenzen die dreigeschossigen Bauten zur Straße ab. Wegen der schmalen Grundstücksbreite von 7,8 Metern und einer Bautiefe von 17,6 Metern legte Mensen die Erschließung in die Gebäudemitte. Vier Wohnungen beherbergt der Neubau insgesamt. Um den Erschließungskern mit Treppe und Aufzug gruppieren sich Sanitär- und Nebenräume. Die Schlafräume orientieren sich zur Straße, die Wohnräume zum grünen Innenhof.
Da der Untergrund in dem Wohnviertel nur bedingt tragfähig ist, stellte man den in Stahlbeton konstruierten Neubau auf Pfähle. Diese Stahlbetongründung wird zudem zur Energiegewinnung mittels Erdwärme eingesetzt. Auf Solarkollektoren verzichtete man indes, hätten sie doch laut Aussage des Architekten „einen wesentlichen Teil der gestalterischen Qualität zerstört“. In Summe erreicht der Neubau den energetischen Standard KfW 50.
Aus Alt wird Neu
Um während des Abrisses den Einsturz der Nachbarbauten zu verhindern, wurden deren Giebelwände gegeneinander abgestützt. Den Abbruchziegel legte man derweil beiseite; aus ihm wurde später das Verblendmauerwerk der neuen Straßenansicht. Statt jedoch das Mauerwerk mit einer geschlossenen Schicht, einem Putz, zu über- und ihm damit seine optische Wirkung zu entziehen, entschied sich Mensen, den Stein sichtbar zu lassen und lediglich mit Muschelkalk zu überschlemmen. Bewusst unregelmäßig vermauert, verweist die Fassade so auf die Historie des Orts.
Die gestalterische Sensibilität, die damit zum Ausdruck kommt, zeigt sich auch im Inneren des Gebäudes: So blieb etwa an vielen Stellen die Mauer zum Nebengebäude unverputzt. Zugleich geht das Bestehende mit den neuen Materialien – weiß verputzte Wände, Stahl und Stein – eine komplementäre Verbindung ein. Hauptaugenmerk legten die Planer hierbei auf das Treppenhaus.
Eine stählerne Helix
„Der planerische Ansatz war es, eine sehr eng gewundene, platzsparende Treppe zu bauen“, sagt Mensen. Er stellte sich das Bild einer Helix vor. Um diese einfache, auf das Wesentliche reduzierte Form aber klar darstellen zu können, sollte das Treppengeländer geschlossen sein. Gebogenes, dazu noch unbehandeltes Stahlblech erwies sich für diese Idee und Aufgabe als ideal. Realisiert wurde das Geländer daher aus gewachstem 8 mm dickem Walzstahl. Für Ausführung und Montage beauftragte der Bauherr auf Empfehlung des Architekten die Essener Firma Metallgestaltung Stratmann. Das Aufmaß vergab man an ein externes Vermessungsbüro. Aus dessen Daten entwickelten der Architekt und der Metallbauer ihre Planungsgrundlage, eine komplexe CAD-Figur.
Zusammengesetzt ist das Geländer je Etage aus jeweils drei 80 bis 140 Kilogramm schweren Platten, also einem geraden, einem runden und wieder einem geraden Teil. Alle Geländerelemente lieferte das vierköpfige Team von Michael Stratmann nach der Rohbaufertigstellung einzeln an. Aufgrund der lokalen Bedingungen – das Treppenhaus befindet sich in der Gebäudemitte – erfolgte der Einbau des Geländers mithilfe einer am Dach fixierten, elektrischen Seilwinde. Zuerst brachten die Handwerker das oberste Bauteil ein, daraufhin die unteren Elemente. Danach fixierten sie die jeweiligen Segmente an dem betonierten Treppenlauf. Dafür dübelten die Monteure an den Setzstufen dünne, im Endausbau nicht sichtbare Stahlplatten als Träger für die Geländer an. In einem nächsten Montageschritt verschweißten sie die einzelnen Segmente und deren Handläufe miteinander. Zum Schluss wurde der Stahl gereinigt und gewachst. Das zum Treppenauge kragende, 8 mm dicke Stahlblech des Handlaufs übernimmt für die Treppenkonstruktion eine stabilisierende Funktion.
Roher Stahl
Vier Tage dauerten die Arbeiten auf der Baustelle mit und an der Treppe insgesamt. Das Bedeutsame dieses Auftrags ist für den projektverantwortlichen Metallbauer Michael Stratmann von genereller Natur, nämlich „die Kunst, mit dem Material Stahl roh so umzugehen, dass die Oberflächen nicht verletzt werden und sich Stahl roh als solcher nachher darstellt“. Ähnlich sieht es auch der Architekt: Für ihn lag die große Herausforderung zum einen in der logistischen Komplexität und zum anderen in der handwerklich-künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Material und dem Objekt.
„Das Treppengeländer aus rohem Stahl verkörpert, wie die Fassade, eine gewisse Menschlichkeit.“ So drückt der Metallgestalter seine Sicht auf die Dinge aus. „Ich finde es schön, wenn der Werkstoff anfassbar und spürbar ist.“ Doch natürlich gebe es bestimmte metallbautechnische Herausforderungen und Hürden. Damit nach der Bearbeitung also noch „Stahl roh“ zu sehen ist, dürfen, so führt Stratmann aus, die Bearbeitungsspuren vom Schneiden oder Schweißen die Homogenität des Materials nicht konterkarieren. Im Fall des Stadthauses Münster war zum Beispiel die Rundung im Treppenauge sehr eng gefasst, und so musste man auf ein Stahlrohr als Bauteil zurückgreifen. Das Problem bestand allerdings darin, dass dessen Oberflächenbeschaffenheit eine andere als die von geraden Blechen ist. In solchen Fällen setzt Stratmann ein Spezialverfahren ein. Durch dieses stellt er eine homogene Ansicht aller Elemente her.
Präzise Fertigung
Zur Geschäftsführung des Essener Metallbaubetriebs gehört seit 2018 auch Johannes Stratmann, Michael Stratmanns Sohn. Er übernahm die Projektleitung der Ausführung und Montage der Fenster, und zwar jener, die an der Straßenfassade liegen und aus Jansen Stahlprofilsystemen (Janisol Arte 2.0) gefertigt sind. Die Profile haben eine Ansichtsbreite von 6 cm inklusive Öffnungsflügel; mit möglichst schmalen Ansichtsbreiten die Vertikalität der Fassade zu unterstreichen lautete das erklärte planerische Ziel. Bedeutung hatten die eleganten Stahlfenster aber auch für den Bauablauf. So richteten etwa die Maurer ihre Arbeit daran aus. Dies wiederum setzte eine hohe Maßgenauigkeit der Fensterprofile selbst und deren Installation voraus. Worauf dabei zu achten sei? Johannes Stratmann erklärt: „In der Verarbeitung der schmalen Profile gibt es gewisse Besonderheiten. Man muss sehr genau arbeiten, und das fängt beim Sägen an. Wir stellen die Maschine zum Teil auf einen Zehntel Millimeter genau ein.“
Einen wichtigen Aspekt in der Bearbeitung von Stahlprofilen stellt auch die Beschichtung, sprich der Korrosionsschutz dar. „Das wird oft vernachlässigt. Denn in den Gehrungsschnitten wird gesägt, geschliffen, geschweißt. Beim Stahl roh danach wieder einen Beschichtungsaufbau herzustellen, ist gar nicht einfach und bedarf viel Erfahrung“, sagt Stratmann. Grundsätzlich, bestätigt der Junior-Chef, sind alle Herstellerrichtlinien und Arbeitsschritte sehr gut dokumentiert. Doch kommt man als Verarbeiter nicht umhin, sich intensiv mit den Fertigungsprozessen auseinanderzusetzen und diese mit jedem neuen Projekt zu optimieren. Stratmann weiß, wovon er dabei spricht: Neben dem hier beschriebenen Wohnhaus setzte er das Janisol-Profil zum Beispiel auch in dem gemeinsam mit Mensen realisierten „Landeshaus Münster“ (mb 4-2019) ein.
Arbeiten im Team
Lobend erwähnt der Fachmann aus Essen den Support des Profilherstellers, die detaillierte Ausschreibung und die gute planerische Vorarbeit. Die Zusammenarbeit des Betriebs Metallgestaltung Stratmann und Mensen + Zora Architekten reicht weit in die vergangenen Jahrzehnte zurück. Von kleineren Projekten wie die Rekonstruktion historischer Metallgitter über größere Denkmalschutzprojekte bis hin zu Neubauten – ganz unterschiedliche Kontexte führen und führten die beiden Projektpartner immer wieder zusammen. Insbesondere dann, wenn es – der Architekt drückt es so aus –, „schwierig und komplex wird“.
Genau wie die Metallgestalter Michael und Johannes Stratmann und ihr Team bewiesen die Münsteraner Dachdecker von Kleinwechter & Bröker handwerkliches Geschick. Den Schildgiebel und sämtliche Dachdetails wie Kantungen und Abdeckung deckten bzw. fertigten sie in Kupfer. Für das Giebeldach verwendeten sie ganz klassisch Ziegel. Dieser wurde in einem speziellen Reduktionsbrand hergestellt. So entsteht in der Gesamtansicht des Hauses ein sehr lebendiges Farbenspiel.