Thomas Wurst zur Lage
Statement Teil I
Thomas Wurst führt mit seinen Brüdern Christian und Michael einen modernen Stahlbaubetrieb in Bersenbrück. Das Unternehmen setzt Künstliche Intelligenz ein und kümmert sich um Nachhaltigkeit. 2018 wurde ein erster Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Der Dipl. Kaufmann hat sich zur Zeitenwende Gedanken gemacht - wie kann es für die Branche weitergehen?
Ein Statement zur Zeitenwende
von Thomas Wurst (Teil I)
Wurst Stahlbau in Bersenbrück mit rund 250 Beschäftigten hat in den vergangenen Monaten den Lagervorrat vervierfacht. Materialausfälle wurden mit neuen Lieferketten aus der Türkei und Indien kompensiert. Genug Baumaterial ist also noch vorhanden – denn aus Angst vor der galoppierenden Inflation / oder Stagflation investieren viele Unternehmer noch in Gewerbegebäude — sprich Betongold.
Die Zerstörung des metallurgischen Kombinats Asow-Stahl in der Ukraine — mit einer Jahresproduktion von vier Millionen Tonnen Rohstahl und mit elf Quadratkilometern Betriebsfläche eines der größten Europas — wertet Unternehmer Thomas Wurst als Versuch, die bisherige globale Wirtschaftsordnung durch den Abbruch von Lieferketten zu destabilisieren und damit auch die Energiewende als Abkehr von fossiler Energie aus Russland zu torpedieren. Im März dieses Jahres hat sich warmgewalzter Stahl mehr als 40 Prozent verteuert.
Preistreiber seien nicht die Hersteller, die vielfach durch längerfristige Kontrakte gebunden seien, sondern der kurzfristige Ausfall der Stahlproduzenten aus Russland und der Ukraine, wie Dirk Schlamp, Stahlexperte bei der DZ Bank auf Anfrage der „Tagesschau“ erläuterte. Zuletzt seien etwa 40 bis 45 Prozent der Importe nach Europa aus den GUS-Staaten gekommen. „Diese Produzenten kommen so schnell nicht wieder an den Markt zurück“, so Schlamp. Zugleich hielten Schutzmaßnahmen der Europäischen Union sowie hohe Frachtraten, also Transportkosten, Importe aus Übersee in Grenzen.
Salzgitter warnt vor kaum quantifizierbaren „Prognose-Risiken“ angesichts der Folgen für die Konjunktur und den Energiepreisen. Thyssenkrupp verweist auf die „globalen Störungen an verschiedenen Stellen der Lieferketten“, die vor allem für die Stahl- und Autozuliefergeschäfte Folgen haben werden. Dank steigender Rohstoffpreise war Salzgitter im vergangenen Jahr 2021 zwar wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt. Der Ukraine-Krieg und hohe Energiekosten lassen aber die Prognose für 2022 wackeln.
Bereits 2021 hatte Salzgitter erklärt, die hohen Energiekosten belasteten die Bilanz. Und dies, obwohl Salzgitter seine bei der Produktion entstehenden Gase selber verstromt. Vor dem Hintergrund einer täglich unsicheren Versorgung Deutschlands mit Gas aus Russland hat der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, klar gemacht, dass es zuerst die Industrie ist, die von einem Ausfall der Gaslieferungen betroffen sein werde. Die Erzeugerindustrie aber ist auf Gas angewiesen.
Wurst Stahlbau braucht für die Produktion kein Gas und erzeugt 35 Prozent des Energiebedarfs mittels eigener Photovoltaik-Anlage. Sobald die Firmenparkplätze überdacht sind, wird das Familienunternehmen 60 Prozent des Bedarfs selbst erzeugen. Ist für unser Unternehmen in Bersenbrück nochmal alles gut gegangen, fragt sich Thomas Wurst. Der akute Klimawandel kommt ihm quer: Seit März 2022 sind fast alle Arten von Photovoltaik-Modulen teurer geworden. Dennoch befeuert der Krieg die Anstrengungen in deutschen Unternehmen, künftig nachhaltiger und damit unabhängiger von fossilen Energien zu sein – zu aberwitzig teuren Konditionen.
Die Zeitenwende priorisiert Sicherheit
Putins Krieg gefährdet die nächsten Schritte der geplanten Energiewende in Europa. Ist Klimapolitik in einer solch kritischen Weltlage überhaupt möglich, fragt Thomas Wurst. Die Zerstörung des Asowschen Stahlwerks — eine Dreckschleuder ohne gleichen — ist ein deutliches Signal: Ein weiter so, wird es, kann es nicht mehr geben... Der Krieg in der Ukraine hat die politische Agenda im Westen fundamental verändert. Im Fokus der Zeitenwende stehen nicht mehr die großen Nachhaltigkeitsthemen wie Energie, Mobilität und Landwirtschaft, sondern Sicherheit und Verteidigung. Im Kampf gegen den Klimawandel sind nun mehr denn je die Unternehmen gefragt. Sie können die klimaneutrale Zukunft sichern – und werden das allein aus eigenem Interesse tun. Denn wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit ...