Normen

Brückenprüfungen im Fokus

Ingenieurkammer-Bau NRW zum Brückeneinsturz Mexiko-Stadt

Die Ingenieurkammer-Bau NRW trauert um die Opfer des Brückeneinsturzes in Mexiko-Stadt. In der jüngsten Pressemitteilung heißt es: Das Unglück am 4. Mai 2021, dessen Ursachen gründlich untersucht werden müssen, führt uns auf tragische Art Weise vor Augen, um welch sicherheitsrelevante Bauwerke es sich bei Brücken handelt.



Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW: "Brücken sind systemrelevante und sensible Bauwerke, lässt man sie zu Schaden kommen, nimmt auch das öffentliche Leben Schaden und die Menschen verlieren das Vertrauen in ihre öffentliche Infrastruktur."

Brücken baut man heute meist aus Stahl, Beton oder einer Kombination aus beiden Baustoffen. Mit der Zeit können Risse im Beton und Stahl auftreten und der Stahl kann ermüden. Dr.-Ing. Bökamp: "Rissbildung allein ist dabei kein Versagenskriterium. Erst die Größe der Rissbreite in Verbindung mit der Größe der Ermüdungsbeanspruchung durch Verkehr liefert zuverlässige Aussagen über die Gefährdung des Bauwerks. Entscheidend ist daher die regelmäßige Beobachtung durch eine Brückenprüfung. Fortlaufende Unterhaltung – und dazu gehört zweifelsfrei die Brückenprüfung – ist eine gute Investition für jedes Bauwerk."

Die Vorschriften der Brückenprüfung sind in Deutschland im einheitlichen Regelwerk der DIN-Norm 1076 zusammengefasst: Alle 6 Jahre schreibt die Regel eine umfassende Hauptprüfung der Brücke vor. Ingenieure untersuchen dann auch schwer zugängliche Bauwerksteile, und zwar immer handnah: Bei großen und hohen Brücken geht deshalb nichts ohne den Einsatz von Gerüsten, Hubarbeitsbühnen und sogenannten Brückenuntersichtgeräten. Drei Jahre nach der jeweiligen Hauptprüfung folgt eine einfache Prüfung als "erweiterte Sichtprüfung". Auch in den übrigen Jahren nehmen die Experten die Brücke in Augenschein. Jeden Mangel halten sie mit einem bundesweit einheitlichen Verfahren fest.


Die DIN 1076 spricht auch eine klare Empfehlung aus, wer die Brücken prüfen sollte: ein Ingenieur, "… der die statischen und konstruktiven Verhältnisse der Bauwerke beurteilen kann". Ein solcher sollte ein Hochschul- bzw. Fachhochschulstudium im Bauingenieurwesen abgeschlossen haben, gerne mit der Fachrichtung Konstruktiver Ingenieurbau oder einer ähnlichen Ausrichtung. Eine etwa 5-10-jährige Berufserfahrung im Brücken- bzw. konstruktiven Ingenieurbau ist erwünscht, insbesondere in den Bereichen der Entwurfsbearbeitung, Bauausführung, Standsicherheitsberechnung oder Bauwerksinstandsetzung.

Für Bund und Länder ist die Bauwerksprüfung nach DIN 1076 verpflichtend, für die Kommunen nur eine Empfehlung. 140.000 Brücken stehen in Deutschland in der Verantwortung der Kommunen. Dr.-Ing.  Bökamp: "Die Entscheidung, ob und wann eine Brücke geprüft und anschießend saniert wird, hängt in den Städten und Gemeinden nicht allein von der technischen Beurteilung ab, sondern von der Bereitschaft des Kämmerers, Geld für die Prüfung bereitzustellen. Im Interesse der allgemeinen Sicherheit wäre es Ausweis gelebten Verbraucherschutzes, hier auch die Kommunen in die Pflicht zu nehmen."
Die Gemengelage aus empfohlener, aber nicht vorgeschriebener Brückenprüfung und chronisch klammen Haushalten, führt im Ergebnis dazu, dass viele Brücken in den Städten und Gemeinden sich heute in einem kritischen Zustand befinden. Eine Untersuchung des Bundesrechnungshofes Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2013 zeichnet ein beunruhigendes Bild: Nur gut ein Viertel der Kommunen prüfte ihre Brücken überhaupt nach den Vorschriften der DIN 1076. Ein Brückenkataster oder -verzeichnis pflegten nur 18 Prozent der Kommunen und die jährlichen Besichtigungen der Brücken vernachlässigten rund 70 Prozent der Städte und Gemeinden. Dr.-Ing. Bökamp: "Es gibt leider keine zwingenden Gründe anzunehmen, dass die Untersuchung der Lage in den anderen Bundesländern ein gänzlich anderes Bild ergeben würde."

Bereits vor zwei Jahren bemängelte der Deutsche Städte- und Gemeindebund, dass die finstere Finanzlage vieler Kommunen zu einem Mangel an qualifiziertem Fachpersonal und Know-how in den Planungs- und Bauämtern geführt habe. Dieser Umstand leitet zum nächsten Problem über, das nicht nur die Kommunen betrifft, sondern ähnlich für alle öffentlichen Gebietskörperschaften gilt: Sucht die öffentliche Hand in einem Vergabeverfahren ein Ingenieurbüro für die Brückenprüfung nach DIN 1076, erhält oft das billigste und nicht das wirtschaftlichste und beste Angebot den Zuschlag. Fehlt in den Vergabeämtern wegen des Personalmangels die Sachkunde, um die Qualität eines Angebots zu beurteilen, hält man sich als vermeintlich einzig quantifizierbare Einheit an den Preis. Darunter leidet die Qualität von Prüfung, Sanierung und Brückenneubau.

Dazu meint Dr.-Ing. Bökamp: "Beim Neubau einer Brücke sollte am Ende das bestmögliche Bauwerk entstehen, das über seine gesamte Lebensdauer hinweg betrachtet das wirtschaftlichste ist. Solche Lösungen entstehen oft als Ergebnis von Planungswettbewerben. Sie sind ein gutes Mittel, um im Wettbewerb der Ideen die Qualität eines Entwurfs zum entscheidenden Kriterium zu machen und nicht nur den Preis einer Leistung."


Thematisch passende Artikel:

Ingenieurkammer-Bau NRW

Dr.-Ing. Heinrich Bökamp

"Das Vergabekriterium niedrigster Preis birgt Risiken"

Nach dem Brückeneinsturz von Genua am 14. August 2018 hat sich auch die Ingenieurkammer-BAU NRW die Frage nach der Sicherheit seiner Brücken gestellt. Allein im Aufgabenbereich von Straßen.NRW gibt...

mehr
Ausgabe 09/2018

Das Bundesministerium für Verkehr

11% Brücken sind in „nicht ausreichendem“ Zustand, 2% in „ungegnügendem“

Zum Kriterium „nicht ausreichend“ konstatiert Bundesminister Andreas Scheuer (CSU): „Wir haben wieder eine sehr typisch deutsche Diskussion. Was in Deutschland als marode oder nicht ausreichend...

mehr
Ausgabe 3-4/2019 Interview

Heinrich Bökamp, Ik-Bau-NRW

„Der Bedarf an Sachverständigen ist groß!“

metallbau: Welche Kontaktschnittstelle haben Sie zu den Stahl- und Metallbauunternehmen? Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: Ich prüfe beispielsweise die Planung und die statischen Berechnungen...

mehr

Neue Aufgabe für Heinrich Bökamp

Präsident der Bundesingenieurkammer

Die Delegierten der Bundeskammerversammlung haben den Präsidenten der Ingenieurkammer-Bau NRW, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, heute mit überwältigender Mehrheit zum neuen Präsidenten der...

mehr

Ingenieurkammer-Bau NRW zur neuen EnEV

Die Ingenieurkammer-Bau NRW sieht mit der beschlossenen Novellierung der Energieeinsparverordnung (EnEV) eine wichtige Etappe auf dem Weg zum nachhaltigen Bauen erreicht. "Die neuen Regeln der EnEV...

mehr