Ein Statement zur Zeitenwende
Von Thomas Wurst (Teil IV)Das Unternehmen Wurst Stahlbau in Bersenbrück mit rund 250 Beschäftigten wird von drei Brüdern geführt. Sie wollen nach der Corona-Pandemie, auch wegen Klimawandel und Ukraine-Krise nicht mehr so weiterwirtschaften wie bislang. Weil für den kaufmännischen Bereich Thomas Wurst zuständig ist, hat er ein Betriebsmanagement skizziert, das an einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft ausgerichtet ist (siehe metallbau 9/10/11). Option dafür ist die „Schwarze Null“ als Geschäftsbilanz; auf dem Weg dorthin gilt es, sich von vier Glaubenssätzen zu verabschieden: Gewinnmaximierung, Stückkostendegression, minimale Lagerhaltung und Einkauf zum billigsten Preis.
Bei der Entwicklung seines ökologisch-sozialen Geschäftsmodells verknüpft der Unternehmer nachhaltiges Wirtschaften mit der Digitalisierung. Bereits im Jahre 2017 wurde das familiengeführte Unternehmen „internetfähig“ gemacht. Das heißt: Modellbasiertes Arbeiten mittels digitaler Datenbanken. Building Information Modeling (BIM) – wie es in der Fachsprache heißt – ermöglicht ein effizientes, nachhaltigeres Bauen, wenn ein durchgängiger Datenaustausch gewährleistet ist. Fachleute schätzen, dass Planer und Ausführende, die BIM übergreifend verwenden, bis zu dreißig Prozent der Baukosten einsparen können – unter Berücksichtigung nachhaltiger Komponenten – wie das Einschmelzen demontierter Stahlkonstruktionen. Dazu braucht es eine Materialdatenbank von Altbeständen. Die Daten ermöglichen zudem eine Berechnung der Nutzungskosten über den gesamten Lebenszyklus von der Planung bis zum Rückbau und der Wiederverwendbarkeit.
Geht es nach dem Plan der EU, soll die Wirtschaft bis spätestens 2050 emissionsfrei produzieren. Die Stahlhersteller sind derzeit für rund 30 Prozent des industriell erzeugten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Kohle wird verkokt, um damit die Hochöfen anzufeuern und Eisenerz zu Stahl zu schmelzen. Statt Kohle soll in eingen Jahren mit Ökostrom erzeugter Wasserstoff die Hochöfen anheizen — klimaneutral. Der Energieaufwand für elektrisch betriebene Hochöfen ist allerdings beträchtlich. Andere Pläne sehen daher eine Einlagerung von CO2 unter Beibehaltung der klassischen Produktionsweise vor. Recycling ist bei Weitem die beste Alternative. Bei Wurst Stahlbau befindet sich das sogenannte Green Steel in Umsetzung. Das Center for Economics of Materials (CEM) hat im Auftrag der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV) dazu eine Studie erstellt hat. Demnach senkt der Einsatz von Stahlschrott in Europa die Kosten des Klimawandels um bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr. Um diese Einsparungen verdeutlichen zu können, wurde für die Studie der Indikator „Schrottbonus“ eingeführt. Er gibt die Klima- und Umweltkosten an, die durch den Einsatz einer Tonne Schrott in der Stahlherstellung vermieden werden. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass die Stahlindustrie mit dem Einsatz einer Tonne recyceltem Schrott aus rostfreiem Edelstahl in der Edelstahlproduktion 4,3 Tonnen CO2 einspart. Beim Kohlenstoffstahl und dem Einsatz einer Tonne Stahlschrott beträgt die Einsparung durchschnittlich 1,67 Tonnen CO2. Umweltschäden wie die Versauerung von Gewässern, Sommersmog oder Eutrophierung (schädliches Pflanzenwachstum/Algen) werden durch den Schrotteinsatz — oder die Wiederverwertung von Stahlkonstruktionen ohne Einschmelzen — gemindert.
Wurst Stahlbau will im gesamten Produktionsprozess — beginnend bei der Lieferkette — CO2 vermeiden. Dazu bringt Stahl als recycelbarer Rohstoff gute Vorrausetzungen mit. Derzeit liegt das Verhältnis von Schrottanteil zu Rohstahl bei über 40 Prozent, der Schrottanteil an der erzeugten Stahlmenge insgesamt beträgt über 35 Prozent. Um Klimaziele zu erreichen, müssen sich neue Produktionsverfahren für „grünen Stahl“ etablieren und der Recyclinganteil signifikant erhöht werden. Bis 2050 könnte nach Expertenmeinung die europäische Stahlindustrie rein rechnerisch den gesamten Stahlbedarf aus Schrott decken und den ersten vollständig geschlossenen Stoffkreislauf realisieren. Die Chancen dafür sind gut. In der Fertigungshalle von Wurst wird bereits jeder Span, der bei der Metallbearbeitung abfällt, gesammelt. Mit jährlich rund 700 Tonnen Stahl, die dem Recycling zugeführt werden, machen die Bersenbrücker einen Anfang.