Fassade 24
Kreislauf – eine Säule der ZeitenwendeDie Tagung Fassade 24 an der Technischen Hochschule Augsburg lud zu Vorträgen ein, die sich dem Thema „Fassade im Stoffkreislauf“ widmeten. Die Redaktion metallbau berichtet über Recycling und Re-Use aus Sicht diverser Disziplinen, die am Bau von Gebäudehüllen beteiligt sind.
Mittig in der Tagung platziert und ein schwungvoller Höhepunkt des Tages war der Vortrag des CEO von Concular, Dominik Campanella. Er hielt ein dynamisches Plädoyer für das zirkuläre Bauen und legte dar, dass es nicht zwangsweise teurer ist. Das Ziel, das er und seine 65 Mitarbeiter verfolgen: aus einem Kostenblock einen Wertblock zu machen, wenn Materialien aus Abrissgebäuden verkauft werden und nicht entsorgt werden müssen. Das Start-up will Umschlagsorte für zirkuläre Materialien eröffnen. Einen solchen Urban Mining Hub gibt es schon in Berlin, weitere in Deutschland sind geplant. Campanella sagt: „Dort lagern nur Materialien, die wir schon verkauft haben.“
Das Geschäftskonzept von Concular geht weg vom Recycling hin zum Re-Use. Bislang hat das Start-up, das vor vier Jahren gegründet wurde, 1,5 % aller Bauvorhaben in Deutschland begleitet. Im Zentrum des Geschäftsmodells steht eine Softwarelösung, die ein digitales Ökosystem schafft, um das Bauen von nachhaltigen, zirkulären Gebäuden zu unterstützen. Damit werden in einem ersten Schritt die Materialien digitalisiert, im zweiten dann bilanziert, im dritten Schritt optimiert. Campanella: „Die Auswahl der Materialien hat Einfluss auf den CO2-Ausstoß des Gebäudes und wir können dem Bauherrn zeigen, wie zirkulär sein Entwurf ist.“
Freiwilliger Ressourcenpass
Die große Herausforderung derzeit ist, dass der digitale Gebäuderessourcenpass bislang nicht verpflichtend ist. Um den Unternehmen etwas Greifbares „an die Hand zu geben“ hat Concular zusammen mit anderen Bau-Akteuren eine DIN-Norm entwickelt: die DIN SPEC 91484. Sie legt Normierungen fest, um den Gebäudebestand systematisch zu erfassen und zu dokumentieren, sodass in der Folge Materialkreisläufe entstehen können. Campanella brachte einige Projektbeispiele mit, die er im Zeitraffer-Tempo vorstellte.
Kooperationspartner Triqbriq in Stuttgart fertigt standardisierte Holzbausteine aus Holzbalken, die im tragenden Rohbau eingesetzt werden; eine Brandschutztür wird zum Möbelstück; Wellblechfassaden werden abgenommen und wieder eingebaut und Fassadenplatten aus Granit dürfen ein neues Leben als Bodenplatte beginnen. Concular tritt an, wertvolle Materialien, die im Gebäudebestand „schlummern“, in die Wertschöpfungskette zurückzuführen. Das Lebensende des Gebäudes soll also nicht gleichzusetzen sein mit dem Lebensende des Baustoffes.
Zeitalter der Transformation
Dass die Materialien, die bei einem Gebäudeabriss anfallen, einen Wert haben, wurde auch im Vortrag von Christoph Lindner deutlich. Der geschäftsführende Gesellschafter von Conversio Market & Strategy demonstrierte, was mit alten Fenstern an ihrem Lebensende passiert. Ein Fazit seiner Case Study gleich vorne weg: Der monetäre Wert des Baustoffs wirkt sich auf die Recyclingquote aus; was nicht weiter überraschend ist. Überrascht haben uns dann aber doch seine einleitenden Worte; laut Lindner befinden wir uns in einem Zeitalter der Transformation ähnlich dem Umbruch, der von der industriellen Revolution eingeleitet wurde. Er konstatiert in Bezug auf die Wertstoffkreisläufe: „Es gibt auf der einen Seite große Unsicherheiten im Hinblick darauf, welche Qualitäten akzeptiert werden, aber auch Lichtblicke, dass es funktionieren kann.“
Welche Abfallpotenziale stecken in Kunststoff, Holz, Aluminium und der Holz-Alu-Fassade? Um diese Frage zu beantworten, brachte der Conversio-Chef die Zahlen der Anfallmengen 2022 aus Deutschland mit. 10 Millionen Altfenster werden im Jahr demontiert oder ausgetauscht. Das entspricht einer Gesamtmasse von 460.00 bis 480.000 Tonnen im Jahr. 250.000 Tonnen Altglas werden aus den Fenstern gewonnen; davon werden 95 % wieder in Glasanwendungen gebracht, allerdings nicht in die ursprüngliche Anwendung als Fensterglas. Das sei noch eine große Hürde, „aus recyceltem Glas wieder in die originäre Anwendung zu gehen“, betont Lindner. Was aus Qualitätsgründen nicht wieder zu Flachglas werden kann, wird zu Behälterglas, Mineralwolle, Glasperlen und Glasmehl verarbeitet. 66 % aller Kunststofffenster gehen in die Wiederverwertung. Von 44.000 Tonnen im Jahr werden 32.000 Tonnen separiert und sortiert. Bei Aluminiumschrotten liegt die Aufbereitungs- und Remelting-Quote bei fast 100 %. Es werden rund 80 % wieder in die gleiche Anwendung gebracht und in Fenster, Türen und im Fassadenbereich eingesetzt.
Holz weniger „grün“ als sein Ruf
Bei der Life-Cycle-Analyse kommt das Holzfenster am schlechtesten weg. Das wurde schon im einleitenden Vortrag von Prof. Timo Schmidt über Life-Cycle Assessment von Vorhangfassaden deutlich. Man müsse immer den ganzen Lebenszyklus eines Fensters betrachten. Und da schneidet Holz im Vergleich zu den anderen Fensterrahmenmaterialien nicht gut ab. Lindner: „Man hört immer, Holz sei gut und nachhaltig, aber das ist auch ein von Emotionen geprägtes Thema.“ Problematisch beim Holz ist die Behandlung mit Lacken und Holzschutzmitteln, sodass das „End-of-Life“ des Holzes das Heizkraftwerk ist. Das bestätigt auch Philipp Nuscheler von Raico Bautechnik. Er antwortete bei der Podiumsdiskussion auf eine Frage aus dem Publikum: „Eine 100-prozentige Rückbaubarkeit ist nur gegeben, wenn kein Kleber bei der Herstellung von Fenstern verwendet wird.“
Während beim Stahl der hohe Wert zu einer hohen Recyclingquote führt, brauche es beim Kunststoff das klare Commitment der Akteure, um stabile Kreisläufe aufzubauen, die funktionieren. Daher fordert Lindner, alle Akteure besser zu vernetzen und die wesentlichen Player zu aktivieren. Auch für die Logistik müssten kreative Lösungen gefunden werden. Fast scheint es, als ob Wicona sich genau diese Forderung von Lindner zu Herzen genommen hat. Denn das Systemhaus bietet eine Lösung für das Sammeln alter Alu-Profile direkt an der Baustelle, wie Gerald Eisele, Leitung Projektberatung bei Wicona, berichtet. Das Systemhaus stellt die Container bereit, holt das Aluminium ab, bereitet es auf und schmilzt daraus neue Pressbolzen. Die Legierungsqualität bleibe auch bei den neuen Profilen erhalten und das Aluminium könne unendlich wiederverwendet werden.
Etwas provokant stellt Eisele die Fragen in den Raum: „Wie hoch ist der Anteil von Sekundär-Aluminium tatsächlich?“ und „Rechnen wir uns nicht die Fassade schön?“ Zwar sammelten wir seit Jahrzehnten Schrott, aber „momentan sind wir noch nicht wirklich in einer Kreislaufwirtschaft angekommen“. Über projektbezogene EPDs lässt sich nachweisen, wie viel Sekundäraluminium verwendet wurde; daraus kann dann der CO2-Fußabdruck abgeleitet werden. Der Anteil der Fassade am Treibhauspotenzial eines Gesamtgebäudes beträgt zwischen neun und 23 Prozent. Die Zahlen dazu brachte Prof. Dr. sc. hum. Schmidt von der TH Augsburg mit.
Revitalisierung ist ein Kompromiss
Dipl.-Ing. Architekt Holger Meyer spricht von einer Zeitenwende. Der geschäftsführende Gesellschafter von holger meyer architektur in Frankfurt sagt: „Das Tempo, mit dem sich die Dinge für uns Planer verändert haben, hat uns selbst überrascht.“ Er erzählt, dass sich fünf von sechs Projekten, die sie derzeit angehen, Revitalisierung oder Refurbishment zuordnen lassen. In der Vergangenheit sei das Verhältnis von Revitalisierungsprojekten zu Neubau etwa 20 zu 80 Prozent gewesen. Dieses Jahr habe sich das Verhältnis umgekehrt. Anhand des Global Tower Frankfurt, ein Bürohochhaus, das 1974 für die Commerzbank errichtet wurde, zeigt er auf, welche Herausforderungen ein Projekt mit sich bringt, wenn das zu sanierende Gebäude unter Denkmalschutz steht. Seinen Vortrag könnte man auch betiteln als „Das Ringen mit dem Denkmalschutz“. Es gab zehn Verhandlungsrunden mit der Denkmalschutzbehörde, um eine niedrigere Brüstung durchzusetzen und die Erlaubnis zu erhalten, die Proportionierung zu verändern. Jede Proportion und Farbe wurde einzeln verhandelt. Im Ergebnis „tun die Veränderungen der Fassade keinen Abbruch“, betont Meyer. Und den Mitarbeitenden ermögliche man im Sitzen den Bezug zur Stadt, weil man die City nun vom Schreibtisch aus sehen kann. Wichtigste Erkenntnis: Bei einer Revitalisierung muss der Planungsprozess anders gestaltet sein – der Aufwand im Vorfeld ist viel höher (was sich in der Gebührenordnung derzeit noch nicht widerspiegele, wie Meyer nebenbei anmerkt).
Kalkulationsposten „Risiko-Budget“
Die Tatsache, dass man beim Bauen im Bestand nie vor Überraschungen gefeit ist, untermauerte Thomas Grudda von der Firma Hochtief Infrastructure Building. Aus Sicht des Generalunternehmers gab er Einblick ins Projektgeschäft mit Fokus auf die Risiken und Ursachen, wenn Projekte scheitern. Seine Folien waren übersät mit Fragen, die man sich im Vorfeld stellen müsse. Einer der wichtigsten Ratschläge: Risiko-Budgets einplanen. Die Projektbeispiele zeigten auf, wie wichtig es ist, den Bestandsrohbau zu besichtigen. Wenn dies nur eingeschränkt möglich ist, kann es sein, dass korrodierte Stahlbauteile oder schadstoffbelastete Wände zu spät erkannt werden. Grudda empfiehlt, Gewährleistungsrisiken abzugrenzen.
Die Haftung begrenzen – geht das? Jein!
Anne Baureis und Prof. Dr. Martin Jung von Kapellmann Rechtsanwälte versprachen den Tagungsteilnehmern Impulse für die eigene Vertragsgestaltung. Die Reise der Juristen begann mit einem Ausflug in die EU-Taxonomie und die Definition der ESG-Kriterien. Zur Erinnerung: Die Abkürzung steht für Environmental, Social and Governance – zu Deutsch: Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Anhand von ESG-Kriterien wird bewertet, wie nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet. Wenn Unternehmen als nicht nachhaltig im Sinne der Taxonomie gelten, kann dies negative Folgen auf ihre Kreditwürdigkeit haben. Baureis konkretisiert, was es heißt, einen „wesentlichen Beitrag zur Erfüllung eines der von der EU definierten Umweltziele, nämlich den Übergang zur Kreislaufwirtschaft, zu leisten“. Das ist dann der Fall, wenn ein Bauherr bei einer Renovierung 70 % der anfallenden Bau- und Abbruchabfälle für das Recycling und die Wiederverwendung vorbereitet. Bei einem Abbruch muss der Anteil bei 90 % liegen.
Als es um das Bauprodukterecht und Markenrecht ging, schwirrten die Paragrafen durch den Zuhörerraum. Ganz so locker-luftig-leicht, wie der animierte Flieger suggerierte, der durch die Powerpoint-Präsentation referierte, gestaltet sich das Thema nicht. Auf den Gesichtern einiger Zuhörer zeigte sich eine gewisse Erschöpfung.
Einer der Teilnehmenden war sehr angetan vom juristischen Vortrag. Prof. Dr.-Ing. Martien Teich von der Fakultät Bauingenieurwesen der Hochschule für angewandte Wissenschaften München resümierte: „Frau Baureis und Herr Jung von Kapellmann haben die rechtlichen Chancen und Risiken diskutiert, die sich bei der Wiederverwendung von Glas ergeben. Dabei haben sie einen großen Bogen von den Grundlagen des Bauproduktenrechts über Fragen des Marken- sowie Zivilrechts bis hin zu konkreten Anwendungsbeispielen gespannt. Insgesamt hat sich gezeigt, dass wir mit der Wiederverwendung von Glas nicht nur technisches, sondern auch juristisches Neuland betreten. Umso wichtiger ist eine offene und zielgerichtete Zusammenarbeit zwischen allen Projektbeteiligten mit entsprechender Gestaltung der Ausschreibung und des Bauvertrags.“
Fazit des rechtlichen Vortrags
Was hängenbleibt: Wenn zukünftig vermehrt wiederverwendete Materialen bei Sanierungen und Revitalisierungen zum Einsatz kommen, gibt es auch die Haftungsfrage neue Dimensionen. Die Empfehlung der Referenten: Mit einer Haftungsbegrenzungsregel könne man versuchen, die Haftung zu reduzieren. Im Vertrag sollten genau die Qualitäten der Ausführung definiert werden. Bei einer Individualvereinbarung sei es möglich, sich freizuzeichnen. Die Krux: Alles, was mit dem Vertragspartner verhandelt wurde, muss man nachweisen können. Baureis betont: Die Haftung auszuschließen sei theoretisch möglich, aber konkret dann doch eher ein Einzelfall. Die Juristen empfehlen, prinzipiell möglichst vieles genau im Vertrag zu definieren.