Fassadentag Berlin

Hygrothermische Verformungen


Dr.-Ing. Thomas Schrepfer, öffentlich bestellter Sachverständiger und einer von vier Geschäftsführern der CRP Bauingenieure in Berlin, referierte über Verformungen von Fassaden aufgrund hygrothermischer Einwirkungen. Das Thema hat Brisanz, denn ein Großteil der Schäden an Fassaden wird verursacht durch tages- und jahreszeitliche Temperatur- und Feuchteschwankungen. Sowohl für hinterlüftete Fassadenbekleidungen als auch für Wärmedämmverbundsysteme sind entsprechende experimentelle Untersuchungen zum hygrothermischen Verformungsverhalten der Systeme Bestandteil der Verfahren, um eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung oder ein europäisches Bewertungsdokument zu erlangen. Darüber hinaus sind auch in der Praxis konkrete Überlegungen bzw. rechnerische Abschätzungen zur schadensfreien Aufnahme der hygrothermischen Verformungen der Fassaden notwendig.
Dr.-Ing. Schrepfer hat es sich in seinem Vortrag zur Aufgabe gemacht, die Einwirkungen auf Fassaden sowie die unterschiedlichen Prüfverfahren/Nachweisverfahren für hinterlüftete Fassadenbekleidungen und Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) kurz zu erläutern und deren Grenzen aufzuzeigen.

Einwirkungen

Im Rahmen diverser Forschungsvorhaben am Fachgebiet Allgemeiner Ingenieurbau von Prof. Dr. Erich Cziesielski an der TU Berlin sind Langzeitmessungen an ausgeführten hinterlüfteten Fassaden und Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) zu den in der Konstruktion auftretenden Temperaturen vorgenommen worden. Die Ergebnisse flossen unter anderem in die DIN 18516-1 [1] ein. Demnach sind als Grenztemperaturen der Bauteiloberflächen 80 °C im Sommer und -20 °C im Winter anzusetzen. Die maximale Temperatur der Bauteiloberflächen im Sommer ist stark von der Farbe der Fassadenbekleidung (genauer: Absorptionszahl der Beschichtung) bzw. der Putzoberfläche abhängig. Als Einbautemperatur wird üblicherweise 10 °C angesetzt, was in etwa dem Jahresmittelwert der Außenluft in Deutschland entspricht. Bei Eckelementen (z.B. Laibungsplatten) ist zwischen sonnenbeschienener Seite und Schattenseite eine Temperaturdifferenz von 35 K anzusetzen.
Im Gegensatz zu den detaillierten Angaben zu den Temperatureinwirkungen enthält DIN 18516-1 keine Angaben zu möglichen hygrischen Längenänderungen infolge Schwinden und Quellen. Es heißt lediglich in der DIN 18516-1, Abs. 5.2.2: „Im Falle von Quellen und Schwinden ist dieses zusätzlich zu berücksichtigen.“
Die Größe der Schwind- und Quellverformungen ist extrem materialabhängig. Während Metallfassaden keine hygrischen Verformungen aufweisen, sind diese bei vielen zementgebundenen Baustoffen ungefähr in gleicher Größenordnung wie die thermischen Verformungen zu finden.
Bei Holz können diese ein Vielfaches der thermischen Verformung betragen. Die in der Praxis auftretenden hygrischen Verformungen sind zum einen von den Längenänderungen infolge längerfristiger Änderungen der Umgebungsluftfeuchten und zum anderen von der Schlagregenexposition und dem Saugverhalten der Fassadenoberflächen abhängig.
Im Rahmen der unterschiedlichen Prüfverfahren von hinterlüfteten Fassaden und Wärmedämmverbundsystemen (z.B. ETAG 004, ETAG 034) wird stark vereinfachend versucht, extremale in der Praxis mögliche hygrische Beanspruchungen (z.B. Sommergewitter: Erwärmung Fassade auf 70 °C, schlagartige Abkühlung durch Beregnung auf ca. 15 °C) zu erfassen.

Hinterlüftete Fassadenbekleidungen

Um Zwängungsspannungen infolge thermischer und/oder hygrischer Längenänderungen bei vorgehängten hinterlüfteten Fassadenbekleidungen zu vermeiden, erfolgt in der Regel eine weitgehend zwängungsfreie Befestigung (Ausbildung von Gleit- und Festpunkten). Das notwendige Lochspiel bzw. die maximal mögliche Plattengröße ist rechnerisch zu ermitteln, unter Berücksichtigung möglicher Montagetoleranzen für die ungünstigsten Einwirkungskombinationen und der Materialkennwerte der Bekleidungsplatte. Dabei sind auch die Verformungen der Unterkonstruktion zu berücksichtigen.
Für eine Vielzahl von hinterlüfteten Fassaden existieren keine vollumfänglichen normativen Regelungen für die Bauart (Bekleidungselement, Befestigungsmittel, Unterkonstruktion), sodass eine Regelung über eine bauaufsichtliche Zulassung oder ein europäisches technisches Anwendungsdokument erforderlich wird. Im Rahmen der notwendigen Prüfungen wird auch die Dauerhaftigkeit unter hygrothermischen Einwirkungen untersucht. Dies erfolgt durch entsprechende Großversuche an geeigneten, ungünstigen Systemausschnitten. Dabei sollte grundsätzlich das größte zur Anwendung vorgesehene Plattenformat untersucht werden. Die Bewitterungszyklen sind nach ETAG 034 oder materialspezifischen Normen (z.B. DIN EN 12467) durchzuführen.
Die Regelungen, wann eine Prüfung bestanden ist, unterscheiden sich in einem gewissen Umfang. Grundsätzlich ist die Prüfung nicht bestanden, wenn es zu Schäden an den Bekleidungsplatten (Delaminieren, Abplatzungen, Risse etc.) kommt oder Befestigungsmittel versagen.
Eine Bewertung von bleibenden Verwölbungen der Platten oder Verfärbungen z.B. an den Rändern erfolgt nicht. Ebenso enthalten die Prüfvorschriften keine Angaben zu Art und Steifigkeit der zu verwendenden Unterkonstruktion sowie den beim Einbau zu berücksichtigenden Montagetoleranzen. Hierzu sind von der Stelle, die die Prüfungen durchführt, fundierte Überlegungen notwendig, um den in der Praxis möglichen ungünstigsten Anwendungsfall geeignet abzubilden.

Wärmedämmverbundsysteme

Im Gegensatz zu hinterlüfteten Fassaden müssen bei Wärmedämmverbundsystemen die Zwängungsspannungen infolge der hygrothermischen Verformungen der Putzschicht (und ggf. der Dämmplatte) vom System schadensfrei aufgenommen werden. Ein entsprechender rechnerischer Nachweis des WDVS ist in der Praxis nicht möglich, da eine Vielzahl von Materialkenngrößen der einzelnen Schichten des WDVS erforderlich wäre. Erschwert wird dies zusätzlich durch ein teilweise anisotropes und teilweise nichtlineares Materialverhalten der einzelnen Schichten des WDVS sowie durch Kriech- und Relaxationsvorgänge. Aus diesem Grund erfolgt der Nachweis der ausreichenden Dauerhaftigkeit rein experimentell im Zulassungsverfahren.
Für den Nachweis der Dauerhaftigkeit von Wärmedämmverbundsystemen wurde in den 1990er-Jahren ein Kurzzeitbewitterungsversuch entwickelt, der aus Sommer-(Hitze-/Regen-) und Winterzyklen (Wärme-/Kältezyklen) besteht. Dieser Versuch ist der wichtigste Bestandteil zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit von WDVS und Bestandteil der ETAG 004 sowie der zukünftigen Normung von WDVS. Grundlagen der Versuchskonzeption waren Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Entwicklung von WDVS mit 40 bis 100 mm dicken EPS- und Mineralwolledämmstoffen und dünnschichtigen Putzsystemen.
Die Bewertung der Bewitterungsversuche erfolgt als Sichtprüfung im Hinblick auf systematische Schäden (Rissbildungen, Blasenbildungen, Abplatzungen, Hohllagen, Delaminierungen). Daneben wird die Haftzugfestigkeit im System sowie ggf. die Stoßfestigkeit nach Ende der Bewitterung untersucht.
Bei den Versuchen wird in der Regel infolge der Umkehrdiffusion während der Hitze-/Kälte-Zyklen der Feuchtegehalt im WDVS erhöht. Dies kann bei neuartigen Dämmstoffen, die zu starkem Schwinden neigen, zu einer zu günstigen Einschätzung der Dauerhaftigkeit des Systems führen. Hier sind im Rahmen der Eignungsprüfungen weitergehende Überlegungen und ggf. die Einführung weiterer Prüfzyklen erforderlich, mit denen das in der Praxis mögliche Trocknungs- und daraus resultierende Schwindverhalten erfasst wird. Entsprechende Ergänzungen der Bewitterung gemäß ETAG 004 sind in der Vergangenheit bereits für zwei Arten von WDVS entwickelt worden:
Bei WDVS mit keramischen Bekleidungen erfolgt über die ETAG 004 hinausgehend eine verschärfte Frost-Tau-Wechselbeanspruchung, um das Verbundverhalten Keramik/Verlegemörtel/Unterputz/Dämmung näher zu untersuchen.
Bei WDVS auf Holzuntergründen wird zur Beurteilung des ausreichenden, dauerhaften Holzschutzes der tragenden Holzbauteile ein Kurzzeit-Bewitterungszyklus mit modifizierten (WKI-)Zyklen durchgeführt. Bei diesen insbesondere bezüglich der Wasserbeaufschlagung der Putzoberfläche abgeminderten Bewitterungszyklen wird insbesondere die Holzfeuchte im Bereich der tragenden Holzbauteile gemessen und abschließend bewertet.
Da in den letzten Jahren die Dämmstoffdicken im WDVS stark zugenommen haben, sind auch die Verformungen in der Putzebene insbesondere an freien Rändern und Anschlüssen stark angewachsen. Die heutigen Prüfwandabmessungen nach ETAG 004 sind für die Simulation eines weitgehend vollgezwängten Systemausschnitts des WDVS sehr klein. Die Ausbildung der Ränder des WDVS auf der Prüfwand muss deshalb mindestens auf einer Seite möglichst starr erfolgen. Weiterhin sollten während der Bewitterungsversuche die Randverformungen des WDVS gemessen werden. Diese Ergebnisse sind auch für die Konzeption der Ausbildung der Anschlüsse der WDVS an andere Bauteile relevant.⇥ma ◊

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